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Interessengegensätze im Hochwasserschutz

Swen Zehetmair

/ 7 Minuten zu lesen

Hochwasser betreffen viele Parteien: Anwohner und Hauseigentümer, Ladenbesitzer und Betriebe, Gemeinden und Städte. Alle haben eigene und oftmals gegensätzliche Interessen, wenn es um konkrete Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser geht. Welche sind das? Und wie lassen sich Hochwasserisiken so steuern, dass alle Interessen berücksichtigt werden?

Andre Sens und Doreen Etzold steuern ein Boot des Technischen Hilfswerks (THW) am 03.06.2013 durch das Hochwasser über den Marktplatz mit dem Rathaus der Stadt Grimma (Sachsen). (© picture-alliance/dpa)

Die Überschwemmungen im Frühsommer 2013 haben die tiefe Verwundbarkeit gegenüber dem Naturereignis Hochwasser wieder einmal deutlich werden lassen: alleine in Deutschland acht Tote, geschätzte Schäden in Höhe von 8 Milliarden Euro und nicht mit Geld aufzuwiegende persönliche Verluste (z.B. BMI 2013). Besonders betroffenen waren die Flusseinzugsgebiete von Donau und Elbe.

Betrachtet man die letzten großen Hochwasser an diesen Flüssen, rückt die Frage in den Vordergrund, ob seitdem nicht genügend für den Hochwasserschutz getan wurde. An der Donau kam es 1999, 2002 sowie 2005 zu großen Hochwassern und an der Elbe sprach man nach der Katastrophe im August 2002 sogar von einer "Jahrhundertflut". In den letzten 10 bis 15 Jahren wurden in beiden Flussgebieten große Anstrengungen unternommen, den Hochwasserschutz zu verbessern. Zahlreiche Strategien und Konzepte wurden erarbeitet, Gesetze angepasst und erlassen, Behörden umstrukturiert und neu geschaffen sowie enorme Steuermittel in den Hochwasserschutz investiert.

Das Management von Hochwasserrisiken

In der Wissenschaft werden eine Reihe von Interner Link: Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasserereignissen diskutiert, neben dem technischen Hochwasserschutz (Deiche, Schutzmauern und Polder) auch Vorsorgemaßnahmen wie eine angepasste Bauweise und die Schaffung von zusätzlichen Überschwemmungsflächen. "Den Flüssen mehr Raum geben" war eine der zentralen Forderungen nach dem Augusthochwasser 2002 (BMU 2002). Zudem wurde der Aufbau einer Risikovorsorge im Sinne von Versicherung und nicht zuletzt eine Verbesserung der Abstimmung und Organisation der zuständigen Behörden sowie der Aufbau einer effizienten Risikokommunikation angemahnt. Der wissenschaftliche Fachbegriff für dieses umfassende Vorgehen zum Schutz vor Hochwasser lautet Hochwasserrisikomanagement (z.B. Grünewald et al. 2003, Schanze 2006, Merz et al. 2010).

Trotz der vielfältigen Anstrengungen seit 2002 sind auch im Jahr 2013 wieder große Schäden entstanden. Eine Ursache dafür war, dass eine Reihe von Maßnahmen nicht vorangekommen sind. Gerade die technischen Hochwasserschutzmaßnahmen, wie der Bau, die Erhöhung und Rückverlegung von Deichen oder der Bau von Poldern benötigen viel Zeit. Von den ersten Planungen bis zur Realisierung können zehn Jahre vergehen. Wie bei allen großen Bauvorhaben und Infrastrukturmaßnahmen (wie z.B. auch Stuttgart 21) ist eine Beteiligung der betroffenen Bevölkerung rechtlich vorgeschrieben (Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren; geregelt auch durch die Interner Link: EU-Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken). Politik und Verwaltung müssen deshalb neben dem Ziel, die Bevölkerung vor Hochwasser zu schützen, auch individuelle Interessen der Anwohner sowie weiterer "Stakeholder" (Interessenträger) berücksichtigen.

Interessenkonflikte und Interessenträger

Generell können fünf Interessengegensätze bei Hochwasserschutzmaßnahmen hervorgehoben werden (siehe Zehetmair 2012):

  1. Für Deichrückverlegungen oder Polderbauten sind große Flächen nötig. Da Wohn- und Gewerbegebiete dafür nicht zur Verfügung stehen, müssen zumeist landwirtschaftlich genutzte Flächen verwendet werden. Die betroffenen Landwirte stehen solchen Maßnahmen daher oft zunächst ablehnend gegenüber. Dabei geht es zumeist um finanzielle Interessen der Landwirte, die sie sich umfangreich entschädigen lassen wollen. Um Deichrückverlegungen trotz der Widerstände der Landwirte durchsetzen zu können, bringt der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer die Möglichkeit schnellerer Enteignungen in die aktuelle politische Diskussion ein (Issig 2013).

  2. Eine wirksame Maßnahme, das Schadenpotenzial nicht weiter ansteigen zu lassen, ist ein Bauverbot in den hochwassergefährdeten Gebieten (z.B. geregelt im Wasserhaushaltsgesetz, Externer Link: § 78 WHG). Durch eine konsequente Anwendung des Bauverbotes würden jedoch die Werte der betroffenen Grundstücke sinken. Auch den Städten und Gemeinden würde mögliches Bauland für die zukünftige Siedlungsentwicklung verloren gehen. Dies kann in manchen Fällen zu Ausnahmen und damit zu Baugenehmigungen in hochwassergefährdeten Gebieten führen.

  3. Ein dritter Interessenskonflikt kann zwischen Hochwasserschutz und Denkmalschutz entstehen. Nach dem Augusthochwasser 2002 wurden in einigen denkmalgeschützten Städten entlang der Elbe technische Hochwasserschutzmaßnahmen geplant. In historischen Innenstädten sind die Hochwassermauern oft mit dem Denkmalschutz nur schwer zu vereinbaren. Während dies in der Dresdner Innenstadt gelungen ist, gab es beispielsweise um den Hochwasserschutz der Stadt Grimma langwierige Auseinandersetzungen (vgl. z.B. Zehetmair 2012, S. 224-225).

  4. Nicht selten rufen die Planungen der Hochwasserschützer enormen Widerstand in der Bevölkerung hervor. Die fehlende Akzeptanz für Hochwasserschutzmaßnahmen erscheint auf den ersten Blick unverständlich: Sind es doch genau diese Maßnahmen, die den Schutz der Bevölkerung vor der nächsten Überschwemmung gewährleisten. Auf die Verlegung von Deichen ins Hinterland, und damit deutlich näher an die Wohnhäuser, reagieren die Bürgerinnen und Bürger häufig abwehrend oder ängstlich. Zwar gibt es eine grundsätzliche Zustimmung zu Hochwasserschutzmaßnahmen, diese sollen aber besser an anderen Stellen realisiert werden, als vor der eigenen Haustür.

  5. Akzeptanzprobleme werden häufig recht schnell auf die politische Ebene übertragen und führen dadurch im extremsten Fall zur Einstellung von Planungen. Dies ist ein Grund für die schleppende Umsetzung von Deichrückverlegungen und Polderbauten. Auch die Verzögerungen bei der Fertigstellung von Hochwasserschutzmauern in Städten lässt sich nicht selten auf Widerstände aus der Bevölkerung zurückführen. So verzögerte sich der Hochwasserschutz in der oben bereits angesprochenen Stadt Grimma auch aufgrund von Bürgerprotesten. Dadurch konnten die Baumaßnahmen an der Hochwasserschutzmauer zwar inzwischen begonnen werden, die Fertigstellung ist jedoch erst für das Jahr 2017 vorgesehen (Baldauf 2013).

    So kam es, dass Grimma auch elf Jahr nach der Überflutung von 2002 noch über keinen Hochwasserschutz verfügt und das Hochwasser 2013 wieder in die Altstadt fließen konnte. Solche Verzögerungen sind keine Einzelfälle, so dass Politiker, wie der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich im Fall Grimma (Baldauf 2013), bereits diskutieren, die Bürgerbeteiligung bei Hochwasserschutzmaßnahmen einzuschränken oder ganz aufzuheben.

  6. Ein weiterer grundlegender Interessengegensatz im Hochwassermanagement stellt die sogenannte Oberlieger-/Unterlieger-Problematik dar: Akteure am Oberlauf eines Flusses haben zumeist wenig Interesse daran, schützende Maßnahmen vorzubereiten und umzusetzen, die den weiter flussabwärts liegenden Gebieten zugute kommen. Verschärft wird das Problem durch die Aufteilung der staatlichen Zuständigkeiten im Hochwasserschutz in Deutschland. Ganz überwiegend fallen sie in den Aufgabenbereich der Kommunen (Städte, Gemeinden und Kreise) sowie der Bundesländer. Besonders deutlich wird dieses Zuständigkeitsproblem bei den großen Flüssen wie der Elbe oder dem Rhein. Sie durchfließen eine Vielzahl von Städten, Ländern (die Elbe fließt in Deutschland durch insgesamt sieben Bundesländer) und sogar Staaten.

Verschärfend wirkt bei derartigen Interessenkonflikten, dass die jeweiligen Anliegen nicht nur von einzelnen Personen, sondern ebenso von Organisationen und gerade im politischen Geschäft auch von Interessenverbänden, z.B. Landwirtschaftsverbänden oder Bürgerinitiativen vertreten werden.

Die nach dem schweren Hochwasser 2002 wiedererrichtete Pöppelmannbrücke in Grimma wurde am 3. Juni 2013 von den Fluten des Muldehochwasser fast überspült (oben), neun Tage später hatten sich die Pegelstände normalisiert (unten, am 12. Juni 2013). (© picture-alliance/dpa)

Erfolgreicher Interessenausgleich

Um Hochwasserschutzmaßnahmen umsetzen zu können und allzu lange Verzögerung in der Planung und beim Bau zu verhindern, bedarf es eines Ausgleichs der Interessen. Dafür sind meistens Kompromisse nötig. Erfolg versprechen diese insbesondere dann, wenn dabei beide gegeneinander gerichtete Interessen – zumindest zu einem gewissen Teil – berücksichtigt werden können. Solche Win-Win-Situationen sind zwar nicht immer möglich, werden aber durch eine frühzeitige Einbindung möglichst aller Interessenträger wahrscheinlicher.

Eine Reihe von Interessenverhandlungen haben in den letzten Jahren zu erfolgreichen Ergebnissen geführt. So konnte im brandenburgischen Lenzen eine der wenigen Deichrückverlegungen an der Elbe realisiert werden. Dort stellte es sich als ausgesprochen positiv heraus, dass die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche im Besitz eines Landwirts war, der eine ökologische Landwirtschaft betrieb und daher gegenüber nachhaltigen Schutzmaßnahmen aufgeschlossen war.

Eine Flutschutzanlage entsteht neben der historischen Stadtmauer von Grimma. (© picture-alliance/dpa)

Der Havelpolder an der Mündung der Havel in die Elbe ist einer der großen Polder am Unterlauf der Elbe. Über viele Jahre wurde intensiv über seine Nutzung verhandelt. Die Polderflächen liegen überwiegend in Brandenburg, geschützt werden jedoch die Unterlieger, vor allem Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Die finanzielle Entschädigung der betroffenen Landwirte im Falle einer Flutung des Havelpolders wurde durch einen Staatsvertrag geregelt, so dass zukünftig nicht mehr um Verantwortlichkeiten gerungen werden muss (Externer Link: Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 6. März 2008).

Auch im Fall der bereits erwähnten Stadt Grimma wurde ein Interessenausgleich zwischen Hochwasserschutz, Denkmalschutz und Bürgerinteressen erzielt. Nachdem ursprünglich eine mehrere Meter hohe Betonmauer um die Stadt gebaut werden sollte, einigte man sich schließlich darauf, den Hochwasserschutz teilweise in die historische Stadtmauer zu integrieren.

Diese positiven Beispiele sind keine Einzelfälle, dennoch werden immer noch viele Hochwasserschutzmaßnahmen stark verzögert, erst nach langwierigen Gerichtsverfahren entschieden oder aufgrund des steigenden politischen Drucks letztlich eingestellt.

Fazit: Umfassender Ansatz im Risikomanagement

Die Einbindung der betroffenen Bürger und Akteure aus Wirtschaft und Politik bedarf einer weitreichenden Risikokommunikation, die offen, transparent und zielgruppenorientiert angelegt sein sollte. Dabei sollte immer bedacht werden, dass die Empfänger jede Information, die sie z.B. im Rahmen der Risikokommunikation erhalten, aus dem eigenen Blickwinkel interpretieren. Informationen müssen deshalb so aufbereitete und vermittelt werden, dass sie vom jeweiligen Empfänger auch verstanden werden können. Ein solcher umfassender Ansatz im Risikomanagement, der alle relevanten Akteure aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit einbindet, einen Interessenausgleich zum Ziel hat und nach geeigneten Maßnahmen sucht wird in der Wissenschaft als Risk Governance bezeichnet (Renn 2008, van Asselt und Renn 2011).

Trotz der gezeigten positiven Beispiele bleibt für die Einbindung aller Beteiligten in das Hochwasserrisikomanagement noch viel zu tun, damit Schutzmaßnahmen zukünftig schnell und effektiv umgesetzt werden können.

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Dr. Swen Zehetmair, geb. 1974, war langjähriger Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Bonn. Derzeit arbeitet er als Forschungskoordinator beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn.