Der Euro hat einen Geburtsfehler, der während der Eskalation der Finanz- wie auch in der Eurokrise der Jahre 2011 und 2012 wie ein Brandbeschleuniger gewirkt hat: Die Staaten der Eurozone verfügen zwar über eine gemeinsame Währung, nicht aber über eine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik.
Mit fatalen Folgen: Der Euro hat die ökonomischen Unterschiede innerhalb der Währungsunion nicht ausgleichen können, sondern verschärft. Weil die Wechselkurse nicht länger beweglich waren, erfolgte die Anpassung an die unterschiedlichen Verhältnisse über die Arbeitsmärkte, den Handel und die Kapitalströme: Banken aus Ländern mit zeitweilig hohem Wachstum wie Irland oder Spanien liehen sich viel Geld bei deutschen Banken. Das hat die Abhängigkeiten im europäischen Bankensektor erhöht, ohne dass ihr entsprechende vertiefende Maßnahmen einer
Wie so oft legen erst Krisen strukturelle Fehler offen. In der Finanzkrise von 2008 wurde zunächst deutlich, welche Probleme sich für einzelne Länder ergeben, wenn die Zahlungsströme aus dem Ausland stoppen: Einerseits müssen Länder mit Eigenkapitalspritzen, Krediten und Bürgschaften dann einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. Das kostete einen vierstelligen Milliardenbetrag oder rund fünf Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone der Jahre 2008 bis 2014. Probleme der Banken fallen so auf ganze Staaten zurück: Irland fiel im Zuge seiner Bankenrettungen in den Augen der Ratingagenturen zeitweise auf den Status eines Schwellenlandes zurück und musste drastisch höhere Zinsen für Staatsanleihen zahlen.
Das Ganze wirkt indes auch umgekehrt: Denn Zweifel an der Solvenz der Länder fallen auch auf die örtlichen Banken zurück. Diese halten traditionell besonders viele Staatsanleihen, zudem orientieren sich ihre eigenen Refinanzierungskosten am Anleihenmarkt immer auch an den aktuellen Renditen der Staatsanleihen. Das bekamen in den vergangenen sechs Jahren etwa griechische und italienische Banken zu spüren.
No-Bail-Out-Klausel wirkt im Ernstfall krisenverschärfend
Jene Regelung, die eigentlich dazu dienen sollte, das Vertrauen in den Euro zu stärken – die sogenannte und bis heute formal geltende
Elemente der Bankenunion (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-sa/3.0/de
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Viele Maßnahmen seit der Finanz- und Eurokrise haben diese Probleme adressiert. Am wirkungsvollsten erwies sich dabei neben der Einrichtung von transnationalen Schutzschirmen die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), ab 2015 Staatsanleihen aufzukaufen. Sie drückte damit nicht nur die Zinsen, sondern machte auch unmissverständlich klar, dass sie willens ist, den Euro im Krisenfall zu stützen. Allein kann dies nur eine temporäre Maßnahme sein.
Auch die starke wechselseitige Abhängigkeit von Banken und Staaten haben Aufseher und Regierungen adressiert – mit dem Beschluss aus dem Jahr 2012, eine Bankenunion einzurichten. Diese sah erstens die Schaffung eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus für Banken vor. Er soll verhindern, dass die Rettung oder gar Pleite von Banken zu einer Last für Steuerzahlerinnen und -zahler wird. Stattdessen gilt als oberstes Prinzip, dass Gläubiger und Anteilseigner haften müssen.
Zweitens unterwarf die Bankenunion die Banken einer zentralen Aufsicht durch die EZB. Beide Maßnahmen sind bereits in Kraft. Ihr soll nun – drittens – ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds folgen, über dessen Ausgestaltung es allerdings noch Streit gibt. Im Kern geht es darum, dass als vergleichsweise sicher wahrgenommene Länder wie Deutschland nicht in Co-Haftung für mögliche Bankpleiten in jenen Ländern genommen werden wollen, die weiterhin unter massiven Altlasten bei den ausstehenden Krediten leiden.
Das ist verständlich: Laut EZB schieben die 120 von ihr direkt beaufsichtigten Banken im Euroraum derzeit faule Kredite im Volumen von über 800 Milliarden Euro vor sich her. Bei einigen Instituten in Irland, Portugal und Italien sind je zwischen 15 und 20 Prozent aller ausstehenden Kredite gemessen an der Bankbilanz ausfallgefährdet – im Gegensatz zu zwei bis vier Prozent in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden.
Italien zeigte sich kreativ im Umgang mit den geltenden Regeln
Wenig vertrauensbildend wirkt zudem, dass sich Italien bislang kreativ im Umgang mit den geltenden Regeln zeigte. Mit dem Verweis auf eine Notsituation pumpte die Regierung im Sommer 2017 erneut gut fünf Milliarden Euro in das marode Institut Monte dei Paschi di Siena und stellte bis zu 17 Milliarden Euro für die Abwicklung kleinerer Regionalbanken bereit – sogar mit dem Segen von EZB und EU-Kommission.
Die Konjunktur ist derzeit robust, die Kapitalmärkte florieren: Wenn lokale Regierungen trotzdem wieder zu alten Routinen wie Bankenhilfe mit Steuergeld greifen, und wenn man sich jetzt schon nicht auf eine gemeinsame Einlagensicherung verständigen kann – welche Chancen hat dann der Abwicklungsmechanismus in der nächsten Rezession oder bei einem kräftigen Zinsanstieg?
Aufgabenverteilung innerhalb des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-sa/3.0/de
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So logisch der Mechanismus klingen mag – es gibt schlicht zu geringe Anreize, ihn auch anzuwenden. Die Gläubiger einer Bank mit ins Boot zu holen, hat – das zeigen erste Erfahrungen in Italien – hohe soziale und politische Kosten, denn die leidenden Gläubiger machen ihrem Unmut darüber aggressiv Luft.
Viel einfacher erscheint es da Politikerinnen und Politikern, Probleme im Bankensektor mit Steuergeld zu lösen – und zwar so lange, bis die bankenrettende Regierung selbst in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Die Gemeinschaft der Steuerzahler hat schließlich bei Bankenpleiten stets eine leisere Stimme als Gläubiger einzelner Institute. Ob die Bankenunion und auch der noch zu schaffende länderübergreifende Einlagensicherungsfonds daran etwas ändern, wird erst die nächste Krise zeigen. Wenig optimistisch stimmt auch, dass sich die Töpfe der bestehenden europäischen Einlagensicherung – einem Relikt der Finanzkrise – trotz guter Konjunktur nur langsam füllen. Bislang haben Europas Banken 42 Milliarden Euro angespart: nur gut die Hälfte des Ziels – 0,8 Prozent der geschützten Bankeinlagen –, welche die Banken bis 2024 werden aufbringen müssen.
Banken wurden motiviert, sich mit Staatsanleihen vollzusaugen
Die traurige Realität der Bankenunion ist, dass die Abhängigkeit der Länder der Eurozone von ihren Geldinstituten seit der Finanzkrise vor zehn Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Denn jede Form der Regulierung hat immer auch unerwünschte Nebenwirkungen: Indem man nach der Finanzkrise Staatsanleihen bilanziell privilegiert hat – sie gelten, anders als schwankungsanfällige Aktien in den Augen der Aufseher meist als risikolos – hat man Banken motiviert, sich mit eben jenen Staatsanleihen vollzusaugen. Somit hat sich die wechselseitige Abhängigkeit von Staaten und Banken sogar noch verstärkt.
Auch der Zwang für Banken, für ihre Geschäfte mehr Eigenkapital vorzuhalten, klingt auf dem Papier sinnvoll. Damit ist es für Banken allerdings auch schwieriger geworden, die Renditevorstellungen ihrer Eigner zu erfüllen, was zu aggressiverer Kreditvergabe und Bilanzierung motiviert. Zudem ist damit die Motivation weiter gesunken, faule Kredite abzubauen. Aber auch dies wird erst die nächste Krise – egal, welchen Ursprung sie hat – offenlegen.
Hans-Peter Burghof (© Privat)
Hans-Peter Burghof (© Privat)