Erste Erfolge, aber noch ein weiter Weg: Für den Fernsehkorrespondenten Udo Gümpel gibt es in Italien viele gute Ansätze, der wirtschaftlichen Misere zu entrinnen. Aber auch noch jede Menge Hindernisse: Klientelismus, die Mafia, ein wirtschaftlich abgehängter Mezzogiorno.
Italien ist ein Land, das schon verstanden hat, dass es so nicht weiter geht. Das ist die gute Nachricht, gleich vorneweg. Doch die Sünden der Vergangenheit wiegen schwer. Zu oft wurden Sozialleistungen vorwiegend mit neuen Schulden bezahlt. Mit der sogenannten Baby-Rente konnte man nach 13 Jahren Staatsdienst in den Ruhestand gehen: Noch heute zahlt das Rentenamt INPS dafür fünf Milliarden Euro pro Jahr. Auch insgesamt müssen die Renten mit 120 Milliarden Euro jährlich steuersubventioniert werden.
Zu oft genehmigte sich Italien einen Schluck zu viel aus der Pulle der Lohnerhöhungen, die nicht durch Produktivitätszuwachs gerechtfertigt waren. Das schränkte die Wettbewerbsfähigkeit deutlich ein: Seit 2001 hat Italien gegenüber Deutschland seine Lohnstückkosten um fast ein Drittel verteuert, gleichzeitig trieb es die Steuer- und Abgabenquote auf 51 Prozent, elf Prozentpunkte mehr als in Deutschland. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt. Zudem gibt es relativ gesehen zu wenig Jobs. Im Vergleich zu England oder Frankreich fehlen sieben Millionen Arbeitsplätze, zu Deutschland gar zwölf.
Immerhin: Italien ist auch ein Land, das mit 25 Prozent Exportquote zwar hinter Deutschland, aber weit vor Frankreich steht. Neben der traditionell starken Maschinenbau- und Anlagen-Industrie hat es mit seinem Mode-Sektor sogar eine echte Wachstumsbranche. Davon zeugen alte Markennamen wie Prada oder Armani, aber auch junge wie Brunello Cucinelli. Die Branche macht heute mit 50 Milliarden Euro mehr Umsatz als die Eisen-und Stahlindustrie – und schafft Arbeitsplätze. Italien erwirtschaftet überdies erstmals wieder seit 2001 Zahlungsbilanzüberschüsse, auch wenn Fiat-Chrysler in Italien nur noch knapp 350.000 seiner insgesamt rund 4,5 Millionen ausgelieferten Fahrzeuge pro Jahr bauen lässt.
Expo Mailand – Beispiel für italienisches Organisationstalent
Italien will raus aus der Misere, das spürt man. Das ungeahnte italienische Organisationstalent konnte man bei der Expo in Mailand bewundern, der wohl besten Weltausstellung der letzten Jahrzehnte – auch wenn einige Dutzend Zulieferer ausgeschlossen werden mussten, wegen einer zu großen Nähe zur Mafia. Aber diesmal hat man sie entdeckt und aussortiert, auch das sind kleine Erfolge.
Staatliche Schuldenstandquote in Italien 1999-2015
Die Wende kam im dramatischen Sommer 2011, als die Kapitalflucht und der rasante Anstieg der Zinsen auf die Schuldtitel Italiens die Regierung Berlusconi in die Knie zwang. Die wichtigste Reform war seitdem sicher die Rentenreform „Elsa Fornero“: Sie allein bewahrte Italien vor dem finanziellem Kollaps, indem die Regierung von Mario Monti jährliche Ausgaben in der Höhe von drei Prozent der Wirtschaftsleistung einsparte. Ohne diese Reform hätte Italien heute einen Schuldenstand von über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), womit wahrscheinlich das mutmaßliche Ende der Fahnenstange erreicht gewesen wäre.
Auch die Richtung der Reformen unter dem aktuellen Premier Matteo Renzi stimmt: Er lockerte den rigiden Arbeitsmarkt, erleichterte Neueinstellungen und senkte Steuern für die unteren Einkommensschichten. Der Widerstand gerade aus den eigenen Reihen der Regierungspartei PD aber ist enorm. Renzi schneidet ins Fleisch der Linken, in die Privilegien der Staatsangestellten. Renzis Reformen kosten natürlich auch erst einmal Geld. Aber der Schuldenberg drückt, Zinsausgaben von jährlich 80 Milliarden Euro lassen wenig Spielraum.
Nun geht es um eine Reform, die die kolossale Geldverschwendung des Staates an ihrer Quelle unterbinden soll: in den Gemeinden und Regionen Italiens. Auf regionaler und kommunaler Ebene sind innerhalb der letzten Jahrzehnte 7.700 Dienstleistungsfirmen gegründet worden, deren vornehmster Zweck es laut italienischem Rechnungshof bis heute ist, Verwandte von Politikern einzustellen, Klientelwirtschaft zu betreiben und unsinnige Projekte zu finanzieren. All das kostet den Staat jährlich 26 Milliarden Euro. Mehr als 1.200 dieser „Firmen“ haben nicht einen Angestellten, aber einen Verwaltungsrat, der teuer bezahlt wird.
Milliardenverluste, aber viele neue Manager bei Roms Transportunternehmen
Als Musterbeispiel darf hierfür die Hauptstadt Rom gelten, wo zum Beispiel das städtische Transportunternehmen ATAC im letzten Jahrzehnt 1,5 Milliarden Euro Minus aufhäufte, sich gleichzeitig aber die Anzahl der leitenden Manager auf 97 verdreifachte. Die Busse und Bahnen Roms sowie die kommunale Müllabfuhr wären längst pleite, würden sie nicht Staat und Stadt gehören.
Ein weiteres, noch größeres Drama Italiens ist: Je weiter man in den Süden fährt, desto schlimmer ist die wirtschaftliche Lage. In Wirklichkeit besteht Italien aus zwei grundverschiedenen Wirtschaftseinheiten. Aus Nord- und Mittelitalien, deren wirtschaftliche Eckdaten mit Mitteleuropa vergleichbar sind. Und aus dem „Mezzogiorno“, das sind die acht Regionen südlich von Latium: 20 Millionen Menschen leben hier, doppelt so viele wie in Griechenland.
Seit 2001 wuchs Italiens BIP um 20 Prozent, Griechenlands in derselben Zeit sogar um 24 Prozent. Der „Mezzogiorno“ wuchs dagegen nur um mickrige 13 Prozent, während das EU-BIP um 53 Prozent anstieg.
28.000 neue Forstleute auf Sizilien, einer fast waldfreien Region
Das typische Rezept der Regionalpolitik bestand bislang darin, den Staatsapparat aufzublähen, wie etwa 28.000 Forstleute auf Sizilien einzustellen, einer fast waldfreien Region. Nichts hat es genutzt: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt auf der Insel bei fast 50 Prozent – und obendrein ist die Region Sizilien de facto pleite.
Von den 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern Süditaliens haben nur 5,8 Millionen eine Arbeit. Zudem sind nur 35 Prozent der Frauen beschäftigt – das sind Tiefstwerte im Vergleich zu einem EU-Mittelwert von 64 Prozent. Nach spanischem Vorbild sollen nun junge Leute nach ihrer Einstellung im Mezzogiorno steuerfrei gestellt werden. Aber wird das Investitionen anlocken? Welcher Unternehmer wird einer Region investieren wollen, in der die Mafia weiterhin großen Einfluss hat?
Das ist keine Herausforderung, sagte dazu unlängst ein Minister, das ist ein Himmelfahrtskommando. Wie wahr – aber vielleicht fängt Italien gerade wieder damit an, an sich zu glauben.
Udo Gümpel ist TV-Journalist und arbeitet seit 1988 als Korrespondent in Italien.
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