Die Forderung nach einem Schutz der Natur hätte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur große Verwunderung hervorgerufen. Natur galt nicht als schutzbedürftig, vielmehr musste sich der Mensch vor der Natur schützen: vor Naturkatastrophen wie Dürren oder Fluten und vor Missernten.
Anfang des 19. Jahrhunderts setzte indes ein Prozess ein, der Deutschland radikal veränderte: die Industriemoderne. Durch deren Entfaltung wandelte sich ab der Mitte des Jahrhunderts auch die Wahrnehmung der Natur von einer bedrohenden zu einer bedrohten Größe. Aus dem lange nur höchst randständigen Anliegen Naturschutz ist heute ein selbstverständlicher Teil der staatlichen Daseinsvorsorge geworden.
Verlust an Vertrautem
Der Gedanke, dass die Natur eines Schutzes bedürfe, resultierte aus einem Verlust an Vertrautem. Nach dem Ende der Gutsherrschaft fanden Angehörige unter- und kleinbäuerlicher Schichten kein Einkommen mehr und strömten in die Städte, in denen die Industrialisierung einsetzte. Die Ballungsräume wuchsen rasant und die dort – oft unter erbärmlichen Bedingungen – arbeitenden und lebenden Menschen mussten mit Lebensmitteln versorgt werden. Die Landwirtschaft musste daher ihre Produktivität steigern; Intensivierung, Technik und Chemie hielten zunehmend Einzug. All dies blieb nicht ohne Folgen für Natur und Landschaft: Es veränderte die Ästhetik der Landschaft und war ursächlich für spürbare Rückgänge bei den Populationen von Fauna und Flora.
Erste kritische Stimmen beklagten den Verlust an vertrauter Natur und Landschaft und forderten die Bewahrung von noch verbliebenen ursprünglichen Formen von Natur. So drang 1854 der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897) auf ein "Recht auf Wildniß".
Den Verlust an Tierpopulationen thematisierte der Präparator Philipp Leopold Martin (1815-1886), der 1871 erstmals den Begriff Naturschutz in die Debatte einführte.
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nahmen die Klagen organisierte Formen an. Überall in Deutschland gründeten sich Vereine, die sich dem Schutz der Natur verschrieben und das Anliegen "Naturschutz" auf die gesellschaftliche Agenda setzten. So beispielsweise 1899 der
Naturschutz und Politik
1898 setzte der linksliberale Abgeordnete Wilhelm Wetekamp (1859-1945) Naturschutz erstmals auf die politische Agenda.
Seine Arbeitsfähigkeit sollte er nach den 1907 erlassenen "Grundsätzen für die Förderung der Naturdenkmalpflege in den Provinzen" dadurch erreichen, dass auf allen Verwaltungsebenen "naturwissenschaftlich durchgebildete Geschäftsführer" für Naturdenkmalpflege im Ehrenamt die Hauptlast tragen sollten. Diese rekrutierte man insbesondere aus zivilgesellschaftlichen Vereinigungen. Die preußische Staatliche Stelle leitete seit 1906 der Biologe Hugo Conwentz (1855-1922). Er richtete den staatlichen Naturschutz dezidiert naturwissenschaftlich aus, d. h. Bestandsaufnahmen von
Vielfalt im Naturschutz
Naturschutz war vor dem Ersten Weltkrieg Teil der bürgerlichen Reformbewegung. Die Motive und Anliegen, deretwegen sich Menschen dem Schutz von Natur und Landschaft verschrieben, waren vielfältig: Naturwissenschaften, Ethik, Ästhetik, Emotionen (Naturliebe), Schutz aus sozialpolitischen Motiven (Naturerfahrung, Gesundheit), aber auch völkischer Rassismus
Naturschutz erhält Verfassungsrang
1919 ging Naturschutz in den Katalog der staatlichen Daseinsvorsorge ein.
QuellentextWeimarer Verfassung, Vierter Abschnitt: Bildung und Schule
Artikel 150
"Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.
Es ist Sache des Reichs, die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes in das Ausland zu verhüten."
Quelle: Bayerische Staatsbibliothek: "100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert." Die Verfassung des Deutschen Reichs, 11. August 1919: Externer Link: www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0002_wrv&object=pdf&st=&l=de
Der Durchbruch blieb aber vornehmlich symbolisch. Zwar konnten in Preußen nach einer 1920 erfolgten Einfügung eines Paragrafen in das Feld- und Forstpolizeigesetz (FFPG) rechtsförmlich Naturschutzgebiete ausgewiesen werden. Aber an der spärlichen Struktur hinsichtlich Personal- und Finanzressourcen änderte sich genauso wenig wie an der Fähigkeit, den schwachen Belang rechtlich in der Fläche durchzusetzen.
Naturschutz im Deutschen Reich
Zwischen 1920 und 1932 waren im Deutschen Reich 500 Naturschutzgebiete ausgewiesen worden. Im Jahr 1943 bestanden im ‚Altreich‘ 800 solcher Gebiete (vgl. Anmerkung 25).
Wie viele andere Bürgerliche hatten auch Naturschutzakteure die Weltkriegsniederlage als ein nationales Trauma erlebt. Die vor 1914 noch "schillernde Szene" wich einer "deutschnationalen Mono-Kultur".
Naturschutz im Nationalsozialismus
Schoenichen hatte den Naturschutz bis 1933 derart völkisch ausgerichtet, dass er nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten sofort anschlussfähig war.
Aus der Eigenlogik eines nicht demokratisch ausgerichteten Naturschutzes setzten seine Akteure auf ‚starke Männer‘, die seine Forderungen politisch durchsetzen sollten.
De jure gelang mit dem RNG der Durchbruch. Die frühere Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen mutierte zur Reichsstelle für Naturschutz. Allerdings standen dem rechtlichen Erfolg keine substanziellen Fortschritte gegenüber, weder bei den Finanz- und Personalressourcen, noch hinsichtlich seiner rechtlichen Wirkmächtigkeit in der Fläche.
Im Zusammenhang mit der Autarkiepolitik gelangte die Landschaftsplanung neu ins Portfolio des Naturschutzes.
Keine Vergangenheitsbewältigung nach 1945
1945 lag Deutschland in Trümmern. Ernährungs-, Energie- und Wohnungsnot waren allbestimmend. Die Landschaft wies deutliche Spuren des Krieges auf, und Millionen Vertriebene und Flüchtlinge mussten versorgt werden. Dabei stand Naturschutz auch unter politischem Druck. Auf seine Schutzbemühungen reagierten Landnutzungskonkurrenten mit dem Vorwurf, das fortgeltende RNG sei ein "Nazi-Gesetz". Dabei verweigerte sich der Naturschutz einer Aufarbeitung seiner Verwicklungen in das NS-Regime
QuellentextVII. Die Gesetzgebung des Bundes
Artikel 75 [inzwischen weggefallen]
Der Bund hat das Recht, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen über:
die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienste der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse und des Films;
das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege;
die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt;
das Melde- und Ausweiswesen
Quelle: Quelle: Bayerische Staatsbibliothek: „100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.“ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949: Externer Link: www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0014_gru&object=pdf&l=de
"Naturschutz hemmt den Wiederaufbau"
Die in der Rechtsnachfolge der Reichsstelle stehende Zentralstelle bzw. Bundesstelle für Naturschutz und Landschaftspflege stand 1951 vor der Schließung. Der Bundesrat begründete seine entsprechende Entscheidung damit, der Naturschutz "hemme den Wiederaufbau".
Die 1950er- und 1960er-Jahre: am Rande der Bedeutungslosigkeit
Kennzeichnend für den staatlichen Naturschutz in den 1950er- und 1960er-Jahren war die personelle Kontinuität bei einem Großteil seiner Akteure. Die im Ehrenamt als Naturschutzbeauftragte auf allen staatlichen Ebenen Tätigen betrieben ihre Aufgaben mit Passion – die Ämter legten sie in der Regel nicht mit dem Erreichen der Pensionsgrenze nieder. Ein sehr großer Kreis von ihnen war zivilisationskritisch und kulturpessimistisch geprägt. Eine solche Einstellung war aber in den Jahren des ‚Wirtschaftswunders‘ und der Fortschrittseuphorie nicht mehrheitsfähig.
Nach 1945 zum Naturschutz gestoßene Akteure, beispielsweise junge Wissenschaftler wie Wolfgang Engelhardt oder Konrad Buchwald
Erst Mitte der 1960er-Jahre bahnte sich eine Veränderung an. Impulsgeber war der zivilgesellschaftliche Naturschutz, konkret der Deutsche Naturschutzring (DNR). Er war 1950 als Dachverband gegründet worden. Nach schwierigen unpolitischen Anfängen reifte er unter der Präsidentschaft des seit 1964 amtierenden Frankfurter Zoodirektors und Tierfilmers Bernhard Grzimek (1909-1987) zur Lobbyorganisation heran.
Parallelentwicklung im Osten
1946 setzte die sowjetische Besatzungsmacht das RNG auch für ihre Zone wieder in Kraft.
QuellentextDDR: Gesetz zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur
(Naturschutzgesetz).
Vom 4. August 1954
[Präambel]
„Die fortschreiende wirtschaftliche Entwicklung führt zur weitgehenden Inanspruchnahme der Naturkräfte und Bodenschätze und bedingt Eingriffe in den Haushalt der Natur. Zur Lösung der wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Aufgaben ist es erforderlich, die Natur von unberechtigten und nicht notwendigen Eingriffen zu schützen, die Schönheit der Pflanzen- und Tierwelt zu erhalten und zu pflegen und der Wissenschaft die Möglichkeit der Forschung zu geben. […]
Der Schutz der Natur ist eine nationale Aufgabe. Wie sichern damit zugleich unseren werktätigen Menschen, unserer wandernden Jugend und allen Naturfreunden Freude und Erholung in unserer schönen deutschen Heimat. Von der Sorge um das Wohlergehen unserer werktätigen Menschen erfüllt, und um einen besseren und wirksameren Naturschutz als bisher zu gewährleisten, wird das nachstehende Gesetz beschlossen.“
[…]
Quelle: Gesetz zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur (Naturschutzgesetz). Vom 4. August 1954
Der Westen: 'Stiefkind der Umweltpolitik‘
1969 ‚erfand‘ die sozial-liberale Koalition den Umweltschutz als neues Politikfeld.
Dass Naturschutz im Konzert des Umweltschutzes eine so schwache Stimme blieb, war nicht zuletzt seiner Ressortierung geschuldet. Hans-Dietrich Genscher (1927-2016, FDP) wollte 1969 alle umweltpolitischen Belange im Innenministerium bündeln, stieß jedoch auf den Widerstand seines Parteikollegen Josef Ertl (1925-2000), der darauf bestand, Naturschutz müsse weiterhin bei ihm im Bundeslandwirtschaftsministerium verbleiben. Partei- bzw. koalitionspolitische Rücksichten überwogen die umweltpolitische Systematik.
Im April 1976 mutierte die Bundesanstalt für Vegetationskunde, Naturschutz und Landschaftspflege zur Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie. Nomen war hier Omen. Fortan dominierte die Ökologie den Naturschutzdiskurs. Als letztes der Umweltgesetze trat im Dezember 1976 das Bundesnaturschutzgesetz in Kraft, das das RNG ablöste.
QuellentextBRD: Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege
(Bundesnaturschutzgesetz BNatSchG)
Vom 20. Dezember 1976
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Erster Abschnitt
Allgemeine Vorschriften
§ 1 Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege
(1) Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, daß
die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts,
die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter
die Pflanzen- und Tierwelt sowie
die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft
Als Lebensgrundlage des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft nachhaltig gesichert sind.
[…]
Quelle: Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz BNatSchG): Externer Link: www.bgbl.de/xaver/bgbl
Der Osten: Landeskulturgesetz und wachsende Umweltprobleme
In der DDR hatte sich bereits in den 1960er-Jahren das Aufgabenspektrum des Naturschutzes auf Fragen des Umweltschutzes (u. a. Reinhaltung der Gewässer und der Luft, Bodenerosionsschutz) erweitert.
Auf dem Papier zielte das Gesetz insbesondere auf die Überwindung eines unabgestimmten, ressortmäßigen Herangehens bei gleichgelagerten Eingriffen in den Naturhaushalt und sollte so Umweltbelastungen minimieren.
Die Umweltprobleme verschärften sich; sie waren unüberseh- und -riechbar.
Die 1990er-Jahre: "Tafelsilber der Einheit" und verstärkte Internationalisierung
Im Kontext der friedlichen Revolution in der DDR spielten die offenkundigen Umweltprobleme, aber auch die unabhängige Umweltbewegung eine entscheidende Rolle. Gleich an mehreren Stellen in der DDR wurden Forderungen laut, größere, noch naturnahe Flächen unter Schutz zu stellen. Im Januar 1990 lag dem Runden Tisch ein Konzept für die Ausweisung von Großschutzgebieten vor, das fortan unter dem Signum Nationalparkprogramm firmierte. In den folgenden Monaten gelang es, dieses Programm so weit zu konkretisieren, dass der Ministerrat der DDR es in seiner letzten Sitzung am 12. September 1990 verabschiedete. Es sicherte sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparke und drei Naturparke. Der damalige westdeutsche Umweltminister Klaus Töpfer nannte das Nationalparkprogramm das "Tafelsilber der Einheit".
Im Westen hatte in den Bundesländern bereits in den 1980er-Jahren eine Tendenz eingesetzt, die den Naturschutz verstärkt flächenwirksam werden ließ. Ein Mittel dazu war der
Seit einigen Jahren liegt der Schwerpunkt der Politik darauf, im Zeichen des Klimawandels die erneuerbaren Energien sehr schnell auszubauen. So notwendig und begrüßenswert dieser Ausbau auch ist, er wird zu vermehrten Auseinandersetzungen führen, die aus einem grundlegenden Zielkonflikt in der Umwelt-, Natur- und Klimaschutzpolitik herrühren: dem des Artenschutzes auf der einen Seite und dem des forcierten Ausbaus der erneuerbaren Energien andererseits. Hier ist die Kernkompetenz der Politik, die des Abwägens gefordert. Transparenz in den Abwägeprozessen erscheint hier unabdingbar. Gleichzeitig erweist sich dieser Zielkonflikt aber auch ein Einfallstor für völkische Rechtspopulist:innen, Rechtsextremist:innen und Klimaleugner:innen, die darauf abzielen, diesen Spalt zu vertiefen. Die biedern sich als Sachwalter des Artenschutzes gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien an. Hier erscheint eine punktgenaue Präventionsarbeit notwendig.