Die Europäische Zentralbank muss die Möglichkeit haben, Staatsanleihen aufzukaufen, weil sonst der Euro auseinanderbricht. Sie muss auf den Finanzmärkten intervenieren können, denn die Eurozone ist falsch konstruiert. Es funktioniert nicht, eine gemeinsame Währung zu haben, aber 19 verschiedene Staatsanleihen. Das gab es noch nie in der langen Geschichte des Geldes – und nun erweist es sich als fatal. Die verheerende Wirkungskette lässt sich sehr gut am Beispiel Italiens studieren, das ab 2011 von panischen Investoren in Richtung Pleite getrieben wurde, obwohl es eigentlich ein wirtschaftlich gesundes Land war und ist. Diese Beschreibung mag manchen Deutschen wundern. Doch Fakt ist: Italiens Banken waren bisher stabil und haben die US-Finanzkrise bestens überstanden, weil sie – anders als viele deutsche Institute – keine letztlich wertlosen amerikanischen Schrottpapiere aufgekauft hatten. Zudem sind Italiens Staatsschulden zwar hoch, aber nicht neu, sondern werden seit mehr als 20 Jahren mitgeschleppt und verlässlich bedient.
"Ein solcher Teufelskreis ist nur möglich, weil die Investoren zwischen 19 Staatsanleihen wählen können, die alle auf Euro lauten."
Rendite zehnjähriger Staatsanleihen (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
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Italien ist also nicht Griechenland, das tatsächlich pleite ist, weil es jahrelang viel zu hohe Schulden im Ausland aufgenommen hat. Aber diese objektiven Unterschiede zwischen den beiden Ländern interessierten die Investoren nicht mehr. Als im Juli 2011 für Griechenland ein erster Schuldenschnitt diskutiert wurde, fürchteten sie, dass auch andere Euroländer konkursreif seien. Also verkauften sie hektisch ihre italienischen Staatsanleihen und erwarben dafür deutsche Papiere, die ihnen sicherer erschienen. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage begann zu wirken: Die Zinsen für italienische Staatsanleihen stiegen auf über sieben Prozent, weil kaum noch jemand die italienischen Staatsanleihen erwerben wollte. Umgekehrt wurde die deutsche Regierung mit Geld überschwemmt – und musste für einen zehnjährigen Kredit nur noch 1,4 Prozent bieten.
Die hohen Zinsen waren für Italien jedoch tödlich, weil im Staatshaushalt gekürzt werden musste, was die Wirtschaft um 4,5 Prozent schrumpfen ließ, was wiederum einige Banken ins Schlingern brachte, weil viele Firmen ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten. Zudem erhöhte sich die Staatsverschuldung, die doch eigentlich gesenkt werden sollte. Italien geriet in einen Teufelskreis, der die Panik der Investoren erst recht schürte. Ein solcher Teufelskreis ist nur möglich, weil die Investoren zwischen 18 Staatsanleihen wählen können, die alle auf Euro lauten. Die Anleger können sich von ihren italienischen Papieren trennen und dafür deutsche Anleihen kaufen, ohne dass sie einen Wertverlust erleiden. Sie behalten immer Euro.
"In der Eurozone fehlt die Bremse namens Währungsrisiko, weil die Anleger von einem Euroland zum nächsten springen können."
Diese Konstruktion der Währungsunion fördert Panikattacken. Dies zeigt ein Vergleich mit Großbritannien, das bekanntlich sein Pfund noch besitzt. Stellen wir uns einmal vor, dass viele Investoren plötzlich Sorge hätten, dass die britische Wirtschaft kollabieren könnte. Also würden sie versuchen, ihre britischen Staatsanleihen schnellstmöglich abzustoßen, was natürlich Kursverluste bei diesen Papieren bedeuten würde. Doch was sollten die Anleger mit den Pfund machen, die sie beim Verkauf der Anleihen erhalten? Sie könnten das Geld zwar in Dollar oder Euro tauschen, doch würde das Pfund sofort abstürzen, wenn viele Anleger gleichzeitig von der Insel fliehen wollten. Die Investoren hätten also einen doppelten Kursverlust zu verkraften: erst bei den britischen Staatsanleihen und dann beim Pfund. Die Panikattacke würde zu teuer – und daher automatisch enden. In der Eurozone hingegen fehlt die Bremse namens Währungsrisiko, weil die Anleger von einem Euroland zum nächsten springen können.
Noch wichtiger: Anders als Italien besitzt Großbritannien eine eigene Notenbank, die sofort eingreift, wenn die Investoren in Panik geraten. Die Anleger können sich darauf verlassen, dass die Bank of England im Notfall britische Staatsanleihen aufkauft. Die Investoren wissen also, dass sie ihr Geld garantiert zurückbekommen – und werden gar nicht erst panisch.
"Geld entsteht nicht bei der Zentralbank – sondern in dem Moment, in dem Privatbanken einen Kredit vergeben und ihn auf das Girokonto ihrer Kundinnen und Kunden buchen."
Die Europäische Zentralbank hingegen hat sich lange gesträubt, Staatsanleihen aufzukaufen, weil vor allem die Deutsche Bundesbank fürchtete, dass es eine Inflation auslösen könnte, wenn die Notenbank Geld "druckt". Diese Angst ist völlig abwegig. Geld entsteht nicht bei der Zentralbank – sondern in dem Moment, in dem Privatbanken einen Kredit vergeben und ihn auf das Girokonto ihrer Kundinnen und Kunden buchen. Momentan nehmen jedoch weder Verbraucher noch Firmen Darlehen auf, weil fast überall Krise herrscht. Die in der Eurozone umlaufende Geldmenge stagniert oder schrumpft sogar leicht. Europa steuert nicht auf eine Inflation zu – sondern auf eine Deflation. Die Preise sinken in vielen Ländern, weil die Fabriken leer stehen und sich die Unternehmen Rabattschlachten liefern.
Trotzdem zögerte die Europäische Zentralbank viel zu lange und griff erst im Juli 2012 entschieden ein. Damals kündigte EZB-Chef Mario Draghi in einer Rede an, dass man "alles" tun würde, um den Euro zu retten. Die Investoren wussten sofort, was mit diesem kurzen Satz gemeint war: Ab jetzt würde die Notenbank unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen für Italien oder auch für Spanien nach unten zu drücken. Die Panik verebbte sofort, so dass die EZB keine einzige Staatsanleihe erwerben musste. Reine Psychologie hatte ausgereicht, um die Anleger zu beruhigen.
Norbert Häring (© Privat)
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