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Die Verhandlungen über die EU-Energie- und Klimapolitik nach 2020 und ihr Einfluss auf die deutsche Energiewende | Energiepolitik | bpb.de

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Die Verhandlungen über die EU-Energie- und Klimapolitik nach 2020 und ihr Einfluss auf die deutsche Energiewende

Severin Fischer Oliver Geden

/ 7 Minuten zu lesen

Die EU spielt in der Energie- und Klimapolitik eine immer wichtigere Rolle. Über einen gemeinsamen Binnenmarkt für Strom und Gas sowie ein europaweites Handelssystem für Emissionszertifikate werden zentrale Entscheidungen mittlerweile in Brüssel gefällt. Dies erfordert von deutschen Akteuren nicht nur, ein genaueres Augenmerk auf den Verhandlungsprozess in der EU zu legen, sondern auch, Strategien für eine deutsche Energiewende-Europapolitik zu entwickeln.

Blick auf das Braunkohlekraftwerk Boxberg in Sachsen, 01.02.2014. (© picture-alliance/dpa)

Als sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten im März 2007 darauf einigten, eine "integrierte Energie- und Klimapolitik" für Europa zu entwickeln, galt dies noch als echtes Novum in der Geschichte des europäischen Einigungsprozesses. Zum einen war Energiepolitik bislang stets ein stark national dominiertes Politikfeld gewesen, in dem Regierungen nicht willens waren, Kompetenzen abzugeben. Zum anderen gab der Fokus auf die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz sowie deren explizite Verknüpfung mit der Energiepolitik der EU-Kommission einen Zugriff auf die vertraglich noch immer den Mitgliedstaaten zugesicherte Souveränität über den nationalen Energiemix. Symbolisch für diese Entscheidung stand der plakative Titel einer "20-20-20-Strategie" der EU: 20 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990, 20 Prozent Anteil erneuerbarer Energien im Jahr 2020 und 20 Prozent Energieeinsparung bis 2020. Für Deutschland änderte sich durch diese Strategie zunächst wenig, hatte man sich doch selbst einer ökologischen Transformation der Energiepolitik verschrieben, die im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten auch noch ohne die Atomkraft auskommen sollte.

Mit der Überführung der Zielsetzungen in Rechtsakte bekam die EU in den Folgejahren jedoch einen immer größer werdenden Einfluss auf die Mitgliedstaaten, so auch auf Deutschland. Im Bereich der Klimapolitik wurde das EU-weite Emissionshandelssystem für Industrie und Stromerzeuger so ausgestaltet, dass es künftig keine Rolle mehr spielen sollte, ob Emissionen in Großbritannien, Polen oder Deutschland ausgestoßen werden: Einem einheitlichen Preis folgten einheitliche Standards für die Ausgabe der Zertifikate ohne wesentlichen Einfluss der Mitgliedstaaten. Damit sollte eine möglichst kostengünstige europaweite Zielerreichung gewährleistet werden. Auch der Energiebinnenmarkt wurde weiter ausgebaut. Zusätzliche Regeln für den grenzüberschreitenden Handel, EU-weite Netzausbaupläne und mehr unabhängige Überwachung Strommärkte war die Folge. Der grenzüberschreitende Stromfluss nimmt seitdem erheblich zu und ist heute permanenter Bestandteil des Stromhandels.

Weniger europäische Eingriffe wurden hingegen im Bereich der Förderung erneuerbarer Energien beschlossen. Zwar sollte jeder Mitgliedstaat ein nationales Ausbauziel erreichen, das in der Summe der 27 Ziele bis 2020 einen Anteil von 20 Prozent ergeben würde. Mit welchen Instrumenten die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen erreichen würden, blieb ihnen überlassen. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz ist dabei eine von vielen unterschiedlichen Varianten, die Verwendung regenerativer Quellen zu fördern. Auch im Bereich der Energieeffizienz und Energieeinsparung weigerten sich die Mitgliedstaaten, der EU weitere Zuständigkeiten zu übertragen. So können auf europäischer Ebene zwar weiterhin Standards für Produkte wie Glühbirnen oder Staubsauger gesetzt werden. Eine rechtlich verpflichtende Erfüllung des 20-Prozent-Ziels ist jedoch nicht gewährleistet. Eine Erfüllung des Energieeffizienzziels gilt heute auch als nahezu ausgeschlossen.

Eine Bewertung der bisherigen Europäisierung der Energie- und Klimapolitik fällt aus Sicht der Mitgliedstaaten heute individuell sehr unterschiedlich aus. Dafür verantwortlich ist unter anderem, dass sich der Kontext, in dem Energie- und Klimapolitik in Europa gestaltet wird, seit 2007 erheblich verändert hat. So sind die Ergebnisse der internationalen Klimaverhandlungen deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ein umfassender und verbindlicher Klimavertrag existiert bis heute nicht. Gleichzeitig wurden die EU-Mitgliedstaaten von einer der schwersten Wirtschaftskrisen der Geschichte erfasst, was wiederum zu einer deutlichen Verschiebung der Prioritäten auf der politischen Agenda führte. Standen bei vielen Regierungen Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele bis vor wenigen Jahren noch auf den vorderen Plätzen der zu bearbeitenden Probleme, sind es heute Themen wie internationale Wettbewerbsfähigkeit und Energiepreise, die für die politische Auseinandersetzung entscheidend sind. Schließlich stößt auch der Einfluss der EU auf die nationale Energiepolitik vielen Mitgliedstaaten unangenehm auf. Die Erfüllung der verbindlichen Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien wird als unnötige Belastung und Eingriff in die nationale Hoheit über den Energiemix gesehen. Strenge Emissionsminderungsziele werden insbesondere in Mittel- und Osteuropa vor dem Hintergrund eines hohen Anteils an Kohleverstromung als kaum umsetzbar betrachtet.

Neue Debatte über die Energie- und Klimapolitik

Unter den sich verändernden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beginnt nun im Jahr 2014 die Debatte über die Gestaltung des Rahmens für die Energie- und Klimapolitik der EU nach 2020. Dabei fordern sehr unterschiedliche Akteure von der Politik nun schnelle Entscheidungen. Aus Sicht der Wirtschaft geht es um die frühzeitige Festlegung verlässlicher Investitionsbedingungen in Europa. Die Umweltbewegungen fordern eine erneute Vorleistung der EU vor dem nächsten entscheidenden Klimagipfel in Paris Ende des Jahres 2015, um die Vorreiterrolle der EU im internationalen Klimaschutz zu verteidigen.

Einer schnellen Entscheidung stehen jedoch die Regeln für EU-interne Verhandlungsprozesse entgegen. Strategische Grundsatzentscheidungen, und dazu gehört die Festlegung von neuen Zielen für die Energie- und Klimapolitik, werden im Europäischen Rat, dem Organ der 28 Staats- und Regierungschefs, "im Konsens" entschieden. Dabei steht auch einem Kleinstaat wie Malta ein Vetorecht zu. Das bedeutet, dass die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag vom Januar 2014 zwar die Debatte eröffnet hat. Gleichzeitig ist damit jedoch keine Vorentscheidung gefallen.

Im Mittelpunkt des neuen Politikrahmens stehen, wie bereits 2007, die quantifizierbaren Ziele und die Architektur des Gesamtkonzepts. Außer Frage steht, dass die EU sich auch in Zukunft ein Emissionsminderungsziel setzen wird, das überwiegend durch den Emissionshandel erfüllt wird. Alleine der Umfang des Ziels wird dabei zu diskutieren sein. Während die EU-Kommission eine Größenordnung von 40 Prozent bis 2030 vorgeschlagen hat, erscheint dies insbesondere Polen und anderen mittel- und osteuropäischen Staaten als zu hoch gegriffen. Sie fordern einerseits, auf die Ergebnisse der internationalen Klimaverhandlungen zu warten. Andererseits sollte ein weniger ehrgeiziges Ziel gefasst werden, das auch der wirtschaftlichen Situation Europas entsprechen würde.

Weitaus schwieriger dürfte sich die Festlegung eines Ziels für die erneuerbaren Energien gestalten. Hier unterstützt eine Reihe von Mitgliedstaaten diesen Politikansatz aufzugeben, da für den Klimaschutz nur die Emissionsminderung relevant sei, die erneuerbaren Energien neben einer vermehrten Nutzung von Erdgas, der Kernenergie oder dem Einsatz von Energieeffizienz nur einer von vielen Wegen sei, dieses Ziel zu erreichen. Daher bedürfe es keiner expliziten Erneuerbare-Energien-Förderung. Diese Ansicht wurde lange Zeit von Großbritannien vertreten. Aber auch die Mehrheit der mittel- und osteuropäischen Staaten teilt diese Perspektive. Zudem erscheint der bisher gewählt Ansatz einer direkten Übertragung eines EU-Ziels auf verbindliche nationale Ziele einer Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten als ungeeignet, da dieser Ansatz nicht die Existenz eines Binnenmarktes und die Zunahme des Stromhandels reflektiere. Zudem stellen nationale Verpflichtungen aus ihrer Sicht einen Eingriff in den Energiemix der Mitgliedstaaten dar.

Die EU-Kommission hat in ihrem ersten Entwurf nun den Vorschlag unterbreitet, nur noch ein EU-weites Ziel in Höhe von 27 Prozent bis 2030 festzulegen. Am Ende der Debatte könnte als Folge dieses Mittelwegs zwischen keinem Ziel und nationalen Zielen tatsächlich eine weitere Integration der Erneuerbare-Energien-Politik auf EU-Ebene stehen. Einer solchen Entscheidung dürften jedoch schwierige Verhandlungen vorausgehen.

Weniger schwierig wird sich hingegen die Auseinandersetzung über ein Energieeffizienzziel gestalten. Eine breite Mehrheit der Mitgliedstaaten lehnt dies ab, auch mit Blick auf die Erfahrungen rund um das Ziel für 2020s. So wird in erster Linie argumentiert, ein Energieeffizienzziel wirke hemmend auf das Wirtschaftswachstum. Zudem können entsprechende Maßnahmen effektiver auf nationaler Ebene gestaltet werden. Sowohl Bilanz als auch Aussichten der Energieeffizienzpolitik in der EU fallen daher ernüchternd aus. Die Wahrscheinlichkeit ein verbindliches Ziel festzulegen tendiert gegen Null, auch wenn einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, sich zumindest formal für ein solches Ziel einsetzen.

Neben der Auseinandersetzung über die Ziele und deren Ausgestaltung spielen natürlich auch andere Themen eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Energiepolitik nach 2020. Allerdings werden diese kaum öffentlich thematisiert, da sie sich häufig in Formelkompromissen verlieren und nur schwer zu quantifizieren sind. Dazu gehören die Vollendung des Energiebinnenmarkts, eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, die Sicherung der Energieversorgung oder die Kontrolle des Anstiegs von Energiepreisen.

Europapolitische Einbindung der deutschen Energiewende

Insgesamt zeichnet sich ab, dass ein Kompromiss der EU mit Blick auf die ökologischen Teilbereiche der Energiepolitik wenig ehrgeizig ausfallen wird und sich vermutlich erst zu einem relativ späten Zeitpunkt fassen lässt. Dabei wird vor allem ein Paradigmenwandel deutlich, der wieder zu einer stärkeren Trennung der beiden Politikfelder Energie und Klima führen dürfte. Die Klimapolitik wird in Zukunft nicht mehr die energiepolitischen Debatten dominieren, sondern ein Thema unter vielen werden.

Für die deutsche Energiewende-Politik könnte sich dies langfristig zu einem Problem entwickeln. So scheint es bereits heute nahezu ausgeschlossen, dass Deutschland seine nationalen Klimaziele erreicht. Da rund die Hälfte der deutschen Emissionen in das Emissionshandelssystem eingebunden ist, fehlt der Bundesregierung hier eine echte Eingriffsmöglichkeit. Selbst wenn über neue nationale Vorschriften Regelungen gefunden würden, den deutschen Ausstoß zu begrenzen, blieben die Gesamtemissionen der EU dadurch dennoch unverändert. Lediglich in den Bereichen Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft kann der Nationalstaat hier weitgehend autonom agieren.

Auch die Zukunft des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wird durch die Einbindung in die EU in Frage gestellt. Sollte es nach 2020 keine explizite Erneuerbare-Energien-Politik in der EU geben, dürfte ein nationales Gesetz als unerlaubter Eingriff in den Markt angesehen werden. Die Festlegung eines EU-Ziels in diesem Bereich könnte sich für die Energiewende dementsprechend als wichtig erweisen.

Die Bundesregierung wird also gefordert sein, eine explizite Energiewende-Europapolitik zu entwickeln, um eine möglichst hohe Kompatibilität zwischen der deutschen Energiewende und der europäischen Energie- und Klimapolitik herzustellen. Sollte dies nicht gelingen, so muss zumindest überprüft werden, in welchen Bereichen ein negativer Einfluss der EU auf die nationale Energiestrategie minimiert werden kann. Die Art und Weise der europapolitischen Einbettung der deutschen Energiewende wird in jedem Fall die politische Debatte der kommenden Jahre prägen.

Weitere Inhalte

ist Stipendiat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und arbeitet in der Forschungssgruppe EU-Integration. Forschungsschwerpunkte: EU-Energiepolitik, EU-Klimapolitik, Europäische Union, Europäisierung der deutschen Energie- und Klimapolitik.

Dr. Oliver Geden ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er ist (gemeinsam mit Severin Fischer) Autor des Buches "Die Energie- und Klimapolitik der Europäischen Union. Bestandsaufnahme und Perspektiven" (Nomos-Verlag, 2008).