Tiere, die großen Verlierer der Globalisierung
Die Auswirkungen der Globalisierung – also der weltweiten Verflechtung durch Kommunikation, Technologie, Informationen, Güter und Dienstleistungen in Bereichen Wirtschaft, Handel, Politik und Recht – auf das menschliche Wohlbefinden werden bis heute kontrovers diskutiert: Sind sie positiv, negativ oder gar neutral?
Die Verteilung ganzer Industrien über den Globus und deren Verflechtung führen regelmässig dazu, dass Staaten sich des Bereichs und der Grenzen ihrer Regulierungshoheit nicht mehr sicher sind. Nehmen wir Garnelen als Beispiel: Sie werden in der Nordsee gefischt, dann mit Laster und Schiff nach Marokko verfrachtet. Dort werden sie gepuhlt, tiefgekühlt und wieder mit Laster und Schiff zurück nach Europa transportiert.
Diese faktischen Verflechtungen wirtschaftlicher Aktivitäten haben es Staaten nicht erleichtert, Tiere zu schützen – ob sich diese nun innerhalb oder außerhalb ihres Territoriums befinden. Im Gegenteil: Das dichte Geflecht sozioökonomischer Aktivitäten hat regulatorische Unterschiede zwischen den Staaten deutlicher zu Tage treten lassen und Unternehmen, gar ganze Industrien dazu veranlasst, in jene Staaten bzw. Rechtsordnungen abzuwandern, in welchen die gesetzlichen Hürden am niedrigsten und die Bedingungen für ökonomische Gewinne am günstigsten sind.
Beispielhaft sei hier auf die Bemühungen für die Abschaffung des Kükenschredderns hingewiesen. Die weltweit vorherrschende industrielle Produktion von Eiern hängt in maßgeblicher Weise von der Nutzung von (weiblichen) Legehennen ab; (männliche) Hähne finden dabei «keine Verwendung» und gelten folglich als «ökonomisch überflüssig», gar «nutzlos». Brütereibetriebe sortieren deshalb seit Jahrzehnten Küken nach Geschlecht und vergasen oder homogenisieren die männlichen Küken – in Deutschland sind das jährlich 45-50 Millionen. Weltweit einzigartig statuiert das deutsche Tierschutzgesetz, dass die Tötung von Tieren «ohne vernünftigen Grund» verboten ist.
Die Problematik ist insofern nicht neu, als auch andere Rechtsbereiche mit dem «race to the bottom» zu kämpfen haben. So etwa in Bezug auf Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards.
Der Schluss liegt also nahe, dass Tiere im internationalen Recht gar keine Rolle spielen. Immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen aber darauf hin, dass ein universeller Konsens über den Tierschutz auf internationaler Ebene in anderer Form am Entstehen ist, nämlich als allgemeiner (Rechts-)Grundsatz des Völkerrechts.
Notwendigkeit neuer Regelungsansätze
Was oft vergessen wird, ist, dass diese Dynamiken nicht nur unter tierethischen Gesichtspunkten höchst problematisch sind, sondern auch aus demokratischer Warte. Die Eurobarometer-Umfrage «Einstellungen der Europäer zum Tierschutz» von 2016 weist aus, dass eine absolute Mehrheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger (94%) die Ansicht vertritt, dass der Schutz von Nutztieren wichtig ist. Mehr als vier von fünf Befragten (82%) sind der Meinung, dass der rechtliche Schutz von Nutztieren im Allgemeinen besser sein sollte, als das derzeit der Fall ist. Zudem finden 97%, die EU müsste mehr tun, um das Bewusstsein für Tiere international zu schärfen.
Angesichts der qualitativ und quantitativ beträchtlichen Herausforderungen an der Schnittstelle Tierrecht und Globalisierung scheint es naheliegend, dass auf ein internationales Abkommen hingearbeitet werden muss. Bereits heute bestehen unzählige Initiativen, die Staaten dazu auffordern, einem völkerrechtlichen Vertrag oder einer (nichtbindenden) gemeinsamen Erklärung der Völkerrechtsgemeinschaft beizutreten, die Tiere als empfindungsfähig anerkennen und ihr Leiden zu verringern suchen (so etwa die Universal Declaration on Animal Welfare von 2011 oder die International Convention for the Protection of Animals von 1988), oder die gar robuste Rechte für Tiere zu etablieren suchen (so die neueste Declaration of Animal Rights von 2011). Obwohl solche Bestrebungen unterstützungswürdig sind, ist ihr Zustandekommen unwahrscheinlich und – falls doch – wenig Erfolg versprechend . Dass sich Staaten auf ein internationales Abkommen oder eine Erklärung zum Schutz der Tiere einigen, ist unwahrscheinlich, weil Verbraucher und Produzenten ungleich über die Welt verteilt sind. Staaten, in welchen mehrheitlich Produzenten vorherrschen, tendieren zur Unterregulierung; Staaten mit anteilsmässig vielen Verbrauchern neigen zur Überregulierung.
Ganz anders verhält es sich im Straf-, Wettbewerbs-, Banken- oder Menschenrecht – und dies interessanterweise nicht zwingend abhängig davon, ob internationale Vereinbarungen getroffen wurden (im Wettbewerbsrecht bspw. existieren keine materiell-rechtlichen, völkerrechtlichen Verträge). Vielmehr machen sich Staaten hier das Konstrukt der «extraterritorialen Jurisdiktion» zunutze: Sie nutzen ihre Regelungshoheit, um ihr Recht über ihre Staatsgrenzen hinaus anzuwenden.
Was wir von der extraterritorialen Jurisdiktion erwarten können – und was nicht
Folgt man dem Völkerrecht, so könnte die extraterritoriale Jurisdiktion bereits heute auf das Tier(schutz)recht angewandt werden. Damit würden Tiere auf nationaler und internationaler Ebene besser geschützt. Zum einen würden Staaten Rechtssicherheit darüber erhalten, in welchen Fällen sie Tiere innerhalb ihrer Grenzen schützen könnten. Damit kann dem «race to the bottom» Einhalt geboten werden, was den Schutz von Tieren im Inland besser ermöglicht. Zum anderen weist das extraterritoriale Recht Möglichkeiten auf, um Tiere über die Grenze hinweg und damit global zu schützen. Dies ist notwendig, weil der immensen internationalen Verstrickung von Mensch und Tier durch Transport, Handel und Produktion nicht begegnet werden kann, wenn Staaten ihre Tierschutzgesetze minutiös im Inland anwenden. Die durch die Globalisierung angestoßene und täglich fortschreitende Verflechtung gelebter Realitäten über die Grenze hinaus erfordert auch eine Verflechtung des Rechts. Daraus ergibt sich ein dichtes Netz überlappender Bestimmungen, das bestehende Rechtslücken füllt. Deutschland etwa kann bei Vorliegen bestimmter Anknüpfungspunkte sein Recht auf Sachverhalte mit Auslandsbezug (etwa landesübergreifende Strukturen von Unternehmen), Personen im Ausland, oder gar ausländische Aktivitäten anwenden. Unternehmen ist es in der Folge nicht mehr möglich, ins Ausland abzuwandern, ohne deutsches Tierschutzrecht nachzuziehen. Und damit verschwinden die derzeit dominierenden Rechtslücken: Im Zweifel – z.B. beim Export eines lebendigen Tieres – wendet man mindestens das Recht eines der darin involvierten Länder an – nicht wie bisher gar keines.
Eine Mehrheit der Staaten behauptet heute von sich, die fortschrittlichsten Tierschutzgesetze zu haben. Diese Ansichten widerspiegeln komplexe sozio-kulturelle Dynamiken und Hintergründe. Jede Kultur nimmt in der Regel für sich in Anspruch, «den besten Umgang» mit Tieren oder eben «deren beste Nutzung» auszuweisen. Solche Aussagen sind auch regelmäßig wertend aufgeladen; sei es das Schächtungsverbot, das Verbot des Stierkampfes oder der Jagd geschützter Tierarten durch indigene Völker: Ziel dieser Rechtsvorschriften ist es, religiösen und kulturellen Minderheiten Vorschriften zu machen. Gleichzeitig blieben Praktiken dominanter Kulturen, wie Tierversuche oder die industrielle Schlachtung, unangetastet.
Nimmt ein Staat den Auftrag seiner Bürgerinnen und Bürger ernst – tatsächlich eine bessere Realität für Tiere zu schaffen – darf er gegenüber solchen Dynamiken nicht blind sein. Heute aber hinterfragt kaum ein Staat seinen Umgang mit Tieren kritisch: Schützt unser Recht Tiere tatsächlich besser als das unseres Nachbarn? Wendet man im Einklang mit völkerrechtlichen Prinzipien nationales Tierschutzrecht über die Grenze hinweg an, dann muss ein «besserer Schutz» dargelegt werden. Staaten müssen in erster Konsequenz ihre verschiedenen Ansätze und Schutzniveaus transparent machen. Wie unterschiedlich (resp. unterschiedlich schlecht) Staaten Tiere behandeln, wird so erst deutlich. In zweiter Konsequenz muss ein besserer Schutz eingeführt werden, etwa durch strengere Vorschriften punkto Transparenz, die rechtliche Anerkennung tierlicher Interessen, deren Integration, die Einführung detaillierter und sorgfältiger Vorschriften, adäquater Interessenabwägungen, Verbote und die Etablierung von (Grund-)Rechten.
Nicht Menschen- oder Tierrechte, sondern Menschen- und Tierrechte
Im öffentlichen Diskurs herrscht beachtliche Skepsis darüber, ob solche Forderungen überhaupt umgesetzt werden können in einem Zeitalter, in welchem zahlreiche Menschen selbst immer noch um Anerkennung und effektiven Rechtsschutz ringen. Zwei Grundannahmen, die solchen Befürchtungen zugrunde liegen, sind, erstens, dass nur ein kleiner Kreis eng umrissener Interessen berücksichtigt werden kann, und zweitens, dass die Interessen von Menschen und Tieren naturgemäß gegenläufig sind. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass diese Annahmen wie auch die Schlüsse, die wir daraus ziehen, fehlerbehaftet, gar grundlegend falsch sind: Erstens ist die Unterdrückung und Ausnutzung von Menschen eng mit der Unterdrückung und Ausnutzung von Tieren verflochten. Dies ist eine zentrale Einsicht der intersektionalen Studien.
Obwohl die Entmenschlichung ein altes Phänomen ist, haben wir erst vor Kurzem damit begonnen zu untersuchen, ob und wie sie bekämpft werden kann. Lange wurde angenommen, die Forderung «Behandle mich nicht wie ein Tier!» würde Einhalt gebieten. Dies ist problematisch, weil damit eben nicht nur für das eigene Recht eingestanden, sondern gleichzeitig den Tieren abgesprochen wird. Das Tier dürfte demnach wie selbstverständlich schlecht behandelt werden und würde so ein weiteres Mal an den Ort der geringsten Werthaftigkeit platziert. Die Abgrenzung vom Tier ist aber auch für Betroffene selbst nicht zielführend. Neue Forschungsergebnisse von Kimberly Costello und Gordon Hodson zeigen etwa, dass ein Prozess der Re-humanisierung nur dann stattfindet, wenn Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Tieren betont werden. Das Credo «Tiere sind wie wir» löst dann problembehaftete Aussagen wie «du bist ein Tier» (d.h. die Ähnlichkeit wird als Verunglimpfung genutzt) oder auch wie «ich bin kein Tier» ab (d.h. das Tier wird abgewertet).
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