Es erscheint widersinnig: Eine effiziente Industrienation wie Deutschland hat die gleiche Währung wie das vergleichsweise rückständige Griechenland, das vor allem Oliven und Hotelbetten exportiert. Beide Länder bezahlen in Euro, obwohl sie wenig gemeinsam haben.
Doch wäre es ein Missverständnis zu glauben, dass eine Währung nur funktioniert, wenn sie für ein ziemlich homogenes Wirtschaftsgebiet gilt. Deutschland selbst ist dafür ein gutes Beispiel. Die D-Mark galt bekanntlich von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Doch der ökonomische Abstand zwischen beiden Bundesländern ist bis heute groß: In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf bei knapp 23.000 Euro – in Bayern sind es fast 40.000 Euro.
Diese Unterschiede lassen sich nicht allein auf die Wiedervereinigung zurückführen, sondern sind typisch für Währungsräume. In den USA zahlen alle Bundesstaaten mit US-Dollar, aber die jährliche Wirtschaftsleistung von Alabama liegt pro Kopf bei nur etwa 60 Prozent von Connecticut.
Das wirtschaftliche Gefälle in der Eurozone ist also kein Sonderfall. Wie die USA zeigen, müsste es eigentlich verkraftbar sein, dass die Griechen pro Kopf auf nur etwa 60 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung kommen.
Allerdings darf man nicht den Fehler machen zu glauben, eine Währungsunion würde automatisch funktionieren. Sie muss richtig gesteuert werden, wenn man Turbulenzen wie die jetzige Euro-Krise vermeiden will. Die Euro-Krise ist im Kern eine Wettbewerbskrise. Die Löhne in Griechenland, Portugal und Spanien sind zu stark gestiegen, während umgekehrt die Deutschen ihre Löhne nach unten gedrückt haben. Also wurden die deutschen Produkte im Vergleich immer billiger, während die griechischen oder spanischen Güter zu teuer wurden.
Man kann nicht eine Währungsunion gründen, ohne auch den Rest der Politik zu vereinheitlichen
Das Ergebnis sind extreme Ungleichgewichte: Deutschland häuft enorme Exportüberschüsse an, während fast alle anderen Euroländer wachsende Defizite im Außenhandel hatten und oft noch immer haben. Wer dauerhaft mehr importiert als exportiert, muss Kredite im Ausland aufnehmen, um die Einfuhren zu bezahlen. 2010 fiel dann auf, dass der griechische Staat, aber auch die spanischen Banken überschuldet sind. Seither ist die Eurokrise akut.
Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Vergleich (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Vergleich (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
Der zentrale Fehler ist eigentlich banal: Man kann nicht eine Währungsunion gründen und damit die Wechselkurse abschaffen – ohne auch den Rest der Politik zu vereinheitlichen. Um noch einmal in die Zeit vor den Euro zurückzukehren: Damals hätte man am besten einfach die Wechselkurse verändert, um die Wettbewerbsprobleme zu lösen, die durch die unterschiedlichen Lohnentwicklungen entstehen. Die Griechen hätten ihre Drachme und die Spanier ihre Peseta abgewertet, während umgekehrt die D-Mark aufgewertet hätte – und schon wären die abweichenden Lohnkosten wieder korrigiert worden und die deutschen Exportüberschüsse weitgehend verschwunden.
Doch mit dem Euro ist es nicht mehr möglich, an den Wechselkursen zu drehen. Daher muss man nun strikt darauf achten, dass die Lohnpolitik stimmt. Um ein gängiges Missverständnis zu vermeiden: Damit ist nicht gemeint, dass die Gehälter in der ganzen Eurozone gleich hoch sein sollen. Im Gegenteil. Die Löhne müssen die unterschiedliche Produktivität der Länder widerspiegeln – also die technische Entwicklung. In Griechenland müssen die Löhne deutlich niedriger liegen als in Deutschland, weil das Land kaum Industrie hat. Umgekehrt dürfen aber die Deutschen nicht einfach ihre Reallöhne senken, sondern müssen die Gehälter regelmäßig erhöhen und an den technischen Fortschritt anpassen.
Mittelfristig wird selbst Frankreich aus dem Euro gedrängt, weil es nicht mehr gegen die Deutschen konkurrieren kann
Bisher sind die Deutschen jedoch nicht bereit, ihre Gehälter deutlich anzuheben. 2014 lagen die Reallöhne nur knapp über dem Niveau von 2000 – während die Produktivität in dieser Zeit um etwa 20 Prozent angestiegen ist. Diese Zahlen mögen etwas abstrakt wirken, doch sie bedeuten, dass die Eurokrise unvermindert weiter geht. Mittelfristig wird selbst Frankreich aus dem Euro gedrängt, weil es nicht mehr gegen die Deutschen konkurrieren kann.
Das Problem der Eurozone ist also nicht, dass die Mitgliedsländer unterschiedlich weit entwickelt sind – sondern dass die Löhne diese ökonomischen Realitäten nicht abbilden. In Griechenland waren die Gehälter zu hoch, und in Deutschland sind sie immer noch zu niedrig.
Wenn es erst einmal zur Krise kommt, lassen sich die Folgen nicht so leicht abfedern wie in einem Nationalstaat
Eine Währungsunion kann funktionieren, aber sie hat tatsächlich einen Nachteil: Wenn es erst einmal zur Krise kommt, lassen sich die Folgen nicht so leicht abfedern wie in einem Nationalstaat. Die USA ist wieder ein schönes Beispiel. In Florida ist es seit dem zweiten Weltkrieg bereits mehrfach zu Immobilienblasen gekommen, weil auf Kredit mit Strandhäusern spekuliert wurde. Wäre Florida ein eigener Staat gewesen, hätte es sich von diesem Irrsinn jahrzehntelang nicht erholt. Da es jedoch Teil der USA war, kam stets schnelle Rettung: Die insolventen Banken mussten nicht von Florida allein gerettet oder abgewickelt werden – und auch die Konjunktur wurde gestützt, weil viele Ausgaben wie Renten oder Krankheitskosten von allen US-Staaten gemeinsam getragen werden.
In der Eurozone ist dies völlig anders: In einer Krise muss jedes Land seine Pleitebanken allein abwickeln und seine Sozialausgaben kürzen. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit schnellt in die Höhe – und ein neuer Aufschwung rückt in weite Ferne.
Doch diese Schwierigkeiten bedeuten nicht, dass man den Euro aufgeben sollte. Richtig wäre, die Eurozone noch stärker auszubauen – und zum Beispiel einen gemeinsamen Fonds zu schaffen, der Krisenbanken abwickelt. Das Projekt Euro lohnt sich, und niemand hat davon so sehr profitiert wie die Deutschen.
Henning Vöpel (© HWWI)
Henning Vöpel (© HWWI)