Die Tierethik umfasst ein philosophisches Denkfeld, das mit der zunehmenden gesellschaftlichen Diskussion um Unzulänglichkeiten in der Massentierhaltung, der Jagd und in der auf Tierversuche bezogenen Forschung verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Gerade das Fernsehen mit seiner audiovisuellen Vermittlungsmöglichkeit spielt eine herausragende Rolle bei der Reflexion problematischer oder auch gelingender Mensch-Tier-Beziehungen. Allerdings fällt das Urteil, was die explizite oder implizite Berücksichtigung ethischer Grundüberlegungen in der Berichterstattung anbetrifft, ernüchternd aus. Exemplarisch sollen drei Formate in den Blick genommen werden: 1. Recherche- und Politikmagazine, 2. Talkshows, 3. Zoosendungen.
Großthema des Investigativjournalismus: Das politische Versagen
Reportageformate der öffentlich-rechtlichen Sender decken in den letzten Jahren neben Lebensmittel- auch Tierhaltungsskandale auf. Als besonders engagiert erweist sich das SWR-Format "Report Mainz", dessen einschlägig thematische Berichterstattung auch als exemplarisch für andere Sendungen wie "Frontal 21" oder "Fakt" angesehen werden kann. Im Juli 2019 geht es den Verstößen in der Milchwirtschaft nach, wenige Monate danach thematisiert es die unzureichenden Lebensbedingungen der Muttersauen im Kastenstand sowie unzulässige "Nottötungen". Gezeigt werden dazu in der Regel drastische Aufnahmen aus den betroffenen Höfen vor Ort, zum Beispiel aufgenommen von Tierschutzorganisationen. So werden oftmals auch VertreterInnen der "Soko Tierschutz" in die Recherche sowie die Kommentierung einbezogen, wie etwa die Fakt-Sendung im September 2020 belegt, in der grausame Tierschutzmissachtungen und Tiermisshandlungen in kleineren und mittleren Schlachthöfen dokumentiert werden. Als Maßstab zur Beurteilung der Situation der Tiere werden in derlei Berichterstattungen nicht primär Positionen der Tierrechtsphilosophie in Anschlag gebracht, die in der sogenannten "idealen Theorie"
Die dokumentierten Defizite zeigen verendete Lebewesen, gerade geborene Tiere in Mülltonnen, allerlei Verstümmelungen. Mit diesen Bildern, die den Zuschauer eben in seiner eigenen leiblichen Gestalt bewegen, werden zum einen die Betriebe selbst, zum anderen die übergeordneten Kontrollbehörden – vom Veterinäramt bis zum Bundesministerium für Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Ernährung und Tierschutz – konfrontiert. Zieht man eine Bilanz aus tierethischer Sicht, wird in den Berichterstattungen ganz bewusst nicht allein über Mitleidserzeugung mittels grausamer Bilder operiert. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit vor allem auf die kognitive Differenz zwischen positivem Recht (Tierschutzgesetz) und Rechtswirklichkeit gelenkt.
Die Ablenkung vom Leid – Tierethik in Talkshows
Obgleich die Frage nach dem Tierwohl mehr und mehr an Relevanz gewinnt, zeigen sich die Redaktionen politischer Talkshows davon weitestgehend unbeeindruckt. Wenn Bedürfnisse von Tieren eine Rolle spielen, dann zumeist als Nebenthema im Rahmen einer umfassenderen Diskussion. So etwa zu sehen in der Sendung des Formats "Hart aber fair", die anlässlich des Corona-Ausbruchs unter den Mitarbeitern in Tönnies-Fleischfabriken im Juni 2020 ausgestrahlt wurde: Weniger das Leiden der Tiere als vielmehr das der unterbezahlten und in dubiosen Subunternehmer-Verhältnissen angestellten Arbeiter stand dabei im Vordergrund. Um Abhilfe für sie zu schaffen, wurden primär Verschärfungen der Werkvertragsgesetzgebung diskutiert. Die Dramaturgie der Konversation folgt einerseits einem anthropozentrischen Dispositiv,
Zu den wenigen Ausnahmen einer sich vollumfänglich den Belangen von Tieren widmenden Sendung in diesem Format zählt eine Ausstrahlung vom Dezember 2019. Hierbei fällt jedoch auf, dass – entgegen des Titels "Leckerli fürs Hündchen, Bolzenschuss fürs Kälbchen, Mensch, wie geht das zusammen?" – nicht das Leiden gerade der landwirtschaftlich genutzten Tiere das Zentrum der Diskussion bildet. Stattdessen wird ausgiebig die Überzüchtung und Überfürsorge bei Möpsen thematisiert, was dem ernsten Sujet einen lächerlichen, ungewollt komischen Charakter verleiht. Im Zuge dieser Debatte um "Artgerechtigkeit" werden im höchsten Maße domestizierte Tiere als "Sozialpartner" innerhalb einer vereinsamten Gesellschaft benannt. Im Hintergrund dürfte dabei durchaus auch Donna Haraways Konzeption einer Mensch-Tier-Gefährtenschaft mitschwingen. Die Autorin nimmt "kokonstitutive Beziehungen an, in denen keine der Partner*innen vor dem Verhältnis oder der Bezugnahme existiert"
Implizit wird in den für diese Sendungsformate typischen Argumentationen die Frage nach einem möglichen moralischen und letzthin rechtlichen Status lediglich in Abhängigkeit von der Nähe bzw. Distanz von Tieren zu Menschen diskutiert. Zwar knüpfen solcherlei Überlegungen letztlich an Grundgedanken der Staatsutopie von Donaldson und Kymlicka an; – weisen diese doch Tieren Positionen wie Bürgerschaft zu, wenn diese in enger Beziehung zu Menschen leben.
Der Mensch im Tier – tierische Subjekte in Zoosendungen
Am häufigsten und in ihren Wesens- und Verhaltensarten sind Tiere im Fernsehen in Zoosendungen vertreten, die sich fundamental von den anderen investigativen oder diskursiven Formaten unterscheiden. Die wohl offensichtlichste Differenz äußert sich im Fokus auf die unmittelbare Mensch-Tier-Beziehung. Das animale Wesen wird als Akteur mit augenscheinlichen Interessen und Bedürfnissen – etwa nach Nahrung, Pflege und medizinischer Versorgung – sichtbar. In Formaten wie "Nashorn, Zebra & Co." werden Tiere als anthropomorphisiert dargestellt, indem entweder durch die Stimme aus dem Off oder durch das Pflegepersonal menschliche Eigenschaften auf sie übertragen werden. So ist im Hinblick auf die Paarungszeit immer wieder von der "Flirtsaison" die Rede. Um Benehmen und Charakter der Tiere zu vermitteln, werden Attribute wie "fein", "brav", "charmant" oder "gemütlich" gebraucht. Es wird dadurch ein Subjektstatus suggeriert, der Tiere als empfindungsfähige Wesen ausweist und eine Nähe zu den ZuschauerInnen herstellt. Gerade in der Interaktion mit den PflegerInnen erscheinen sie in der medialen Inszenierung mehr als Gefährten im Sinne Haraways denn als Gefangene.
Dass der Freiheitsentzug innerhalb der durch Kamera, Musik und Ton erzeugten Wohlfühlatmosphäre kein Thema ist, macht zugleich die ethische Problematik von Zoosendungen deutlich. Sie verschleiern zum Teil die den einzelnen Tieren unangemessenen Haltungsbedingungen.
Bilanz
Im Panorama unterschiedlicher TV-Formate wird man einer eher dürftigen Berücksichtigung ethischer Fragen um die Mensch-Tier-Beziehung gewahr, was im Übrigen – anders als bei anderen bioethischen Anliegen – mit einer weitestgehenden Absenz von anerkannten Tierethikern auf dem Bildschirm zusammenfällt. Geht es um das Leiden tierischer Subjekte, so erweisen sich die Reflexionen der Bedürfnisse oftmals als Nebenschauplatz, etwa in Diskussionen zum Klimawandel und zur Rolle der Landwirtschaft. Der Blick auf deren Nöte erweist sich zumeist als anthropozentrisch und steht damit im Zeichen eines "Nützlichkeitsdenken[s]".
Statt Visionen für einen Gesellschaftsvertrag zur Neuregelung der Verhältnisse zwischen Mensch und Tier vor der Kamera zu diskutieren, indem beispielsweise mehr Ethiker Gehör fänden, perpetuieren einige TV-Formate Interspeziesrelationen, deren Festigung auf die Tradition des klassischen Anthropozentrismus zurückgeht. Andere hingegen, wie investigative Magazine, nehmen den rechtlichen Status quo zum Maßstab, der zwar bei Weitem nicht den Stand der meisten modernen Tierethiken Rechnung trägt, aber bei einer wirklichen Einhaltung einen erheblichen Fortschritt für das Wohlbefinden von zahlreichen Tieren bedeuten würde.