Wir stellen unsere moralischen Überlegungen an vor dem Hintergrund von Gewohnheiten, Gepflogenheiten, Traditionen und sozialen Wertvorstellungen. Manche Menschen glauben, dass es unumstößliche moralische Normen und Werte gibt. Andere betonen die Autonomie des Individuums und sagen, moralische Überzeugungen sind nur dort möglich, wo wir uns als freie und selbstbestimmte Wesen verstehen. Um diesen Ansatz soll es im folgenden gehen.
Unsere konkrete Lebenswelt ist der Rahmen unserer moralischen Überzeugungen und Handlungen. Der Geltungsanspruch eines moralischen Urteils reicht aber über uns selbst hinaus. Auch wenn wir unterschiedliche Positionen haben, handeln wir gemeinsame Normen und Werte miteinander aus. Es ergibt sich ein Raum von Möglichkeiten, und wir können abwägen, welche Handlungsalternative die beste ist.
Modelle können dabei helfen, uns zunächst einmal unseren eigenen Standpunkt bewusst zu machen. Wem oder was schreibe ich einen moralischen Wert zu? Nur Menschen? Oder auch Tieren mit bestimmten Fähigkeiten? Oder beziehe ich alle Lebewesen mit ein, also alle Tiere und Pflanzen, vielleicht auch Landschaften und Ökosysteme wie Flüsse, Meere, Berge?
Denke ich in moralischer Hinsicht nur an mich, befinde ich mich in der egozentrischen Sphäre. Beziehe ich außer mir auch andere Menschen, aber nur Menschen in die ethische Erwägung ein, ist das ein anthropozentrischer, also ein auf den Menschen bezogener Standpunkt. Und kommen alle anderen Lebewesen hinzu, befinden wir uns im biozentrischen Bereich und so weiter. Im Alltag ist unser Verhalten oft durch unbewusste soziale Strategien bestimmt. Treten Zweifel oder Konflikte auf, gilt es, die eigene Position bewusst und gegebenenfalls neu zu bestimmen.
Andere Menschen berufen sich vielleicht auf andere Werte, Weltbilder und Traditionen, was zu einer anderen moralischen Haltung und anderen Handlungen führt und damit zu anderen moralischen Beziehungen. Auch diese Relationen sollte ich berücksichtigen, soweit das möglich ist, um verstehen zu können, in welcher Hinsicht Wertzuschreibungen gemacht werden und welchen Unterschied sie machen.
Ein Beispiel: viele Menschen sind zwar der Meinung, dass Tiere nicht unnötig leiden sollen. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass sie die Anliegen von Tieren im ethischen Sinne genauso gewichten wie die von Menschen. Ich kann das Anliegen einer Kuh teilen, ihr Leben ohne Schmerzen und Leid zu leben. Damit beziehe ich die pathozentrische Perspektive mit ein. Gleichzeitig kann es aber mein Wunsch sein, Fleisch zu essen, eine egozentrische Position. Außerdem können die Interessen und Versorgungsleistungen der Fleischproduzenten eine Rolle spielen oder die kulturellen Erwartungen meiner Gruppe, etwa wenn es um das Verspeisen der Weihnachtsgans oder Opferfest geht.
Wechsle ich meine Position und stelle mich an die Seite der Kuh oder des Fleischproduzenten, verändere ich die Werte und damit die Verpflichtungen, die ich berücksichtigen werde. Mit dem Modul können wir also die eigene Position zu anderen Positionen ins Verhältnis setzen und ihre Belange, soweit wir es wünschen, berücksichtigen. Dabei ist es möglich, das eigene Selbst- und Weltbild und die eigenen Werte zu verändern oder zu entwickeln und damit auch die persönlichen moralischen Wertzuschreibungen.