Ägypten, Libyen und Algerien halten insgesamt jeweils knapp vier Prozent der globalen Erdöl- und der Erdgasreserven. Ihre Erdölproduktion liegt bei 3,5 Prozent, die Erdgasproduktion bei 4,4 Prozent des globalen Anteils (BP 2012). Das OPEC-Mitglied Libyen hält die größten Erdölreserven in Afrika. Es ist ein wichtiger Weltmarktakteur, da es Öl in hoher Qualität liefert. Solches ist in Raffinerien nur schwer zu ersetzen. Libyen produzierte in den letzten Jahren rund 1,65 Millionen Barrel am Tag. Zum Vergleich: Die globale Produktion lag 2011 bei rund 83 Millionen Barrel (BP 2012). Mit den Unruhen, die im Februar 2011 begannen, kam die Produktion praktisch ein halbes Jahr ganz zum Erliegen, erholte sich danach aber schnell. Algerien wiederum ist ein wichtiger Produzent vor allem für Erdgas. Das Land ist ebenfalls Mitglied der OPEC. Ägypten spielt eine wichtige Rolle als größter afrikanischer Erdölproduzent, der Nicht-Mitglied der OPEC ist. Ägypten ist außerdem Afrikas zweitgrößter Gasproduzent nach Algerien.
Nordafrika ist ein wichtiger Öl- und Gaslieferant für Europa
Von den Ölimporten der EU-27 haben OPEC-Länder einen Anteil von 35 Prozent. Für Deutschlands Ölimporte spielen die nordafrikanischen Länder eine wichtige Rolle, da rund 12 Prozent aus Libyen, Algerien und Ägypten kommen. Libyen ist der viertgrößte Öllieferant für Deutschland.
Von den europäischen Gasimporten kommen 14 Prozent aus Algerien, drei Prozent aus Libyen und zwei Prozent aus Ägypten (EU 2011). Direkte Erdgasimporte aus Nordafrika nach Deutschland finden praktisch nicht statt. Der für die EU-27 strategisch bedeutsamste Gaslieferant aus der Region, Algerien, ist von den Unruhen bisher nicht erfasst worden. Der Gasmarkt der EU-27 wird zu 80 Prozent durch Erdgasimporte per Pipeline bestimmt. Italien konnte deswegen den Ausfall aus Libyen mit Mehreinfuhren aus Russland kompensieren. Allerdings steigt der Anteil von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) in Europa, das zum Großteil mit 42 Prozent aus Nordafrika kommt.
Aus Sicht Nordafrikas spielt der Markt der EU-27- eine zentrale Rolle: so gehen libysche Ölexporte zu 72 Prozent nach Europa, elf Prozent nach China und nur drei Prozent in die USA. Auch der größte Anteil der libyschen Erdgasproduktion wird exportiert, dabei vor allem nach Italien durch die Greenstream-Pipeline. Ägyptische Erdölexporte erfolgen zu über 60 Prozent nach Asien-Pazifik, rund 25 Prozent gehen nach Italien und Spanien. Rund 50 Prozent der ägyptischen LNG Exporte gehen nach Europa. Für algerisches Erdöl sind Nordamerika und Europa die wichtigsten Abnehmer. 65 Prozent der algerischen Gasexporte werden durch Pipelines nach Italien (Transmed- und Medgaz-Pipeline) und nach Spanien (Maghreb-Europe Gas Pipeline) realisiert, 35 Prozent erfolgen in Form von verflüssigtem Erdgas. Algerien ist ein wichtiger LNG Exporteur mit einem Weltmarktanteil von sieben Prozent. Zu den bedeutsamsten Abnehmern zählen auch hier europäische Gasunternehmen.
Selbst die energiearmen Länder wie Marokko und Tunesien haben als Transitländer erhebliche Bedeutung für die Versorgung Europas. Insgesamt beherbergt Nordafrika einige der wichtigsten Transitkorridore nach Europa und in den atlantischen Raum. Ägypten ist mit dem Suez-Kanal und der Suez-Mittelmeer Pipeline (SUMED) ein entscheidendes Transitland für Erdöl, Erdölprodukte und verflüssigtes Erdgas. Damit hat das Land eine strategische Stellung für die europäischen und internationalen Energiemärkte inne. Eine Schließung dieser Transitwege hätte längere Transportzeiten zur Folge: Der Transport nach Europa um das Horn von Afrika und das Kap der Guten Hoffnung addiert etwa 15 Tage, in die USA acht bis zehn Tage.
Unruhen und Regimewechsel beeinflussen Energieversorgung
Mit den Umbrüchen im arabischen Raum waren und sind erhebliche Risiken verbunden, das reicht von kurzfristigen Lieferausfällen bei Beschädigung von Infrastruktur bis zu mittel- und langfristigen strukturellen Verschiebungen bei Angebot und Nachfrage von fossilen Brennstoffen. Für die Energiewirtschaft, deren Projekte sehr kapitalintensiv, ortsgebunden und langfristig ausgelegt sind, ist Stabilität von zentraler Bedeutung. Bisher haben der Westen und seine multinationalen Konzerne dabei auf die autoritären Regime in jener Region gesetzt. Die zentrale Herausforderung ist nun, die zuverlässige, stabile und preisgünstige Energieversorgung aus und in der Region zu sichern und gleichzeitig die Öffnung, Demokratisierung und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaften im arabischen Raum zu unterstützen.
Grundsätzlich dominieren staatliche Konzerne den dortigen Energiesektor. Doch in Ägypten, Algerien und Libyen sind internationale Konzerne sehr aktiv. Im Rahmen von sogenannten Produktionsaufteilungsabkommen, die mit den Staatskonzernen geschlossen werden geht ein Großteil der Förderung wieder an den jeweiligen Staatskonzern zurück, den dieser national vermarkten kann. Der entsprechende Anteil steigt sowohl beim Erdöl, als auch beim Erdgas kontinuierlich. Auch die Steuern auf Energieprodukte werden ständig erhöht, um die Einnahmesituation der Staatshaushalte zu verbessern.
Gleichzeitig sind Energieverkäufe ins Ausland Devisenbringer Nummer Eins und für die Regierung Haupteinnahmequelle. In Algerien etwa machen die Einnahmen aus dem Energiesektor 60 Prozent der Staatseinnahmen, 36 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts und 97 Prozent aller Exporteinnahmen aus (EIA, Algeria, 1). Das Land trägt alle Züge einer Rentenökonomie. Die Einnahmen (Renten) aus den Öl- und Gasverkäufen wurden und werden für den Machterhalt der herrschenden Eliten genutzt, z.B durch die Subventionierung von Öl, Gas und Strom für die Bevölkerung.
Prinzipiell hat jede Regierung ein Interesse, den Export von Öl und Gas aufrechtzuerhalten. Kampfhandlungen aber führten zu Beschädigungen an Produktionsstätten und Infrastruktur, Regimewechsel mündeten in einer Reorganisation der nationalen Öl- und Gasgesellschaften und ihren Kooperationen mit westlichen Konzernen. Das führte zu erheblichen Unsicherheiten, die wiederum die Ölpreise treiben.
Trend: Eigenbedarf steigt, Exporte sinken
In Nordafrika dominieren fossile Brennstoffe den Energiemix: In Ägypten wird dieser zu fast 95 Prozent von Erdöl und Erdgas bestimmt. Auch der Strommix speist sich zu fast 90 Prozent aus fossil befeuerten Kraftwerken, den Rest stellen große Wasserkraftwerke.
Das vorherrschende Bild Europas von Nordafrika ist das einer energiereichen Region; eines Erdöl- und Erdgaslieferanten. Dieses Bild trügt: Noch ist Algerien der achtgrößte Gasproduzent der Welt und drittgrößte Gaslieferant für die EU. Allerdings hat Algerien das Plateau seiner Förderung bei 89 bis 90 Milliarden Kubikmetern jährlich schon erreicht. Denn der inländische Verbrauch im letzten Jahrzehnt stieg jährlich um circa fünf Prozent, der Strombedarf erhöhte sich offiziell um 12 Prozent, inoffizielle Schätzungen liegen sogar höher. In anderen Ländern der Region sind die Steigerungsraten vergleichbar. Die importabhängigen, energiearmen Länder Tunesien und Marokko trifft dies besonders hart. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Exportvolumina nach Europa und die Weltmärkte. Dieses Fanal wird in Europa noch zu wenig gesehen, spielt aber in der gesamten Region die entscheidende Rolle.
Am Beispiel Ägyptens lassen sich die damit verbundenen Probleme für die regionale Stabilität illustrieren: Ägypten ist in der Vergangenheit auch ein wichtiger Lieferant für die östlichen Mittelmeeranrainer gewesen. Der Nilstaat ist regional ein sehr wichtiger Gasexporteur gewesen, der den gesamten Gasverbrauch u. a. Jordaniens, des Libanon und 50 Prozent des israelischen Bedarfs gedeckt hat. In Ägypten selbst aber steigt die Nachfrage nach Gas, sodass weitergehende Exportpläne bereits Mitte 2008 auf Eis gelegt wurden. Der Druck, Gas für den wachsenden Eigenbedarf bereitzustellen ist nach dem Sturz Mubaraks noch gestiegen. Die Exporte kamen praktisch immer wieder zum Erliegen (auch wegen Pipeline-Explosionen) und die Verträge wurden neu ausgehandelt. Mittlerweile importiert Ägypten selbst Gas aus Algerien.
Mit Blick auf den steigenden Eigenbedarf ist der Zusammenhang mit Energiesubventionen offensichtlich. Bei den hoch subventionierten Energiepreisen besteht kein Anreiz für die Bevölkerung, Energie einzusparen. Mithin treibt diese Spirale die Nachfrage im Inland, was wiederum erhebliche Konsequenzen für die internationalen Preise hat. Die Staatshaushalte finanzieren darüber ihre Mehreinnahmen.
Pakt für Arbeit, Energie und Klima
Sollten wichtige Lieferanten der Region ausfallen, sind die Handlungsoptionen Europas in Sachen fossile Brennstoffe gering: Ein Hauptcharakteristikum der Öl- und Gasmärkte ist besonders ihre geringe Elastizität bei der Nachfrage, also die Möglichkeit auf Lieferausfälle kurzfristig mit einer Drosselung des Energiekonsums zu reagieren. Die Option, über die strategischen Reserven gegenzusteuern, ist mengenmäßig und zeitlich begrenzt.
Die Zeichen der Zeit in der Region richtig zu deuten, heißt auch gemeinsam alternative Energiequellen zu nutzen und das Energiesystem umzubauen. Die EU hat schon seit Mitte der 1990er Jahre die Schaffung eines gemeinsamen Energieraumes mit Nordafrika im Visier. In den letzten Jahren sind aber insbesondere die Kooperation bei erneuerbaren Energien und die Vernetzung in einem "grünen" Strommarkt ins Zentrum gerückt. Davon können beide Regionen profitieren, wenn ein Teil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms für den Export bestimmt wird. Das ist eine Vision für die Energieversorgung beider Regionen, dies- und jenseits des Mittelmeers. Aber auch aus außen- und sicherheitspolitischer Sicht tut ein Konzept für mehr Stabilität und Wohlfahrt im Mittelmeerraum not. Eine Verbesserung der Versorgung mit verlässlicher und preisgünstiger Energie wird eines der Kriterien sein, an denen sich alte und neue Regierungen Nordafrikas werden messen lassen müssen. Die Binnenversorgung mit elektrischer Energie ist damit eine Schicksalsfrage für die Stabilität in der Region. Hier liegt eine einzigartige Chance für Europa. Mit einem Pakt für Arbeit, Energie und Klima wäre den Ländern gut zu helfen, um zeitgleich damit auch eigene technologie-, energie- und klimapolitische Ziele zu verfolgen. Das Vehikel dazu ist der Ausbau von Stromerzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien: Photovoltaik, Konzentrierende Solarkraft und Windkraft. Eine Vernetzung in einem großen Stromverbund mit den Nachbarregionen wäre außerdem ein Instrument um die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien und die Klimaziele zu geringeren Kosten zu erreichen. Die Energiewende in Deutschland bedarf mittel- bis langfristig zu ihrer Realisierung auch des Imports von grünem Strom aus dem Ausland.
Bis 2050 könnten 20 Prozent des europäischen Strombedarfs durch grünen Strom aus der Wüste gedeckt werden
Wüstenstrominitiativen gehen auf Pläne der Transmediterranean Renewable Energy Cooperation (TREC) zurück, einem Verbund des Hamburger Klimaschutzfonds mit Think Tanks und Energieagenturen nördlich und südlich des Mittelmeers und dem Club of Rome. Aus dieser Initiative ist Anfang 2009 die Desertec-Foundation entstanden, deren Pläne sich auf mehrere technische Studien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 stützen. 2009 wurde dann die Desertec Industrial Initiative (Dii) ins Leben gerufen, ein Industriekonsortium, das mittlerweile neben deutschen Firmen auch internationale Partner hat. Die Dii hat sich zum Ziel gesetzt, die erneuerbaren Energien in der Region massiv auszubauen und mit Europa in einem gemeinsamen Stromverbund zu integrieren. Bis 2050 könnten 20 Prozent des Stroms in Europa aus den Nachbarländern um südlichen Mittelmeerraum kommen. Damit wäre auch das ambitionierte Ziel, die CO2-Emissionen im Strombereich um bis zu 95 zu reduzieren, erreichbar.
Die Idee ist bestechend – sowohl aus klima-, energie- und außenpolitischer Perspektive als auch mit Blick auf das von Europa in der Union für das Mittelmeer (UfM) und der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) verfolgte Ziel einer engeren Kooperation mit den südlichen Nachbarstaaten. Ob die überaus ambitionierten Projekte auch tatsächlich umgesetzt werden können, hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingen wird die benötigten finanziellen, energiewirtschaftlichen, institutionellen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Immerhin ist auch in Nordafrika die Einsicht gewachsen, dass der wachsende Energieverbrauch höhere Investitionen in Kraftwerkskapazitäten, Stromnetze und gegebenenfalls kostspielige Stromimporte bedeutet. Inzwischen verfügen alle Staaten der Region – mit der partiellen Ausnahme Libyens – über Gesetze oder Programme zum Ausbau und der Förderung von erneuerbaren Energien. Mehrere nordafrikanische Staaten verfolgen inzwischen ausgesprochen ehrgeizige, konkrete Ziele in Bezug auf den Anteil von erneuerbaren Energien am nationalen Strommix. Erste Wüstenstromprojekte sind mittlerweile gemeinsam beschlossen.