Natur als ein Ort der Freiheit von alltäglichen sozialen Ausgrenzungen
Potenziale für den Naturschutz und die Soziale Arbeit
Hans-Werner FrohnProf. Dr. Hans-Peter Ziemek
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Im Bereich des Naturschutzes gibt es ein weit verbreitetes Vorurteil: sozioökonomisch benachteiligte, bildungsferne Menschen würden sich durch Naturferne und Rückzug ins Private auszeichnen. Die Studie "Perspektivwechsel" zeigt, dass dies so nicht stimmt, sondern davon abhängt, wie Projekte für Naturerlebnisse gemeinsam mit den Menschen gestaltet werden.
Die Soziale Frage, aber auch die Naturfrage stehen in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Agenda zu lösender staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Problemlagen. Beide Komplexe setzten sich mit unterschiedlichen Folgen der sich ausprägenden Industriemoderne auseinander. Dass beide Problematiken nahezu zeitgleich auftraten, verdeutlicht u. a. die Gründung zweier noch heute tätiger Verbände: Im November 1897 gründete sich der "Charitasverband für das katholische Deutschland" – die heutige Caritas – und im Februar 1899 der Externer Link: "Bund für Vogelschutz", aus dem der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hervorging.
Zwischen beiden Problemlagen bestand und besteht auch ein kausaler Zusammenhang: Die Industriemoderne entfaltete sich in Deutschland auf der Basis grundlegender agrarstruktureller Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das Ende der Gutsherrschaft und der Interner Link: Allmenden lösten eine Intensivierung in der Landwirtschaft aus – mit zwei sehr unterschiedlichen Folgen. Bezogen auf die Soziale Frage hieß dies, dass Angehörige unter- und kleinbäuerlicher Schichten kein ausreichendes Auskommen mehr erzielen konnten und in entstehende Ballungsräume strömten, in denen die Industrialisierung einsetzte. Dort fristeten sie als industrielles Proletariat unter katastrophalen Arbeits-, Wohn-, Lebens-, aber auch Umweltbedingungen ihr Dasein. Die Intensivierung in der Landwirtschaft führte wiederum zu erheblichen Belastungen der Natur, wie Artenrückgänge bzw. -sterben, Zerstörung des Landschaftsbildes etc.
Die gerade erwähnten sozialen Bewegungen, aber auch zivilgesellschaftliche und staatliche Organisationen agierten mindestens bis zur Verabschiedung des von der Weltgemeinschaft Interner Link: 1992 in Rio de Janeiro im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) vereinbarten Prinzips der nachhaltigen Entwicklung getrennt, d. h. sie hatten nur ihren jeweiligen Problembereich im Blick; der kausale Zusammenhang blieb also ausgeblendet. Dazu trug auch eine unausgesprochene räumliche Zuständigkeitsverteilung bei: Lange Zeit wirkten Akteure der Sozialen Arbeit ganz überwiegend in den Städten, während die des Naturschutzes sich um die Landschaft außerorts kümmerten. Und nicht zuletzt bewirkten – wie noch zu zeigen sein wird – organisationsstrukturelle, mentale (geistige) und habituelle (gewohnheitsmäßige) Hürden, dass eine Zusammenarbeit beider Bereiche nur höchst selten zustande kam.
Das Narrativ 'bildungsfern = naturfern'
Ein Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit liegt in dem sowohl im Naturschutz als auch in der Sozialen Arbeit verbreiteten Narrativ (sinnstiftende Erzählung, Vorurteil), wonach sozioökonomisch benachteiligte bildungsferne Menschen sich durch eine Naturferne auszeichnen. Die Erzählung von der Naturferne entstand schon während der Anfänge des Naturschutzes und hält sich bis heute hartnäckig. Die Ergebnisse der seit 2009 zweijährlich erhobenen Daten der Externer Link: Naturbewusstseinsstudien des Bundesumweltministeriums zu den Milieus im unteren Drittel der Gesellschaft, insbesondere die zum Indikator "Bewusstsein für biologische Vielfalt", scheinen dieses Narrativ alle zwei Jahre erneut zu bestätigen.
Auch im Bereich der Sozialen Arbeit ist das Narrativ von der Naturferne sozioökonomisch benachteiligter Menschen verbreitet. Hier lauten die Debattenbegriffe u. a. "Verhäuslichung" oder "Rückzug ins Private". So konstatiert ein in der Familienbetreuung bzw. -bildung wirkenden Akteur bei sozialökonomisch benachteiligten Familien "eine tiefer verankerte naturdistanzierende Überzeugung bzw. Habitusformation" (unbewusste Einstellungen und Verhaltensmuster).
Gegen dieses immer wieder tradierte Narrativ stehen aber historische Erfahrungen. Zu nennen ist hier zum einen der in Österreich gegründete "Touristenverein 'Die Naturfreunde'" (1895), gleichsam der proletarische Arm der Naturschutzbewegung, der seit 1905 auch in Deutschland aktiv war. Zum anderen entwickelten Teile des bürgerlichen Naturschutzes bereits im Kaiserreich sozialpolitische Konzepte, auf deren Basis in der Weimarer Republik konkrete sozialpolitische Aktivitäten – wie die des "Volksbundes Naturschutz" – aufbauten.
Narrative können aber den Blick auf die Realität verstellen, so die Ausgangsthese der von den beiden Autoren verantworteten qualitativen Studie "Perspektivwechsel. Naturpraktiken und Naturbedürfnisse sozialökonomisch benachteiligter Menschen". Um sich dieser Wirklichkeit zu nähern, erschien es sinnvoll, die gewohnte Perspektive aufzugeben, d. h. sozioökonomisch benachteiligte Menschen nicht als Objekte anzusehen, sondern Angehörigen dieser Zielgruppe die Möglichkeit zu eröffnen, mit ihren Worten eigene Naturpraktiken, Naturerfahrungen und -bedürfnisse zu artikulieren. Dazu wurde ein der Zielgruppe angepasstes Methodenset entwickelt: Die Methoden der Studie waren problemzentrierte Interviews, kommentierte Fotodokumentationen und Gruppendiskussionen. Dieser Methodenmix sollte im Sinne einer Triangulation (Kombination mehrerer Forschungsmethoden) unterschiedliche Perspektiven auf denselben Untersuchungsgegenstand ermöglichen.
Ein interdisziplinäres (fächerübergreifendes) Team gewann zwischen 2017 und 2019 in Gelsenkirchen, Köln und Leipzig über Tafeln zur Verteilung von Lebensmitteln oder Wohlfahrtsorganisationen über hundert Personen, die bereit waren, an der Studie teilzunehmen. 69 von ihnen erfüllten unbestreitbar die soziodemografischen Vorgaben (maximale Höhe von Transferleistungen). Die Altersspannbreite lag zwischen 26 und 82 Jahren. Das Durchschnittsalter betrug 47 Jahre. 15 Personen wiesen einen Migrationshintergrund auf.
QuellentextStudienergebnisse: Natur als Ort der 'Freiheit'
Die Kernergebnisse der Studie sind:
Bei allen Teilnehmenden lassen sich konkrete Praktiken des alltäglichen Naturerlebens feststellen.
Dieses Naturerleben stellt für sie eine Form der Lebensqualität dar.
Alle Teilnehmenden hatten konkrete Vorstellungen von Natur.
Teilnehmende sehen Natur entweder implizit oder explizit als ein Gemeingut an, d. h. "Natur ist für alle da!"
Sie eignen sich Natur selbstbestimmt an.
Es herrschen konkrete Bedürfnisse nach Naturerleben. Dabei stellt Natur einen Kompensationsort für im Alltag erlebte soziale Ausgrenzungen dar. Natur erleben Teilnehmende implizit oder explizit als 'Ort der Freiheit'.
Das alltägliche Naturerleben findet ganz überwiegend in der Nähe ihrer Wohnungen statt.
Diese Gemeinsamkeiten lassen aber nicht den Schluss zu, es handele sich um eine homogene (einheitliche) Gruppe:
Bei den Teilnehmenden besteht ein breites Spektrum von Naturvorstellungen, das weitgehend dem entspricht, was auch in der Gesamtgesellschaft anzutreffen ist.
Die Intensität und die Art und Weise des Naturerlebens sind sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Das Team unterschied schließlich folgende fünf Typen des alltäglichen Naturerlebens:
QuellentextFünf Typen des alltäglichen Naturerlebens
schön und gut, aber anderes ist wichtiger
pragmatisch-genügsam
Ordnung muss sein!
Natur als Projektionsfläche und Sehnsuchtsort
Natur aktiv aufsuchend, nutzend und bearbeitend
Potenziale für die Umweltbildung und die Soziale Arbeit
Die Befunde der qualitativen Studie bieten großes Potenzial sowohl für die Arbeit im Naturschutz als auch in der Sozialen Arbeit. Angebote für sozioökonomisch benachteiligte Menschen rund um die Natur – von der Naturerfahrung bis zum aktiven Schutz der Natur – werden angesichts der bei ihnen nachweisbaren positiven Konnotation (Begleitvorstellung, Bewertung) von Natur bzw. hinsichtlich deren Schutzes auf fruchtbaren Boden fallen. Solche Angebote lägen dabei im beiderseitigen Interesse von Anbietern aus dem Naturschutz und der Sozialen Arbeit, denn sie dienen dem Erreichen der jeweiligen Ziele, wie weiter unten noch detaillierter erläutert wird.
Erfolgversprechend erscheint bezogen auf den Naturschutz allerdings nur eine aufsuchende Umweltarbeit. Konkret heißt dies, dass Naturschutzakteure ihre Projekte direkt vor Ort, also im Wohnumfeld der Zielgruppe, platzieren müssten.
Zitat
Naturschutzakteure müssen ihre Projekte direkt vor Ort, im Wohnumfeld der Zielgruppe platzieren.
Sie werden aber die angesprochene Zielgruppe kaum direkt erreichen können,sondern werden einen Zugang zu diesen Menschen am besten über die Träger der Sozialen Arbeit herstellen können, weil sie mit diesen u. a. wegen Beratungs- oder Unterstützungsleistungen in Kontakt stehen. Also liegt eine Kooperation mit den Akteurinnen und Akteuren der Sozialen Arbeit im Interesse des Naturschutzes.
Eine Kooperation läge aber auch im Interesse der Sozialen Arbeit und ihrer Zielsetzungen. In Kooperation angebotene Bemühungen um den Schutz der Natur würden aus Sicht der Sozialen Arbeit bei sozioökonomisch benachteiligten Menschen bewirken, dass diese ihre Selbstwirksamkeit unmittelbar erfahren würden. Solche Kooperationen ließen sich also als Teil der Interner Link: Empowermentarbeit konzipieren.
Hürden für eine Zusammenarbeit
Idealtypisch erscheinen Kooperationen zwischen dem Naturschutz und der Sozialen Arbeit naheliegend. In der Realität kommen diese jedoch kaum zustande. Dies hat mental-habituelle und organisationsstrukturelle Gründe.
Eine mentale Hürde stellt das erwähnte Narrativ von der Naturferne dar. Die Erzählung lässt es sowohl aus der Sicht der Sozialen Arbeit als auch aus der des Naturschutzes wenig sinnvoll erscheinen, Angebote im Kontext Natur zu konzipieren, fielen diese dann doch nicht auf fruchtbaren Boden. Dabei verstellt das Narrativ aber den Blick auf die Realität, d. h. auf die über die Studie "Perspektivwechsel" nachgewiesenen
konkreten Praktiken des alltäglichen Naturerlebens,
die vorhandenen Naturbedürfnisse und
die offensichtlich vorhandene Bereitschaft, für den Schutz der Natur einzutreten.
Gegen das Narrativ unterbreiten erste Umweltbildende, aber auch Akteure aus der Sozialen Arbeit, Naturerfahrungsangebote für die Zielgruppe. Die Nachfrage hält sich in Grenzen. In der Umweltbildung gilt die Zielgruppe wegen ihrer starken Konsumorientierung als "schwierige Kunden". Sie dürften aber auch wegen der Erwartungshaltung vieler Umweltbildenden an ihre "Kunden" als "schwierig" gelten. Die präsentierten Studienergebnisse zu den Naturerfahrungen und -bedürfnissen bei Umweltbildenden evozierten (verursachen) reflexartig die Bemerkung "Das ist ja alles nur grün!"
Zitat
Dabei ist die dahinterstehende Erwartungshaltung offenbar die, dass sozialökonomisch benachteiligte Menschen die städtische Natur und deren Biodiversität ähnlich wahrnehmen und schätzen müssten wie Naturschützerinnen und Naturschützer. Wenn sie also während ihrer Aufenthalte in der Stadtnatur nicht in der Lage sind, die jeweilige Biodiversität der unterschiedlichen Grün- und Freiflächen wahrzunehmen oder Arten in Fauna und Flora nicht unterscheiden können, dann würden sie Natur eigentlich auch nicht erleben und schätzen. Wer sich aus diesem mentalen Gedankenkorsett nicht befreien kann, verkennt das naturschützerische Potenzial.
Doch auch in der Sozialen Arbeit verstellt das Narrativ von der Naturferne den Blick auf die Zielgruppe. So veröffentlichte 2018 beispielsweise ein Akteur aus der Familienbildung einen Beitrag über von ihm angebotene Naturerfahrungen für prekär (d. h. in schwieriger finanzieller Lage) lebende Familien. In seinen theoretischen Erörterungen bezieht er sich auf vorliegende Literatur zu Einstellungen sozialökonomisch benachteiligter Menschen zur Natur. Danach liege bei ihren Familien "eine tiefer verankerte naturdistanzierende Habitusformation" vor. Diese sieht er durch seine Projektarbeit bestätigt. Dabei stehen seine konkreten Schilderungen über seine Familienarbeit in einem Widerspruch zu seiner theoretischen Annahme. Der Autor ist sich dieses Widerspruchs aber offensichtlich nicht bewusst. So ließ ihn die hohe Nachfrage bzw. Wiedernachfrage nach seinen Angeboten nicht an seiner Grundannahme von der "naturdistanzierenden Habitusformation" zweifeln. Teilnehmende hätten beispielsweise für den Aufenthalt in der Natur unangemessenes Schuhzeug getragen. Dies sei ein Beleg für die "naturdistanzierende Habitusformation". Viel naheliegender ist aber die Erklärung, dass es den Familien am nötigen Geld fehlt, wasserdichte Treckingschuhe zu erwerben. Man sieht hier, dass das Narrativ offenbar bewirkt, dass die Voraussetzungen für die eigene Arbeit nicht mehr reflektiert werden.
Angebote für sozialökonomisch benachteiligte Menschen dienen nach dem Selbstverständnis von Akteuren sowohl des Naturschutzes als auch der Sozialen Arbeit dem sozialen Zusammenhalt. Diesen stärken zu wollen, zielt insbesondere auf die Überwindung ökonomisch bedingter Hürden. Nach Pierre Bourdieu setzt sich das Kapital, über das Menschen verfügen, aber nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus sozialen und kulturellen Komponenten zusammen. Das inkorporierte (aufgenommene, verinnerlichte) Kapital zeigt sich im Habitus (Gesamterscheinungsbild, Haltung), der wiederum in der Regel mit sozialer Distinktion (Sichabheben von anderen) einhergeht. Bekannt ist seit langem, dass die Wohlfahrtswirkungen der Natur sehr unterschiedlich kulturell und sozial rezipiert werden. Die kulturelle Bandbreite reicht hier – stichwortartig – von "Ist schön grün hier!" bis zur analytischen Wahrnehmung einer Landschaft als devastiert, d. h. in ihrer naturräumlichen Bedeutung praktisch tot, oder artenreich. Auch im Hinblick auf die soziale Komponente des Kapitals ist von einer großen Spannbreite auszugehen. Sie reicht von einem extrem individuellen Bedürfnis der Kontemplation (d. h einem sich in das Naturerleben vertiefen) bis zu einem nur in Gesellschaft wirklich erlebbaren Naturgenuss. Dass Fragen nach der Bedeutung des Habitus‘ und von kulturellen Absetzungen (Distinktionen) nicht nur rein akademisch von Belang sind, sondern dass diese praktische Auswirkungen haben, zeigen Erfahrungen aus früheren Kooperationsprojekten von Naturschutzgruppen und Sozialen Akteuren.
Zitat
Wer im Naturschutz den individuellen Naturgenuss aber zur Norm erklärt, dem bleibt der Blick auf das naturschützerische Potenzial anderer kultureller Naturzugänge versperrt.
Weniger vor Ort denn auf der Landes- oder Bundesebene behindern Organisationsstrukturen die Kooperationen zwischen der Sozialen Arbeit und dem Naturschutz. Basis der Strukturen der meisten Geschäftsstellen großer Verbände ist – wie im öffentlichen Dienst – das Zuständigkeitsprinzip. Sinnbildlich dafür steht die Säulenstruktur der Organigramme. Vertikal verläuft die Kommunikation in den Säulen eingeschränkt; meist von unten nach oben. Ein horizontaler Informationsfluss zwischen den Säulen oder Zuständigkeitseinheiten ist kaum gegeben. Zwar haben sich die großen Verbände dem Nachhaltigkeitsprinzip verschrieben, doch sehen sie sich ihrer Organisationseigenlogik folgend als Interessenvertretung nur ihres eigenen Anliegens, was zu anhaltenden Konflikten beispielsweise im Kontext der Maßnahmen gegen den Klimawandel geführt hat. Das heißt, es fehlt an einem säulenübergreifenden Denken. Dies zeigt sich auch darin, dass bei Wohlfahrtsverbänden Nachhaltigkeit und bei Naturschutzverbänden das Soziale jeweils Bestandteil einer Organisationssäule ist. Organisationsstrukturell wäre aber eine Zuständigkeit in beiden Fällen auf der Stabsebene sinnvoller.
Trotz der aufgezeigten organisationsstrukturellen Probleme haben in den letzten Jahren Bundesverbände beider Bereiche (z. B. NABU und Arbeiterwohlfahrt, BUND und Paritätischer) zu unterschiedlichsten Aktionsformen (Ausbildung von FÖJlern, Angebote für Geflüchtete, Forderung im Kontext der Corona-Wirtschaftshilfen) in unterschiedlicher Intensität zusammengefunden. Die Kooperationen waren aber extrem personengebunden, d. h. bei Personalwechsel fehlte es an Kontinuität.
Bottom up statt Top down: Beispiele für Kooperationsprojekte
Zunächst ein Interner Link: Top-down-Ansatz, wonach die jeweiligen Bundesverbände örtliche Gruppen zu Kooperationen auffordern. Im Kontext der Flüchtlingsproblematik 2015 standen dem NABU Integrationsfördermittel zur Verfügung. Lokale Gruppen erhielten nur unter der Bedingung den Zuschlag, wenn sie vor Ort mit AWO-Ortsgruppen kooperierten. Solche per top-down zustande gekommenen Kooperationen erweisen sich aber in der Regel nicht als nachhaltig: Läuft die Förderung aus, endet auch die Kooperation.
Bottom-up-Strategien, d. h solche die an der Basis – sprich den örtlichen Gliederungen – ansetzen, müssen aber auch die genannten mentalen und habituellen Hürden zwischen den Akteuren beider Bereiche überwinden. In Analogie zum Naturschutz-Slogan "Nur was man kennt, kann man auch schützen", bietet sich hier ein Ansatz nach dem Motto "Wenn man die andere Akteursgruppe erst einmal kennengelernt hat, lässt sich besser mit ihr kooperieren" an.
Einen Anknüpfungspunkt bieten gemeinsam konzipierte niedrigschwellige Angebote, die die Kernziele beider Bereiche fest im Blick haben, d. h. den Schutz der Biodiversität auf der einen Seite und den des Empowerments auf der anderen Seite. Drei konkrete Vorschläge seien hier genannt:
Das Biodiversitätsproblem des Insektensterbens erreichte die Gesprächspartner*innen der Studie "Perspektivwechsel" nicht nur über die Medien, sondern auch mittelbar über Kindergärten, Kitas und Schulen. Kinder und Jugendliche brachten ihren Eltern oder Großeltern das Thema insbesondere über das Bienensterben nahe. Das zeigte Wirkungen. Etliche hatten sich bereits über kleinere niedrigschwellige Projekte bei örtlichen Wohlfahrtsorganisationen praktisch für den Schutz der Insekten beispielsweise durch sogenannte Insektenhotels engagiert. Eine Kooperation zwischen beiden Bereichen im Kontext Insektensterben wären kleine niedrigschwellige Projekte zur Anlage und Pflege wohnortnaher Blühstreifen mit heimischen Pflanzenarten oder Pflanzaktionen im Bereich von Baumscheiben in den Stadtteilen.
Eine weitere Möglichkeit der Zusammenarbeit bestünde für Naturschutzverbände oder -vereine darin, über örtliche Wohlfahrtsorganisationen sozioökonomisch benachteiligte Menschen einzuladen, sich an ihren Pflegeaktionen beispielsweise von stadtnahen Streuobstwiesen bzw. Obstbaumpflanzungen zu beteiligen. Solche Angebote fördern die Gesundheit, würden aber auch sicherlich bei den Teilnehmenden zu unmittelbaren Erfolgserlebnissen führen. Diese Angebote würden es erlauben, dass die Teilnehmenden aus der Zielgruppe direkt ihre Selbstwirksamkeit erleben könnten. Insofern stünden solche Aktionen auch im Kontext der Empowermentarbeit und lägen somit im Interesse der Wohlfahrtsorganisationen. Entsprechende Aktionen trügen aber auch dazu bei, nicht nur das Bewusstsein für den Schutz der biologischen Vielfalt zu steigern, sondern auch ganz konkrete Beiträge dazu zu leisten. Das liegt im Interesse des Naturschutzes.
Das Erleben von Natur lässt sich aber auch als Instrument der Präventionsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einsetzen. Hier bestehen Möglichkeiten der Förderung für gemeinsam entwickelte und durchgeführte Angebote, die insbesondere Krankenkassen fördern. So hat beispielsweise die Externer Link: AOK Nordwest das Präventionsprogramm "'natürlich erleben' – Ein gesundes Schulprojekt" aufgelegt. Ziel ist es, dass die Schülerschaft der 7. und 8. Klassen über einen viertägigen Outdoor-Unterricht einerseits Natur erleben und gleichzeitig Erfahrungen im sozialen Miteinander sammeln kann. Zur Entwicklung und Durchführung der Angebote bilden sich Tandems aus Sozial- und Waldpädagog*innen.
Im Mittelpunkt dieser Präventionsarbeit steht jeweils der Ansatz der Achtsamkeit. Dieses Konzept weist wiederum Schnittmengen zwischen der Sozialen Arbeit und der Naturschutzbildung auf. Auch hier läge eine Zusammenarbeit zwischen Trägern der Sozialen Arbeit und aus dem Naturschutz im beiderseitigen Interesse.
Prof. Dr. Hans-Peter Ziemek ist Professor für Biologiedidaktik an den Justus-Liebig-Universität Gießen.
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