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Einführung: Der Ort der Bioethik in der Philosophie | Bioethik | bpb.de

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Einführung: Der Ort der Bioethik in der Philosophie

Dr. Werner Moskopp Werner Moskopp

/ 6 Minuten zu lesen

Bioethik ist ein Teil der philosophischen Theorie der Moral, der sich mit dem Wert des Lebens auseinandersetzt. Der Bioethik geht es um die menschliche Sichtweise auf und die menschlichen Umgangsform mit der (belebten) Natur. Werner Moskopp mit einer Einführung.

Der Philosoph Immanuel Kant. (© AP)

"Bioethik" ist die Bezeichnung für einen spezifischen Zusammenhang von Fragen und Problemen innerhalb der Ethik. Die Ethik bildet als Theorie der Moral eine Disziplin der Philosophie, die wiederum in enger Verknüpfung mit den weiteren philosophischen Teilbereichen steht. Die Philosophie sucht (laut Kant) nach allgemeinen und vernünftigen Standpunkten in drei grundlegenden Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Diese Ausrichtungsmomente werden umfasst durch eine vierte Frage, die sowohl den Ort des jeweils Fragenden als auch den reflexiven Charakter des jeweiligen Untersuchens widerspiegelt: Was ist der Mensch?

Die Moral bezeichnet in diesem komplexen Gefüge einen Aspekt des menschlichen Miteinanders, der sich in der Verbindlichkeit von Werten, Einstellungen, Handlungen, Handlungsfolgen etc. ausdrückt. Demnach ist die Bioethik schon durch ihren Namen (bios = Leben, ethos = Sitte, Brauch, Gewohnheit...) als ein Teil der philosophischen Theorie der Moral ausgezeichnet, der sich mit dem Wert des Lebens auseinandersetzt und somit die menschliche Sichtweise auf sowie die menschliche Umgangsform mit der (belebten) Natur fokussiert.

Die Gegenstände der Bioethik betreffen im Grunde genommen keine neuen Untersuchungsfelder der Ethik, sondern heben lediglich einen aktuellen Bedarf an bestimmten traditionellen Debatten unter Bezugnahme auf die gegenwärtigen Umstände hervor. Die gezielte Akzentuierung dieser ethischen Neu-Orientierung seit Anfang der 1970er Jahre in den USA und seit Anfang der 1980er Jahre in Europa hängt eng zusammen mit verschiedenen Fortschritten innerhalb der Wissenschaften und insbesondere der Medizin, die zu Konflikten bzw. zu einer Krise in der Bestimmung von grundlegenden Werten der kulturellen Tradition (zumindest der "westlichen Welt") geführt haben: Die Begriffe "Leben", "Person" und "Würde" werden vor dem gegebenen Hintergrund immer wieder aufs Neue aufgearbeitet und diskutiert.

Dabei basieren die Auseinandersetzungen besonders auf der unterschiedlichen Weltsicht der jeweils Debattierenden. Der ernstzunehmende Kern des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurses versucht in gemeinsamer Anstrengung, eine bioethische Richtlinie für die neuen Möglichkeiten in der Biomedizin und der Gentechnologie zu finden und diese durch den Dialog mit der Biopolitik und den Biorechtswissenschaften in die gesellschaftliche Praxis einfließen zu lassen.

Das Schaubild zeigt die Bereiche der Bioethik. (© Werner Moskopp)

Die Medizin beinhaltet seit je her aus ihrem Selbstverständnis heraus eigene, praxisnahe ethische Richtlinien. Die demokratische Biopolitik muss hingegen auf sämtliche Positionen, Visionen und Ängste innerhalb der Gesellschaft durch das Erlassen positiver Rechte reagieren. Man kann also zunächst diese beiden Sparten des "Bio"-Diskurses unterscheiden von dem allgemeinen, vielfach abstrakten Diskurs in der Bioethik. Allerdings bedarf der praktische Umgang mit den entsprechenden Themen einer gemeinsamen, wechselseitigen Einbindung aller relevanten Organe in die je gegebenen Problembewältigungen.

Voraussetzung sowohl für die Informationen als auch für die Äußerungen zu bioethischen Themen setzen zumindest zwei Zustände des Urteilenden voraus, die dem entsprechenden Gegenstand der Überlegung hingegen nicht notwendig zukommen: Leben und Bewusstsein. Gerade bei den Themen der bioethischen Reflexion handelt es sich häufig um verstorbenes oder ungeborenes "Leben", möglicherweise sogar um potentielle Zustände des Lebendig-Werdens oder des Sterben-Werdens sowie um die damit einhergehenden (anzunehmenden) Bewusstseinszustände.

Die inner-ethische Debatte dreht sich dabei entweder um sinnvolle moralische Entscheidungen jeweils für den Einzelfall (induktiv: nach bestimmten Umständen, einem konkreten Zeitrahmen, ggf. ausgewählten Faustregeln) oder um vernünftige Normen, die allgemein festgelegt und anschließend angewendet werden (deduktiv). Die Argumente des Einzelnen für oder gegen bestimmte Regelungen, Handlungsweisen etc. leiten sich aber aus persönlichen (ethischen) Überzeugungen ab, wie auch immer diese entstanden sein mögen (etwa durch Erfahrungen, Überlegungen, Gespräche mit anderen Menschen, o.ä.). Zumindest indirekt nehmen die erworbenen Einstellungen und Haltungen durch den ethischen Diskurs immer auch Einfluss auf Bedürfnisse, Interessen und Wünsche anderer Lebewesen: Dazu zählen zunächst die Menschen im Umfeld des nach diesen Überzeugungen Handelnden – z.B. Patienten, Kunden oder Diskussionspartner –, aber auf lange Sicht auch die Lebewesen, die mit den Auswirkungen von institutionalisierten ethischen Positionen konfrontiert werden. Ganz deutlich wird dies in der alltäglichen Arbeit von Berufsgruppen wie Ärzten, Seelsorgern, Umweltschützern, Forschern etc.

In vielen Bereichen fragen wir Menschen gar nicht mehr nach den ethischen Dimensionen unseres Handelns. Es scheint uns selbstverständlich zu sein, Krankheiten zu bekämpfen, Zuchttiere zu impfen, Pflanzenkulturen zu verfeinern – aber haben wir damit den Blick auf die globalen Auswirkungen unseres Handelns nicht schon längst verloren? Mit den Möglichkeiten der Biologie und der Medizin kommen heute Fragen auf, die in die sensibelsten Fasern des menschlichen Daseins vordringen und doch ganz Großes bewirken können. Wo sind hier die Grenzen gesetzt? Dürfen menschliche Gene selektiert werden? Welche Gesetzeserlasse fördern Missbräuche (z. B. Organhandel)? Darf man menschliches Gewebe durch künstliche Implantate ersetzen oder gar aufwerten (Bionik)? Immerhin gehören Brillen, Hörgeräte, Prothesen längst zu unserem Alltag. Jeder Mensch muss selbst eine Kosten-/Nutzenabwägung erstellen, was zum Erhalt oder zur Steigerung des menschlichen Wohls getan und was nicht getan werden darf.

Diese Verantwortung gegenüber der eigenen Gattung verlangt einen Meinungsaustausch und somit notwendig eine rational zugängliche Form des Diskurses zwischen allen Beteiligten (ggf. über gewählte Stellvertreter). Aber auch hier gibt es kritische Zuspitzungen in den Bereichen des menschlichen Lebens, in denen die wesensmäßige Endlichkeit zu Einschränkungen in der Absehbarkeit von Folgen, von konkreten Wünschen anderer Menschen oder sogar vom Wert des Lebens führt. Selbst die rationalen Diskurse sind ja keineswegs frei von weltanschaulichen oder sogar metaphysischen Ansichten. Zusätzlich stehen besonders die europäischen Mediziner und Biologen heute auch in einer historischen Verantwortung, die den ideologischen Missbrauch der darwinistischen Theorie in sozialer Hinsicht zu berücksichtigen hat. Welche Anwendungsmöglichkeiten hat die moderne Medizin also – oder: welche Möglichkeiten sind für die nahe Zukunft absehbar? – und in welchem Rahmen darf sie diese nutzen? Mit welchen biopolitischen Entscheidungen verhindern wir einen Fortschritt und womit verstoßen wir gegen die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft? Bioethiker sind in vielen Fällen keine Mediziner, aber jeder Mediziner ist andererseits ständig mit bioethischen Fragen und deren Auswirkungen konfrontiert.

Insbesondere die Gentechnik berührt durch die Formen der Diagnostik und Prognostik auf Heilung, Perfektionierung und "Selektion" ganz empfindliche Bereiche des menschlichen Alltagsempfindens bzgl. der "sittlichen" Werte und Normen. Wer genügend Zeit und Geld besitzt, kann sich jederzeit eine genetische Beratung über die verschiedensten Anwendungsgebiete einholen: in Fragen der Reproduktionsgenetik, der Immungenetik, der Pharmako- und Nutrigenetik, der Molekularen Onkologie. Die Rolle der jeweiligen Technologie im Verhältnis zum menschlichen Leben benötigt also eine kritische Würdigung in den bioethischen Überlegungen.

Es ist fraglich, ob in diesen Belangen die (Bio-)Politik mit ihren versöhnlichen Kompromissen zwischen Legalität und Strafverordnung die verschiedenen Lager eint oder ob sie vielmehr ihrerseits Menschenrechtsorganisationen, medizinische und philosophische Gremien instrumentalisiert, um ganz einfach die Ängste der Bevölkerung vordergründig zu beruhigen. Ob die öffentliche Meinung oder die "Meinungsmache" der Medien in den Fragen der Bioethik als entscheidungsträchtige Instanz herangezogen werden kann oder sollte, ist ebenfalls eine bedenkenswerte Frage, die mit der Ausrichtung der politischen Interessen verknüpft werden muss. Ein Problem der Rechtsprechung in Fällen der Biomedizin ist sicherlich, dass die Judikative immer nur rückwirkend zu konkreten Szenarien tätig werden kann, während neue Forschungsmethoden in dieser Zeit schon längst wieder gewohnheitsmäßige Abläufe entwickelt haben. Entsprechend weisen politische Entscheidungen durch Zugeständnisse (auch) an "extreme" gesellschaftliche Positionen stets einen Kompromisscharakter auf, die ihre Toleranz dann in den strafrechtlichen Folgen widerspiegeln. So führte z.B. die "Abtreibungsdebatte" in Deutschland zu folgender gesetzlicher Regelung: Wenn keine besonderen Gründe – wie etwa die Gefährdung der physischen oder psychischen Gesundheit der Mutter – vorliegen, so ist die Abtreibung eines Embryos bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft zwar rechtswidrig, aber sie wird trotzdem nicht bestraft; allerdings muss sich die schwangere Frau zuvor in Beratung begeben.

Auch der Heilauftrag der Medizin reicht demnach in der aktuellen Diskussion bis an konfligierende Werte und Rechte wie Würde oder Selbstbestimmung heran, die in diesem Zusammenhang als eine Art Defensivkraft eingesetzt werden; zusätzlich entstehen für die Mediziner Fragen der Rationierung und der Möglichkeit einer gerechten Anwendung ihrer Kenntnisse im Lichte des Menschenrechts auf Unversehrtheit und unabhängig von der finanziellen Lage des Patienten. Die Moralität ist im Vergleich zur positiven Gesetzeslage allerdings in dieser Hinsicht nicht so leicht zu verändern oder gar auszuhöhlen, da sie zusätzlich zur Vernunftvermittlung auch in Gefühlen, Einstellungen, Hoffnungen der Menschen wurzelt.

Die Ausübung von Zwängen (direkter/indirekter), die Angriffe auf die Freiwilligkeit in der Informationsgewinnung und -vermittlung sowie die absehbaren gesellschaftlichen Konsequenzen im Umgang mit der Gen-Diagnostik sind ein gutes Beispiel dafür, dass "die Ethik" dazu aufgefordert ist, sich mit den aktuell gestellten Problemen auf Augenhöhe auseinanderzusetzen. Bioethik ist damit also immer auch ein Ausdruck des Erwehrens gegen eine vollständige Bestimmung des Menschen "von außen". Vielleicht kann die andauernde Debatte um den Wert der Würde dazu beitragen, die Daseinsvergessenheit der Würdeträger zu beheben: Würde kann letztlich nur je-von-mir-selbst im Umgang mit den Mitmenschen und Mitlebewesen bewiesen werden.

Geb. 1977, studierte Philosophie und ist Lehrbeauftragter an der Universität Koblenz-Landau. Für seine Promotion zum Thema "Struktur und Dynamik in Kants Kritiken" wurde er 2008 mit dem Hochschulpreis der Universität Koblenz ausgezeichnet.