Öldorado?
Wer den Hurrah-Meldungen der Medien Glauben schenkt, wähnt Amerika vor einem "goldenen Zeitalter": Dank neuer Bohrtechniken zur Gewinnung von Öl aus Schiefergestein, dem so genannten fracking, seien die USA auf dem Weg zur "Energieunabhängigkeit", sie betrieben einen "finanziellen und politischen Kraftakt", um zur "Ölmacht" zu werden. Ehedem vom Aussterben bedrohte Prärieregionen erlebten nunmehr einen wahren "Ölrausch" und "Wirtschaftsboom". Nüchtern betrachtet ergibt die Analyse der Fakten ein anderes Bild: Wirtschaft und Transportsektor in den USA sind massiv vom Erdöl abhängig, das auf absehbare Zeit zu einem Gutteil aus instabilen Weltregionen wie dem Mittleren Osten und Afrika importiert werden muss.
Denn der ständig steigende Ölbedarf in den USA kann nicht annähernd durch die inländische Produktion gedeckt werden. Zwischen 1950 und 2011 erhöhte sich der Anteil amerikanischen Mineralöls zwar von 5,9 auf 7,8 Millionen Fässer pro Tag
Die Abhängigkeit der Weltmacht USA vom Import des Erdöls hat – anders als beim Energieträger Gas
US-Energieverbrauch nach Energieträgern, 1950–2011 (in Quads) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
US-Energieverbrauch nach Energieträgern, 1950–2011 (in Quads) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Die amerikanische Energiebehörde prognostiziert zwar, dass durch die Kombination von einerseits erhöhter Eigenproduktion von fossilen und Biokraftstoffen und andererseits vermindertem Verbrauch, die Abhängigkeit von importiertem Öl bis 2035 reduziert werden könnte
Der Preis der Abhängigkeit: Sicherheit für Öl
Das OPEC-Mitglied Saudi-Arabien genießt eine Sonderstellung als sogenannter swing producer: Der Wüstenstaat ist der einzige Öllieferant, dessen Kapazitäten so hoch sind, dass er problemlos ohne längere Vorbereitungszeit zwei Millionen Fässer pro Tag zusätzlich zu fördern in der Lage ist, um auf Förderengpässe in anderen Ländern oder plötzlich steigende Nachfragen zu reagieren. So kann die Ölmonarchie die so genannten "vitalen Interessen" der USA vor den Ansinnen anderer, weniger wohlgesinnter OPEC-Staaten schützen – zum Preis seiner Regimestabilität .
Doch selbst wenn dieser amerikanisch-saudische Pakt ("Sicherheit für Öl") von den Umwälzungen in der Region unberührt bleiben sollte, werden die weltwirtschaftlichen Entwicklungen und die daraus resultierenden geopolitischen Machtverschiebungen die Vereinigten Staaten nötigen, umzusteuern: weg von fossilen Kraftstoffen, hin zu erneuerbaren Energien und energiesparenden Umwelttechnologien.
US-Hauptimportländer von Mineralöl, 2011 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
US-Hauptimportländer von Mineralöl, 2011 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Die teuren Energie-Importe belasten die seit mehreren Jahren ohnehin schlechte amerikanische Außenhandelsbilanz in Besorgnis erregendem Maße. Die unausgewogene Außenhandelsbilanz ist neben der hohen Staatsverschuldung ein strukturelles Problem der amerikanischen Wirtschaft. Es macht diese verwundbar. Solange die Lieferanten ihre Erlöse in den USA reinvestierten, stellt das steigende Handelsdefizit die USA vor keine größeren Schwierigkeiten. Doch wenn die Investoren Zweifel an der Produktivität, Wirtschaftskraft und Geldwertstabilität der USA hegen und ihre Erlöse für Waren und Dienstleistungen auf anderen internationalen Finanzmärkten sichern, geraten Währung und Wirtschaft der USA massiv unter Druck. Mittlerweile geben die OPEC-Staaten ihre Petro-Dollars vermehrt in Asien aus.
Längst beeinträchtigen teure Energie-Importe die amerikanische Wirtschaft. Hohe Energiepreise betreffen in erster Linie energie-intensive Wirtschaftssektoren und verursachen indirekt zusätzliche Kosten für andere Wirtschaftszweige. Auch die Konsumenten bekommen den Anstieg der (Energie-)Preise zu spüren, denn sie sind bei sinkender Kaufkraft gezwungen, an anderen Ausgaben zu sparen.
Dieses dialektische Auf und Ab, das Aufeinanderfolgen von hohem Ölpreis – Wirtschaftseinbruch – niedrigerem Ölpreis – wirtschaftlicher Erholung – Anziehen des Ölpreises und den damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Problemen wird sich wiederholen, solange es den energiehungrigen Industriemächten nicht gelingt, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien. Befreiung aber heißt, die Wirtschaft auf einen möglichst niedrigen Verbrauch fossiler Brennstoffe einzustellen.
Wachsender Handlungsdruck
Der Problemdruck wird noch wachsen, denn ehemalige Entwicklungsländer wie China und Indien verbrauchen im Zuge ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd immer mehr Energie. Nach den Daten der Internationalen Energieagentur hat China die USA schon 2009 als weltweit größter Energieverbraucher überflügelt
Auch wenn aus geostrategischer Perspektive die Bedrohung der nationalen amerikanischen Interessen überzeichnet scheint, so ist doch nicht zu bestreiten, dass die hohen Kosten für Energie und die zu ihrer Sicherung aufgewendeten externen Kosten die wirtschaftliche Genesung der Weltmacht beeinträchtigen.
Mittlerweile sehen Experten zahlreicher Think Tanks und Politiker beider Parteien in der Entwicklung erneuerbarer Energien einen für die USA gangbaren Weg, sich aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus problematischen Weltregionen zu befreien. Angesichts der Verwundbarkeit der amerikanischen Wirtschaft und des Transportsektors sei es dringend erforderlich, Biokraftstoffe und andere Alternativen zu entwickeln für die auf fossile Brennstoffe angewiesenen Wirtschaftszweige.
Was können wir tun?
Einen Wandel in der globalen Energie- und Klimapolitik – und damit auch nachhaltiges Wirtschaften – wird es ohne die USA nicht geben. Hier muss ein Kurswechsel erfolgen. Um das zu erreichen, darf die deutsche wie die europäische Politik ihre Aufmerksamkeit nicht allein auf die amerikanische Exekutive und den Präsidenten richten, sondern sollte zugleich über die Ebene der Bundesstaaten und über den Transmissionsriemen der nationalen Legislative ihre Politikvorstellungen in die öffentliche Debatte der USA hineintragen.
Eine transatlantische Umwelt- und Energiepartnerschaft sollte Forschung und Investitionen im Bereich neuer Technologien und den freien Handel alternativer Kraftstoffe im multilateralen Rahmen fördern. Technische Innovationsvorsprünge hierzulande stellen für deutsche und europäische Politiker gute Argumente dar, wenn sie bei amerikanischen Meinungsführern und Entscheidungsträgern für eine transatlantische Energie- und Umweltpartnerschaft werben als Grundlage für eine multilaterale, umweltverträgliche Energiesicherheitspolitik.
Die in den Zukunftsmärkten technologisch (noch) führenden westlichen Industrienationen sollten schnell handeln und weltweite Standards in den Bereichen Energie- und Umwelttechnologie entwickeln. Bilaterale Verabredungen der USA etwa mit Brasilien und Indien gibt es bereits. Darüber hinaus sollte man die Bemühungen des Transatlantic Economic Council auf dieses Kernthema fokussieren und weltweit nach Lösungen suchen. Da zahlreiche Länder Interesse an alternativen Kraftstoffen und der Entwicklung von marktfähigen Technologien haben, bestehen reichlich Anreize für multilaterales Handeln.