Im März 2007 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Frühjahrsgipfel eine gemeinsame "Energieaußenpolitik" (offiziell "Energieaußenbeziehungen“).
Während in den USA und Asien die nationale Energiepolitik stets mit ihrer Außen- und Sicherheitspolitik verbunden waren, war die Frage der Energieversorgungssicherheit in Europa seit der Ölkrise in den 1970er Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten.
Wachsende Abhängigkeit von Energieimporten macht eine gemeinsamen EU-Energieaußenpolitik erforderlich
Die Europäische Kommission hatte bereits in ihrem ersten Grünbuch vom November 2000 eine gemeinsame EU-Energiepolitik angemahnt. In den kommenden 20 bis 30 Jahren muss die EU bis zu 70 Prozent ihrer Energienachfrage durch höhere Importe aus zumeist politisch instabilen Produzentenstaaten decken – gegenwärtig sind es 54 Prozent. Diese Importe kosteten bereits im Sommer 2008 insgesamt rund 350 Mrd. Euro, was für jeden EU-Bürger etwa 700 Euro ausmachte. In 2011 summierten sich allein die Ölimportkosten der EU-27 bereits auf über 400 Mrd. Euro als Folge des global steigenden Ölpreises.
Die wachsende Abhängigkeit der EU von Energieimporten verstärkt zudem die Anfälligkeit der einzelnen Volkswirtschaften für unvorhersehbare Veränderungen auf dem Weltmarkt – und dies in einer Zeit, in der ihre relative Bedeutung als Energieverbraucher abnimmt und die EU global an Einfluss gegenüber neuen ökonomischen Großmächten wie China, Indien oder Brasilien verliert.
Themengrafik: Energieimporte der EU-27 (PDF) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
- Als PDF herunterladen (0.9MB)
Themengrafik: Energieimporte der EU-27 (PDF) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
- Als PDF herunterladen (0.9MB)
Die Kommission trat bereits vor 2006 für eine gemeinschaftliche Energieaußenpolitik (offiziell "Auswärtige Energiebeziehungen") ein und initiierte eine Vielzahl von Energiedialogen als Teil ihrer "äußeren Energiebeziehungen" - sowohl mit Produzenten- und Transitstaaten an der Peripherie Europas als auch auf globaler Ebene.
Die Energiestrategie der EU dient der Gewährleistung einer stabilen Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen und einer nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutzpolitik.
Die wichtigsten strategischen Dialogforen der EU mit Energiepartnern weltweit
EU-Norwegen-Energiedialog;
EU-Russland-Energiedialog (im Oktober 2000 eröffnet);
EU-OPEC-Energiedialog (erstes Treffen im Juni 2005);
EU–USA: seit 2003 verstärkte Kooperation bei der Schaffung einer Wasserstoffwirtschaft; seit 2005 gemeinsames Arbeitsprogramm für "Energiesicherheit, -effizienz, Erneuerbare Energien und wirtschaftliche Entwicklung";
EU-Ukraine (im Rahmen des Nachbarschaftsaktionsplans);
EU-Kaspische Region: im Mittelpunkt der Kooperation stehen Aserbaidschan und Kasachstan. Von besonderer Bedeutung sind hierbei auch die inzwischen im Betrieb befindliche Baku-Tiflis-Ceyhan-Ölleitung (BTC), die weitgehend parallel verlaufene Erdgaspipeline von Baku nach Ezrum und das geplante Nabucco-Projekt, einer unter Umgehung Russlands verlaufenden Erdgaspipeline von Zentralasien über die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn nach Österreich;
EU-Mittlerer Osten und Persischen Golf: Neben ihrem Dialog mit der OPEC hat die Kommission zweiseitige Abkommen mit den sechs Ländern unterzeichnet, die im Golf-Kooperationsrat (GCC) vertreten sind; ein hochrangiges Euro-Gulf Energy Summit fand 2005 statt und empfahl die Schaffung eines EU-GCC Energy Technology Centre für gemeinsame Forschung, Technologietransfers, Ausbildung und Training;
EU-Südliches Mittelmeer (einschließlich der Türkei, des Mittleren Ostens und Afrikas), die 1995 im Rahmen des Barcelona-Prozesses eröffnet wurde, mit dem Ziel, bis 2010 eine Euro-Mediterrane Freihandelszone zu schaffen; vor allem mit Algerien als dem derzeit drittgrößten Gasexporteur in die EU wird die Energiedialogkooperation ausgebaut; seit 2. Dezember 2003 Kooperation im Rahmen des Euro-Maghreb Energy Community Treaty;
Südosteuropäische Energiegemeinschaft (Vertrag vom 25.10.2005);
Arktische Energieagenda, mit einer ersten Diskussion am Runden Tisch zwischen politischen wie auch wirtschaftlichen Entscheidern aus Norwegen, Russland und der EU am 7. Juli 2005;
EU-Afrika/Golf von Guinea: allerdings haben sich die Beziehungen der EU zu dieser Region bisher auf die Entwicklungszusammenarbeit mit der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) konzentriert;
EU-China-Energiedialog als Teil ihrer "Strategischen Partnerschaft" seit 1994; alle zwei Jahre finden bilaterale Arbeitstreffen im Rahmen der EU-China Energy Conferences statt;
EU-India Energy Panel seit 2004 als bilaterales Dialogforum für energiepolitische Kooperation und Koordination; ab 29. Juni 2005 EU-Indien-Energiedialog;
EU-Brasilien (Unterzeichnung eines neues Rahmenabkommens für einen regelmäßigen Energiedialog am 5. Juli 2007).
Dabei sind die Reformen des EU-Energiebinnenmarktes eng mit den Bemühungen um einen besseren Mix der Versorgungsquellen verbunden – vor allem bei den Gaseinfuhren. So werden auch die Reformbemühungen in den Nachbarländern wie jenen in Südosteuropa (als Mitglied der "European Energy Community“) aktiv unterstützt, um eine weitgehende Harmonisierung mit dem EU-Binnenmarkt zu fördern.
Künftig sollen grenzüberschreitende Investitionen in die Gas- und Stromnetze und die harmonisierten Versorgungsstandards überwacht und koordiniert werden durch die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), dem Europäischen Verbund der Gasnetzbetreiber (ENTSOG) und der Gaskoordinierungsgruppe als beratendem Gremium der Europäischen Kommission. Die im Oktober 2010 verabschiedete Gasdirektive soll sicherstellen, dass bilaterale Abkommen zwischen Lieferanten und einzelnen EU-Mitgliedstaaten nicht zu Lasten von anderen EU-Staaten gehen und dass die Ziele einer gemeinsamen Energiepolitik durch derartige bilaterale Abkommen nicht gefährdet werden.
Energiesolidarität statt nationaler Lösungen
Trotz der Bemühungen um eine gemeinsame Energieaußenpolitik konzentrierte sich die gemeinsame Energiepolitik der EU seit 2007 vor allem auf die Schaffung des Binnenmarktes. Die Kommission hat jedoch die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit mit den Energiepartnern erkannt, sie ist Bestandteil einer proaktiven Energieaußenpolitik. Stärker berücksichtigt werden sollen dabei insbesondere die enge Verbindung zwischen geopolitischer Stabilität und Energieversorgungssicherheit, aber auch die steigende Abhängigkeit der EU von Energieimporten und die zunehmende gegenseitige Abhängigkeit zwischen Produzenten, Transitstaaten und Verbraucherstaaten.
Obwohl die gemeinsame Energiepolitik der EU durchaus große Fortschritte gemacht hat, haben die Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren häufig nationale Lösungen bevorzugt - zu Lasten ihrer Nachbarn und der gemeinsamen Energiepolitik. So hängt die gemeinsame Energieaußenpolitik wesentlich von der politischen Solidarität und den langfristigen strategischen Interessen der größeren EU-Staaten wie Deutschland ab.
Im November 2008 hat die EU eine "Solidaritätsklausel“ beschlossen und in den Lissabon-Vertrag aufgenommen. Doch ihre Umsetzung scheitert daran, dass die Mitgliedsstaaten den Begriff "Energiesolidarität“ nicht genau definiert haben. Einzelne EU-Staaten haben bisher die Risiken von Versorgungsunterbrechungen unterschiedlich bewertet, gleiches gilt für die Notwendigkeit wirkungsvoller Reaktionen und eine gemeinsame Energieaußenpolitik gegenüber Russland, der Ukraine, den Staaten am Kaspischen Meer sowie der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika). Gründe dafür sind der
Vor diesem Hintergrund wurde die Kommission gebeten, als Koordinator bei Notmaßnahmen zwischen Mitgliedsstaaten und Drittländern außerhalb der EU zu fungieren. Zudem enthält der Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist, ein neues Kapitel zur europäischen Außen- und gemeinsamen Energiepolitik. Brüssel hat umfassende Befugnisse erhalten und die Rolle des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wurde aufgewertet. Daraus ergibt sich für die Energieaußenpolitik, dass auch diese koordinierter ablaufen und von Brüssel stärker kontrolliert werden sollte.
Auch die Vielzahl neuer transnationaler Energieinfrastrukturen verlangt eine gemeinsame Energieaußenpolitik gegenüber den Energiepartnern außerhalb der EU. So wird die interne Infrastruktur aus Gas- und Öl-Pipelines sowie Stromnetzen künftig noch stärker mit externen Netzwerken verbunden und von diesen abhängig sein (z. B. russische Gas- und Ölpipelines oder durch nordafrikanische Solarkraftwerke). Die neue interne Infrastruktur wird jedoch nur so sicher sein, wie das schwächste Glied ihrer externen Infrastruktur-Verbindungen.
Seit der Erdgaskrise im Januar 2006 begreift die Europäische Union zunehmend, dass sie in Energiefragen mit einer Stimme sprechen muss. Künftig soll die Europäische Kommission über alle neuen und bestehenden bilateralen Energieabkommen unterrichtet werden, die die Mitgliedsstaaten mit Ländern außerhalb der EU unterhalten. Die Kommission schätzt, dass etwa 30 zwischenstaatliche Erdölabkommen und doppelt so viele Vereinbarungen über Erdgas existieren.
Die neue Strategie in der EU-Energieaußenpolitik
Mit der neuen Strategie für die externe Energiepolitik hat die Europäische Kommission im September 2011 einen wichtigen Schritt unternommen, um die Berichtspflicht und das Transparenzgebot zu stärken und diese auf alle zwischenstaatlichen Vereinbarungen auszudehnen. Dies gilt sowohl für Erdgas, Erdöl, Strom und erneuerbare Energien. Diese neuen Regeln sollen auch für alle Verträge zwischen Unternehmen gelten, wo diese in zwischenstaatlichen Abkommen ausdrücklich erwähnt werden. Bisher wurde die Kommission bei bilateralen Energieabkommen der EU-Staaten nicht konsultiert. Dadurch kam es eher zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts als zu einer Verbesserung der Energieversorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit der EU.
QuellentextGünther Oettinger
In der EU-Energiepolitik wurden in den vergangenen Jahren echte Fortschritte erzielt. Nun muss die EU die Errungenschaften ihres großen Energiebinnenmarktes über ihre Grenzen hinaus ausweiten, um die Sicherheit der Energieversorgung Europas zu gewährleisten und internationale Partnerschaften im Energiebereich zu fördern. Daher schlägt die Kommission heute ein kohärentes Konzept für die Energiebeziehungen zu Drittländern vor. Diese verbesserte interne Koordinierung ist notwendig, damit die EU und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam handeln und mit einer Stimme sprechen.
EU-Energiekommissar Günther Oettinger bei der Vorstellung der neuen EU-Energieaußenpolitikstrategie am 7. September 2011
Sollen die Berichtspflicht und das Transparenzgebot Erfolg haben, muss ein Mechanismus geschaffen werden, der den Informationsaustausch über Abkommen zwischen EU-Staaten und Drittländern ermöglicht. Solch ein Mechanismus würde auch das Notifizierungsverfahren für Gasabkommen ergänzen, das mit der Richtlinie über die Gewährleistung der Erdgasversorgung eingeführt wurde. Wenn die Kommission jedoch nicht von Anfang an über bilaterale Verhandlungen informiert wird, kann es zu Zugeständnissen kommen, die nicht vereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht der EU sind oder der "Drittstaatenklausel“ widersprechen, die die Beteiligung ausländischer Unternehmen am europäischen Energiesektor regelt. Dagegen würde eine frühe Beteiligung der Kommission nicht nur die Transparenz erhöhen, sondern könnte außerdem größere Rechtssicherheit für Investoren und Drittstaaten schaffen und damit zugleich den bilateralen Verhandlungsprozess verkürzen.
Insgesamt listet die neue Strategie in der Energieaußenpolitik 43 Maßnahmen und Empfehlungen zur Umsetzung auf.
Ausgewählte Empfehlungen und Leitvorstellungen der neuen EU-Energieaußenpolitikstrategie
Einsetzung einer strategischen Gruppe für die internationale Zusammenarbeit im Energiebereich, die die externe energiepolitische Position der EU koordiniert und auf internationalen Foren wie den G8 und G20 in ihrem Namen spricht;
Diversifizierung der Versorgungsquellen und -wege (z.B. Ausbau der erneuerbaren Energien, transkaspische Pipeline);
Unterstützung für eine trilaterale Vereinbarung zwischen der Ukraine, Russland und der EU zur Sicherstellung unterbrechungsfreier Gaslieferungen;
Marktintegration von Nachbarstaaten wie Norwegen und der Schweiz;
Energiepolitische Integration Russlands;
Stärkung von Energiepartnerschaften mit anderen Energieversorgerländern wie Norwegen, Algerien, Saudi-Arabien und Australien;
Partnerschaften mit Industrie- und Wachstumsländern wie den USA, Japan, China, Indien und Brasilien;
Abstimmung der internen und externen Entwicklungspolitik der EU mit ihrer Energiepolitik;
Einrichtung einer Datenbank für Energieprojekte in Partnerländern, die von den EU-Mitgliedsstaaten oder multilateralen EU-Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank finanziert werden.
Quelle: Interner Link: EU-Energiepolitik: Entwicklung der Beziehungen zu Partnern außerhalb der EU (PDF)
Der wichtigste Teil der Strategie ist jedoch das Recht der Kommission zur Überwachung aller zwischenstaatlichen Energieabkommen. Denn es hinterfragt das herkömmliche Verständnis von Vertraulichkeit und Empfindlichkeit von Geschäftsprozessen und der Fairness von Ausschreibungsverfahren. Die Kommission hätte das Recht, sämtliche Vereinbarungen zu prüfen, um so sicherzustellen, dass diese mit den politischen und regulativen Anforderungen des gemeinsamen EU-Rechts übereinstimmen. In einigen Fällen hat die EU-Kommission sogar das Recht beansprucht, anstelle von Mitgliedsstaaten und nicht nur an ihrer Seite zu verhandeln, um Kapazitäten zu bündeln und einen "koordinierten Energieeinkauf“ zu betreiben. Allerdings hat der Europäische Rat gegenüber der Kommission und dem Europäischen Parlament im Zuge einer Kompromissfindung im Juni 2012 durchgesetzt, dass die Kommission nur vorab zwischenstaatliche Energieabkommen mit Drittländern überprüfen darf und nur als Beobachter bei Verhandlungen hinzugezogen werde kann, wenn die EU-Staaten zustimmen.
Die größeren Mitgliedsstaaten sind zudem bisher nicht bereit, generell ein Mandat für einen "koordinierten Energieeinkauf“ zu erteilen, sondern lediglich in Einzelfällen, wie z.B. seit September 2011 in den direkten Verhandlungen der Europäischen Kommission mit Turkmenistan über den geplanten Bau einer transkaspischen Gaspipeline. Die Unterstützung der EU für das transkaspische Pipelineprojekt und die Notwendigkeit ihrer direkten Teilnahme an den Verhandlungen sind von großer Bedeutung, da sie hier sichtbar mit einer Stimme spricht, was direkte Auswirkungen auf die EU-Energiebeziehungen mit Russland hat.
EU muss mit einer Stimme sprechen
Die globalen Energiemärkte verändern sich ständig. Die EU muss deshalb neue Strategien für den Import und den Mix von Energie entwickeln, um auch künftig Versorgungssicherheit garantieren zu können. Dafür müssen sich die 27 Staaten der EU koordiniert vorgehen.
Am Ende gilt auch weiterhin: Die EU ist nur so stark, wie die Mitgliedsstaaten es zulassen. Kritik an Brüssel wegen der uneinheitlichen Energieaußenpolitik und dem Unvermögen, mit einer Stimme zu sprechen, sollte sich deshalb eher an die großen Mitgliedsstaaten richten.
Wenn die Vorschläge der Kommission bei den Mitgliedsstaaten künftig auch vollständig und effektiv umgesetzt werden, könnte dies zu einem Wandel in der Energieaußenpolitik der EU führen, mit großen positiven Auswirkungen auch auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) insgesamt. Die EU würde mit einer Stimme sprechen und könnte ihre wirtschaftlichen Ressourcen und ihre gestärkte Verhandlungsmacht bündeln, um ihre langfristigen strategischen Interessen auf der internationalen Bühne besser zu wahren.