Manche Forscher glauben, einige der größten Probleme der Gegenwart können nur dann gelöst werden, wenn Menschen ihr Verhalten ändern. Sie sollten nicht mehr so handeln, als gehöre ihnen die ganze Welt. So ein gedanklicher Wandel kann zum Beispiel bedeuten: an die Stelle der Umwelt des Menschen tritt die Einbettung aller Lebewesen in eine gemeinsame Mitwelt. Einige Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaftler gehen dabei davon aus, dass bestimmte Fähigkeiten nicht nur Menschen zugeschrieben werden können. Die Fähigkeit zur bewussten Gemeinschaftsbildung und zur Schaffung von Kultur sowie Sprachvermögen und abstraktes Denken kommen auch in der Tierwelt vor. Damit verschwimmt die traditionelle Trennlinie zwischen Menschen und anderen Daseinsformen mit ihren einzigartigen Biografien. Manche sehen nun eher einen fließenden Übergang – gerade im Hinblick auf lernfähige Lebewesen.
Diese breitere Perspektive nimmt auch neue Akteure und Verbindungen in den Blick, beispielsweise Ökosysteme, Gewässer, das Klima oder sogar die Künstliche Intelligenz (KI). Es klingt wie Science Fiction, aber einige Theoretiker denken bereits über ein posthumanes Zeitalter nach, und der Mensch steht nicht mehr im Zentrum, sondern ist nur Teil eines großen Netzwerks.
Informationstechnologie (IT) ist in vielen Bereichen ein nützliches Instrument. Auch einige Formen der Tiernutzung werden durch digitale Informationsverarbeitung und KI effektiv unterstützt. Künstliche Intelligenz bringt dabei eine ganz neue eigene Qualität ins Spiel: die scheinbare Annährung an menschliches Denken. Haben Chatbots bereits eigene Meinungen, etwa über Mensch-Tier-Maschinen-Interaktionen? Besitzt die Maschine Urteilsvermögen? Was geschieht, wenn wir ihre Aussagen ebenso gewichten wie menschliche? Welche Gefahren lauern im schlimmsten Fall im technologischen Fortschritt? Werden wir uns Maschinen eines Tages näher fühlen als anderen Lebewesen, weil sie uns ähnlicher sind oder zu sein scheinen? Und falls ja, was folgt daraus für unsere Beziehung zu anderen Lebewesen? Der Umgang mit Künstlicher Intelligenz verlangt ebenso nach neuen ethischen Richtlinien wie unser Umgang mit Tieren.
Auf lange Sicht hängen die Vielfalt und das Wohl künftiger Arten von unseren heutigen Entscheidungen ab. Aber wie weit können und wollen wir kommende Entwicklungen überhaupt berechnen und unser Handeln moralisch angemessen auf die Zukunft ausrichten? Jüngere philosophische Konzepte beschäftigen sich mit der Gestaltung einer "neuen Aufklärung", eines "neuen Humanismus" oder plädieren für ein "neues Zeitalter des Lebendigen". Andere sprechen davon, dass wir in virtuellen Bereiche ausweichen oder sogar in Simulationen leben könnten. Außerdem gibt es unterschiedliche transformative Ansätze für Produktion und Konsum, die Umwelt und Ressourcen schonen und gleichzeitig tierfreundlich sind.
Diese Denkansätze bewegen sich im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems, aber auch jenseits davon. Könnten wir beispielsweise Tierleistungen als Arbeit anerkennen und entlohnen? Dürfen und müssen wir in Fragen der Ernährung manche Lebewesen gegenüber anderen bevorzugen? Was ist dann mit Klein- und Kleinstlebewesen? Wäre es etwa der richtige Schritt, unsere Ernährung um Produkte aus Insekten und Würmern zu ergänzen? Eine generelle ethische Frage lautet schließlich: Wer ist überhaupt verantwortlich für die Gestaltung der näheren und ferneren Zukunft? Und in welchem Ausmaß?
Aus Sicht der Ethik ist nicht für alle Handlungsweisen eindeutig zu bestimmen, welche konkreten Werte und Ziele als verbindlicher Maßstab dienen sollten. Die Ethik formuliert kein Dogma, sondern sie hilft zu erkennen und einzuordnen, wer mit welchen Voraussetzungen und Wertvorstellungen an den Diskussionen teilnimmt. Und sie versetzt jeden von uns in die Lage, sich an einem offenen Austausch von Argumenten kompetent zu beteiligen.