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Standpunkt: Die Energiewende birgt enorme Chancen | Energiepolitik | bpb.de

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Standpunkt: Die Energiewende birgt enorme Chancen

Claudia Kemfert

/ 7 Minuten zu lesen

Die deutsche Wirtschaft wird von der Energiewende profitieren, meint Claudia Kemfert. Sie birgt mehr Chancen als Risiken. Der Neubau von Kohlekraftwerken sei nicht nötig. Sie produzieren deutlich mehr klimagefährdende Treibhausgase als andere Energieträger.

Claudia Kemfert (© Sabine Braun)

Die Katastrophe in Japan im Jahre 2011 hat in Deutschland zu einem Umdenken in der Atompolitik geführt. Der Ausstiegsplan in Deutschland sieht vor, dass alle Kernkraftwerke in Deutschland bis zum Jahr 2022 abgeschaltet werden sollen. Im Rahmen eines Moratoriums wurden bereits im Frühjahr 2011 acht Atomkraftwerke unmittelbar und endgültig vom Netz genommen. Bei Lichte betrachtet ist dieser Atomausstieg nicht grundlegend neu.

Keine neuen Kohlekraftwerke bauen

Doch es geht bei der Energiewende nicht nur um den Ausstieg aus der Kernenergie – sondern auch um den Ausstieg aus der Kohle. Bis 2022 müsste eigentlich rund die Hälfte der deutschen Kohlekraftwerke altersbedingt vom Netz. Das Zeitfenster wäre also günstig, den Anteil von Kohle an der Stromerzeugung, derzeit bei 42 Prozent, zu halbieren. Doch in den nächsten Jahren droht das Gegenteil: Der Kohleanteil am Strommix könnte auf über 50 Prozent klettern. Dabei muss der weitere Zubau von Kohlekraftwerken unbedingt verhindert werden. Derzeit sind über 20 neue Kohlekraftwerke in Planung oder schon im Bau; sie erreichen eine Gesamtleistung von über 20 Gigawatt. Damit könnte man rein rechnerisch die derzeit noch im Einsatz befindlichen Atommeiler ersetzen. Doch Kohlekraftwerke passen nicht in das Konzept der nachhaltigen Energiewende: Sie produzieren deutlich mehr klimagefährdende Treibhausgase als andere Energieträger – zum Beispiel doppelt so viel wie Gas. Für die Übergangszeit wären Gaskraftwerke deutlich besser geeignet. Sie sind nicht nur emissionsärmer, sondern auch besser kombinierbar mit den fluktuierenden erneuerbaren Energien, weil man Gasanlagen flexibel hoch und runter fahren kann. Gas gibt es auf dem internationalen Markt im Überfluss, die Preise sind entsprechend niedrig. Interner Link: In Deutschland ist der Gaspreis vergleichsweise hoch, weil er durch langfristige Lieferverträge häufig noch an den Ölpreis gebunden ist. Doch über kurz oder lang wird die internationale Entwicklung auch in Deutschland den Gaspreis drücken.

Neue Stromspeicher schaffen

Das Ziel der Bundesregierung, in den kommenden vier Jahrzehnten den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion von heute 25 Prozent auf 80 Prozent zu erhöhen, ist grundsätzlich machbar. Interner Link: Allerdings müssen dazu gleichzeitig die Netze deutlich ausgebaut und vor allem Interner Link: deutlich mehr Stromspeicher geschaffen werden – zum Beispiel sogenannte Pumpspeicher, die in Deutschland und Skandinavien bereits zum Einsatz kommen. Zusätzlich sind völlig neue Formen der Stromspeicherung derzeit in der Forschungsphase. So können etwa Batterien von Elektrofahrzeugen als Speicher genutzt werden, wenn sie gleichzeitig die “Vehicle to grid” Option umsetzen, also gespeicherten Strom zurück in das Netz einspeisen können. Dazu wäre allerdings ein Umbau der Infrastruktur notwendig. Auch neue Kraftstoffe taugen für die Energiespeicherung. In Spitzenangebotszeiten erneuerbarer Energien könnte Wasserstoff oder Methan produziert werden, etwa zum Einsatz in der Mobilität.

Energieeffizienz steigern

Genauso wichtig wie das Angebot ist jedoch die Nachfrage. Interner Link: Je weniger Energie wir verbrauchen, desto weniger abhängig machen wir uns von den immer knapper und teurer werdenden fossilen Energien - und desto mehr Kosten können wir sparen. Neben dem Mobilitätssektor liegen die größten Einsparpotenziale vor allem im Immobilienbereich, genauer: in der Gebäudehülle. Es könnte knapp ein Fünftel des Energiebedarfs von Immobilien allein durch den Einsatz effizienter Dämm- und Klimatechnik eingespart werden. Die Energiewende ist technisch machbar. Aber ist sie auch ökonomisch sinnvoll? Oder isoliert sich Deutschland dabei völlig? Droht eine Deindustrialisierung, müssen wir mit Blackouts und mit Strompreisexplosionen leben? Solche Horrorvisionen werden von interessierter Seite an die Wand gemalt. Richtig ist: Die Welt schaut manchmal skeptisch, meist jedoch mit großem Interesse auf Deutschland. Eine Deindustrialisierung wird es definitiv nicht geben, im Gegenteil. Gerade die wichtigen Zulieferindustrien der erneuerbaren Energien und der nachhaltigen Mobilität profitieren von der Energiewende. Die Chemiebranche liefert beispielsweise wichtige energieeffiziente Produkte, etwa für den Transport- und für den Gebäudesektor. Die Liste der industriellen Profiteure ist lang.

Keine Preisexplosionen zu erwarten

Blackouts wird es nicht geben, wenn ausreichend in Netze und fossile Kraftwerke investiert wird. Der Strompreis wird sicherlich nicht explodieren, da es neben preistreibenden auch preissenkende Faktoren gibt. Preistreibend wirkt in der Tat die Zunahme der EEG Umlage, sowie die Interner Link: Zunahme der Netzentgelte durch den Ausbau der Stromnetze. Mit dem Zubau der erneuerbaren Energien sinkt allerdings der Strombörsenpreis. Mit sinkendem Börsenpreis steigt allerdings die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien. Mehr Wettbewerb und mehr Stromimporte sorgen für Druck auf die Preise. Vor allem können energieintensive Branchen von sinkenden Börsenpreisen profitieren, zudem sind sie weitgehend von den Zahlungen zur Förderung erneuerbarer Energien, Ökosteuer und den Kosten des Emissionshandels befreit.

Die Frage bleibt dennoch: Wer zahlt diese Energiewende? Die Anfangsinvestitionen der Energiewende werden sicherlich zum größten Teil von Unternehmen getätigt werden, aber auch eine teilweise Finanzierung durch die öffentliche Hand wird notwendig sein. Der Energie- und Klimafond, der als Sondervermögen des Bundes zur Förderung einer nachhaltigen Energieversorgung eingerichtet wurde, speist sich beispielsweise aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten. Der CO2-Preis sinkt jedoch kontinuierlich, da es eine überschüssige Menge an Zertifikaten im Markt gibt und sinkende Emissionen durch die wirtschaftliche Entwicklung die CO2-Preise weiter fallen lassen. Nur wenn es Europa gelingen sollte, die überschüssigen Zertifikate vom Markt zu entfernen und dynamische Emissionsobergrenzen definiert werden, kann der Markt funktionieren und die Preissignale können die richtigen Anreize setzen. Auf europäischer Ebene wehrt sich vor allem Polen gegen diese Maßnahmen. Derart niedrige CO2-Preise führen einerseits zu sinkenden Einnahmen im Energie- und Klimafonds. Andererseits machen sie den Bau von Kohlekraftwerken attraktiv. Beides ist für eine nachhaltige Energiewende problematisch.

Hoher Investitionsbedarf: über 200 Milliarden Euro bis 2022

In der Tat sind gewaltige Investitionen notwendig. Wird der Anteil erneuerbarer Energien verdoppelt, müssen bis zu 122 Mrd. Euro in den kommenden 10 Jahren in diesen Sektor investiert werden, so die Schätzung des Bundesumweltministeriums. Für den Netzausbau veranschlagt die Bundesnetzagentur eine Größenordnung von bis zu 25 Milliarden Euro in den kommenden 15 Jahren, die KfW beziffert die Kosten auf bis zu 75 Mrd. Euro. Für die energetische Gebäudesanierung werden pro Jahr bis zu 3,5 Milliarden Euro Fördermittel benötigt. Das sind zwei Milliarden Euro mehr als derzeit im Förderprogramm der KfW-Bank vorgesehen. Die benötigten Fördermittel könnten, ebenso wie die zusätzlichen Ausgaben für die Energieforschung, aus dem Verkauf der CO2 Emissionsrechte erwirtschaftet werden.

Für zusätzliche Gaskraftwerkskapazitäten von bis zu zehn Gigawatt müssen bis zu 15 Milliarden Euro investiert werden, und zwar von privaten Investoren wie Stadtwerken, sowie Infrastruktur- und Energieunternehmen. In der Summe kommt man so auf Investitionen von über 200 Milliarden Euro in den kommenden 10 Jahren. Am Anfang der Energiewende sind Stromproduktionskosten mittels erneuerbarer Energien relativ zu konventioneller Energie noch teurer. Doch durch steigende CO2 Preise werden Kohlekraftwerke wirtschaftlich tendenziell eher unattraktiver. Die Kosten für fossile Energien, insbesondere für Öl, werden steigen, die für erneuerbare Energien im Zeitablauf dagegen sinken. Durch den Umbau des Energiesystems und durch das Energiesparen können steigende Kosten aufgrund fossiler Energieträger vermieden werden.

Finanzkrise könnte Investitionen verzögern

Dennoch mehren sich mahnende Stimmen: Kann es sich Deutschland in Zeiten turbulenter Finanz- und Schuldenkrisen überhaupt leisten, eine Energiewende umzusetzen? Werden Unternehmen abwandern? Ist gar die Energiewende in Gefahr? Die Finanzkrise überschattet derzeit in der Tat die notwendigen Veränderungen der Energiewende. Die schreitet dennoch munter voran, insbesondere der Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch neue Kraftwerkskapazitäten als Ersatz für Atomkraft werden ausgebaut. Der Ausbau erneuerbarer Energien geht auch deshalb weiter, da die Förderung über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) weiterläuft, auch wenn es hier und da Anpassungen gibt. Die Fördersätze für Photovoltaik werden zwar gekürzt, um Belastungen gering zu halten. Dafür werden erhöhte finanzielle Anreize zum Ausbau der Windenergie und Biomasse geschaffen, die tragenden Säulen der geplanten Energiewende. Auch die finanziellen Belastungen vor allem energieintensiver Industrien werden im Zaum gehalten, denn es werden weiterhin die Ausnahmen bestehen bleiben– sei es für den Kauf der Emissionszertifikate, der Zahlung der EEG-Umlage oder aber die Ökosteuer.

Allerdings kann die Finanzkrise eine wichtige Achillesferse der Energiewende treffen: den dringend benötigten Ausbau der Infrastruktur, und zwar sowohl der sogenannten Stromautobahnen, die den Windstrom von Norden nach Süden transportieren, oder aber die Stromtrassen ins europäische Ausland als auch die Verteilnetze zur optimalen und intelligenten Kopplung von Stromangebot und –nachfrage. Wenn man bedenkt, dass der Bau der notwendigen Infrastruktur von der Genehmigung bis zur Inbetriebnahme bis zu 10 Jahre dauern kann, wird schnell deutlich, wie rasch die Investitionen getätigt werden müssen. Die Finanzkrise kann somit die notwendigen Investitionen verzögern.

Die Bundesregierung hat die Energiewende eingeleitet. Sie birgt enorme Herausforderungen, aber vor allem enorme Chancen. Eine kluge Energiewende kann zum Konjunkturmotor werden.

Die Energiewende ist ein Wachstumsmotor

Erneuerbaren Energien, neue Kraftwerke, Energieeffizienz, Gebäudesanierung und nachhaltige Mobilität: Die Energiewende bringt erhebliche Investitionen mit sich, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze bedeuten. Die deutsche Wirtschaft wird davon profitieren.

Hinzu kommt, dass Unternehmen schon seit längerem danach bewertet werden, ob sie in ihren mittel- und langfristigen Zielen eine nachhaltige Umwelt- und Energiepolitik verfolgen. Dabei werden nicht nur die Maßnahmen zur Verbesserung des Klimaschutzes in den Blick genommen, sondern auch die Frage nach der sozialen Verantwortung der Unternehmen gestellt. Firmen, denen es gelingt, die zentralen Herausforderungen des Klimaschutzes und des nachhaltigen Umgangs mit Energie und Rohstoffen zu bewerkstelligen, werden ohnehin marktwirtschaftlich die Nase vorn haben.

Eine kluge Energiewende birgt somit mehr wirtschaftliche Chancen als Risiken.

Zitat

Man muss unterscheiden zwischen Kosten und Investitionen. Investitionen in neue Zukunftsmärkte bringen Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Je mehr heimische Energieträger wir nutzen, desto weniger müssen wir importieren. Und je weniger Energie wir verbrauchen, desto mehr KOSTEN werden eingespart.

Claudia Kemfert Expertenchat zur Energiewende
Zitat

Neue AKWS sind nicht notwendig. In Kombination mit erneuerbaren Energien sind Gaskraftwerke viel besser geeignet, da sie flexibel hoch und runter gefahren werden können.

Claudia Kemfert Expertenchat zur Energiewende
Zitat

Was man benötigt ist eine gute und effektive Abstimmung von Angebot und Nachfrage, intelligente Netze, "Smart Grids". Durch eine kluge Steuerung könnte man dies effektiv gestalten.

Claudia Kemfert Expertenchat zur Energiewende

Weitere Inhalte

Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin.