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Bei der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) handelt es sich im Grunde um nichts anderes als eine statistische Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge, die in einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum abgelaufen sind. Die statistischen Definitionen der VGR sind zwar unabhängig von einzelnen theoretischen Denkschulen gültig, jedoch interpretieren neoklassische und keynesianische Ökonominnen und Ökonomen die Wirkungszusammenhänge zwischen verschiedenen Größen aus der VGR teilweise sehr unterschiedlich. Was ist damit gemeint? Im Folgenden wird das Bild eines Kuchens benutzt, der das Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeiten in einem Jahr symbolisieren soll. Wie noch näher erläutert wird, wird der "volkswirtschaftliche Kuchen", also die Wirtschaftsleistung eines Landes, als Bruttoinlandsprodukt (BIP) bezeichnet. Ökonominnen und Ökonomen verschiedener Denkschulen können sich in der Regel leicht darüber einigen, wie im Nachhinein (z.B. für das letzte Jahr) die Größe des volkswirtschaftlichen Kuchens, der in einem bestimmten Land produziert wurde, gemessen werden kann. Sie sind sich auch darüber einig, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, den Kuchen zu beschreiben. Aber es gibt unter ihnen große Uneinigkeit darüber, wie dafür zu sorgen ist, dass die Kuchenproduktion im nächsten Jahr verbessert wird, wie der Kuchen unter den an seiner Erstellung direkt oder indirekt beteiligten Personen verteilt werden soll und wie genau er verwendet werden soll (z.B. sofort essen, ins Ausland verkaufen oder einfrieren und für die Zukunft aufbewahren).
Das nominale und das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Dreh- und Angelpunkt der VGR ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das BIP bezeichnet die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft im Sinne des Wertes aller in einem bestimmten Zeitraum (meist ein Jahr) produzierten und verkauften Güter und Dienstleistungen.
Zunächst muss das
Bildlich gesprochen bedeutet ein Anstieg des realen BIP, dass der Kuchen tatsächlich größer oder besser wird. Den Effekt der Inflation (Anstieg des nominalen BIP bei konstantem realen BIP) kann man sich so vorstellen, als ob zur Messung eines unverändert großen Kuchens verschiedene Lineale mit immer größerem Maßstab, also immer enger nebeneinanderstehenden Linien, verwendet würden. Ein sich so veränderndes Lineal zeigt zwar einen immer größeren Durchmesser des Kuchens an, tatsächlich bleibt der Kuchen aber exakt gleich groß. Während niemand auf die Idee käme, einen Kuchen mit verschiedenen Linealen zu messen, ändert sich in der Volkswirtschaft der verwendete Maßstab – das Preisniveau – fast jedes Jahr. Mit dem oben beschriebenen Verfahren versucht man daher, diesem Problem zu begegnen, damit die tatsächliche Größe des Kuchens (das reale BIP) gemessen werden kann.
Das BIP lässt sich
Die Angebotsseite
In der einfachsten Variante besagt die angebotsseitige Betrachtung des BIP, die auch als Entstehungsrechnung bezeichnet wird, dass für die Herstellung aller Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraums zwei Faktoren entscheidend sind: Die Arbeitsproduktivität (= BIP pro gearbeiteter Stunde) und die Anzahl der gearbeiteten Stunden, also:
BIP = Arbeitsproduktivität pro Stunde x gearbeitete Stunden.
Ein Zahlenbeispiel aus dem
Nach neoklassischer Sichtweise steht die Entstehung, das heißt die Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Vordergrund, weswegen von der Neoklassik bisweilen auch als angebotsorientierter Theorie gesprochen wird. Eine mögliche Empfehlung wäre daher, durch unternehmensfreundliche Maßnahmen (geringe Steuern und Lohn(neben)kosten, wenig Bürokratie und andere Regulierungen) vorteilhafte Bedingungen für produktivitätssteigernde technische Innovationen zu schaffen. Im Fall des Bäckers könnte das bedeuten, dass ihm übertrieben hohe Mindestlöhne erspart bleiben, er nicht mit überzogenen bürokratischen Vorschriften belastet wird und seine persönlichen Leistungsanreize nicht durch zu hohe Steuern zunichte gemacht werden. Außerdem sollte der Staat aus dieser Sicht angebotsseitige Bedingungen schaffen, die dem Bäcker eine stetige Verbesserung seiner Kuchenproduktion ermöglichen (z.B. durch gute Schulbildung seiner Lehrlinge und eine gut aufgestellte Maschinenbau- und Chemie-Industrie, die immer bessere Backmaschinen und Backverfahren entwickelt und so die Arbeitsproduktivität des Bäckers erhöht).
In Bezug auf die Krise im Euroraum fordert etwa
Die Nachfrageseite
Die Nachfrageseite des BIP, welche auch als Verwendungsrechnung bezeichnet wird, lautet:
BIP = Konsum (privat und staatlich) + Investitionen (privat und staatlich) + Exporte – Importe.
Das bedeutet, dass die Güter und Dienstleistungen, die in einem Land in einem Zeitraum hergestellt werden, auch gekauft, also nachgefragt, werden müssen. Die Nachfrage kann entweder aus dem Inland kommen (private und staatliche Ausgaben für Konsum und Investitionen, sogenannte Binnennachfrage) oder aus dem Ausland (Exporte minus Importe, sogenannte
Warum ist das BIP der Verwendungsseite genauso groß wie das BIP der Entstehungsseite? Wenn ein Gut oder eine Dienstleistung auf einem Markt verkauft wird, sind hieran üblicherweise zwei Personen bzw. Institutionen beteiligt – eine, die verkauft, und eine, die kauft. Der Geldbetrag, der dabei fließt, ist für Käufer und Verkäufer identisch. Für die Berechnung des BIP ist es daher unerheblich, ob die Ausgabe des Käufers (Nachfrageseite) oder die Einnahme des Verkäufers (Angebotsseite) betrachtet wird.
Wie ist zu erklären, dass für die verwendungsseitige Berechnung des BIP die Exporte zur Binnennachfrage hinzuaddiert werden, während die Importe abgezogen werden müssen? Zur Erinnerung: Das BIP gibt Aufschluss darüber, wie hoch die Wirtschaftsleistung der gesamten Volkswirtschaft ist, die wir betrachten. Güter und Dienstleistungen, die ans Ausland verkauft werden (Exporte), werden zwar in der heimischen Volkswirtschaft hergestellt, aber dort nicht verwendet (zum Beispiel in Deutschland hergestellte Autos, die in Frankreich gekauft werden). Diese Nachfrage aus dem Ausland erhöht daher das inländische BIP. Nicht zur deutschen Wirtschaftsleistung zählen hingegen Waren, die zwar hierzulande gekauft und für Konsum oder Investitionen verwendet werden, aber in einer anderen Volkswirtschaft produziert werden. Wenn eine in Deutschland lebende Person Kleidung aus Asien kauft oder in Spanien Urlaub macht, konsumiert die Person, aber das deutsche BIP steigt dadurch nicht. Daher gehen die Importe mit einem negativen Vorzeichen in die Formel ein.
Keynesianisch orientierte Ökonominnen und Ökonomen betonen die Möglichkeit einer allgemeinen Nachfrageschwäche. Bildlich gesprochen, bedeutet dies, dass ein Bäcker zwar technisch in der Lage wäre, einen größeren oder besseren Kuchen zu backen, aber hierfür keine Käufer findet. Dies kann daran liegen, dass die Personen, die als Käufer des Kuchens prinzipiell in Frage kämen, verunsichert sind und Geld für schlechte Zeiten zurücklegen wollen oder zu wenig Kaufkraft haben. Mit ihrer Kaufzurückhaltung zerstören sie – so die keynesianische Diagnose – letztlich den Arbeitsplatz und damit das Einkommen des Bäckers bzw. seiner Angestellten. Bezogen auf die ganze Volkswirtschaft, bedeutet dies, dass der Kuchen wegen der zu schwachen Nachfrage kleiner ausfällt, als er sein könnte, obwohl die Angebotsbedingungen (Produktivität und arbeitswillige Personen) die Herstellung eines größeren bzw. besseren Kuchens prinzipiell ermöglichen würden.
Keynesianische Ökonominnen und Ökonomen setzen daher in ihren wirtschaftspolitischen Analysen häufig an der Nachfrageseite an. Beispielsweise kritisiert
Die Verteilungsseite
Wenn niemand Güter und Dienstleistungen produziert (Angebot) bzw. kauft (Nachfrage), können auch keine Einkommen geschaffen und verteilt werden. Die Verteilungsseite des BIP besagt, dass das BIP gleich der Summe aus Lohneinkommen und Gewinneinkommen ist:
BIP = Löhne + Gewinne.
Der Anteil der Löhne am BIP wird auch als Lohnquote bezeichnet, der Anteil der Gewinne als Gewinnquote.
Warum ist das BIP der Verteilungsseite genauso groß wie das BIP der Entstehungsseite und der Verwendungsseite? Wenn Güter und Dienstleistungen ge- bzw. verkauft werden, entstehen in selber Höhe Einkommen in den verkaufenden Unternehmen. Diese werden dort auf die Löhne der Beschäftigten und die Gewinne der Kapitaleigner verteilt (bevor der Staat Steuern und Sozialversicherungsabgaben erhebt sowie Transferzahlungen wie Arbeitslosenunterstützung oder Renten an die privaten Haushalte und Subventionen an die Unternehmen zahlt).
Einige keynesianisch orientierte Ökonominnen und Ökonomen argumentieren, dass die Verteilung der Einkommen einen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage hat. So fragt
Aus neoklassischer Sicht hingegen kann eine überzogene Umverteilungspolitik die Unternehmen derart stark mit hohen Lohnkosten oder Steuern belasten, dass die Ausweitung bzw. Verbesserung der Produktion (das Backen eines größeren und besseren Kuchens) verhindert wird.