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Wachsen oder Weichen – Deutsche Landwirtschaft im Strukturwandel | Landwirtschaft | bpb.de

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Wachsen oder Weichen – Deutsche Landwirtschaft im Strukturwandel

Svea Junge

/ 10 Minuten zu lesen

Der Strukturwandel der deutschen Landwirtschaft hat viele Facetten: Es gibt immer weniger aber dafür größere Betriebe und auch Bodennutzung, Wirtschaftsweisen und Tätigkeitsfelder verändern sich. Dies beeinflusst Erträge, Einkommen und Biodiversität, während regionale Unterschiede bestehen bleiben – ein Überblick.

Winterweizenernte in der Eifel (© picture alliance / AGRAR-PRESS | ikrick)

In der Wahrnehmung vieler Verbraucherinnen und Verbraucher wird der kleine, familiengeführte Bauernhof mehr und mehr von riesigen Agrarunternehmen verdrängt. Die Vorstellung vom dörflichen Idyll weicht Monokulturen und Massentierhaltung. Die Zahl der Höfe ist im Laufe der Zeit stark gesunken. Von den 1,5 Millionen Höfen, die es im Jahr 1960 allein auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland gab, waren 2019 nur noch knapp 266.500 im gesamten Bundesgebiet übrig. Dabei sind die Betriebe mit durchschnittlich rund 62 Hektar heute deutlich größer als vor 60 Jahren – damals waren es rund 8,7 Hektar.

Großbetriebe dominieren das Bild und auch im letzten Jahrzehnt ist die Gesamtzahl der Höfe weiter geschrumpft. Die verbleibenden Betriebe übernehmen die frei werdenden Flächen, wodurch es heute mehr Höfe mit einer Betriebsgröße von mindestens 100 Hektar gibt als noch 2010. Schon jetzt entfallen auf 5 Prozent der größten Höfe mehr als 40 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Eine Ursache für diese Konzentrationsprozesse ist der technische Fortschritt. An die Stelle von menschlicher Arbeitskraft treten vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend moderne Maschinen: Wo Kühe früher mühsam von Hand gemolken werden mussten, pumpen heute Melkmaschinen. Statt Pferdegespannen rollen hochmoderne Traktoren und Erntemaschinen über die Felder. Hinzu kommt der Einsatz von industriell hergestellten Düngern und Pflanzenschutzmitteln.

Größenstrukturen der deutschen Landwirtschaft 1949-2019 (© bpb)

Mehr Maschinen, weniger Arbeitskräfte

Das ermöglicht einerseits, dass Lebensmittel effizienter produziert werden können. Der Ertrag von Weizen hat sich in den letzten 120 Jahren nahezu vervierfacht. Andererseits benötigt die Landwirtschaft mehr kapitalintensive Produktionsgüter wie zum Beispiel große Landmaschinen. Dadurch steigt der wirtschaftliche Druck auf die einzelnen Höfe. Landwirtinnen und Landwirte können beispielsweise darauf reagieren, indem sie sich auf eine Tier- oder Pflanzenart spezialisieren und ihre Betriebe vergrößern. So lassen sich die Kosten pro produzierter Einheit senken und Investitionen besser stemmen.

Regionale Unterschiede in der Agrarstruktur

Heute sind nur noch 1,3 Prozent aller Beschäftigen unmittelbar in der Landwirtschaft tätig und jeder zweite Betrieb wird im Nebenerwerb geführt. Gleichwohl sind weiterhin neun von zehn Höfen Einzelunternehmen. Doch mehr als ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird von Interner Link: Personengesellschaften, Genossenschaften und juristischen Personen, wie etwa Interner Link: Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und Interner Link: Aktiengesellschaften, bewirtschaftet. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern finden sich diese Betriebsformen häufig. Sie bewirtschaften in der Regel große Flächen, was auch auf die großbetrieblichen Strukturen der Interner Link: landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der früheren DDR zurückzuführen ist, die viele ostdeutsche Agrarbetriebe nach 1990 beibehielten.

Insgesamt zeigt sich bei der Größe der Betriebe ein Nord-Süd-Gefälle ebenso wie Unterschiede zwischen Ost und West. Während die Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt im Durchschnitt am größten sind, finden sich in Bayern und Baden-Württemberg die kleinsten – obgleich dort die meisten Höfe beheimatet sind.

Kleine Betriebe haben Probleme mit der Hofnachfolge

Seit Jahren wird es insbesondere für kleinere und mittlere Höfe immer schwieriger, eine Nachfolge zu finden – weil Erben oder Erbinnen gänzlich fehlen, eine Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft anstreben oder notwendige Investitionen nicht schultern können. Insbesondere im konventionellen Bereich wird eine Hofübernahme mit wachsender Betriebsgröße wahrscheinlicher. Problematisch ist zudem die Überalterung des Berufsstandes: Schon heute sind fast 40 Prozent aller Hofleitungen älter als 55 Jahre. Wenn sie in Rente gehen, wird sich das "Höfesterben" in Deutschland und die Abkehr vom Modell des (klein-)bäuerlichen Familienbetriebs weiter beschleunigen.

Preise für Agrarland haben sich vervielfacht

Getrieben wird das Wachstum der Hofgrößen auch durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU), deren Fördermittel einen wesentlichen Einkommensanteil vieler Landwirtinnen und Landwirte ausmachen. Die Höhe richtet sich dabei maßgeblich nach der bewirtschafteten Fläche der Betriebe. Je größer ein Betrieb, desto mehr Subventionen erhält er, allerdings gibt es Sonderzuschläge für die ersten 46 Hektar.

Dies ist auch einer der Gründe, warum Agrarflächen in den vergangenen Jahren immer teurer geworden sind. Zwischen 2009 und 2019 hat sich der Kaufpreis in vielen Regionen mehr als verdoppelt, wodurch auch Pachtpreise deutlich anstiegen. Besonders stark legte der Kaufpreis in den östlichen Bundesländern zu, wo er innerhalb von zehn Jahren auf durchschnittlich 16.270 Euro je Hektar kletterte und damit fast um das Dreifache stieg. Im Westen lag der durchschnittliche Hektarpreis 2019 bei 38.396 Euro. Ein bedeutender Preistreiber sind nach Angaben des Thünen-Instituts für Ländliche Räume Investoren am Bodenmarkt, besonders in Ostdeutschland. Das liegt auch an der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), durch die Agrarland als Anlage zusätzlich attraktiver wird. Bekommen Sparer keine Zinsen für ihr Geld, legen sie es verstärkt in Immobilien und Boden an. Ebenso befeuerte die garantierte Einspeisevergütung für erneuerbare Energien – die inzwischen nur noch für bestehende Biogasanlagen gewährt wird – den Preisanstieg. Denn dadurch wurde ein Anreiz geschaffen, großflächig Energiepflanzen wie Mais und Raps anzubauen. Auf dem Pachtmarkt führte auch die hohe innerlandwirtschaftliche Konkurrenz um Agrarflächen zu steigenden Pachtpreisen.

Die Umwelt leidet unter intensiver Landwirtschaft

Der landwirtschaftliche Boden ist nicht nur teurer geworden, er hat sich auch optisch verändert: Die Flächen des einst so bunten, kleinteiligen Flickenteppichs aus Feldern und Wiesen sind nicht nur deutlich größer geworden, Interner Link: sie werden auch einseitiger bewirtschaftet. Wurde 1960 noch rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche als Wiesen und Weiden genutzt, sind es gegenwärtig nur noch etwa 28 Prozent; zunehmend monotone Äcker prägen das Bild. Insgesamt ist die Zahl der angebauten Kulturen deutlich zurückgegangen, zugleich mussten viele Gräben, Bäche, Hecken und Büsche für den Zusammenschluss großer Flächen weichen – und mit ihnen der Lebensraum zahlreicher Pflanzen und Tiere.

Auch der intensive Einsatz von Dünger, Unkrautvernichtern und Insektenschutzmitteln Interner Link: kann die regionale Biodiversität belasten. Pflanzenschutzmittel haben meist ein breites Wirkungsspektrum, wodurch nicht nur Schädlinge minimiert werden. Vielen Tieren, die auf den Feldern und um sie herum leben, wird so die Nahrungsgrundlage entzogen. Stickstoff ist der am meisten verwendete Dünger in Deutschland. Wird mehr Stickstoff ausgebracht als von den Pflanzen aufgenommen wird, gefährdet er zudem als Nitrat das Grundwasser oder entweicht als klimaschädliches Lachgas in die Atmosphäre.

Auch große Höfe haben Potential für Umweltschutz und Tierwohl

Laut Angaben des Umweltbundesamtes war die deutsche Landwirtschaft im Jahr 2018 unmittelbar für 7,4 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – auch wegen des hohen Methanausstoßes aus der Viehhaltung. Um den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln zu senken, spielt die Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle. Schon heute ermöglichen Bodenanalysen und GPS-gestützte Traktoren eine punktgenaue Ausbringung. Die erforderlichen Investitionen für die Technik können große Höfe meist besser stemmen. Gleiches gilt auch beim Tierwohl: Während sich die Anbindehaltung vor allem noch bei kleinen Milchviehbetrieben findet, nutzen größere Höfe vermehrt tierfreundlichere Laufställe. Für das Wohl der Tiere und die Umweltwirkung kommt es letztlich nicht auf Größe der Betriebe an. Entscheidend ist vielmehr, wie die Flächen bewirtschaftet und unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten werden.

Landwirtschaftliche Einkommen werden stärker schwanken

Doch die Landwirtschaft trägt nicht nur zum Klimawandel bei, sie ist gleichzeitig auch stark von diesem betroffen. Wetterextreme wie extrem heiße und trockene Sommer werden den Agrarsektor künftig vor große Herausforderungen stellen und wahrscheinlich zu stärkeren Ertrags- und damit Einkommensschwankungen führen. Schon die schrittweise Absenkung der staatlich garantierten Preise für landwirtschaftliche Produkte seit Anfang der 1990er Jahre im Rahmen der GAP und die damit wachsende Abhängigkeit von globalen Agrarmärkten haben dazu geführt, dass die Erzeugerpreise heute deutlich stärker schwanken. Dass viele Höfe immer stärker spezialisiert und weniger breit aufgestellt sind, fördert ihre Anfälligkeit für Preisschwankungen. Auch zwischen den unterschiedlichen Betriebsformen unterscheiden sich die Einkommen mitunter stark. Während ein Ackerbaubetrieb im Haupterwerb im Wirtschaftsjahr 2018/2019 durchschnittlich knapp 38.500 Euro je vollbeschäftigter Arbeitskraft verdiente, waren es bei den Gartenbaubetrieben nur rund 31.900 Euro.

Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher

Landwirtschaftliche Handelsströme werden immer internationaler, was auch Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher nach sich zieht. Zwar ist es der Arbeitsteilung und dem Import und Export von Lebensmitteln zu verdanken, dass die Auswahl im Supermarkt heute deutlich größer und die Produkte erschwinglicher sind. Doch das Ganze hat auch eine Schattenseite: Woher die Waren stammen und wie sie hergestellt und gelagert wurden, ist oftmals nur schwer nachvollziehbar. Obligatorisch ist die Angabe des Ursprungslandes zum Beispiel bei frischen Lebensmitteln wie Fleisch, Eiern, Obst und Gemüse. Sobald die Lebensmittel aber weiterverarbeitet werden, entfällt diese Pflicht.

Selbst wenn die Herkunft eines Produkts ausgewiesen ist, ist es für Verbraucherinnen und Verbraucher mitunter nicht leicht, den Durchblick zu behalten. Steht etwa auf der Verpackung "Schwarzwälder Schinken", heißt das lediglich, dass der Schinken in einer Räucherkammer im Schwarzwald hing. Es bedeutet aber nicht, dass das Schwein, von dem das Fleisch stammt, auch dort gehalten wurde. Dabei legen immer mehr Menschen Wert auf regionale Lebensmittel. Die Nachfrage nach Produkten in Hofläden und auf Wochenmärkten nimmt zu. Auch neue Konzepte wie Abo-Kisten erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.

Alternative Einkommensquellen werden wichtiger

Die Direktvermarktung ihrer Erzeugnisse bietet den Bauernhöfen ein zusätzliches Standbein und macht sie zugleich weniger anfällig gegenüber Preisschwankungen. Solche alternativen Einkommensquellen, zu denen auch die Erzeugung Erneuerbarer Energien sowie Urlaubs- und Freizeitangebote zählen, nutzte 2016 schon mehr als jeder vierte Hof. Zukünftig dürfte ihre Bedeutung weiter steigen, denn der Konkurrenzdruck in der Branche wird sich weiter verschärfen: Eine Studie der DZ Bank prognostiziert beispielsweise, dass die Anzahl der Höfe bis zum Jahr 2040 auf 100.000 sinken könnte.

Zahl der Ökobetriebe steigt

Um im Wettbewerb besser bestehen zu können, entscheiden sich zudem immer mehr Betriebe für einen Umstieg auf den ökologischen Landbau. In diesem Segment hat sich die Zahl der Höfe in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdreifacht. 2019 bewirtschafteten rund 34.100 ökologische Betriebe 9,7 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche.

Durch den Verzicht auf leicht lösliche mineralische Dünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel erzielen Biolandwirtinnen und Biolandwirte im Durchschnittgeringere Erträge als konventionell bewirtschaftete Betriebe. Doch sie können für ihre Produkte höhere Preise verlangen und erhalten eine gesonderte staatliche Förderung. Dadurch erzielen sie im Durchschnitt ein leicht höheres Einkommen. Noch sind Bioprodukte eine Nische, die Nachfrage nach ökologisch produzierten Lebensmitteln steigt aber von Jahr zu Jahr.

Weiterführende Literaturempfehlungen

Svea Junge ist Politikwissenschaftlerin und Volkswirtin mit den Schwerpunkten Energie- und Umweltökonomik. Seit Mai 2019 ist sie Redakteurin im Wirtschaftsressort der F.A.Z. und berichtet regelmäßig über wirtschaftliche Entwicklungen im Agrarsektor.