Ethische Positionen bauen auf Kenntnissen über die Welt und vor allem auf persönlichen Überzeugungen in Bezug auf diese Kenntnisse auf. Wird etwas als akzeptierter moralischer Konsens einer Gemeinschaft verstanden, so lassen sich sogar rechtliche Konsequenzen aus solchen gemeinschaftlichen Überzeugungen herleiten. In Deutschland gibt es beispielsweise seit 2002 eine Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung – s. dazu Externer Link: https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/staatsziel-tierschutz.html.
Nicht jede:r Ethiker:in betrachtet Tiere als Lebewesen mit eigenem moralischem Wert (z.B. einer Würde), unabhängig davon, wie hoch der Stellenwert des Tieres im jeweiligen Ansatz ist. Obwohl Grausamkeit und Tierquälerei in der Tierethik fast einhellig als moralisch verwerflich gelten, so ist damit doch noch nicht gesagt, dass die Begründung dieser Verurteilung etwas mit den Schmerzen des Tiers zu tun hätte; vielfach beziehen sich die Ablehnung und das Verbot von verletzenden Handlungen auf die Folgen, die solche Taten auf den Menschen selbst und auf die menschliche Gemeinschaft hätten. In solchen Ansätzen werden Tiere nur „indirekt“ moralisch berücksichtigt, während jüngere Ansätze der Tierethik oft auf „direkte“ Argumentationen abzielen: „Die eine Richtung [sc. die indirekte, W.M.] betont die Besonderheit des Menschen, macht bestimmte personale Fähigkeiten zum Kriterium für die Zugehörigkeit zur Moral und trägt der Einbeziehung der Tiere durch indirekte Hilfsargumente Rechnung. Die andere [sc. die direkte] betont die eigenständige moralische Bedeutung der Tiere und sucht nach einer Konzeption, welche die Rücksicht auf Tiere konsequent zu Ende denkt, wobei häufig ein gleicher moralischer Status für Mensch und Tier angenommen wird.“
Jede stärkere Berücksichtigung von Tieren in moralischen Diskursen fordert im Gegenzug auch eine stärkere Verpflichtung der moralischen „Akteure“. Doch auch wenn man Tieren moralische Rechte verleiht, heißt das nicht, dass sie auch moralische Pflichten wahrnähmen. Für moralisch Handelnde gehört es zur Integrität bzw. Authentizität dazu, den anerkannten moralischen Rechten auch durch angemessene Haltungen und Handlungen zu entsprechen. Zwar könnte es auch gute Folgen für Tiere haben, wenn ich anderen Menschen vorschreibe, Tiere zu achten, aber ich selbst immer noch Hühner in engen Käfigen halte, aber es wäre eben unredlich. Sollen Tiere folglich moralische Rechte haben, um den Schutz der Individuen deutlicher und klarer zu betonen, so muss auch über die konkreten erlaubten Statuten und Haltungsbedingungen im TSchG nachgedacht werden. In diesem Fall müsste man nämlich nicht mehr nur rechtfertigen, warum Tiere mehr Lebensqualität erhalten sollten, sondern von einem solchen Rechtsstatus ausgehend müsste jede Einschränkung von Lebensqualität begründet werden.
Diese Annahmen haben Auswirkungen auf alle Bereiche, in denen menschliche und nichtmenschliche Tiere miteinander in Beziehung treten und in denen also die ethischen Überzeugungen Anwendung finden sollten: „Die drängendsten Anwendungsfragen, die in der Tierethik diskutiert werden, sind die Nutzung von Tieren zu Nahrungszwecken und Tierversuche. Weitere Fragen betreffen die Zulässigkeit der Jagd, des Stierkampfs, der Zirkus- und Zoohaltung sowie der Pelztierzucht. Probleme werfen auch der Umgang mit den sogenannten Kulturfolgern (Füchsen, Ratten usw.) und der Konflikt mit Wildtieren um begrenzte Ressourcen auf. Wenn eine ernsthafte ethische Berücksichtigung der Tiere das Zusprechen eines gleichen Status erfordert, dann erscheinen viele Praktiken der Tiernutzung als bedenklich.“ (ebd.)
Aus diesem Grund erforscht die mittlerweile „dritte Welle“ der modernen Tierethik unter anderem, welche Formen von Interaktionen es denn eigentlich gibt und über welche ethischen Dimensionen wir hier sprechen: Hat sich bspw. jemals ein Tier seinen Halter ausgesucht oder handelt es sich bei Haustierhaltung immer um eine einseitige Aneignung? Bevor wir das Kind mit dem Bade ausschütten, müssen wir am Ende beachten: Aus Sicht vieler Tierethiker:innen ist die Haltung sowie die Nutzung von Tieren an sich moralisch nicht verwerflich, sondern die Art und Weise des Umgangs ist in den meisten Fällen dasjenige, über das es zu nachzudenken gilt. In diesem Eigentumsverhältnis werden Nutztiere nämlich nach wie vor allzu oft als Sachen betrachtet und regelrecht „vergegenständlicht“. Sobald aber moralische Kriterien ins Spiel kommen, können Tiere durchaus als moralische und politische Akteure anerkannt werden: „Anstatt nur gleichsam abstrakt den moralischen Status der Tiere zu untersuchen und vor diesem Hintergrund die Handlungen von Individuen zu betrachten und zu kritisieren, wird die Gesamtgesellschaft in den Blick genommen: Wie gehen wir, als politische Gemeinschaft, mit Tieren um?“
Offene Fragestellungen, die in diesem Zusammenhang regelmäßig auftreten, lauten daher: Haben Tiere eine Würde? Darf diese tierliche Würde – wie die menschliche Würde – gegen andere Werte abgewogen werden oder nicht? In welcher Hinsicht wirkt dieser Ansatz in die Gesellschaft hinein? Haben Tiere denn moralische Rechte? Und wie gehen sie mit den dazugehörigen Pflichten um? Sind Tiere Teil eines fiktiven Gesellschaftsvertrags – und wenn ja, dann als Akteure, Nutznießer oder Schutzbedürftige? Haben Sie Anwälte (nötig)? Bleiben Sie nur aus der Güte des Menschen heraus schützenswert? Ob man sich diesen Fragen mit einem Ansatz der Pflichten-, Tugend- oder Nutzenethik annähert, bestimmt letztlich die Argumentationsstrategie, die in den ethischen Diskurs hineingetragen wird. Vielleicht kann auf diesem Weg eine „integrative Ethik“ für die Tierethik entstehen, in der sämtliche ethische Kriterien gütlich für die Position der Tiere ausgelegt und in der auch ein Rollentausch mit nichtmenschlichen Tieren in die Abwägung aufgenommen wird – etwa, wenn wir ihnen ohnehin zugestehen, ihr Erleben als bewusste Subjekte zu haben, respektive dieses Erleben als distinkte Subjekte zu sein. So könnte die Annahme einer tierlichen Würde oder tierlicher Rechte zu konkreten Verpflichtungen sowie zu Unterlassungsregeln führen; bspw. könnte die „Goldene Regel“ ausgeweitet werden – Was Du nicht willst, dass man Dir tu’ – oder die Unschuldsvermutung „in dubio pro reo“ auf tierliche Individuen angewandt werden.