Die konkreten Beziehungen zwischen einem Menschen und einem Tier können aus unterschiedlichsten Umständen heraus entstanden sein und in unterschiedlichster Weise funktionieren. Die abstrakte Beziehung zwischen Mensch und Tier oder Pilz und Pflanze usw. ist nicht gesetzt, sondern sie hat sich entwickelt. Wissenschaftliche Studien (bspw. in der Archäozoologie) helfen uns, die Entstehung der Beziehungen besser zu begreifen, indem wir etwa Hintergrundinformationen über die ersten Domestizierungen gewinnen. Aus Ordnungssystemen des menschlichen Geistes hervorgehend, wurden hierarchisch aufgebaute Systeme zur Bestimmung der Natur erstellt, die Sicherheit und Orientierung vermitteln sollen. Diese Anordnungen haben neben ihrem beschreibenden Aspekt immer auch wertende und vorschreibende Züge, wie sie vor allem aus religiösen Darstellungen bekannt sind. Aber auch die wissenschaftliche Tradition hat ihre eigenen historischen Voraussetzungen in der Erforschung von Beziehungen innerhalb der natürlichen Sphäre.
Der Text von Frau Prof. Kompatscher verweist auf folgende Strukturen: „Interaktionen und Beziehungen zwischen Menschen und Tieren in Geschichte und Gegenwart, Machtverhältnisse in diesem Bereich, die künstliche Grenze zwischen Menschen und anderen Tieren, Ethik, die Annahme, dass alles, auch die Tiere, für den Menschen existiere (Anthropozentrik), die Wirkmacht von Tieren auf einzelne Menschen und auf unsere Gesellschaft generell (Agency), der (changierende) Dualismus zwischen 'essbaren' und 'nicht essbaren' Tieren (dazu etwa Joy 2013), die Diskriminierung von Lebewesen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies (Speziesismus), die Kategorisierung von Tieren.“
Der insgesamt pluralistische Methodenansatz der Human-Animal Studies (HAS) möchte viele verschiedene Perspektiven auf diese historisch und gesellschaftlich gewordenen Konstrukte „Mensch“, „Tier“ und deren Beziehungen kombinieren, um so die Offenheit der Gestaltung von Kontakten zu betonen. Für die ethische Herangehensweise bedeutet dies, dass die aktuellen Zustände immer beeinflusst und verändert werden können.
Welche Strukturen wären aber die bestmöglichen Grundvoraussetzungen für die Beziehungsgefüge von Menschen und Tieren? Sicher sind dabei zwei Parameter, die berücksichtigt werden müssen:
Leben, das leben will, muss sich von anderem Leben ernähren.
Die Achtung/Ehrfurcht vor dem individuellen Leben kann in Massentierhaltungen nicht gewährleistet werden.
Wenn Tierwohl, Tierschutz und Tierrechte überhaupt ernst genommen werden sollen, bedarf es hier wie auch an anderen Stellen Reformen. Andere Themen nehmen dabei eine interessante Stellung gegenüber dieser fundamentalen Ausbeutung in den wirtschaftlichen Prozessen ein. Hierzu gehören z.B. die Neuansiedlung von Wölfen, Bären oder Adlern in der Nähe von Wohngebieten. Mit diesen neuen Dimensionen der Forschung wird uns die Entstehung des für uns „Normalen“ gespiegelt und aus dem Gewohnten entstehen neue Möglichkeiten, wie sich Tier-Mensch-Beziehungen hätten entwickeln können. Gleichzeitig fallen uns durch die Überlegungen zu diesem Gefüge an Genese und Verhältnismäßigkeit Unterschiede der Nähe und der Distanz in den Beziehungen auf (die ethischen Positionen geben dies wieder und können Problemfelder aufzeigen).
Seit dem Entstehen dieser Studien werden auch ganz gezielt Ein- und Ausgrenzung als Ordnungsmuster untersucht: Ob ein Huhn als Haustier mit „unserer Familie“ auf einem kleinen Reihenhausgrundstück lebt und uns die liebe Henne Henrietta täglich ein Ei serviert oder ob wir im Supermarkt auf ein riesiges Eierangebot zugreifen, sind zwei quantitativ und qualitativ völlig unterschiedliche Zugangsweisen zum konkreten Tier und Tierprodukt.
Die angesprochenen Beziehungen in direkter Hinsicht werden von Menschen seit jeher in Erzählungen und daraus entstehenden Vorstellungen mit entsprechenden emotionalen Bindungen oder Ablehnungen manifestiert. Wir sprechen bei solchen Rahmenbedingungen von typischen Erzählungen oder von „Narrativen“, die das Gedächtnis einer kulturellen Gemeinschaft geprägt haben. Auf der anderen Seite gibt es auch das „Schweigen“ oder Nicht-Thematisieren von Relationen wie in den Nicht-Orten der wirtschaftlichen Verarbeitung von primären oder sekundären Tierprodukten, z.B. Schlachthäusern.
Auf Tiere in medialen Darstellungen werden dabei menschliche Ängste und Hoffnungen projiziert (Moby Dick, Isegrimm usw.), aber wir übernehmen von ihnen auch bestimmte Eigenschaftsbewertungen und Tugenden wie Treue, Zuverlässigkeit, Loyalität (Lassie, Flipper, Black Beauty...) oder auch Teamgeist (Alexander und Bukephalos). Schimären, d.h. Mischwesen, bevölkern die Mythen und Bauten der Antike und sie erobern die Science-Fiction-Szene mit der Aussicht auf mögliche Kontakte zu vernünftigen außerirdischen Lebewesen (Admiral Ackbar, die Maahk, Lieutenant Linus ...). Kulturelle Abweichungen in der Erzählung rund um die prototypischen Tiere der jeweiligen Umgebung lassen sich aus der Ethnologie und (Ethno-)Soziologie in den Diskurs einbringen, genauso aber eine variierende Selbst- und Fremdsicht in der Begegnung: Das gejagte Tier als Person, die sich selbst als Mensch und den Jäger wiederum als Tier sieht. Geschichte und Geschichten in ihrer Vielfalt können uns also unsere Sicht auf die Tiere, sie können aber auch unser eigenes Selbstverständnis erweitern.
So können wir die Darstellung von Tieren in den Medien untersuchen und unsere Beziehung zu diesen Tieren reflektieren. Journalisten weisen auf die Verhältnisse der Haltung hin, Dokumentationen begleiten Tierschützer und Tierbefreier usw. Rückwirkend auf die/den Zuschauer:in bzw. Leser:in beeinflussen diese Formate aber auch wiederum unser Verständnis von Mensch-Tier-Interaktionen, wie wir an den Berichterstattungen über die Fleischindustrie in der Corona-Krise ablesen konnten. Eine Veränderung der Tiernutzung hat also automatisch auch Rückwirkungen auf die Nutzung von menschlicher Arbeitskraft in den Produktionsketten.