Wie kommt es zu Staatsschulden? Der Staat erzielt jedes Jahr Einnahmen, indem er Steuern erhebt. Einen großen Teil machen dabei Lohnsteuern aus, also Steuern auf das Arbeitseinkommen. Diese Steuern werden erst ab einem bestimmten Einkommen erhoben – Minijobber*innen und Geringverdiener*innen zahlen keine Einkommenssteuer. Es gibt aber auch Steuern, die alle in dem Land zahlen, zum Beispiel die Mehrwertsteuer, die auf jeden Einkauf erhoben wird. Mit seinen Einnahmen bestreitet der Staat seine Ausgaben. Der Staat gibt Geld zum Beispiel für den Bau von öffentlicher Infrastruktur wie Straßen, Schienen oder auch digitale Infrastruktur, die Verteidigung des Landes oder das Bereitstellen von Bildung und Sicherheit – also Schulen, Universitäten und Polizei aus. Zusätzlich zahlt der Staat Bedürftigen eine Grundsicherung und übernimmt einen gewichtigen Teil der Zahlungen an die Rentner*innen. Hat der Staat mehr Ausgaben als Einnahmen, muss er diese Differenz finanzieren, indem er Kredite aufnimmt. Diese Kredite sind die Schulden des Staates.
Wie ist die Schuldenbremse entstanden?
Die Parteien, die an der Regierung sind, nehmen in ihren politischen Programmen dazu Stellung, wie hoch sie die Steuern setzen wollen und welche Ausgaben sie in welcher Höhe tätigen möchten. Viele Wirtschaftswissenschaftler*innen geben dabei zu bedenken, dass vor allem vor der nächsten Wahl von den politischen Programmen die Punkte umgesetzt würden, die sich positiv auf die Beliebtheit der Politiker*innen auswirken. Das sind dann Maßnahmen, die zu geringeren Staatseinnahmen führen, zum Beispiel Steuersenkungen, oder Maßnahmen, die zu höheren Ausgaben führen, zum Beispiel ein höheres Bürgergeld. Um den Unterschied zwischen Einnahmen und Ausgaben auszugleichen, müssen dann neue Kredite aufgenommen werden. Das verdeutlicht, dass Politiker*innen einen Anreiz haben, neue Schulden aufzunehmen: Kurzfristig eröffnen sich ihnen Handlungsspielräume, die Schulden werden dagegen die späteren Regierungen und Generationen zurückzahlen müssen. Deswegen wurde und wird die Möglichkeit, neue Schulden aufzunehmen, durch Gesetze begrenzt.
In der Bundesrepublik galt bis 2009 die sogenannte Goldene Regel, die die Aufnahme von Schulden lediglich für zwei Dinge erlaubt hat: für neue Investitionen und für Konjunkturpolitik, um wirtschaftliche Einbrüche zu bekämpfen.
Beides – so die Kritik – war aber nicht eindeutig genug formuliert, sodass Politiker*innen regelmäßig diese Regel umgingen und der Schuldenstand der Bundesrepublik in den 1970er und 1990er Jahre stark anstieg. Deswegen kam es in den Jahren 1989 und 2007 zu zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, in dem die Regierung verpflichtet wurde, eine eindeutigere Formulierung der Begrenzung der Aufnahme neuer Schulden vorzunehmen. Dem Gericht ging es dabei explizit darum, zukünftige Generationen und deren Regierungen vor zu hohen Schulden zu schützen. In diesem Sinn ist die Schuldenregel der Bundesrepublik, die im Mai 2009 von einer großen Mehrheit des Bundestages verabschiedet und in das Grundgesetz aufgenommen wurde, ausgestaltet: Sie soll das Wachstum der Schulden des Staates bremsen. Deswegen der Name: Schuldenbremse.
Zwei Komponenten – und eine Ausnahme
Konkret besteht die Schuldenbremse aus zwei Teilen. Der erste Teil erlaubt jedes Jahr die generelle Aufnahme von neuen Schulden in Höhe von bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Diese Kreditaufnahme ist unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Situation. 2020 erlaubte dieser Teil – die sogenannte Strukturkomponente – der Schuldenbremse die Aufnahme von Krediten in Höhe von etwas mehr als 10 Milliarden Euro.
Der zweite Teil erlaubt es der Regierung, auf die konjunkturelle Lage zu reagieren. Zum Beispiel soll die Regierung in einer Rezession, in der es zu wenig gesamtwirtschaftliche Nachfrage gibt, mit Hilfe einer höheren Nachfrage durch den Staat die Wirtschaft unterstützen können. Dazu muss sie für die höheren Ausgaben nicht sofort Einnahmen generieren. Der zweite Teil der Schuldenbremse wird deswegen als Konjunkturkomponente bezeichnet. Deren Berechnung folgt einer Formel, die die Abweichungen des konjunkturellen Verlaufs vom Potenzial der Wirtschaft misst. Liegt die tatsächliche Wirtschaftsleistung unter ihrem errechneten Potenzial, darf die Regierung mehr Schulden machen. Diese Komponente ist symmetrisch gestaltet, das heißt, im Gegenzug müssen in wirtschaftlich guten Zeiten konjunkturell bedingt aufgenommene Schulden wieder abgebaut werden. Zentral in dieser Berechnung ist die genaue Definition des wirtschaftlichen Potenzials. Hierzu wird geschätzt, welche Größe die deutsche Wirtschaft hätte, wenn es Vollbeschäftigung im Arbeitsmarkt und einen effizienten Einsatz des Kapitals geben würde.
Die Schuldenbremse verfügt auch über eine Ausnahmeklausel für Notfälle. Dazu gehören Naturkatastrophen, Kriege und Pandemien. Der Bundestag hat im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie 2020 und 2021 sowie nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 beschlossen, dass Ausnahmesituationen vorliegen. Dadurch finanzierte der Staat wirtschaftliche Impulse wie das Kurzarbeitergeld und diverse Konjunkturpakete während der Pandemie sowie die Strom- und Gaspreisbremsen in Folge des Ukraine-Kriegs.
Was spricht für die Schuldenbremse?
In den vergangenen Jahren hat sich an der Schuldenbremse und deren Auswirkung auf den Gestaltungsspielraum der Politik immer wieder Streit entzündet. Zuletzt eskalierte der Streit im November 2024 mit der Entlassung des Bundesfinanzministers durch den Bundeskanzler. Welche Argumente haben beide Seiten? Befürworter der Schuldenbremse, wie der ehemalige Finanzminister, verweisen zum einen darauf, dass es Deutschland in den schweren Krisen möglich war, schnell und zu niedrigen Zinsen neue Kredite aufzunehmen. Ursächlich dafür sei der geringe Schuldenstand des Landes gewesen. Mit etwa 60 Prozent Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung lag Deutschland zu Beginn der Pandemie weit unter der Schuldenquote Frankreichs oder Italiens. Tatsächlich weist eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nach, dass Länder, die eine Schuldenbremse besitzen, wesentlich besser durch Wirtschaftskrisen kommen als Länder, die keine Schuldenbremse besitzen. Der Grund dafür liegt in der besseren Kreditwürdigkeit – hier unterscheiden sich Länder nicht von Haushalten und Unternehmen: Je mehr Schulden sie haben, umso vorsichtiger werden die Banken, ihnen weiteres Geld zu leihen.
Zum zweiten verweisen die Befürworter der Schuldenbremse darauf, dass die Regierung eigentlich genug Geld zur Verfügung habe – immerhin betragen die Steuereinnahmen des Bundes 2024 etwa 375 Milliarden Euro. Sollte sich die Regierung nicht doch besser überlegen, was ihr wichtig ist und wofür sie wieviel Geld ausgeben will, statt neue Schulden zu machen und diese den nächsten Generationen zu hinterlassen?
Was spricht gegen die Schuldenbremse?
Auf der anderen Seite verweisen Kritiker*innen darauf, dass die Schuldenbremse zwar die Schulden erfolgreich eingebremst habe, dies aber auf Kosten der Investitionen in die Infrastruktur geschehen sei. Die offensichtlichen Symbole für die fehlenden Investitionen der letzten Jahre sind die Deutsche Bahn und ihr Schienennetz, marode Brücken und Straßen, die angezweifelte Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sowie die langsamen Internetverbindungen in weiten Teilen des Landes. Mit anderen Worten: Es gibt zwar keine neuen Schulden, aber die unterlassenen Investitionen schaden den nächsten Generationen ebenso. Deswegen schlägt zum Beispiel der Sachverständigenrat Wirtschaft („Wirtschaftsweise“) vor, die Schuldenbremse mit einer Investitionsregel beziehungsweise einer Mindestausgabenquote in Bereichen wie Bildung und Verteidigung zu versehen, die die Regierung verpflichtet, neben den Ausgaben für den Staatskonsum Geld in die Infrastruktur des Landes zu investieren.
In diesem Zusammenhang wird ebenfalls auf eine einseitige Denkweise hinter der Schuldenbremse verwiesen. Sie misst die Bürde für die folgenden Generationen, indem sie auf die Staatsschulden des Landes abstellt. Allerdings lässt diese Denkweise die Klimakrise außer Acht. Was nützt es den folgenden Generationen, wenn die Schulden gering sind, Maßnahmen für die Eindämmung des Klimawandels aber aufgrund von fehlenden Investitionen unterlassen werden? Deswegen fordern Kritiker*innen, statt einseitig auf das Staatsbudget abzustellen, das planetare Budget mit einzubeziehen.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Ausgestaltung der konjunkturellen Komponente der Schuldenbremse, die es dem Staat erlaubt, in einer schlechten konjunkturellen Lage Schulden aufzunehmen, um der Wirtschaft durch eine erhöhte staatliche Nachfrage Impulse zu geben. Diese Komponente sollte großzügiger ausgestaltet werden, sagen Kritiker*innen.
Zuletzt darf in der Diskussion um Staatsschulden nicht vergessen werden, dass sie auch für das Funktionieren der Wirtschaft benötigt werden. Wie oben erwähnt, gelten die Schulden Deutschlands als sehr sicher, das heißt, sie werden sicher zurückgezahlt. Diese Art von Schuldtiteln oder auch Anleihen werden in der Ökonomie von Institutionen wie Geschäftsbanken und Versicherungen benötigt, um das Geld ihrer Sparenden sicher anzulegen. Die Jahre nach der Staatsschuldenkrise ab 2010 mit einer negativen Verzinsung der deutschen Staatsanleihen haben diese Nachfrage nach Sicherheit sehr gut vor Augen geführt: Damals konnte der deutsche Staat sogar verlangen, dass die Institutionen ihm Geld zahlen, damit sie ihm Geld leihen können!
Zinsen statt Schuldenstand
Nicht nur dieses Beispiel zeigt, dass es die Zinsen sind, die die Tragfähigkeit von Schulden messen. Sie hängen von der Höhe der derzeitigen Schulden ab, aber vor allem von dem Ausblick, ob das Land in der Lage ist, seine Schulden zurückzuzahlen. Selbst ein geringer Schuldenstand kann in einem Land mit schlechter Infrastruktur nicht mehr zu bezahlen sein und zu hohen Zinszahlungen führen. Auf der anderen Seite können wirtschaftlich starke Staaten auch mit einem hohen Schuldenstand zurechtkommen. Zinsen sind in diesem Sinn vorausschauender als die Schuldenbremse. Deswegen ist ein weiterer Vorschlag, die Schuldenbremse so zu verändern, dass sie die Zinsen mit in Betracht zieht, die der deutsche Staat zahlen muss. Das hat den Vorteil, dass Politiker*innen automatisch zu Investitionen angehalten werden, weil die Einschätzung der Tragfähigkeit der deutschen Staatsschulden davon abhängig ist, wie gut die Infrastruktur und Ausbildung des Landes ist, wie Deutschland mit den Herausforderungen des Klimawandels umgeht und inwiefern sich Deutschland im Notfall verteidigen kann.
Die Schuldenbremse wurde eingeführt, um zu verhindern, dass Politiker*innen, statt sich an ihr Budget zu halten, Kredite aufnehmen, die spätere Generationen zurückzahlen müssen. Seitdem wurde die Neuaufnahme von Schulden außerhalb der Krisenzeiten kleiner. Allerdings wurde nicht der Staatskonsum geringer, sondern Investitionen unterlassen, was ebenfalls zu einer Belastung der nächsten Generationen führt. Deswegen ist die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form so umstritten.