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Weiße Gentechnologie

Dr. Bärbel Hüsing Dr. Sven Wydra Dr. Heike Aichinger Bärbel Hüsing Heike Aichinger Sven Wydra

/ 10 Minuten zu lesen

Weiße Gentechnologie? Darunter versteht man den Einsatz gentechnisch veränderter Mikroorganismen, Zellkulturen oder Enzyme für die industrielle Herstellung verschiedener Produkte wie Vitamine, Lebensmittel oder Biogas.

Pestizideinsatz: Auch hier werden chemisch synthetisierte Wirkstoffe zunehmend durch biotechnisch hergestellte Wirkstoffe ergänzt und ersetzt. Foto: AP (© picture-alliance/AP)

Definition

In der industriellen Biotechnologie, häufig auch als "Weiße Biotechnologie" bezeichnet, werden biotechnologische Verfahren in industriellen Produktionsprozessen eingesetzt.

Dabei werden die Fähigkeiten bestimmter Mikroorganismen, Zellkulturen oder Enzyme – Substanzen herzustellen, umzubauen oder abzubauen – für technische Anwendungen genutzt. Auf diese Weise können viele verschiedene Produkte hergestellt werden, wie z.B. Lebensmittel und Getränke, Vitamine und Aromastoffe, Medikamenten- und Pestizidwirkstoffe, Chemikalien, Werkstoffe sowie Bioenergieträger (etwa Bio-Ethanol oder Biogas).

Biotechnologische Verfahren spielen heute in vielen Branchen eine wichtige Rolle, weil sie das Spektrum der industriell nutzbaren Produktionsverfahren ergänzen und erweitern. Hierzu gehören die chemische und pharmazeutische Industrie, die Lebensmittel- und Getränkeherstellung, die Textilindustrie, die Zellstoff- und Papierherstellung, die Lederherstellung sowie die Energieversorgung.

Gründe für den Einsatz biotechnologischer Verfahren in der industriellen Produktion

Der Einsatz biotechnologischer Verfahren in der industriellen Produktion wird mit der Erwartung verbunden, bestehende Prozesse und Produkte zu verbessern und neue zu entwickeln. Dabei kann es sich um Produkte handeln,

  • bei denen die ursprüngliche Produktionsweise durch biotechnologische Verfahrensschritte ersetzt wird, um so wirtschaftlicher oder umweltfreundlicher produzieren zu können (z.B. die fermentative Herstellung von Zitronensäure durch den Schimmelpilz Aspergillus niger anstelle der Gewinnung aus Zitrusfrüchten oder stone-washed Jeans, deren verwaschenes Aussehen mittlerweile mit Hilfe von Enzymen statt wie früher durch Waschen mit Bimssteinen erzielt wird);

  • die konventionell hergestellte Produkte ersetzen bzw. ergänzen und sich ggf. noch durch besondere Eigenschaften und Qualitätsvorteile auszeichnen (z.B. biologisch abbaubare, waschaktive Substanzen, sogenannte Bio-Tenside, Bio-Ethanol als alternativer Treibstoff);

  • die einzigartig sind und nicht bzw. nicht wirtschaftlich auf einem anderen als dem biotechnologischen Wege herstellbar wären (z.B. Joghurt, Käse, kompliziert gebaute Molekülstrukturen, Proteine als Medikamente, Waschmittelenzyme;

  • die Biomasse anstelle von fossilen Rohstoffen als Ausgangsmaterial nutzen (z.B. "Bioplastik", Biokraftstoffe).

Bedeutung der Gentechnik für die industrielle Biotechnologie

Biotechnologische Verfahren sind nicht mit Gentechnologie gleichzusetzen: Klassische biotechnologische Verfahren, bei denen natürlich vorkommende Mikroorganismen oder Enzyme eingesetzt werden, sind insbesondere in der Lebensmittel- und Getränketechnologie seit Jahrhunderten etabliert (beispielsweise der Einsatz von Hefen in der Brot-, Bier- und Weinproduktion).

Aufgrund des rasanten technologischen Fortschritts, des immensen Zuwachses an verfügbaren genetischen Informationen und drastisch gesunkener Kosten für gentechnische Verfahren (bspw. Sequenzbestimmungen) werden genetische Verfahren heute bereits routinemäßig für die Identifikation und Charakterisierung neuer Produktionsorganismen oder Enzyme eingesetzt. Ein wachsendes Verständnis für die Mechanismen, die bestimmten (erwünschten und unerwünschten) Eigenschaften von Produktionsorganismen zugrunde liegen, ermöglicht es bereits in vielen Fällen, neue Produktionsorganismen aufgrund ihrer genetischen Merkmale zu identifizieren. Die so ausgewählten Organismen sind aber nicht gentechnisch verändert.

In der Regel sind allerdings natürlich vorkommende Organismen für industrielle Produktionsprozesse nur bedingt geeignet. Deswegen handelt es sich bei so gut wie allen eingesetzten Produktionsorganismen um solche, die für industrielle Produktionsprozesse optimiert wurden und mit denen hohe Produktionsausbeuten erreicht werden können. Viele Firmen verwenden häufig "eigene" Mikroorganismenstämme, für die sie über die alleinigen Nutzungsrechte verfügen. Diese werden für neue Anwendungen (beispielsweise die Herstellung eines neuen Enzyms) jeweils entsprechend gentechnisch verändert. Durch Veränderungen des Erbguts kann der Stoffwechsel von Mikroorganismen für die jeweiligen Produktionsprozesse optimiert werden (sogenanntes Metabolic engineering) oder es können neue Gene in einen etablierten Produktionsorganismus übertragen werden, damit in diesem beispielsweise ein industrielles Enzym in großem Maßstab produziert werden kann. Hierfür stehen verschiedene gentechnische Verfahren zur Verfügung. Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob fremde DNA-Sequenzen in das Erbgut eines Organismus eingebracht werden, sodass der resultierende Organismus als transgen zu bezeichnen ist, oder ob ausschließlich zufällige Methoden wie die UV-Mutagenese zum Einsatz kamen, bei denen der resultierende Organismus zwar Veränderungen im Erbgut aufweist, diese sich aber nicht von natürlichen Mutationen unterscheiden lassen. Seit wenigen Jahren stehen zudem Methoden zur Verfügung, die die punktgenaue Veränderung des Erbguts (auch "Genome Editing" genannt) ermöglichen. Während bislang nur solche Organismen, bei denen fremde DNA-Sequenzen in das Erbgut eingebracht wurden, nach deutschem und europäischem Recht als gentechnisch verändert gelten, ist nun eine Diskussion darüber entbrannt, wann ein Organismus als gentechnisch verändert zu betrachten ist und anhand welcher Kriterien dieser zu bewerten ist. Unter anderem befasst sich aktuell der Europäische Gerichtshof mit dieser Frage.

Die meisten Produkte, die mit Hilfe biotechnologischer Verfahren oder mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden, sind Zwischenprodukte, die noch in weiteren industriellen Verfahren (teilweise auch in anderen Branchen) zu Endprodukten verarbeitet werden, mit denen der Verbraucher letztlich in Kontakt kommt. Diese Zwischen- und Endprodukte enthalten in der Regel keine lebensfähigen Produktionsorganismen mehr, möglicherweise aber Enzyme, die als Prozesshilfsstoffe eingesetzt wurden, oder gentechnisch veränderte DNA.

Eine Besonderheit stellt der Lebensmittelmarkt innerhalb der industriellen Biotechnologie dar. Für gentechnisch veränderte Agrarrohstoffe und für daraus hergestellte Lebensmittel sind Schwellenwerte festgelegt, bei deren Überschreitung eine spezielle Kennzeichnung vorgeschrieben ist. Wegen der ablehnenden Haltung von Handel und Verbrauchern gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmittelrohstoffen, gentechnisch veränderten Starterkulturen und Enzymen sowie Zusatzstoffen, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen produziert wurden (umgangssprachlich auch als "Gen-Produkte" bezeichnet), werden viele Produkte in verschiedenen Versionen (konventionell oder gen(technik-)frei) hergestellt. Die genaue Unterscheidung von solchen Produkten kann im Einzelfall jedoch schwierig sein, da möglicherweise im Laufe des Herstellungsprozesses gentechnische Verfahren zum Einsatz gekommen sind, dies in den Endprodukten aber nicht mehr nachweisbar ist. Dabei kann es sich beispielsweise um gentechnisch hergestellte Futtermittelzusätze wie Vitamine oder Aminosäuren handeln (vgl. Externer Link: www.transgen.de). In der Regel ist nicht davon auszugehen, dass für die Endverbraucher Gesundheitsrisiken beim Konsum von Produkten bestehen, die mit Hilfe gentechnischer Methoden hergestellt wurden. Unabhängig davon, ob die Produktionsorganismen gentechnisch verändert sind oder nicht, kann der Einsatz von Mikroorganismen und Enzymen in industriellen Produktionsprozessen Gefahren für die menschliche Gesundheit mit sich bringen. Betroffen sind in erster Linie Beschäftigte in biotechnologischen Produktionsanlagen.

Seit Mitte der 1970er Jahre wurden Sicherheitsmaßnahmen entwickelt, gesetzlich verbindlich vorgeschrieben und in die industrielle Praxis eingeführt, die darauf abzielen, Gefährdungen vorzubeugen und Beschäftigte vor Infektionen, Allergien oder toxischen Wirkungen zu schützen. Die meisten Mikroorganismen, die für industrielle Zwecke optimiert worden sind, dürften in der freien Umwelt natürlichen Organismen im Hinblick auf ihre Überlebensfähigkeit deutlich unterlegen sein. Ein Umweltrisiko ist insbesondere in der Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen zu sehen. Viele Bakterien sind zu einem sogenannten Gentransfer in der Lage, d.h. der Übertragung von Genen auf einen anderen Organismus. Da viele Produktionsorganismen zu Selektionszwecken Resistenzgene tragen, besteht die Gefahr, dass im Falle einer Freisetzung diese Resistenzgene auf natürlich vorkommende Bakterien übertragen werden. Die wichtigsten Maßnahmen bei der Arbeit mit genetisch veränderten Mikroorganismen bestehen demnach darin, ungefährliche Produktionsorganismen zu verwenden und in geschlossenen Anlagen zu produzieren, aus denen sie nicht in die Umwelt freigesetzt werden. (Externer Link: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)). Der Einsatz von Gentechnologie kann aber auch einen Beitrag zu sichereren Produktionsprozessen und Produkten sein, da ggf. toxische Eigenschaften von Mikroorganismen gezielt ausgeschaltet werden können oder anstelle eines natürlich vorkommenden, aber toxischen Organismus, ein unkritischer Produktionsorganismus entwickelt werden kann.

Neuartige Biotechnologische Verfahren

Um die immensen Vorteile der industriellen Biotechnologie in Zukunft effizient nutzen zu können, müssen zum einen die bereits existierenden biotechnologischen Verfahren fortlaufend verbessert werden, zum anderen werden neuartige Verfahren benötigt, die für den industriellen Einsatz geeignet sind. Wichtige Trends sind die engere Verzahnung von chemischen und biotechologischen Prozessschritten und die Übertragung ingenieurtechnischer Ansätze auf biotechnologische Prozesse. In Deutschland beschäftigt sich eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen und kleinerer Biotechnologie-Unternehmen mit der Entwicklung neuer Technologien. Eine hohe Hürde stellt jedoch die Überführung neuer Konzepte in die wirtschaftliche Anwendbarkeit dar. So existieren bereits diverse Beispiele, wie vollständige, nicht-natürliche Synthesewege in einem Produktionsorganismus konstruiert wurden; im großen Maßstab kommt die sogenannte synthetische Biologie jedoch noch nicht zum Einsatz. Durch das "genome editing" eröffnen sich nun auch für die industrielle Biotechnologie weitreichende Potenziale. Unter anderem wird erwartet, dass durch die gezielte Manipulation der Genome von Produktionsorganismen noch bestehende Limitationen überwunden werden und dadurch vielfältige neue Anwendungsgebiete für die Biotechnologie erschlossen werden können, beispielsweise für die Produktion von Biokraftstoffen durch Mikroorganismen, in der Abfall- und Abwasseraufbereitung oder für die Herstellung von biobasierten Chemikalien.

Wirtschaftliche Bedeutung

Zur kommerziellen Verwertung und wirtschaftlichen Bedeutung der industriellen Biotechnologie gibt es nur annäherungsweise Daten. Das "Key Enabling Technology Observatory" der Europäischen Kommission schätzt die Beschäftigung in Deutschland, die von der Produktion mithilfe der industriellen Biotechnologie abhängt, auf knapp über 50.000 Personen im Jahr 2013 (KET Observatory 2015).

Dabei kommt Klein- und Mittelständischen Unternehmen (KMU) eine erheblich geringere Rolle bei der kommerziellen Verwertung zu als der medizinischen (roten) Biotechnologie. Die meisten der Unternehmen in Deutschland, die ausschließlich auf Biotechnologie spezialisiert sind, sind schwerpunktmäßig in der roten Biotechnologie aktiv. 63 dedizierte Biotechnologieunternehmen, fast ausschließlich KMUs, haben in Deutschland ihren Schwerpunkt eindeutig in der industriellen Biotechnologie (BIOCOM 2017). Diese Anzahl ist in den letzten Jahren recht konstant geblieben. Kleine und mittelständische Unternehmen in diesem Bereich haben Probleme, ertragreiche Geschäftsmodelle zu entwickeln. Besonders bei Massenprodukten (z.B. bei biotechnologischen Grundchemikalien oder Biokunststoffen) kommt ihnen aufgrund des hohen Kapital- und Ressourcenbedarfs in der Regel nur die Rolle des Forschungs- und Entwicklungsdienstleisters oder Zulieferers zu. Nur wenige Unternehmen haben in bedeutenderem Maße eigene Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten (vgl. Aichinger et al. 2017).

In den genannten Zahlen zur industriellen Biotechnologie sind keine Biotechnologie-Forschungseinrichtungen bzw. Unternehmen enthalten, die biotechnologische Produkte nur weiterverarbeiten oder etablierte Verfahren einsetzen. Auch große Unternehmen, für die Biotechnologie nur ein Teil der Geschäftsgrundlage ist, sind darin nicht enthalten.

Aber gerade unter den Großunternehmen der chemischen Industrie hat eine erhebliche Anzahl strategische Schwerpunkte in der industriellen Biotechnologie gesetzt und baut ihre Aktivitäten in diesem Bereich aus (z.B. BASF, Evonik, Wacker), wenngleich ihr Kerngeschäft nach wie vor in der klassischen Chemie besteht.

Wie sieht die Zukunft aus? Gibt es einen Übergang zur Bioökonomie?

Der Umsatz und Anteil biotechnologischer Produkte und Verfahren an allen produzierten Gütern ist nach wie vor gering. Immerhin gibt es auch einige Hemmnisse bei der Verbreitung der industriellen Biotechnologie: Neben der bereits erwähnten kritischen Haltung der Verbraucher gegenüber biotechnologischen und gentechnischen Produktionsverfahren z.B. bei Lebens- und Futtermitteln sind hier v.a. die häufig höheren Kosten und Preise im Vergleich zu konventionellen Produkten zu nennen. Weiterverarbeitende Unternehmer sowie Verbraucher sind oftmals nicht bereit, mehr für diese Produkte zu zahlen. Expertenschätzungen zufolge wird es aber eine deutliche Steigerung in den kommenden Jahren geben (BIO TIC 2015). Großes Potenzial ergibt sich für die Industrielle Biotechnologie durch ihren möglichen Beitrag beim Übergang zu einer Bioökonomie, die auf nachwachsenden Rohstoffen anstatt auf fossilen Rohstoffen basiert.

Ein solcher Übergang zur Bioökonomie wird als eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte angesehen. In Deutschland und vielen anderen Ländern wurden in den letzten Jahren strategische Forschungsprogramme und Politikstrategien verabschiedet, die die Grundlagen für eine nachhaltige, biobasierte Wirtschaft schaffen sollen (z.B. "Nationale Forschungsstrategie 2030" sowie "Politikstrategie" der Bundesregierung). Im Frühjahr 2017 hat die deutsche Bundesregierung zudem eine Agenda zur "Biologisierung der Produktion" angekündigt (bioeoekonomie.de 2017). Dabei steht häufig nicht mehr allein die Ersetzung von fossilen durch pflanzliche Rohstoffe im Vordergrund. Auch die Beiträge zur Erreichung von Klima- und Umweltschutzzielen und den "Sustainable Development Goals" der UN gewinnen an Bedeutung und Legitimationskraft für die Bioökonomieförderung (Hüsing et al. 2017).

Biotechnologische Verfahren können in der Bioökonomie einer Vielzahl von Produktsegmenten (Massenchemikalien, Fein-/Spezialchemikalien, Biokraftstoffe) zu einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Produktionsweise beitragen. Im Gegensatz zu vielen herkömmlichen chemischen Verfahren, für die mehrheitlich fossile Rohstoffe verwendet werden, basieren biotechnologische Produktionsverfahren im Allgemeinen auf pflanzlichen und somit nachwachsenden Rohstoffen. Außerdem verspricht der Einsatz von biotechnologischen Verfahren, maßgeblich zum Klimaschutz beizutragen: Der Energiebedarf bei biotechnologischen Verfahren ist häufig geringer als bei chemischen Synthesen und es fallen geringere CO2-Emissionen an. Somit können striktere Umweltauflagen in der Produktion teilweise durch biotechnologisch hergestellte Produkte eingehalten werden.

Es besteht allerdings immer wieder die Sorge, dass künftig Nahrungs- und Futtermittelproduktion, energetische und industrielle Nutzung verstärkt um Agrarrohstoffe konkurrieren werden und die Agrarflächen zu intensiv und wenig nachhaltig bewirtschaftet werden. Für die nächsten Jahre bestehen die Herausforderungen also darin, die Biomasseproduktion für energetische und industrielle Zwecke auszuweiten, ohne aber zugleich die Nahrungs- und Futtermittelproduktion zu gefährden, die Umwelt zu belasten, Naturräume zu zerstören oder zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise beizutragen.

Auch hierbei wird der industriellen Biotechnologie ein großes Potential zugeschrieben, da beispielsweise mit Hilfe biotechnologischer Verfahren nicht-essbare Pflanzenteile nutzbar gemacht werden können oder Pflanzen verwertet werden können, die auf minderwertigen Anbauflächen wachsen, welche ohnehin nicht für die Nahrungsmittelproduktion geeignet sind. Um die zur Verfügung stehenden nachwachsenden Rohstoffe möglichst vollständig nutzen zu können, wird es in Zukunft wahrscheinlich sogenannte Bioraffinerien geben – dies sind große Fabriken, die pflanzliche Biomasse zu einer Vielzahl von Chemikalien und Zwischenprodukten, zu Energieträgern, Futter- und Düngemitteln verarbeiten und dann weiterverarbeitende Betriebe mit diesen Produkten beliefern (Bundesregierung, 2012; BMBF 2016). Bei der Verarbeitung der Biomasse werden unter anderem auch biotechnologische Verfahren zum Einsatz kommen: Beispielsweise können Mikroorganismen oder Enzyme für den Aufschluss der Biomasse eingesetzt werden. Die derzeit existierenden Verfahren sind allerdings noch zu teuer und ineffizient, sodass die Entwicklung und Verbesserung der Verfahren zentrale Herausforderungen der kommenden Jahre sein werden. Dabei wird es auch die Aufgabe der industriellen Gentechnik sein, große Mengen an hocheffizient arbeitenden Enzymen und Mikroorganismen zu einem geringen Preis zur Verfügung zu stellen.

Referenzen

Aichinger, H., Hüsing, B., Wydra. S. (2016): Industrielle Biotechnologie: Verfahren, Anwendungen, Ökonomische Perspektiven. TAB Arbeitsbericht, Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.

Bioökonomie.de (2017): Biologisierung auf Politikagenda, Meldung vom 31.07.2017, http://biooekonomie.de/nachrichten/biologisierung-auf-politikagenda.

BIOCOM (2017): The German Biotechnology Sector 2017.

Bio-TIC (2015): Overcoming hurdles for innovation in industrial biotechnology in Europe - BIO-TIC Market Roadmap

BMBF (2016): Weiße Biotechnologie – Chancen für eine biobasierte Wirtschaft.

Externer Link: Bundesregierung (2012) Roadmap Bioraffinerien im Rahmen der Aktionspläne der Bundesregierung zur stofflichen und energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe. BMELV, BMBF, BMU, BMWi (Hrsg.). Berlin.

Hüsing, B.; Kulicke, M.; Wydra, S.; Stahlecker, T.; Aichinger, H.; Meyer, N. (2017): Evaluation der "Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030". Wirksamkeit der Initiativen des BMBF - Erfolg der geförderten Vorhaben - Empfehlungen zur strategischen Weiterentwicklung

Externer Link: KET Observatory (2015): KETs Observatory Newsletter, Issue 4.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Enzyme sind Proteine (Eiweiße), die biochemische Reaktionen katalysieren. Enzyme sind nicht nur in Zellen aktiv, sondern können isoliert und aufgereinigt werden, um dann für technische Reaktionen in vitro ("im Reagenzglas") eingesetzt zu werden. Enzyme sind zentrale Werkzeuge in der Biotechnologie. Gleichzeitig stellen Enzyme wichtige biotechnologische Produkte dar. Technische Enzyme finden beispielsweise in der Lebensmittelherstellung oder in Waschmitteln in großem Maßstab Verwendung

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ist Leiterin des Geschäftsfelds Biotechnologie und Lebenswissenschaften am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.

ist Leiter des Geschäftsfelds Bioökonomie und Lebenswissenschaften am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.

ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.