Reformen tun weh. Aber sie zahlen sich aus. Diese Erfahrung haben wir in Europa immer wieder gemacht. Vor 40 Jahren war Großbritannien der "kranke Mann Europas". Dann kam Margaret Thatcher. Mit einer monetaristischen Rosskur hat sie die Inflation besiegt. Gleichzeitig hat sie die Gewerkschaftsmacht beschnitten, Märkte geöffnet und nach Herzenslust privatisiert. Die ersten Ergebnisse waren unangenehm. Zunächst stieg die Arbeitslosigkeit weiter an, der öffentliche Unmut war groß. Aber die bittere Medizin hat gewirkt. Dank der Reformen der "Eisernen Lady" zählt Großbritannien bis heute zu den Spitzenreitern der europäischen Wachstumsliga.
Mitte der 1990er Jahre war Deutschland der kranke Mann Europas. Standortflucht und Reformstau prägten das Land. 2002 hebelte Berlin sogar den von ihm selbst durchgesetzten Europäischen Stabilitätspakt aus, weil es die eigenen Finanzen nicht mehr in den Griff bekam. Es folgte die Agenda 2010. In einem mehrjährigen Kraftakt schränkte Deutschland ab 2003 seine Sozialleistungen ein, lockerte starre Arbeitszeitregeln und den Kündigungsschutz durch die weitgehende Freigabe der Zeitarbeit. Im flexibilisierten Arbeitsmarkt mussten die Gewerkschaften außerdem bei den Löhnen erhebliche Zugeständnisse machen. Die ersten Ergebnisse waren auch bei uns Rekordarbeitslosigkeit und Massenproteste. Viele Volkswirte warnten, das Land müsse mehr Schulden machen, statt die Sozialkassen zu sanieren.
2006 begann die Trendwende in Deutschland
Reformen brauchen eben Zeit. Anfang 2006 begann eine Trendwende. 15 Jahre lang war zuvor die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland scheinbar unaufhaltsam gesunken - seitdem ist sie um 17 Prozent gestiegen. Dank der 4,3 Millionen zusätzlichen Beitragszahler hat Deutschland heute einen Überschuss in den meisten Sozialkassen und im Staatshaushalt.
Arbeitslosenquote und BIP Wachstum von Euro-Krisenstaaten (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
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Genau diesem Vorbild sind jetzt die Reformstaaten am Rande der Eurozone gefolgt. Der Übergang zum Euro hatte ihnen ab 1999 zunächst ungewohnt niedrige Zinsen beschert. Als Folge zog die Binnennachfrage an. Das bewirkte in Spanien und Irland einen übermäßigen Bauboom, in Griechenland sowie Portugal vor allem überzogene Staatsausgaben. Die Eurokrise der vergangenen Jahre hat die strukturellen Schwächen dieser Länder mit brutaler Härte offengelegt. Anders als Deutschland mussten sie sogar um Hilfe aus dem Ausland bitten, um dem Staatsbankrott zu entgehen.
Die bitteren Pillen, die diese Länder schlucken mussten, entsprachen weitgehend der Medizin, die einst Margaret Thatcher ihrem Land verabreicht hatte. Ihre gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte (damals Inflation, heute vor allem die Staatsdefizite) haben die Peripheriestaaten direkt und rasch abgebaut. Gleichzeitig haben sie die Arbeitsmärkte flexibilisiert, Sozialleistungen eingeschränkt, Bürokratie abgebaut, Märkte geöffnet und Staatseigentum privatisiert. In einem Überblick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehören Spanien und Portugal wie Irland und Griechenland seit vier Jahren zu den Spitzenreitern bei Wirtschaftsreformen in der gesamten westlichen Welt.
Griechenland kann bereits 2016 der Krise entkommen
Arbeitsmarktreformen sind unangenehm. Spanien, Portugal und Griechenland haben es Unternehmen erleichtert, von landesweiten Tarifverträgen abzuweichen. Zudem wurden Abfindungen für entlassene Arbeiter ebenso wie der Anspruch auf Arbeitslosengeld erheblich gekürzt. Irland, dessen Arbeitsmarkt bereits flexibel war, packte andere Reformen an.
Die Ergebnisse entsprechen genau dem Muster, das wir in den Jahrzehnten vorher in anderen europäischen Ländern beobachten konnten. Zunächst geht die Konjunktur weiter in die Knie. Wenn gleichzeitig Staatsausgaben gekürzt und Kündigungsschutz gelockert werden, führt das zu Entlassungen.
Aber die Medizin hilft – und das gilt auch für Griechenland. Während Spanien, Irland und Portugal bereits die ersten Früchte ihrer Reformen ernten, ist die griechische Wirtschaft im Frühjahr 2015 erneut in die Krise gerutscht. Mit dem Zurückdrehen von Reformen und einem Konfrontationskurs gegenüber seinen Gläubigern hat eine Koalition aus Linksradikalen und Rechtsnationalen in Athen innerhalb von sieben Monaten Kapital in Höhe von fast 70 Milliarden Euro aus dem Land getrieben. Das entspricht mehr als einem Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Deshalb brauchte Griechenland, das im Jahr 2014 ebenso wie die anderen Reformstaaten auf einen Wachstumskurs eingeschwenkt war, ein neues Hilfspaket. Nachdem Athen sich verpflichtete, die Reformen doch weiterzuführen, hat das Land Chancen, 2016 seiner großen Krise zu entkommen.
Die neuen Jobs haben zunächst "schlechte" Qualität
Auch die anderen Länder haben Zeit gebraucht, bis die angebotsorientierte Politik wirkte. Spanien und Irland sind heute Wachstumsvorreiter der Eurozone. Die jüngsten Daten zeigen ein Plus der Wirtschaftskraft von vier bis fünf Prozent für Irland und von drei bis vier Prozent für Spanien. Portugal hinkt etwas hinterher, wächst aber ebenfalls recht solide. Seit dem Tiefpunkt der Krise im Februar 2013 ist die Zahl der Arbeitslosen in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland um insgesamt 1,4 Millionen zurückgegangen. Auch die erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit sinkt rasch.
Beobachter klagen oft, die neuen Jobs in Spanien und Portugal seien von "schlechter" Qualität, also vor allem Zeitverträge mit begrenzter Stundenzahl. Das ist richtig. Aber auch normal. Genau diese Klagen hatte es in Deutschland nach der Agenda 2010 auch gegeben. Zunächst stellen Unternehmen vor allem Arbeitskräfte ein, die wenig kosten und notfalls leicht zu entlassen sind. Aber wenn der Aufschwung sich als stabil erweist, kommen immer mehr gutbezahlte Vollzeitarbeitsplätze dazu. Dies zeigt ebenfalls das Beispiel Deutschland: denn hier geht mittlerweile die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse zurück, während die der unbefristeten Arbeitsplätze kräftig steigt.
Thomas Fricke (© Privat)
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