Was ist Hochwasserrisiko?
Hochwasserereignisse verursachen weltweit immer wieder enorme Schäden und eine Vielzahl von Todesopfern. Beispiele in jüngster Vergangenheit sind neben den extremen Hochwassern an Elbe und Donau 2002 und 2013 die verheerenden Überschwemmungen in Thailand 2011, in Australien 2010/2011 und in Pakistan 2010.
Ein Hochwasser ist jedoch nicht per se eine Katastrophe, sondern zunächst einmal ein natürliches Ereignis. Als Folge lang anhaltenden Dauerregens oder auch kürzerer Starkniederschläge tritt das Wasser über die Ufer des normalen Flussbettes und überflutet die natürlichen Flussauen. Zum Risiko wird ein Hochwasser erst, wenn es auf anfällige Gebäude, Straßen, Eisenbahntrassen oder auf Menschen trifft. In Mitteleuropa haben sich seit dem Altertum, insbesondere aber seit dem Mittelalter viele Siedlungen und Städte an Furten und Flüssen entwickelt. Daher liegen viele unserer heutigen Großstädte an Flüssen und stellen ein enormes Schadenspotenzial dar.
Hochwasserrisiko ist folglich immer ein Zusammenspiel mehrerer Komponenten (IPCC 2012):
dem eigentlichen natürlichen Hochwasserereignis
(der "Gefahr"),den gefährdeten Menschen und Sachwerten ( "Exposition"), sowie
deren Anfälligkeit im Falle einer Überschwemmung ("Empfindlichkeit" oder "Verwundbarkeit").
Um das Risiko eines Hochwassers zu reduzieren, müssen folglich alle drei Komponenten, also Gefahr, Exposition und Anfälligkeit, in Betracht gezogen werden. Es gibt damit mehrere Wege das Hochwasserrisiko über geeignete Vorsorgemaßnahmen zu verringern.
Vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge
1. Der technische Hochwasserschutz
Technischer Hochwasserschutz beinhaltet vor allem den Bau von Deichen, Mauern und Rückhaltebecken mit dem Ziel, Wasser zurückzuhalten bzw. das Überschwemmen von Siedlungs‐ bzw. landwirtschaftlich genutzten Flächen zu verhindern. Der technische Hochwasserschutz versucht also die Komponente "Gefahr" zu reduzieren. Allein in Sachsen wurden nach Angaben der Sächsischen Staatsregierung von 2002 bis 2012 rund 530 Millionen Euro für den technischen Hochwasserschutz ausgegeben.
Mit dem Bau großer technischer Anlagen ist oft die Hoffnung verbunden, dass Siedlungen zukünftig besser oder gar vollständig geschützt seien. In einer 2005 im Einzugsgebiet der Mulde durchgeführten repräsentativen Befragung haben mehr als 60 Prozent der Bewohner der Aussage zugestimmt, dass Deiche ein Gefühl der Sicherheit vermitteln (Steinführer & Kuhlicke 2007, S. 101). Auch darum meinen viele lokale Entscheidungsträger, dass gerade Deiche und ihr Schutzversprechen wichtig seien.
Allerdings bieten Deiche und Mauern nur Schutz bis zu einem gewissen Grad, dem sogenannten Bemessungshochwasser, also dem maximalen Hochwasserereignis, das ein Deich abwehren kann. Bei einem größeren Hochwasser brechen Deiche oder werden überspült. Die Schäden können dann sogar höher ausfallen als ohne Schutz. In vermeintlich geschützten Bereichen kommt es häufig zu einer Zunahme der Bebauung und damit einem Anstieg der Exposition bzw. der Anfälligkeit (vgl. Seifert 2012). Auch darum greift es zu kurz, allein auf den technischen Hochwasserschutz zu setzen.
2. Natürlicher Hochwasserschutz – Mehr Raum für Flüsse
Auen, also die Bereiche eines Flussufers, die regelmäßig überschwemmt werden, haben eine wichtige Hochwasserschutzfunktion (Scholz et al. 2012). Sie können zusätzliche Wassermassen aufnehmen und damit die Hochwasserhöchststände reduzieren (Retentionsfunktion). Allerdings können Auen dies nur leisten, wenn die Wassermengen möglichst lange in der Fläche zurückgehalten werden. Dies können vor allem naturnahe Auen leisten.
Messungen bei der im Jahre 2009 umgesetzten Rückdeichung in Lenzen an der Elbe zeigten, dass der sogenannte Hochwasserscheitel - also der höchste gemessene Pegelstand im Verlauf eines Ereignisses - beim Hochwasser 2011 nach der Deichrückverlegung stellenweise um mehr als 20 Zentimeter unter dem Pegelstand des vergleichbaren Hochwassers von 2006 lag (Alexy & Faulhaber 2011).
Allerdings können in Deutschland aufgrund von landwirtschaftlicher Nutzung, Siedlungs‐ und Verkehrsinfrastrukturentwicklung nur noch ein Drittel der ursprünglichen Überflutungsflächen diese Retentionsfunktion wahrnehmen (BMU & BfN 2009); an Rhein, Elbe, Donau und Oder sind es sogar nur noch 10 bis 20 Prozent. Auch deshalb wurden seit Ende der 1990er Jahren an der Elbe Deichrückverlegungen geplant (Neuschulz & Purps 2000). Bei einer Realisierung aller Vorhaben könnten hier rund 23.250 Hektar Überschwemmungsfläche zurückgewonnen werden. Dies würde eine Zunahme der aktuellen Überschwemmungsflächen an der Elbe um fast ein Drittel bedeuten.
Eine erfolgreiche Wiedergewinnung von natürlichen Überschwemmungsflächen ist allerdings eine große Herausforderung, da die Interessen verschiedener Akteure berücksichtigt werden müssen. Insbesondere der hohe Anteil von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen in potenziellen Rückdeichungsbereichen erschwert zum Teil schnelle Lösungen, da Landwirte am Erhalt dieser produktiven Flächen interessiert sind.
3. Bau- und Flächenvorsorge
Im Unterschied zu den vorher genannten Säulen, zielt die Bau- und Flächenvorsorge nicht auf die Reduzierung der Gefahr, also der Höhe und Ausdehnung des Hochwassers, sondern auf die Reduzierung der Exposition bzw. der Anfälligkeit. Hier sind vier Strategien möglich (DKKV 2003, 46):
Ausweichen (also Häuser auf Stelzen bauen oder umsiedeln);
Widerstehen (Wasser am Eindringen ins Haus hindern z.B. durch mobile Schutzwände oder Rückstauklappen);
Nachgeben (angepasste Nutzung und Ausstattung bzw. Konstruktion von Gebäuden, z.B. durch die Verwendung wasserresistenter Baumaterialien oder die Verlagerung von wertvollem Hausrat in höher gelegene Stockwerke)
Sichern (Schutz vor Kontaminationen der Gebäude und der Umwelt durch Schadstoffe, z.B. durch Verlagerung von Heizungssystemen und Öltanks in höhere Stockwerke).
Während Umsiedlungen die Exposition und damit das Hochwasserrisiko in gefährdeten Räumen vollständig reduzieren, setzt eine angepasste Bauweise vor allem darauf, die Anfälligkeit von Gebäuden zu reduzieren, indem beispielsweise Keller wasserundurchlässig oder Fußböden massiv konstruiert werden. Studien zeigen, dass so das Ausmaß des Schadens erheblich gemindert werden kann. So waren die Schäden des Rheinhochwassers 1995 auch wegen angepasster Bauweise und Nutzung erheblich geringer als die des vergleichbaren Rheinhochwassers 1993 (Bubeck et al. 2012).
Mit einer Reduzierung der Exposition bzw. der Anfälligkeit verschiebt sich die Verantwortung. Während der technische und der natürliche Hochwasserschutz meist in den staatlichen Verantwortungsbereich fallen, wird Bau- und Flächenvorsorge oft als private Vorsorgeaufgabe verstanden. So weist das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) darauf hin, dass hochwassergefährdete Haushalte sich im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren selbst vor Hochwassergefahren schützen sollen (Externer Link: § 5 WHG).
Allerdings ist gerade in Gebieten, die bereits einen hohen technischen Hochwasserschutz aufweisen, der Anreiz, solche Maßnahmen umzusetzen, eher gering (Bubeck et al. 2012). Hier können Investitionen in den technischen Hochwasserschutz langfristig paradoxe Folgen haben, da sie ein Gefühl der Sicherheit schaffen, das meist mit einem Rückgang des Risikobewusstseins, einem Verlust an praktischem Wissen, aber auch an Handlungsbereitschaft und ‐fähigkeit verbunden ist und so die Bereitschaft zur privaten Vorsorge untergräbt. Gleichzeitig reduzieren technische Schutzbauten den zu erwartenden Schaden und damit die Effizienz zusätzlicher privater Vorsorge (Meyer et al. 2012, Kuhlicke et al. 2013). Diese ist nur dort effizient und lohnt sich somit für den Eigentümer, wo ein Hochwasser relativ häufig zu erwarten ist (Kreibich et al. 2011). Dies ist in bereits geschützten Gebieten eben nicht der Fall.
4. Kompensation im Schadenfall – wer zahlt?
Selbst durch eine Kombination von technischer, natürlicher sowie Bau- und Flächenvorsorge können nicht alle Schäden vermieden werden – es bleibt ein "Restrisiko". Wer die Kosten im Schadensfall trägt – die Betroffenen oder der Staat – ist in der Vergangenheit sehr unterschiedlich gehandhabt worden. Beim Rheinhochwasser 1993 wurden lediglich 10 Prozent der Schadenskosten durch staatliche Leistungen beglichen (Petrow et al. 2003). Nach dem Hochwasser 2002 wurden hingegen rund 78 Prozent der Schäden durch die öffentliche Hand kompensiert. Mit ähnlicher öffentlicher Hilfeleistung, ist nach Beschluss des Hilfsfonds von 8 Milliarden Euro durch Bundestag und Bundesrat auch nach dem Hochwasser 2013 zu rechnen.
Kosten von Überschwemmungen und Hochwasser weltweit (© picture-alliance/dpa, dpa-infografik 19291)
Kosten von Überschwemmungen und Hochwasser weltweit (© picture-alliance/dpa, dpa-infografik 19291)
Diese Praxis widerspricht jedoch eigentlich den gesetzlichen Richtlinien einiger Bundesländer. In Sachsen ist z.B. eine Elementarschadenrichtlinie verabschiedet worden, die den Anspruch auf staatliche Unterstützung im Schadensfall regelt. Sie legt fest, dass nur dann Anspruch erhoben werden kann, wenn Haushalte bedürftig sind, also eine Einkommensgrenze von 19.200 Euro für einen Einpersonenhaushalt nicht überschreiten, und wenn Risiken nicht oder nur zu wirtschaftlich nicht vertretbaren Bedingungen versicherbar sind (Externer Link: A/IV/ 5. RL Elementarschäden).
Generell ist die Versicherungsdichte, also der Anteil der versicherten Haushalte, gegenüber Elementarschadenereignissen in Deutschland relativ gering, nimmt aber zu. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft waren 2012 über 30 Prozent der Haushalte in Deutschland gegen Naturgefahren wie Hochwasser, Starkregen und Erdbeben versichert. Der Bestand von Gebäuden, die keinen Versicherungsschutz angeboten bekommen bzw. nur unter hohen Auflagen nimmt demnach ab – zuletzt auf ca. ein Prozent. Dies sind Gebäude in Gebieten die recht häufig, also statistisch mindestens alle zehn Jahre überflutet werden. Das bedeutet aber auch, dass gerade in Hochwassergebieten viele Menschen im Extremfall ohne Versicherung sind.
Auch daher gewinnt die Forderung nach einer systematischen, flächendeckenden und planvollen Regelung der Schadenskompensation – unabhängig von Wahlkämpfen oder medial getriebenen Ad‐hoc‐Hilfen – an Bedeutung. In der Diskussion geht es zum Beispiel um die Einführung einer Versicherungspflicht gegen Elementarschäden.
Fazit
Ein vollständiger Schutz vor Hochwasser, das zeigen die Ereignisse von 2002 und 2013, ist nicht möglich. Technischer Hochwasserschutz ist weiterhin erforderlich, um insbesondere größere Siedlungen zu schützen. Ein vollkommener Schutz kann jedoch durch ihn nicht gewährleistet werden. Rückdeichungen sind, wo möglich, voranzutreiben. Hier gilt es insbesondere, die Landwirtschaft für Flächenumnutzung entsprechend zu entschädigen. Private Vorsorge ist insbesondere dort sinnvoll, wo bislang kein oder nur geringer technischer Hochwasserschutz vorhanden ist.
Staatliche Förderprogramme könnten die Bürgerinnen und Bürger bei der Bau- und Flächenvorsorge unterstützen. Eine einheitliche und gerechte Regelung der Kompensation im Schadenfall erscheint notwendig. Die derzeitige Praxis von einerseits freiwilliger Versicherung und andererseits staatlicher ad-hoc Hilfe, die es offenbar aber nur bei Großereignissen gibt, ist für den Bürger mindestens verwirrend.
Alle diese Maßnahmen sind allerdings nicht zum Nulltarif zu haben. Auch angesichts der jüngsten Ereignisse ist eine gesellschaftliche Debatte erforderlich: Wie viel Verantwortung und somit auch Kosten sollte der Staat für Hochwasservorsorge und ‐kompensation übernehmen und wie viel Verantwortung bleibt bei den Bewohnern der Hochwassergebiete. Wir brauchen also nicht weniger Bürgerdialoge, sondern mehr und umfassendere gesellschaftliche "Risikodialoge" in der Hochwasservorsorge.