Tiere als Produktionsfaktor
Die Nutzung von Tieren durch den Menschen reicht bis in die Altsteinzeit zurück, in der die gemeinsame Geschichte von Mensch und Hund begonnen hat.
Allein in Deutschland wurden 2020 rund 759 Millionen Landtiere geschlachtet. Mit der schieren Zahl der sog. Nutztiere haben sich auch die Bedingungen drastisch verändert, unter denen die Tiere gehalten werden.
Neben der Lebensmittelproduktion und Rohstoffgewinnung werden Tiere in großer Zahl heute beispielsweise auch für wissenschaftliche Forschungszwecke genutzt und verbraucht, in Zoologischen Gärten oder Zirkussen zu Unterhaltungszwecken ausgestellt oder als Heim- und Begleittiere gehalten.
In seiner jüngsten Stellungnahme hat auch der Deutsche Ethikrat die "Tierwohlachtung" zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe erklärt. Zumindest höher entwickelten Tieren müsse, so die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme, ein "Eigenwert" zugeschrieben werden, der sich in dem Grundsatz manifestiere, "dass das Wohl des Tieres in allen Phasen seines Lebens zu achten" sei.
Kritik an "Tierfabriken"
Die Haltung und Nutzung von Tieren ist in der (modernen) tierethischen Diskussion von Beginn an ein zentrales Thema gewesen. Bereits Peter Singer hatte in seinem 1975 erstmals erschienenen Buch "Animal Liberation" Tierversuche und Fleischkonsum die beiden Hauptformen des "Speziesismus" genannt und das millionenfache Leid angeprangert, das Tieren zugefügt wird, die in der Intensivtier- und Massentierhaltung ("Tierfabriken") gehalten werden.
Bereits Jeremy Bentham (1748-1832) hatte die Auffassung vertreten, dass das Glück oder die Interessen von (empfindungsfähigen) Tieren in der Moral nicht einfach deshalb ignoriert werden dürfen, weil sie Tiere, d.h. keine Menschen sind: Die Kernfrage, so Bentham, lautet nicht: "können sie denken? oder können sie sprechen?, sondern können sie leiden?"
Vor diesem Hintergrund hat Peter Singer eine Erweiterung des Prinzips der Gleichheit über die menschliche Spezies hinaus auch auf Tiere gefordert. Das von ihm vertretene Moralprinzip verlangt von uns, "dass wir in unseren moralischen Überlegungen den ähnlichen Interessen all derer, die von unseren Handlungen betroffen sind, gleiches Gewicht geben."
Tom Regan (1938-2017) war demgegenüber der Auffassung, dass das "moralische Grundübel" der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in einer Haltung besteht, die es gestattet, Tiere "als Ressourcen, sogar als erneuerbare Ressourcen für uns zu betrachten und zu behandeln".
"Dritter Status"?
Nichtmenschliche Tiere gehören zur moralischen Gemeinschaft. Ihre Interessen verdienen daher moralische Berücksichtigung. Dies wird heute kaum noch ernsthaft in Frage gestellt. Kontrovers diskutiert wird aber über die Frage, ob wir die Interessen von Tieren in gleicher Weise berücksichtigen müssen wie die ähnlichen Interessen von Menschen. Der Deutsche Ethikrat hat dies in seiner Stellungnahme zur Tierwohlachtung unlängst verneint und von einem "Dritten Status" der Tiere zwischen Mensch und Sache gesprochen: Dieser "Dritte Status" impliziert eine besondere Schutzwürdigkeit der Tiere und eine besondere Verantwortung des Menschen: "Im Unterschied zum Menschen lässt sich Tieren zwar keine Würde im Sinne einer nie antastbaren Selbstzweckhaftigkeit beziehungsweise eines kategorischen Verbots ihrer vollständigen Vernutzung (‚Instrumentalisierungsverbot‘) zuschreiben. Anders als bloße Sachen besitzen sie aber nicht nur einen Gebrauchswert für Menschen, sondern auch einen Eigenwert."
Die Rede von einem solchen "Dritten Status" der Tiere setzt voraus, dass es eine moralrelevante Differenz zwischen Tieren und Menschen gibt, die eine ungleiche Berücksichtigung ihrer (ähnlichen) Interessen begründen kann. Ob sich eine solche Differenz überhaupt ausweisen lässt, und worin sie gegebenenfalls bestünde – über diese Fragen wird seit den ersten Veröffentlichungen von Peter Singer und Tom Regan kontrovers diskutiert.
Formen der Mensch-Tier-Interaktion
Unabhängig davon, ob man den von Singer und Regan vertretenen Spezies-Egalitarismus teilt oder nicht, unabhängig davon also, ob man der Auffassung ist, dass die Interessen von Menschen im Konfliktfall mehr zählen als die (ähnlichen) Interessen nichtmenschlicher Lebewesen, stellt sich die Frage, was es überhaupt rechtfertigen könnte, Tiere in menschlicher Obhut zu halten und zu nutzen. Oder, anders gefragt: Wie müsste die Interaktion zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren beschaffen sein, um moralischen Maßstäben zu genügen?
Eine erste Antwort auf diese Frage lautet folgendermaßen: Die Haltung und Nutzung von Tieren durch den Menschen ist dann vertretbar, wenn sie zu beiderseitigem Vorteil ist. Menschen gehen faire Kooperationsbeziehungen mit den Tieren ein, wenn sie diese halten und nutzen: Der Mensch nutzt Tiere für seine Zwecke; diese erhalten im Gegenzug eine ihren Bedürfnissen angemessene Versorgung. Wir dürfen mit Tieren interagieren, so zum Beispiel Christine Korsgaard, "solange wir das in einer Weise tun, von der wir meinen, es sei plausibel zu glauben, dass sie ihr zustimmen würden, wenn sie könnten – das heißt in einer Weise, die für beide Seiten vorteilhaft und fair ist und es ihnen erlaubt, ein Leben zu führen, das einigermaßen der ihnen eigentümlichen Lebensweise entspricht."
Gegen das Kooperationsargument spricht allerdings zum einen, dass es zwar bestimmte Formen der Tierhaltung geben mag, von denen tatsächlich beide Partner profitieren. Von Hunden beispielsweise wird manchmal behauptet, dass sie die Nähe des Menschen suchen und genießen. Mit Blick auf die gegenwärtigen Formen der Tiernutzung kann davon aber offenkundig keine Rede sein. Welchen Grund sollten Tiere haben, einer Nutzung zuzustimmen, die sie mit erheblichen Einschränkungen ihrer Lebensqualität und einem allzu kurzen Leben bezahlen? Kühe beispielsweise erreichen natürlicherweise eine Altersgrenze von 15 bis 20 Jahren, landen durchschnittlich aber nach weniger als fünfeinhalb Jahren, von denen sie knapp drei Jahre als "Milchkuh" dienten, im Schlachthof. Hinzu kommt, dass Tiere die kognitiven Voraussetzungen nicht mitbringen, die das Kooperationsargument unterstellt: Tiere können weder den Praktiken, denen wir sie aussetzen, frei und informiert zustimmen, noch wissen sie, was in ihrem längerfristigen Interesse ist. Zudem verfügen sie, falls überhaupt, allenfalls über ein sehr rudimentäres Verständnis von Fairness.
Eine weitere Antwort auf die Frage, warum und unter welchen Voraussetzungen der Mensch Tiere halten und nutzen darf, stellt darauf ab, dass Tiere, die in Gemeinschaft mit dem Menschen leben, Beitragspflichten haben. Was zunächst vielleicht überraschend klingt, wird verständlich, wenn man die Interaktion zwischen Menschen und Tieren nach dem Modell der politischen Philosophie begreift. Eben dies tun Sue Donaldson und Will Kymlicka in ihrem Buch Zoopolis, in dem sie dafür plädieren, Tieren abhängig von den politischen Beziehungen, in denen sie zu menschlichen Gemeinschaften stehen, Mitbürger-, Koexistenz- oder Souveränitätsrechte zuzusprechen.
Das Problem des Argumentes besteht freilich auch hier darin, dass man Tieren Fähigkeiten attestieren muss, die sie nicht haben, will man ihnen den Status von Mitgliedern der politischen Gemeinschaft zusprechen oder ihnen Pflichten auferlegen. Tiere können sich weder an sozialen Kooperationszielen orientieren, noch können sie aktiv an den Geschicken eines politischen Gemeinwesens teilhaben. Auch für moralische Normen sind sie nicht empfänglich.
Das bedeutet nicht, dass die spezifische Form der Mensch-Tier-Interaktion keinerlei Folgen dafür hat, welche konkreten Pflichten wir gegenüber Tieren haben. Ursula Wolf beispielsweise glaubt, dass wir allen empfindungsfähigen Tieren gegenüber negative Pflichten haben, also solche Pflichten, die es verbieten, das Wohlbefinden von Tieren durch Leidenszufügung und Einschränkung von Betätigungsmöglichkeiten zu gefährden. Sog. Nutztieren gegenüber lassen sich ihrer Auffassung nach darüber hinaus aber auch Fürsorgepflichten begründen: Tierhalterinnen und -halter haben, wie Ursula Wolf sagt, die Verpflichtung, für die von ihnen gehaltenen Tiere zu sorgen. Sie sind für diese verantwortlich.
Töten von Tieren
Tiere müssen in der Regel getötet ("geschlachtet") werden, bevor sie als Nahrungsmittel oder Rohstoffquelle für den Menschen genutzt werden können. Damit stellt sich auch die Frage, ob und ggf. aus welchen Gründen man Tiere töten darf. Das Tötungsverbot ist in der tierethischen Diskussion deutlich umstrittener als das Verbot der Leidenszufügung. Während manche die Tötung eines Tieres (nur) unter der Voraussetzung für falsch halten, dass diesem damit die Möglichkeit zukünftiger positiver Erfahrungen geraubt oder wichtige seiner Interessen frustriert werden, sind andere der Auffassung, dass sich ein "Recht auf Leben" aus dem Respekt ableiten lässt, den "empfindende Subjekte eines Lebens" verdienen.
Von der Frage, ob man Tiere töten darf unterscheiden muss man freilich die Frage, wie die Tötung eines Tieres ausgestaltet sein müsste, soll sie moralisch gerechtfertigt sein. Ob es überhaupt möglich ist die Tiere, die üblicherweise als Nutztiere gehaltenen werden, auf eine Weise zu töten, die nicht Schmerzen, Angst oder Stress auslöst, ist umstritten. In der Praxis führt die Tötung von Tieren allerdings regelmäßig zu erheblichen Leiden und Belastungen. So zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass durchschnittlich 0,1 bis 1 Prozent der geschlachteten Schweine unmittelbar vor der "Brühung" noch Reaktionen aufweisen, welche auf Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen hindeuten. Die Fehlbetäubungsrate bei der industriellen Rinderschlachtung beträgt sogar 4 bis über 9 Prozent.
Ein einfaches Argument
Die meisten der als sog. Nutztiere gehaltenen Tiere haben ein Interesse daran, von Schmerzen, Deprivation, Angst oder Stress verschont zu bleiben. Viele haben ein Interesse daran, positive Emotionen zu erfahren. Soziale Tiere, wie viele sog. Nutztiere es sind, haben ein Interesse daran, Bindungen mit anderen Lebewesen (Nachwuchs, Artgenossen, andere Tiere, Menschen) eingehen zu können. Viele haben ein Interesse daran, artspezifische Aktivitäten ausleben zu können. Kurz: Sie haben "Interessen in den Dimensionen der Existenz, des Wohlbefindens und der willensbestimmten Aktivitäten".
Literatur
Ach, Johann S./Borchers, Dagmar (Hrsg.): Handbuch Tierethik. Grundlagen – Kontexte – Kontroversen. Stuttgart 2018.
Bode, Philipp: Einführung in die Tierethik. Wien/Köln/Weimar 2018.
Diel, Elke/Tuider, Jens (Hrsg.): Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung. Bonn 2019.
Grimm, Herwig/Wild, Markus: Tierethik zur Einführung. Hamburg 2016.
Ladwig, Bernd: Politische Philosophie der Tierrechte. Berlin 2020.
Schmitz, Friederike (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte. Berlin 2014.