Der Klimawandel
Wir messen, dass sich die durchschnittliche Temperatur auf unserem Planeten laufend erhöht. Wie ist das zu erklären? Der Mechanismus, mit dem man den von Menschen verursachten Anteil dieses Klimawandels erklärt, ist der Treibhauseffekt. CO2 und andere Treibhausgase steigen in die Atmosphäre auf und verweilen langanhaltend. Diese Treibhausgase lassen die Sonnenstrahlung passieren. Sie trifft auf die Erde und wird zeitverzögert als langwellige Wärmestrahlung von der Erde wieder abgestrahlt. Die Treibhausgase lassen diese von der Erde zurückgestrahlte Wärme nicht ungehindert in das All austreten, sondern sie absorbieren die Strahlung zum Teil und strahlen sie in alle Richtungen gleichmäßig wieder ab. Ähnlich wie das Dach eines Treibhauses reflektieren sie einen Teil der aufsteigenden Wärme zurück zur Erde, was dort zu einem "Wärmestau" führt. Der Treibhauseffekt ist ein natürlicher Vorgang und es gibt von je her Treibhausgase in der Atmosphäre. Nun emittieren die Menschen aber immer mehr Treibhausgase, die lange in der Atmosphäre verweilen. Damit und durch die Zerstörung von CO2-Speichern (zum Beispiel Wäldern) wird die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und damit der natürliche Treibhauseffekt verstärkt.
Das Fazit, das etwa die Potsdamer Klimaforscher S. Rahmstorf und H.-J. Schellnhuber daraus ziehen: "Die Klimageschichte ist ein sensibles System, das in der Vergangenheit schon auf recht kleine Änderungen in der Energiebilanz empfindlich reagiert hat. [...] Das Klima ist kein ‚träges Faultier, sondern gleicht einem wilden Biest‘."
Klimaethik – Vermeidung und Anpassung
Die Klimaethik fragt, welches Handeln angesichts des Klimawandels moralisch ist. Die Disziplin teilt sich in drei Teilbereiche auf, die im Folgenden dargestellt werden. Erstens geht es um moralische Muster der Vermeidung von Emissionen, zweitens um moralische Gestaltung von Anpassung an zu erwartende Schäden. Beispielsweise wäre eine Erhöhung von Dämmen eine solche Maßnahme. Drittens wird die Moral von "Climate Engineering" (CE) diskutiert. Das sind Eingriffe ins Klima, um die Erderwärmung zu begrenzen. Sie werden mit technologischen Mitteln auf meist globalem Niveau geplant. Eine wichtige Frage in der Klimaethik ist die nach der individuellen Verantwortung für geringe Emissionsmengen.
Das Subsistenzemissionsprinzip: Eine (notwendige) Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass das Existenzminimum der Vertreter der gegenwärtigen Generationen bei der Verteilung des Wohlstands gewahrt bleibt.
Das Gleiche-pro-Kopf-Rechte-Prinzip: Eine elementare Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass jedem gegenwärtigen und zukünftigen Menschen dasselbe Recht zugestanden wird, CO2 zu emittieren.
Das Verursacherprinzip: Eine elementare Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass die Verursacher von Klimaschäden diese reparieren oder ausgleichen.
Das Nutznießerprinzip: Eine elementare Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass alle Nutznießer vergangener und gegenwärtiger Schadenshandlungen für die entstandenen Schäden aus diesen Handlungen aufkommen.
Vertiefen wir das, indem wir die Debatte um das Verursacherprinzip (VUP) exemplarisch betrachten.
Das Verursacherprinzip (VUP)
Alle Länder (oder Personen) haben prinzipiell das gleiche Recht, die Erdatmosphäre zu nutzen. Gemessen an den begrenzten Kapazitäten der Erde haben die Industrieländer (beziehungsweise ihre Bewohner) diese Recht überstrapaziert und müssen dafür einen Ausgleich zahlen. Die vergangene und zukünftige Übernutzung muss durch deren Verursacher ausgeglichen werden, um zum Ideal gleicher Nutzung durch jeden zurückzufinden. Die Verursacher werden meist auf der Ebene ganzer Staaten identifiziert.
Kritik – Gerechtigkeit: Man kann Staaten und Individuen eventuell nur für jene Emissionen verantwortlich machen, die sie im Wissen um deren Wirkung in die Luft entlassen haben.
Zudem könnte man VUP als Plädoyer für eine Kollektivschuld von Staatsbürgern auffassen. Viele Verursacher sind bereits tot, und es wäre ungerecht, wenn die lebenden Verursacher alle Kosten zahlen müssten, denn sie hätten den Schaden nicht alleine angerichtet.
Zugunsten von VUP könnte man vorbringen: Wenn X das Leben von Y bedroht und Y verletzt, und wenn beide das merken, muss X dann nicht sofort mit seiner Handlung aufhören und Y zudem heilen? Gilt dies auch, wenn X vorher nicht um die Wirkung seiner Tat wusste? Allerdings verletzen, wie gesagt, nicht alle Bürger reicher Staaten andere Menschen.
Auf diese Gerechtigkeitsprobleme von VUP wird mit einer Modifikation des Prinzips reagiert, dem Nutznießerprinzip. Gegen dieses Prinzip lassen sich aber auch wieder Gerechtigkeitseinwände vorbringen. Der gewichtigste: Der gegenwärtige Wohlstand basiere nicht nur auf Kohlenstoffverbrennung, sondern auch auf vielen anderen Faktoren, z. B. "harter Arbeit". Vertreter des Prinzips würden die Ursachen des Wohlstand unzulässig auf CO2-Verbrennung reduzieren.
Mit John Stuart Mill lässt sich daher behaupten, dass es eine unauflösbare Verschiedenartigkeit von Konzeptionen der Gerechtigkeit gibt.
Climate Engineering (CE)
Manche sehen die Bemühungen um Emissionsvermeidung als zum Scheitern verurteilt an. Sie setzen auf CE. Im Vordergrund stehen Techniken des "Solar Radiation Management": Dabei wird Sulfat in die Stratosphäre eingebracht, das die Erwärmung kurzfristig stoppt. Das Sulfat ist nach zwei Jahren ausgewaschen. Das CO2 steigt davon unbeeindruckt an und wenn die Kühlung versagt, ist die Hitze durch die inzwischen gestiegene CO2-Konzentration wieder da. Also muss man zum Erhalt der kühlenden Wirkung permanent nachspritzen und dauerhaft CO2 vermeiden, sonst verschiebt man nur einige Symptome. Wichtige Gegenargumente sind:
Ist das technisch machbar und bezahlbar?
Welche Nebeneffekte sind zu erwarten?
Wie ist das Problem lösbar, dass CE global eingesetzt werden muss und einigen Regionen dabei nutzen kann, während es anderen massiv schaden kann?
Für CE wird oft über den Verweis auf Handlungsfolgen (konsequentialistisch) argumentiert: Unsere politische Untätigkeit lasse eine Katastrophe wahrscheinlich werden. CE sei ein Übel, aber ein geringeres als eine globale Klimakatastrophe, die derzeit sonst unvermeidlich scheine: Wir sollten daher sofort mit der Forschung beginnen.
Gegen die Ausübung und Erforschung dieser Techniken plädiert derzeit besonders Gardiner.
Kritiker Gardiners verfolgen einen "Portfolioansatz". Wie beim Anlegen von Geld sei es gut, Risiko zu streuen und auf viele verschiedene Lösungen zu setzen. CE gehöre in dieses Portfolio, nur dann sei es im Ernstfall weit genug entwickelt. Und es sei immerhin wahrscheinlich, dass die Vermeidungsstrategie nicht rechtzeitig greift. Daher wäre es nicht verantwortbar, diese Chance unbeachtet zu lassen, auch wenn sie Gefahren birgt. Wenn man sicherstellen kann, dass CE nicht die Erforschung anderer Optionen oder die Vermeidung beeinträchtigt, könnte das vernünftig sein.
Literatur
Caldeira, R, Keith, D. 2010, "The Need for Climate Enigneering Research”, in: Issues in Science and Technology 27, 57-62
Caney, S. 2006, "Environmental Degradation, Reparations, and the Moral Significance of History”, in: Journal of Social Science 37-3, 464-482.
Gardiner, S. 2004, "Ethics and Global Climate Change”, in: Ethics, 114-3, 555-600.
Gardiner, S. 2011, A perfect Moral Storm, Oxford.
Gesang, B. 2011, Klimaethik, Berlin.
Gesang, B. 2017, "Climate Change—Do I Make a Difference?”, in: Environmental Ethics, Vol 39.
Mill, J. S. 2000, Der Utilitarismus, Stuttgart.
Rahmstorf, S., Schellnhuber, H-J. 2007, Der Klimawandel, München.
Schüssler, R. 2008, "Global Governance and Climate Change: A Question of Historical Justice?”, in: The Philosophical Yearbook 21, Supplement, 51-65.
Singer, P. 2002, One World, New Haven, London.