Mit den Römischen Verträgen von 1957 gründeten Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und Deutschland die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Sie vereinbarten im EWG-Vertrag, der Teil dieser Verträge ist, dass die Mitgliedstaaten einen Gemeinsamen Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse und damit Hand in Hand gehend eine Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) entwickeln. 1962 traten die ersten hierfür geschaffenen Marktordnungen für landwirtschaftliche Produkte in Kraft. Die GAP wurde seitdem mehrfach und grundlegend geändert. Bereits 1991 überschrieb der Bonner Agrarpolitikprofessor Wilhelm Henrichsmeyer (1991) einen Fachbeitrag in der Zeitschrift Agrarwirtschaft mit "Reform der EG-Agrarpolitik: Eine unendliche Geschichte". Dass die "Geschichte der Agrarpolitik in der Europäischen Union [...] eine Geschichte der Reformen" (Kirschke/Häger 2008: 49) ist, zeigen auch die seit 2018 laufenden Diskussionen über die Ausgestaltung der GAP im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU für 2020 bis 2027.
Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik
Trotz zahlreicher Reformen gelten die im EWG-Vertrag von 1957 festgelegten Ziele der GAP unverändert weiter. Sie sind heute in Artikel 39 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeschrieben:
"(1) Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik ist es,
die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern;
auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;
die Märkte zu stabilisieren;
die Versorgung sicherzustellen;
für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen."
Aus Sicht der 1950er Jahre verwundert es nicht, dass Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucherschutz nicht zum Zielkatalog der Agrarpolitik gehörten. Aus heutiger Sicht kommt ihnen aber – wie auch der Entwicklung ländlicher Räume – eine wichtige Bedeutung für die Agrarpolitik zu. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union legt mittels sogenannter Querschnittsklauseln fest, dass bei der Festlegung und Durchführung der Politiken der EU – und damit auch der GAP – den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere (Art. 13 AEUV) in vollem Umfang Rechnung zu tragen ist. Ähnliches gilt auch bezüglich des Umweltschutzes (Art. 11), des Verbraucherschutzes (Art. 12) und des Ziels der ländlichen Entwicklung (Art. 174).
Von den frühen Jahren bis Ende der 1980er Jahre
Die Gewichte der proklamierten und der impliziten Ziele der Agrarpolitik haben sich im Zeitablauf verschoben. Abbildung 1 stellt schematisch aus Sicht der Europäischen Kommission die Entwicklung der GAP im Zeitablauf dar. Sie orientiert sich an wichtigen GAP-Reformen und gibt Kernbegriffe der damaligen Diskussionen wieder. Die Übergänge zwischen den Phasen waren oftmals fließend.
Angesichts von Unterversorgung und Hunger in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren, des hohen Anteils der Ausgaben für Lebensmittel an den gesamten Ausgaben eines Privathaushalts und der ausgeprägten strukturellen Einkommensprobleme in der Landwirtschaft kam der Ernährungssicherung und der Produktivitätssteigerung in den 1960er Jahren eine große Bedeutung zu (Petrick 2008). Zur Regulierung der Agrarmärkte wurden ab 1962 erste Marktordnungen geschaffen. Kennzeichnend für die meisten Marktordnungen waren ein hoher Außenschutz über variable Zölle, Mindesterzeugerpreise (die zum Teil deutlich über den Weltmarktpreisen lagen) und staatliche Aufkäufe zu deren Durchsetzung sowie Exportsubventionen, um Überschüsse auf dem Weltmarkt absetzen zu können (vgl. Koester 2010). Die Marktordnungen beruhten von Beginn an auf drei Grundprinzipien:
dem freien Warenverkehr in der Gemeinschaft – und damit lange bevor dieser als Teil des Binnenmarktes 1993 für alle Wirtschaftssektoren in der EU verwirklicht wurde;
der Gemeinschaftspräferenz, also dem Vorrang der innergemeinschaftlichen Erzeugung vor Importen aus Drittstaaten, und
der finanziellen Solidarität, also der Finanzierung der Ausgaben für die GAP aus dem EU-Haushalt.
Die GAP stellt damit einen der am frühesten vergemeinschafteten Politikbereiche der heutigen EU dar. Die Kompetenzen für die Markt- und Preispolitik lagen in der Agrarpolitik von Beginn an bei der EU bzw. deren Vorläufern.
Die politikinduzierten Produktionsanreize führten dazu, dass sich die EU für immer mehr Agrarprodukte von einem Nettoimporteur zu einem wachsenden Nettoexporteur auf den Weltagrarmärkten entwickelte. Allerdings führte die stark gestiegene (Überschuss-)Produktion in den späten 1970er und den 1980er Jahren zu "Milchseen", "Butterbergen" und "Getreidebergen" sowie stark steigenden Agrarausgaben und Störungen auf den Weltagrarmärkten durch die subventionierten EU-Agrarexporte. Dies alles, aber auch die seit 1986 laufenden Verhandlungen zur Agrarhandelsliberalisierung im Rahmen des damaligen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) erhöhten zunehmend den Druck für grundlegende Reformen der GAP.
Die Anfänge der Agrarstrukturpolitik liegen in den 1970er Jahren. Die Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe kann seitdem zum Beispiel mit Investitionsbeihilfen gefördert werden. Betriebe in Berggebieten und anderen Gebieten, die wegen ihrer natürlichen Standortbedingungen benachteiligt sind, können eine Ausgleichszulage erhalten.
MacSharry-Reform und Agenda 2000
Eine wegweisende Reform der Agrarpolitik, die einen ersten Schritt weg von einer einkommensorientierten Preispolitik hin zu einer am Markt orientierten Agrarpolitik darstellte, setzte 1992 der damalige Agrarkommissar MacSharry durch. Interventionspreiskürzungen von 35% bei Getreide und 15% bei Rindfleisch gingen einher mit der Einführung von flächen- und tiergebundenen Preisausgleichszahlungen und einer obligatorischen Flächenstilllegung. Als flankierende Maßnahmen wurden die Förderung umweltgerechter Produktionsverfahren und der Erstaufforstung sowie eine Vorruhestandsregelung für Landwirte eingeführt.
Mit der 1999 beschlossenen Agenda 2000 wurde dieser GAP-Reformweg einer stärkeren Marktorientierung durch weitere Kürzungen von Interventionspreisen und eine Einkommensstützung über direkte Einkommenstransfers fortgesetzt. Diese wurden nun als Direktzahlungen bezeichnet. Die Politik zur Entwicklung ländlicher Räume wurde als 2. Säule der GAP aufgewertet und fasste Agrarstruktur- und Agrarumweltmaßnahmen sowie über den Agrarsektor hinausgehende Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung zusammen. Die Agenda 2000 und die GAP-Reform von 2003 sind auch vor dem Hintergrund der damals anstehenden Osterweiterung der EU zu sehen.
Luxemburger Beschlüsse und GAP-"Gesundheitsprüfung"
Mit den Luxemburger Beschlüssen von 2003 (vgl. Swinnen 2008) erfolgte die weitgehende Entkopplung der bis dahin noch an die Produktion gebundenen Direktzahlungen. Zugleich wurden die Direktzahlungen an die Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen (Cross Compliance) gekoppelt. Die Cross-Compliance-Regelung erforderte die Einhaltung von 18 EU-Richtlinien und -Verordnungen aus den Bereichen Umwelt, Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze und Tierschutz sowie den Erhalt der Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand. Verstöße gegen das betreffende Fachrecht konnten damit nicht nur mit den im Fachrecht vorgesehenen Sanktionen belegt werden, sondern auch mit einer Kürzung der Direktzahlungen.
Die zweite Säule der GAP umfasste vier Förderschwerpunkte:
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft, beispielsweise durch Investitionsbeihilfen zur Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe;
Verbesserung der Umwelt und der Landschaft, z.B. Agrarumweltmaßnahmen;
Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft, beispielsweise durch Maßnahmen zur Dorferneuerung und -entwicklung,
LEADER , z.B. durch die Erarbeitung und Umsetzung von lokalen Entwicklungsstrategien.
2008 erfolgte eine weitere Prüfung des Reformbedarfes der GAP, die sogenannte "Gesundheitsprüfung" (Health Check). Wichtige daraus folgende Reformbeschlüsse betrafen Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Abschaffung der Milchquote und die Erhöhung der Umschichtung von Finanzmitteln aus der 1. in die 2. Säule der GAP. Diese umgeschichteten Finanzmittel mussten für die sogenannten "neuen Herausforderungen" verwendet werden, d. h. für Maßnahmen in den Bereichen Klimawandel, erneuerbare Energien, Wassermanagement, biologische Vielfalt und Begleitmaßnahmen im Milchsektor. Die 1993 zur Produktionsbegrenzung (und damit zur Reduzierung der Ausgaben für Exportsubventionen) eingeführte Flächenstilllegung, die zeitweise 15% der Ackerfläche betrug, wurde 2008 ausgesetzt und 2009 vollständig abgeschafft (vgl. Holst und von Cramon-Taubadel 2014).
Die GAP-Reform von 2013
Das Kernelement der GAP-Reform von 2013 ist die sogenannte Ökologisierung ("Greening") der Direktzahlungen. Die Direktzahlungen wurden damit nicht nur an die Einhaltung der Cross-Compliance-Regelungen geknüpft, sondern an die Einhaltung weiterer Umweltkriterien gebunden, die die Vielfalt der angebauten Kulturen, den Erhalt von Dauergrünland und die Nutzung von mindestens 5% der Ackerfläche als sogenannte ökologische Vorrangflächen (z. B. als Brachflächen oder für den Zwischenfruchtanbau) betreffen. Die Direktzahlungen sind weiterhin das wichtigste agrarpolitische Instrument. Sie bestehen aus mehreren Komponenten. Die finanziell wichtigste ist die Basisprämie. Sie wird von der Europäischen Kommission als Einkommensgrundsicherung für die Landwirtschaft gerechtfertigt. Die zweitwichtigste Komponente ist die Greening-Prämie, die als "Zahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden" begründet wird. Von der Möglichkeit, einen Teil der Direktzahlungen an die Produktion bestimmter Agrarerzeugnisse zu koppeln, machen bis auf Deutschland alle Mitgliedstaaten Gebrauch. Die Handlungsoptionen für die Mitgliedstaaten führen im Ergebnis dazu, dass die Gemeinsame Agrarpolitik in der laufenden Förderperiode deutlich weniger Gemeinsamkeiten zwischen den Mitgliedstaaten aufweist als früher.
Produktionsmengen begrenzende Marktregelungen wurden abgeschafft bzw. reformiert (Milchquotenregelung 2015, Zuckerquotensystem 2017). Produktionsbegrenzende Regelungen bestehen damit im Wesentlichen nur noch auf dem Weinmarkt. Staatliche Interventionskäufe oder Beihilfen für private Lagerhaltung kommen nur noch bei Marktkrisen zur Anwendung und stellen ein Sicherheitsnetz dar. Die Agrarmärkte wurden damit weiter liberalisiert und Marktverzerrungen reduziert, was aus gesellschaftlicher Sicht zu begrüßen ist.
Im Vergleich zur 1. Säule kommt den Mitgliedstaaten in der 2. Säule – ein "Hybrid aus Agrar-, Umwelt- und Regionalpolitik" (Weingarten et al. 2015, S. 25) – eine deutlich wichtigere Rolle bei der Formulierung und Umsetzung, aber auch der Finanzierung der Politik zu. Die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums verfolgt drei Ziele: "a) Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft, b) Gewährleistung der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und Klimaschutz, c) Erreichung einer ausgewogenen räumlichen Entwicklung der ländlichen Wirtschaft und der ländlichen Gemeinschaften" (Art. 4 VO (EU) Nr. 1305/2013). Diese Ziele werden durch sechs Prioritäten untersetzt, von denen vier stark auf die Landwirtschaft (Wettbewerbsfähigkeit, Umweltwirkungen) ausgerichtet sind. Nur eine Priorität adressiert die ländliche Entwicklung in einem umfassenderen, über die Landwirtschaft hinausgehenden Sinne. Die Mitgliedstaaten erstellten basierend auf dem in der betreffenden EU-Verordnung vorgegebenen Maßnahmenspektrum auf nationaler oder regionaler Ebene ihre Programme zur ländlichen Entwicklung. Sie hatten hierbei große Entscheidungsspielräume. Die Programme mussten aber von der Europäischen Kommission genehmigt werden.
EU-Agrarausgaben
Der grundlegende Wandel der GAP in den letzten Jahrzehnten spiegelt sich auch in der Struktur der EU-Agrarausgaben wider, wie Abbildung 2 zeigt. Bis zur Agrarreform von 1992 entfielen über 90% der EU-Agrarausgaben auf Exportsubventionen und die sonstige Marktstützung (staatlicher Aufkauf von Überschüssen). Die Reformen seit den 1990er Jahre waren alle mit der Reduzierung der staatlichen Preisstützung und einer Angleichung an das Preisniveau auf den Weltagrarmärkten verbunden. Auf die ursprünglich als Ausgleich für Preiskürzungen eingeführten Direktzahlungen entfallen in der Periode 2014-2020 jährlich ca. 40 Mrd. Euro bzw. 73% aller EU-Agrarausgaben. Exportsubventionen spielen keine Rolle mehr. Auf Maßnahmen der Politik zur ländlichen Entwicklung entfiel 2014 über ein Fünftel der EU-Agrarausgaben. Der Anteil der EU-Agrarausgaben am gesamten EU-Haushalt ging von 90% im Jahr 1970 auf 38% in der Periode 2014-2020 zurück.
Fazit
Die seit Anfang der 1990er Jahre erfolgte Abkehr von der "alten" einkommensorientierten und marktverzerrenden Agrarpreispolitik hin zu einer wettbewerbsorientierten Politik mit direkten, von der Produktion weitgehend unabhängigen, flächengebundenen Einkommenstransfers an Landwirte sowie freiwilligen agrarstrukturellen, agrarumweltpolitischen und regionalpolitischen Fördermaßnahmen (Politik zur Entwicklung ländlicher Räume) ist grundsätzlich positiv zu sehen (vgl. Weingarten 2010, WBAE 2018). Die Reformen haben geholfen, Preisverzerrungen abzubauen und haben damit zu einer besseren Faktorallokation, also einer besseren Verteilung der Produktionsfaktoren auf unterschiedliche Produktionsbereiche beigetragen und somit Wohlfahrtsverluste reduziert. Sie haben den Weg zu einer stärkeren Öffnung der Weltagrarmärkte und einer Angleichung der Agrarpreise in der EU an das Weltmarktniveau geebnet. Die Reformen haben zudem die öffentlichen Finanzhilfen an die Landwirtschaft begrenzt und verlässlicher planbar gemacht. Nicht zuletzt haben sie dazu beigetragen, die Konsumenten zu entlasten, und mit der 2. Säule der GAP ein Instrumentarium geschaffen, mit dem Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft, zum Beispiel im Umweltbereich, gezielt honoriert werden können und die Entwicklung ländlicher Räume unterstützt werden kann.
Dennoch wird die GAP-Reform von 2013 von vielen Wissenschaftler*innen als vertane Chance gesehen. Der wissenschaftlich oft empfohlene schrittweise Ausstieg aus dem Direktzahlungssystem und der Ausbau der gezielten Honorierung öffentlicher Güter erfolgten nicht (vgl. WBAE 2018). Die Ökologisierung der Direktzahlungen hat zwar geringe positive Auswirkungen auf die Biodiversität und den Klimaschutz. Mit gezielteren, regional zugeschnittenen Maßnahmen, die über die 2. Säule der GAP umgesetzt werden könnten, ließe sich bei gleichem Finanzmitteleinsatz ein deutliches Mehr an Umwelt- und Klimaschutzleistungen erzielen.