Als 2002 die Euroscheine und Münzen in die Portemonnaies von über 300 Millionen Europäerinnen und Europäern in zwölf Ländern Einzug hielten, war die Stimmung überwiegend optimistisch – ungeachtet einer gewissen Skepsis im Land der Deutschen Mark. Inzwischen zahlen sieben weitere Länder mit dem Euro. Außer Großbritannien und Dänemark, die explizite "opt-outs" haben, befinden sich alle anderen EU-Mitgliedsländer (auch künftige) automatisch im "Vorzimmer" der gemeinsamen Währung, die offiziell die Währung der EU ist.
Dennoch ist es seit mindestens fünf Jahren unmöglich, den Euroraum ohne das Wort "Krise" zu denken. Im Sommer 2015 ist Griechenland – ich würde sagen, vielmehr die Währungsunion insgesamt – an einem Austritt des Landes vorbeigeschrammt. Wäre es dazu gekommen, wäre der Charakter des gemeinsamen Geldes unwiderruflich ein anderer geworden. Aus der "Währung der Europäischen Union" wäre kaum mehr als eine temporäre Fixierung der Wechselkurse der beteiligten Staaten geworden, die täglich nach politischen Opportunitätserwägungen oder angesichts überbordender Spekulationswellen zur Disposition steht. Eine solche Scheinwährungsunion lebt nicht lange.
Dieser Schritt ist aber nicht gemacht worden. Warum nicht? Zeigt nicht die Krise, zeigt nicht die bessere Performance der Nicht-Euro-Länder gegenüber den Euro-Staaten, dass Europa sich schleunigst der Zwangsjacke des gemeinsamen Geldes entledigen und zurück zu nationalen Währungen gehen soll? Die Antwort ist: Nein! Eine – reformierte – Währungsunion ist einem System flexibler Wechselkurse in Europa überlegen.
Zuerst ist festzustellen, dass – wenn auch wegen wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen zu sehr hohen Kosten – ein Großteil der notwendigen Krisenanpassungen hinter uns liegt. Haushaltsdefizite sind im Euroraum niedriger als etwa in den USA und Großbritannien. Die Leistungsbilanz fast aller Länder weist Überschüsse aus. Die Arbeitslosenquoten fallen, wenn auch von horrend hohen Ausgangsniveaus, die Beschäftigung in den Krisenländern expandiert wieder.
Die Architektur der Währungsunion in ihrer ursprünglichen Form war grob fehlerhaft
Unbestreitbar ist, dass die institutionelle Architektur der Währungsunion in ihrer ursprünglichen Form grob fehlerhaft war. Inzwischen ist aber einiges erreicht worden. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stellt eine gewisse kollektive Versicherung gegen künftige Krisen da. Mit dem
BIP Wachstum von EU-Staaten ohne Euro im Vergleich zur Eurozone (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
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Zudem skizziert der kürzlich erschienene sogenannte Externer Link: Fünfpräsidentenbericht von den Chefs von Kommission, Rat, Eurogruppe, EZB und Parlament einen Weg hin zur ökonomischen, fiskalischen und – schließlich – politischen Union. Unter anderem sollen fiskalische Transfers zwischen den Mitgliedsstaaten (zum Beispiel über eine gemeinsame "Sockelversicherung" bei Arbeitslosigkeit) möglich werden und eigene europäische Steuern erhoben werden können. Auch die EZB sieht die Grenzen von intergouvernementalen Lösungen – die in der Praxis bedeuten, dass die Zentralbank allein die Eurozone retten muss – erreicht und fordert Schritte zur Erhöhung der demokratischen Legitimität von Entscheidungen im Euroraum.
Die Richtung des Prozesses scheint klar – nicht zuletzt weil auch die Bürgerinnen und Bürger Europas eine handlungsfähige EU wollen. Vieles spricht jedenfalls dafür, dass in den kommenden Jahren die Architektur der Währungsunion erheblich gestärkt wird. Aber lohnt sich die Mühe? Wäre es nicht viel besser, jedes Land führt wieder seine eigene Währung ein und erlangt die volle geldpolitische Souveränität? Aus vielen Gründen: nein.
Erhebliche kurzfristige Risiken und mittelfristige Kosten, wenn der Euro scheitert
Die Rückentwicklung des Euroraums und Wiedereinführung nationaler Währungen ist rein juristisch nicht vorgesehen und wäre historisch ohne Präzedenzfall. Schwer vorstellbar, dass dies kurzfristig ohne erhebliche Turbulenzen oder gar eine offene Krise vonstatten gehen könnte. Wie könnte beispielsweise ein einzelnes Land oder eine kleine Gruppe die Währungsunion verlassen, ohne einen panischen "bank run" und die massenhafte Flucht aus Staatsanleihen und anderen Wertpapieren auszulösen? Die zu erwartenden heftigen Abwertungen der Währungen der Defizitländer und Aufwertungen der Währungen von Ländern wie Deutschland würden enorme Verwerfungen auf den Finanzmärkten auslösen. Nicht zuletzt: Der Wettbewerbsvorteil Deutschlands wäre dahin. Die Übergangskosten wären also mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr hoch.
Ein System gänzlich flexibler Wechselkurse würde nur scheinbar den nationalen Regierungen die ersehnte monetäre Souveränität zurückgeben. In der Vergangenheit wirkten Wechselkursschwankungen handelshemmend und waren ebenso oft Ursache von Schocks wie sie Ländern geholfen haben, sich an diese anzupassen. Die Problematik führte zum Europäischen Währungssystems (EWS). Manche Eurokritiker sehen nun in einer Rückkehr zum EWS einen Ausweg aus der Krise. Aber in vielen Hinsichten waren die damit verbundenen Einschränkungen der geldpolitischen Souveränität noch größer als beim Euro selbst. Ankerwährung im EWS war die D-Mark. Das bedeutete, dass die Zentralbanken der EWS-Länder gezwungen waren, sich der Geldpolitik der Bundesbank unterzuordnen – ohne Mitsprache und egal, ob die daraus resultierende Geldpolitik angemessen war oder nicht. Selbst in den Zeiten, in denen der Mechanismus weitgehend spannungsfrei funktionierte, hatten Länder, die unter Abwertungsverdacht gegenüber der D-Mark standen, höhere Nominal- und Realzinsen – zu Lasten von Wachstum, Beschäftigung und Staatsfinanzen.
Es reicht also beileibe nicht, auf die Probleme der gemeinsamen Währung hinzudeuten. Die Gegnerinnen und Gegner des Euro sind in der Pflicht – gerade angesichts der hohen Übergangskosten – genau darzulegen, wie das von ihnen favorisierte Wechselkurssystem aussehen und wie man von der jetzigen, unbestreitbar suboptimalen Situation aus dorthin kommen soll. Bis jetzt sind sie dieser Herausforderung nicht überzeugend nachgekommen.
Dirk Müller (© picture-alliance/dpa)
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