Wohin mit den erneuerbaren Energien?
Neue Stromspeicher braucht das Land
Benjamin von Brackel
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Je schneller der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreitet, desto mehr nehmen auch die Schwankungen zu: Entweder ist zu viel Strom vorhanden oder zu wenig. Deswegen braucht es Stromspeicher. Ideen gibt es genug – doch nicht für jede ist die Zeit schon reif.
Eigentlich müsste sich Roland Thiel freuen. In den vergangenen Jahren sind um seine Stadt Pritzwalk im Nordwesten Brandenburgs Windräder wie Pilze aus dem Boden geschossen. Der Vizebürgermeister, der für die Planung in der Stadt zuständig ist, könnte sich brüsten: seine Kleinstadt ist zum Vorreiter der Energiewende geworden, für jeden sichtbar.
Doch die Stadt hat ein Problem: Immer öfter stehen die Windräder still. 2011 drehten sie sich an 42 Tagen nicht, obwohl der Wind wehte. 2012 waren es bis in den Oktober bereits 52 Tage. Die Anlagen wurden abgeschaltet, weil die Windenergie die Netze überlastet hätte.
Hier liegt eine der größten Herausforderungen der Energiewende: Was passiert, wenn der Wind bläst und die Sonne scheint, die Energiemengen aber nicht abgenommen werden können? Und was passiert anders herum, wenn mal kein Wind weht und Wolken die Sonne verdunkeln, aber Haushalte und Unternehmen nach Energie verlangen?
Schon heute stammen in Deutschland rund 25 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien. Bundesumweltminister Peter Altmaier will bis 2020 die 40 Prozentmarke erreichen – die Schwankungen der erneuerbaren Energien dürften also immer mehr zunehmen. Um die in den Griff zu bekommen, braucht es langfristig vor allem eines: Energiespeicher. Die Erkenntnis ist inzwischen auch in der Politik angekommen. Ein durchdachtes Konzept steht aber noch aus.
Einer, der das gerade ändern will, ist Michael Sterner. Der Ingenieur vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel arbeitet gerade an einem Fahrplan für die nächsten Jahrzehnte. Schon vor ein paar Jahren hat der 34-Jährige ein Verfahren entwickelt, das das Speicherproblem lösen könnte. Der Gedanke: Die elektrische Energie aus Windrädern und Solardächern in chemische Energie umzuwandeln, also in Erdgas. Denn anders als der Strom ist das künstlich hergestellte Erdgas ein hervorragender Speicher und kann je nach Bedarf wieder in Gaskraftwerken verstromt werden. Angesichts der Windräder, die heute schon stillstehen wie in Pritzwalk ein überfälliger Schritt? Sterner hat eine andere Botschaft: "Was wir heute brauchen sind keine Speicher, sondern Netze."
Phase I: Netze ausbauen
An einem Herbsttag sitzt er in einem Cafe am Potsdamer Platz in Berlin. Am nächsten Tag hat er einen Termin im Bundesumweltministerium, dann stellt er seinen Masterplan vor. Er kramt einen Zettel heraus, auf dem zwei Achsen eingezeichnet sind: Die eine bildet ab, wieviel Prozent des Stroms durch erneuerbare Energien abgedeckt sind. Auf der anderen steht, wann jeweils was zu tun ist, um das Speicherproblem in den Griff zu bekommen. Auf dem ersten Balken steht "Netze" geschrieben. Noch sei die Menge des Stroms, die abgeregelt und damit nicht verwendet werde, nur im Promillebereich – verglichen mit dem Verbrauch. "Sobald sie ein Netz hinlegen, ist der Überschuss weg", sagt Sterner. Interner Link: Die Deutsche Energie-Agentur schätzt, dass in den nächsten Jahren 4.000 bis 4.500 Kilometer neue Überlandleitungen nötig sind, um den Windstrom aus dem Norden in den Süden zu transportieren. Das allein könnte einen Großteil der heutigen Stromspitzen schlucken.
Phase II: Erzeugung flexibilisieren
Als nächsten Schritt könnte man Gas-, Braun- und Steinkohlekraftwerke so technisch umrüsten, dass man sie jederzeit an- und ausschalten kann. Heute ist das nur selten möglich, da die Kraftwerke für die Grundlast-Versorgung gebaut sind. "Kraftwerke flexibilisieren" steht auf einem nächsten Balken auf Sterners Zettel.
Phase III: Verbrauch flexibilisieren
Auf dem nächsten Balken steht "Nachfrage flexibilisieren, Lastmanagement ausbauen". Das betrifft zum Beispiel Kühlschränke oder Waschmaschinen, die sich je nach Spitzenlastzeiten und per Fernsteuerung ein- oder ausschalten, es sei denn, deren Benutzer müssen gerade dann waschen. Sie zahlen in dem Fall, so eine Idee, einen Aufpreis.
Phase IV: Neue Speicher entwickeln
Die überschüssige elektrische Energie lässt sich aber auch direkt in Wärme umwandeln wie bei einem Fön (Power-to-Heat). Sterner zeigt auf die Heizpilze, die vor dem Cafe auf der anderen Straßenseite stehen. Die Energie könne man aber auch in ein Fernwärmenetz einspeisen. "Wirtschaftlich würde sich das sofort rechnen, aber regulativ ist das sehr schwierig", sagt Sterner. Dabei könnten Städte wie Berlin enorm davon profitieren, da im Umland viele Windräder rotieren.
Batterien
Um Tagesschwankungen auszugleichen, bieten sich auch Batterien an: Sollten eines Tages tausende Elektroautos auf deutschen Straßen fahren, könnten deren Besitzer sie als Stromspeicher verwenden. Bis 2020, sagt Kanzlerin Angela Merkel, sollen eine Million Elektroautos durch das Land kurven. Derzeit sind es aber nicht mal 5.000. Der große Schub lässt auf sich warten.
Wenn aber der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbauch die 60-Prozent-Marke knackt, reichen all die Maßnahmen ohnehin nicht mehr aus. Dann sind die Überschüsse zu groß. Und es braucht Großspeicher.
Pumpspeicherwerke
Der Klassiker in Deutschland ist das Pumpspeicherwerk: Wenn es zu viel elektrische Energie gibt, befördern Pumpen Wasser über Röhren einen Berghang hinauf in einen Stausee. Benötigt man die Energie wieder, lässt man das Wasser einfach wieder ab und treibt dabei Turbinen an, die Strom erzeugen. Deutschland besitzt derzeit eine Kapazität von etwa sieben Gigawatt, soviel wie etwa sieben große Kraftwerke. Entleert man alle auf einmal, könnten sie 0,04 Terawattstunden bereitstellen und damit helfen, die Tagesschwankungen auszugleichen. Um aber einen Ausfall der erneuerbaren Energien von einer Woche zu kompensieren, wären etwa 20 Terawattstunden nötig.
Da hilft es auch nicht viel, dass in Atdorf mitten im Schwarzwald das größte Pumpspeicherwerk Deutschlands entstehen soll, mit 1,4 Gigawatt Leistung. Im Hotzenwald nahe der Schweizer Grenze will eine Tochter der Energieversorger RWE und EnBW in 1.000 Metern Höhe ein 1.100 mal 400 Meter großes Betonbecken bauen sowie ein zweites 600 Meter tiefer. Und den Abhau, so der Name des Bergs, kappen und teils aushöhlen. Bürger befürchten, dass hunderte Hektar Wald verschwinden, Bergquellen versiegen und Niedermoore austrocknen. Ob es tatsächlich gebaut wird, ist unsicher. Die Investoren bezweifeln inzwischen, ob sich das Werk überhaupt lohnt. Viele hoffen deswegen auf Norwegen. Das Land ist reich an Gebirgen und Seen. Aber auch dort könnten sich die Bürger quer stellen.
Druckluftspeicher
Einen geringeren Eingriff in die Natur bieten die Druckluftspeicher. Das Prinzip: der überschüssige Strom treibt eine Pumpe an und die presst Luft unter einem Druck von 70 Bar in einen Hohlraum unter die Erde. Bei Bedarf lässt sich die Luft wieder zurückführen und dabei eine Turbine antreiben, die über einen Generator Strom erzeugt. Im niedersächsischen Huntorf läuft seit 1978 ein kombiniertes Druckluftspeicher- und Gasturbinenkraftwerk mit einer Leistung von 0,3 Gigawatt.
Ähnlich der deutschen Pumpspeicherwerke fehlt aber die Kapazität, um Schwankungen auszugleichen, wenn die erneuerbaren Energien erst einmal einen Anteil von 60 bis 80 Prozent am Stromverbrauch erreicht haben. 2025 bis 2030 könnte das soweit sein, schätzt Michael Sterner.
Power-to-Gas
Dann müssen entweder die Pumpspeicherwerke in Norwegen die Schwankungen in Deutschland über Stromkabel ausgleichen. Oder das Verfahren muss ausgereift sein, das Michael Sterner 2008 auf den Weg gebracht hat: Power-to-Gas nennt es sich. "Es ist die einzige nationale Lösung für das Langzeit-Speicher-Problem", sagt Sterner.
Angefangen hat alles mit einer Begegnung im Jahr 2008. Während einer Biomassekonferenz in Valencia kam ein Wissenschaftler auf Michael Sterner zu, der eine Idee parat hatte, wie man überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien nutzen und sich gleichzeitig gegen Wind- und Sonnenflauten wappnen könnte. Er hieß Michael Specht und arbeitete am Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung in Stuttgart. Sein Plan, für den er Sterner brauchte: In einem ersten Schritt leitet man den überschüssigen Strom aus Wind- und Solarkraftwerken in Wasser und erzeugt so Sauerstoff und Wasserstoff – Elektrolyse nennt sich das Verfahren. Allein der Wasserstoff ließe sich vielfach einsetzen: Er kann Heizungen befeuern, Wasserstoff-Fahrzeuge antreiben – oder ins Erdgasnetz eingespeist werden. Allerdings nur zu etwa fünf Prozent, da Wasserstoff eine geringere Energiedichte als Erdgas hat und dessen Qualität mindert.
Deswegen hat Specht schon an den nächsten Schritt gedacht: Lässt man den Wasserstoff mit Kohlenstoffdioxid aus der Luft oder aus Fabrikschloten reagieren, dann entsteht Methan – im Grunde nichts anderes als Erdgas. Und das lässt sich praktisch unbegrenzt ins Erdgasnetz mit seiner enormen Kapazität von 220 Terawattstunden einspeisen; solange, bis die nächste Stromflaute anrollt. Dann lässt sich das Methan wieder in Gaskraftwerken verfeuern und damit Strom erzeugen. Sterner hört sich die Ideen von Specht an – und ist überzeugt.
Also tun sich der Elektrotechniker und der Chemiker zusammen. Für das Fachmagazin Solarzeitalter stellen sie das Power-to-Gas-Verfahren 2009 vor und bringen im selben Jahr die erste Demonstrationsanlage in Stuttgart auf den Weg. Sterner reist von Vortrag zu Vortrag, er stattet Energiekonzernen Besuche ab, Unternehmen, Ministerien und Verbänden. Seine Hartnäckigkeit und Spechts Fachwissen über das chemische Verfahren zahlen sich aus: Bald schon wird die nächste Pilotanlage im hessischen Bad Hersfeld geplant, eine im niedersächsischen Werlte und erneut eine in Stuttgart.
Im Herbst 2012 folgt der Spatenstich für eine Anlage im brandenburgischen Pritzwalk, wo sich Roland Thiel über die stillstehenden Windkraftanlagen ärgert. Hier im Gewerbegebiet im Stadtteil Falkenhagen baut E.ON eine Pilotanlage, die mit überschüssiger Energie aus Windkraftwerken Wasserstoff erzeugt. Ein erster Schritt. Für die Idee, die Anlage später für eine Methanisierung zu erweitern, zeigen sich die Planer offen. Pritzwalk scheint wie gemacht für den Plan: An der Stadt vorbei führt eine Ferngasleitung.
Noch aber müssen die Kinderkrankheiten der Power-to-Gas-Technik überwunden werden: Die Anlagen müssen sich je nach Bedarf schnell hoch und runter fahren lassen und vor allem bezahlbar werden. Daran wird derzeit getüftelt.
2013 will Audi eine 6 Megawatt-Anlage im niedersächsischen Werlte in Betrieb nehmen, die mit Strom aus Wind- und Solarkraftwerken künstliches Erdgas herstellen und das ins Erdgasnetz einspeisen soll. Das Besondere dabei: Das Kohlenstoffdioxid wird nicht aus der Luft gefischt, sondern direkt aus einer Biogasanalge auf demselben Gelände. Und im Prinzip ständen heute schon gut 7.500 Biogasanlagen zur Verfügung, um das klimaschädliche Gas abzutrennen und in großer Menge zu verwenden. Das ist nötig, um den Wasserstoff in Methan umzuwandeln. Das Verfahren an sich ist altbekannt und hat sich bewährt. Allerdings benötigt es Katalysatoren, einen hohen Druck und hohe Temperaturen.
Deswegen hat Ulrich Schmack, der Geschäftsführer einer Firma für Heiztechniksysteme, Mitte 2012 ein Konzept vorgestellt, bei dem die Methanisierung nicht chemisch, sondern biologisch abläuft: Hoch spezialisierte Mikroorganismen fressen das CO2 und den Wasserstoff und produzieren dabei Methan zu 100 Prozent. Und das alles bei viel geringerer Temperatur und Druck.
Hundert-Speicher-Programm
Ob sich das Power-to-Gas-Verfahren am Ende durchsetzt, entscheidet sich aber vor allem daran, ob es sich für Unternehmen lohnt. Das wird wohl erst der Fall sein, wenn es gewaltige Stromüberschüsse gibt, denn bei der Rückverstromung des synthetischen Erdgases liegt der Wirkungsgrad bei gerade mal 36 Prozent. Michael Sterner plädiert deswegen dafür, das Verfahren erst für die Chemieindustrie und Kraftstoffe für Erdgas-Autos zu nutzen – denn dort ließen sich auch Gewinne erzielen. Bei den Speichern dürfte das noch über ein Jahrzehnt dauern, schätzt der Wissenschaftler. Noch ist das Gas aus Russland einfach zu billig, im Gegensatz zum synthetischen Erdgas. Wenn die erneuerbaren Energien aber erst einmal einen Anteil von mehr als der Hälfte am Stromverbrauch ausmacht, würde etwa ein Hundert-Speicher-Programm vonseiten der Politik sinnvoll sein, empfiehlt Sterner – also die staatliche Förderung der ersten hundert Power-to-Gas-Anlagen.
Inzwischen sorgt er sich nicht mehr um sein Projekt. "Die Sache ist angelaufen und ich lasse sie laufen", sagt Sterner. Weniger Geduld hat Roland Thiel im brandenburgischen Pritzwalk. Er hofft, dass es nicht nur bei der Pilotanlage bleibt, sondern diese später zur Großanlage ausgebaut wird und über das lokale Erdgasnetz die Stadt mit billigerer Energie beliefert. Dann ließe sich den Bürgern auch leichter erklären, welchen Sinn all die Windräder vor der Stadt haben. Vor allem, wenn sich diese wieder öfter drehen.
Benjamin von Brackel (*1982) ist freier Journalist in Berlin und schreibt u.a. über Energiepolitik und die Energiewende. In Erlangen und Berlin hat er Politikwissenschaften studiert und in München die Deutsche Journalistenschule besucht. mehr unter: Externer Link: www.benjaminvonbrackel.de
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