Es sei derzeit völlig unklar, wohin die Eurozone steuert. Deshalb raten die Freiburger Ökonomen Lüder Gerken und Matthias Kullas den potenziellen Euro-Kandidaten vom Beitritt ab.
Rechtlich ist die Sache eindeutig: Die EU-Verträge sehen vor, dass alle EU-Staaten außer Dänemark und das Vereinigte Königreich den Euro einführen müssen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Bislang erfüllt jedoch keiner der sieben Euro-Kandidaten alle Kriterien, sodass eine Einführung des Euros für diese EU-Staaten rechtlich problematisch wäre. Sie ist aber auch ökonomisch fragwürdig. Die Folgen für ein Land, das den Euro einführt, ohne die Konvergenzkriterien zu erfüllen, sieht man sehr deutlich in der wirtschaftlichen und sozialen Krise, die Griechenland gegenwärtig durchlebt. Griechenland konnte dem Euro nur beitreten, weil es falsche Defizitzahlen veröffentlicht hat.
Auch wenn Griechenland mit deutlichem Abstand die größten wirtschaftlichen und sozialen Probleme aller Euro-Staaten aufweist, stehen auch andere Euro-Staaten vor so großen Herausforderungen, dass die Eurozone gegenwärtig nur durch den massiven Eingriff der Europäischen Zentralbank (EZB) vor dem Zerfall bewahrt wird. Daher ist es diskussionswürdig, ob die potenziellen Euro-Kandidaten den Euro selbst dann einführen sollten, wenn sie die Konvergenzkriterien erfüllen.
Neben ökonomischen Erwägungen spielen dafür nicht zuletzt auch außen- und sicherheitspolitische Überlegungen eine Rolle. Letztere waren etwa für die baltischen Staaten bei der Entscheidung, den Euro einzuführen, von besonderer Bedeutung. Zudem kann sie aus Sicht der Euro-Kandidaten oder aus Sicht der aktuellen Euro-Staaten beantwortet werden. Wir beschränken uns im Folgenden auf ökonomische Erwägungen aus Sicht der Euro-Kandidaten.
Fünf Konvergenzkriterien für sieben Euro-Kandidaten
Fünf Konvergenzkriterien für sieben Euro-Kandidaten
Fünf Konvergenzkriterien für sieben Euro-Kandidaten: Finanzierungssaldo des Staates (2010-2016) (Grafik zum Download)
(bpb)
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Fünf Konvergenzkriterien für sieben Euro-Kandidaten:
Wechselkurs gegenüber dem Euro (2010-2017) (Grafik zum Download)
Wie groß die Vorteile des Euros sind, ist unklar
Für eine Einführung des Euros spricht erstens, dass die gemeinsame Währung den Handel mit den anderen Euro-Staaten erleichtert, da das Wechselkursrisiko wegfällt und die Transaktionskosten sinken. Wie groß dieser Handelseffekt ist, ist jedoch umstritten. So kamen einige Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass der Handel nach Einführung des Euros nur geringfügig zugenommen habe. Andere Untersuchungen kamen hingegen zu dem Schluss, dass das Handelsvolumen mit den anderen Euro-Staaten um fast 20 Prozent zugenommen habe.
Zweitens spricht für einen Euro-Beitritt, dass die EZB die Inflation bislang erfolgreich niedrig halten konnte. Euro-Kandidaten mit Inflationssorgen können bei einem Beitritt daher von der Glaubwürdigkeit der EZB profitieren. Dadurch sinken die Zinsen, was wiederum kreditfinanzierte Investitionen und kreditfinanzierten Konsum verbilligt. Allerdings ist das Ausmaß auch dieses Vorteils fraglich, denn zurzeit ist die Inflation in allen Nicht-Euro-Ländern der EU niedrig.
Dass der Euro nicht nur Vorteile hat, zeigen die Probleme einiger Euro-Staaten. Diese sind insbesondere darauf zurückzuführen, dass deren internationale Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren kontinuierlich erodiert ist. Grund hierfür waren Lohnsteigerungen, die regelmäßig über die Produktivitätszuwächse hinausgingen. Vor Einführung des Euros führten solche Lohnsteigerungen nicht zu einer Erosion der Wettbewerbsfähigkeit, da die Länder ihre Währung regelmäßig – insbesondere gegenüber der D-Mark – abwerten konnten. Eine Abwertung verteuert Importe und verbilligt Exporte und soll so die internationale Wettbewerbsfähigkeit trotz zu hoher Löhne sicherstellen. Euro-Staaten ist eine Anpassung der Wechselkurse zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit jedoch verwehrt. Stattdessen müssen Löhne gesenkt und die Produktivität erhöht werden.
Neben der fehlenden Abwertungsmöglichkeit werden Euro-Staaten auch dadurch eingeschränkt, dass sie keine eigenen Leitzinsen setzen können. Unterschiedliche Leitzinsen sind von Vorteil, wenn sich die Volkswirtschaften der Euro-Staaten verschieden entwickeln. Bricht etwa in einem Euro-Staat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage infolge einer geplatzten Immobilienblase ein, kann dieser den Leitzins nicht senken. Ein solches Absenken würde kreditfinanzierte Investitionen und kreditfinanzierten Konsum verbilligen und somit den Nachfrageeinbruch teilweise ausgleichen.
Die Euro-Staaten sind uneins, wie Probleme gelöst werden sollen
Schließlich weist der Euro-Raum – in seiner gegenwärtigen Form – noch einen weiteren Nachteil auf: Bislang besteht zwischen den Euro-Staaten kein Konsens darüber, wie auf die wirtschaftlichen Probleme einiger Mitglieder reagiert werden soll. Während einige Euro-Staaten die nationalen Regierungen in der Verantwortung sehen, plädieren Euro-Staaten mit hohen Schulden oder einer geringen Wettbewerbsfähigkeit für mehr Vergemeinschaftung von Schulden und für eine Umverteilung zwischen den Euro-Staaten.
Die Euro-Kandidaten wissen momentan nicht, in welche Richtung sich die Eurozone entwickeln wird – hin zu mehr Eigenverantwortung oder hin zu einer stärkeren Vergemeinschaftung. Sie können somit auch nicht absehen, ob die Eurozone zukünftig ihren haushalts- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen entspricht. Wenn ein Euro-Kandidat jetzt beitritt, besteht die Gefahr, dass sich die Währungsgemeinschaft in eine Richtung entwickelt, die nicht zu seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen passt. Ist dies der Fall, muss das Land seine wirtschaftspolitische Tradition komplett ändern. Die damit einhergehenden sozialen, politischen und ökonomischen Kosten sind sehr hoch. Im schlimmsten Fall führt dies zu Entwicklungen, wie wir sie in Griechenland erleben.
Fazit: Die Einführung des Euros geht für das einführende Land mit mehreren potenziellen Vor- und Nachteilen einher. Wie groß diese sind, lässt sich weder vor noch nach einem Eurobeitritt exakt bestimmen. Allerdings sollten die Euro-Kandidaten dem Euro nicht beitreten, solange nicht klar ist, ob sich die Eurozone hin zu mehr Umverteilung und Vergemeinschaftung von Risiken entwickelt oder ob die Eigenverantwortung der Euro-Staaten gestärkt wird. Ob ein Euro-Kandidat ersteres oder letzteres bevorzugt, hängt von seiner haushalts- und wirtschaftspolitischen Tradition ab.
Prof. Dr. Lüder Gerken ist Vorsitzender des Freiburger Centrums für Europäische Politik (Cep) und Vorsitzender des Vorstands der das Cep tragenden Stiftung Ordnungspolitik sowie Vorstand der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung und Honorarprofessor an der Jacobs University in Bremen.
Dr. Matthias Kullas ist Fachbereichsleiter für Digitale Wirtschaft, Wirtschafts- und Fiskalpolitik sowie Binnenmarkt und Wettbewerb am Freiburger Centrum für Europäische Politik sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
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