Die Interviews wurden im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf der Veranstaltung "Das Anthropozän-Projekt. Ein Bericht." vom 16.10. bis 18.12.2014 geführt.
Kamera: Silke Albrecht, Till Steinmetz; Schnitt: Silke Albrecht, Till Steinmetz; Drehbuch: Tobias Asmuth; Redaktion: Caroline Seige; Sound: Patrik Metzger; Produktion: 11.2014; Spieldauer: 00:46:10; hrsg. von: Bundeszentrale für politische Bildung.
Was ist das Anthropozän?
Johannes Lundershausen (00:19-00:46): Vom Namen her ist das Anthropozän zuerst einmal eine geologische Epoche. Das ergibt sich aus den zwei Wortbestandteilen: auf der einen Seite Anthropos, was auf den Menschen hindeutet, auf der anderen Seite Zän, eine Epoche der geologischen Zeitskala. Die Anerkennung des Anthropozäns als Erdzeitalter löst jedoch weiterhin unter den Stratigraphen, also den Leuten, die sich mit der Erdgeschichte beschäftigen, Diskussionen aus.
Helmuth Trischler (00:46-01:08): Meine Überzeugung ist es, dass sich das Anthropozän durchsetzen wird, und zwar in seiner doppelten Rolle. In den Geowissenschaften wird darüber bereits diskutiert. Es besteht also Hoffnung, dass auch die Geowissenschaftler diese große Evidenz, die wir finden und gefunden haben, dazu benutzen, um eine neue Epoche zu definieren.
Erle Ellis (01:08-01:27): Beim Nachdenken empfinde ich das Anthropozän als sehr wertvoll, um im Menschen eine transformative Macht auf unserem Planeten zu erkennen. Der Blick auf eine lange Zeitspanne hilft, im Menschen und seinem Handeln nicht bloß ein aktuelles Ereignis zu sehen.
Jürgen Renn (01:27-02:24): Es scheint in der Wissenschaft, vielleicht auch im Denken insgesamt, häufiger so sein, dass neue Begriffe aus einer ganz kleinen Nische kommen, einer Wissensnische. Der Begriff des Anthropozäns wird neuerdings vor allem im Kontext der Geologie diskutiert. Es ist eine Frage der Stratigraphie, ob unsere menschlichen Hinterlassenschaften sich derart auswirken, dass man sie mit denen anderer geologischen Epochen vergleichen kann. Aber das reicht nicht aus. Denn wenn dieser Begriff impliziert, dass wir als Menschen planetare Effekte erzeugt haben, dann müssen wir auch verstehen, wie wir als vielfache menschliche Gesellschaften über große Zeiträume durch Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht sowie der Industriellen Revolution und durch wissenschaftliche und technologische Manipulation unserer Umwelt diese Prozesse ausgelöst haben.
Amita Baviskar (02:24-03:20): Ich denke, das Anthropozän ist eine Idee, die die Welt verändert, denn durch die Art, wie wir darüber nachdenken, müssen wir mit einem Mal anerkennen, dass wir die Erde nicht einfach nur bewohnen, sondern dass wir unsere Fußabdrücke auf ihr hinterlassen, die nicht rückgängig gemacht werden können. Durch unsere Veränderungen an der Atmosphäre oder an der Erdoberfläche und Hinterlassenschaften wie radioaktivem Müll haben wir einen irreversiblen Prozess eingeleitet und damit die demütig machende Erkenntnis gewonnen, dass das Schicksal unseres Planeten in unseren Händen liegt. Die Idee vom Anthropozän zwingt uns, auf neue und dringliche Weise über die zukünftige Entwicklung nachzudenken.
Sabine Höhler (03:20-04:20): Positiv gesehen ist das Anthropozän das Zeitalter des Menschen. Das geologische Zeitalter, in dem Menschen wirklich zu einer geologischen Kraft, zu einer Erdkraft wurden, in einem nicht geahnten Sinne. Und gleichzeitig sehe ich den Begriff auch als eine Problembeschreibung. Das Anthropozän ist das Zeitalter, in dem der Mensch fähig wurde, sich selbst zu zerstören. Denn Interventionen des Menschen in die Erde und ins Erdgeschehen könnten zu einer Auslöschung des Lebens führen. Es gibt verschiedene Zeitspannen, wann es mit dem globalen Klimawandel kritisch werden könnte. Es ist absehbar, dass das in den nächsten Jahrzehnten geschehen wird. Diese Dringlichkeit und der mit ihr einhergehende Prozess müssen zu einem Umdenken führen.
Jürgen Renn (04:20-05:58): Für denjenigen, der das Konzept annimmt, ergibt sich eine neue Perspektive. Nämlich die, dass wir als Menschheit in vielen Facetten, nicht nur, was den Klimawandel, der immer erwähnt wird und den radioaktiven Abfall betrifft, in den Verlauf der Geschichte, insbesondere der jüngeren Geschichte, sowie tief in unser planetarisches System und die Umwelt eingegriffen haben. Somit tragen wir auch die Verantwortung für die Folgen dieser Eingriffe.
Wir haben Prozesse in Gang gesetzt, die ein geologisches Ausmaß erreicht haben. Dazu passt der Begriff Anthropozän, der sich in eine Abfolge von geologischen Epochen einreiht. Jetzt leben wir in einer Epoche, die nicht mehr nur geologisch und biologisch bestimmt ist durch Prozesse außerhalb von uns, sondern durch Prozesse, die wir als Menschen nicht willentlich, nicht bewusst, nicht intentional, aber doch de facto in Gang gesetzt haben. Und die wir so einfach natürlich auch nicht kontrollieren können. Damit steigt insgesamt das Bewusstsein für eine globale Verantwortung. Eine Verantwortung für ein Problem, das über Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Konservierung hinausgeht, denn die Prozesse sind schon so tiefgreifend und haben ein solches Momentum, dass wir sie nur noch steuern können. Kontrollieren oder gar bewahren können wir sie nicht mehr, denn es handelt sich um hochdynamische Prozesse. Der erste Schritt ist, zu verstehen, was wir da angerichtet haben.
Wolfgang Lucht (05:58-06:42): Das Konzept des Anthropozäns erfordert, und das ist das große Problem, ein Denken in längerfristigen Zeiträumen, eine Vorsorge für die Zukunft und ein Abwenden von negativen Entwicklungen. Und damit tun wir uns in der Tat schwer, weil sehr viele unserer gesellschaftlichen Systeme am Finanzmarkt, aber auch in der Politik, auf sehr kurze Erfolge ausgerichtet sind und daher die Versuchung sehr groß ist, zu sagen. Was in der Zukunft ist, geht mich nichts an.. Aber das ist natürlich das Gegenteil von verantwortungsbewusstem Handeln, und es steht auch nicht in der Tradition eines europäischen humanistischen aufgeklärten Denkens, dass einem die Auswirkungen des Handels egal sind, solange sie nur die anderen oder die zukünftigen Generationen betreffen.“
Erle Ellis (06:42-07:50): Ich denke, dass Konzept des Anthropozäns hat definitiv das Potenzial, das menschliche Handeln nicht als eine kurzfristige Störung der Umwelt zu sehen, die wir einfach stoppen können, sondern als einen permanenten Prozess, mit dessen globalen Folgen wir leben lernen müssen. Wir sind verantwortlich für die Umwelt, in der wir leben und auch für die Umwelt zukünftigen Lebens und menschlicher Gesellschaften. Es ist eine machtvolle Idee, die Kinder und die Menschen der Zukunft mit einzubeziehen. Auf der anderen Seite haben wir ein Krisen-Narrativ, das davon ausgeht, dass das Anthropozän das Ende der Welt ist, weil wir alles so weit verändert haben, dass wir einfach nicht mehr existieren werden können. Das ist für mich kein realistischer Ausblick. Ich denke nicht, dass die Menschen verschwinden werden. Einige menschliche Gesellschaften werden auf- und wieder absteigen, aber sie werden nicht verschwinden, sondern sich kontinuierlich entwickeln.
Johannes Lundershausen (07:50-08:21): Ich glaube, das Anthropozän hat tatsächlich in gewisser Weise Sexappeal für die Gesellschaft, weil es ein Erdzeitalter ist. Jeder weiß aus der Schulzeit ungefähr, was es für Erdzeitalter gibt. Das Konzept ist bekannt, aber gleichzeitig bietet es etwas sehr, sehr Neues. Dadurch hinterfragt man es: ‚Mensch, aber Erdzeitalter, wie soll das zusammengehen?‘ Es weckt ein Interesse und auch eine Zugehörigkeit.
Wie sieht die Umwelt im Anthropozän aus?
Wolfgang Lucht (08:31-10:02): Wie die Zukunft aussehen wird, das wissen wir nicht, denn wir haben immer noch große Möglichkeiten, starke Veränderungen zu verhindern. Es ist möglich, den Klimawandel auf ein noch halbwegs erträgliches Maß zu begrenzen. Es ist möglich, die Abholzung der Wälder der Erde und den weiteren Biodiversitätsverlust zu stoppen. Wir wissen allerdings viel zu wenig darüber, wie belastbar eigentlich unsere jetzigen Lebenssysteme sind, eine große Stadt zum Beispiel. Wie stark können die Veränderungen sein, bevor wirklich was anfängt zu krachen? Wir haben das gesehen, Hurrikan Katrina in New Orleans, der starke Sturm Sandy in New York, wenn der Monsun schwächelt in Indien oder auch Feuerereignisse in Australien – das sind alles Dinge, mit denen Gesellschaften schwer zu kämpfen haben. Wie stark können die zunehmen? Wie stark kann sich die Umwelt generell verändern, bevor solche Dinge zu Problemen werden, die nicht mehr zu lösen sind und zu Veränderungen in der Gesellschaft führen müssen. Wir wissen, dass wir im Sommer mit dem Schlauch im Garten stehen, weil nicht alle Pflanzen Trockenheit und Hitzeperioden überstehen. Aber genau das passiert im Moment: Die Welt insgesamt erwärmt sich stark, wenn nichts geschieht. Und das wird zu erheblichen Veränderungen in der Struktur der natürlichen Umwelt führen und in allen Ökosystemen, die darin eingebunden sind. Das ist eine Folge des Klimawandels, die, wenn der Klimawandel ungebremst weiterläuft, erheblich sein kann. Meiner Ansicht nach stehen diese Folgen noch viel zu wenig im Zentrum des Bewusstseins.
Christoph Küffer (10:02-12:08): Vor zwanzig, dreißig Jahren war im Naturschutz die große Idee Schutzgebiete, Nationalparks und so weiter zu errichten. Und zumindest in diesen Gebieten können wir die Arten erhalten, weil wir all diese vom Menschen beeinflussten Veränderungen außen vor halten. Das ist im Anthropozän nicht mehr möglich, der Klimawandel stoppt nicht an den Grenzen. Zunächst mal wird es so sein, dass im Prinzip an jedem Ort auf der Erde in den nächsten zwanzig bis fünfzig Jahren, zum Teil schon jetzt, Umweltbedingungen herrschen werden, die dort für die Jahrtausende vorher nicht vorhanden waren. Die Evolution hat die Arten an andere Bedingungen angepasst, als diese nun an ihrem angestammten Ort vorfinden werden. Das führt zu mehreren Möglichkeiten: Die Arten reisen sozusagen mit dem Klimawandel, mit den Umweltbedingungen im Raum mit; sie passen sich an, oder aber sie sterben aus. Die Befürchtung besteht, dass ein großer Teil der Arten aussterben wird. Und die Voraussagen prognostizieren, dass es schon in den nächsten fünfzig bis hundert Jahren passieren kann. Wir erleben das zunächst als eine große Krise, in der wir einen beträchtlichen Teil der Arten, aber auch andere Aspekte der Biodiversität verlieren können. Erst jetzt wird uns das bewusst. Man muss davon ausgehen, dass schon jetzt täglich Arten aussterben. Wir sind mittendrin. Aber das Dramatische wird erst in den nächsten paar Jahrzehnten kommen. Auf die Intensität haben wir noch einen gewissen Einfluss. Ein großes Problem ist jedoch, dass in der Ökologie vieles mit Zeitverschiebung passiert. Es gibt Arten, die jetzt noch nicht ausgestorben sind, aber bei denen das Aussterben bereits unaufhaltsam ist. Diese vielen Arten müssen wir aktiv zurück ins Leben holen. Diese Arten, die wir zum Teil als lebende Tote bezeichnen, stellen eine der größten Herausforderungen für uns dar.“
Wolfgang Lucht (12:08-13:01): Der Begriff des Anthropozäns drückt aus, dass der Mensch zunehmend auf planetarem Maßstab Einfluss auf Umweltzustände nimmt. Und genau das ist der Fall beim Klimawandel, es geht inzwischen leider nur noch darum, die Größe und die Stärke des Klimawandels zu begrenzen und nicht mehr darum, ihn komplett zu verhindern. Denn das ist nicht mehr möglich. Er hat bereits begonnen, und er wird selbst bei sehr erfolgreichen Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels immer noch deutliche Auswirkungen haben. In dem Sinne leben wir im Anthropozän. Und dasselbe gilt natürlich auch für die Umgestaltung der Landoberfläche, durch unsere Eingriffe in das Meer zum Beispiel, beim bekannten Problem der Überfischung. Dies alles sind Zeichen für das Anthropozän, in das wir hineinwachsen und das schon längt begonnen hat. Die Forschung hat hier ihre Ausgangslage, ihre Aufgabe ist es, herauszukriegen, was die Folgen dieser Veränderungen im Gesamtsystem der Erde sind, vor allem für uns als menschliche Gesellschaften, sprich für die Zivilisation.
Christoph Küffer (13:01-14:50): Wir möchten alle Arten erhalten und trotzdem werden Arten aussterben, die für uns von ganz großem kulturellen Wert sind. Die großen Raubtiere wie Tiger und Löwen sind gefährdet, desweiteren Pandabären und Lemuren, viele dieser wunderbaren Arten. Das große Problem des Anthropozäns ist, dass die Veränderungen so schnell voranschreiten, dass es für die Arten nicht mehr möglich sein wird, mitzureisen. Also wird das Ökosystem aus den Arten bestehen, die ökologisch sehr breit angepasst sind und auch unter ganz neuen Bedingungen noch leben können. Dazu ein paar Arten, die sich sehr schnell ausbreiten können. Das heißt, dass es wahrscheinlich zu einer großen Homogenisierung der Ökosysteme kommt. Es wird nur eine kleine Gruppe von Arten geben, die angepasst sein werden an die neuen Bedingungen des Menschen. Und es wird eine sehr große Gruppe geben, die nicht angepasst sein und aussterben wird. Das heißt nicht, dass plötzlich ganze Erdflächen frei sind von Arten und somit leer, sondern dass überall die gleichen Arten vorkommen.
Für einige Arten haben wir vielleicht genug Geld, um sie irgendwo in Zoos und in Wildparks zu halten. Doch die große Frage ist, auf wie viele Arten wir verzichten können, bevor wir auch wichtige Funktionen der Ökosysteme verlieren – und das wäre tragisch. In der Zukunft werden wir viel Geld investieren müssen, um diese Werte der Natur in den Ökosystemen erhalten zu können. Doch woher soll dieses Geld kommen, wenn es nicht jetzt schon zurückgelegt wird? Wie finden wir ein Finanzinstrument für diese zusätzlichen Aufwendungen? Nur mit genügend Geld haben wir auch Möglichkeiten.
Wolfgang Lucht (14:50-16:02): Wenn man fragt, wie groß die Veränderungen bis zur Jahrhundertmitte sind, so muss man sagen, dass in der Jahrhundertmitte die Diskussion, ob es den globalen Wandel gibt oder ob die Wissenschaftler auch wirklich recht haben, nicht mehr existieren wird, denn alle werden es selbst erleben. Heute ist es ja so, dass man es ein kleines bisschen erleben kann, aber es noch nicht so richtig sichtbar ist – man sieht es minimal an den Messwerten. Aber 2050 wird jeder den Wandel auch selbst feststellen können. Wer um 2000 geboren wurde, wird spüren, dass in der Kindheit Dinge ganz anders waren, als sie es dann sind. Allerdings verlaufen die Pfade so, dass sich die meisten Dinge erst einmal langsam entwickeln und dann stark beschleunigen. Die größten Veränderungen werden in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts stattfinden, auf die wird es wirklich ankommen. Genau die müsste man aber heute schon verhindern. Das heißt, 2050 wird die Welt noch halbwegs erkennbar sein, 2100, wenn keine Gegensteuerung gelungen ist, wird die Welt erheblich anders aussehen. Wenn 2100 alle Kurven nach oben zeigen, kann man über 2200 reden, da sprechen wir dann nicht mehr von einer Erwärmung der Erde um vier Grad oder schlimmstenfalls fünf Grad, sondern dann könnte sie bereits sieben oder acht Grad betragen. Wenn einfach ungehindert weiter CO² emittiert wird, ist das sogar sehr wahrscheinlich. Und das sind Veränderungen, die gigantisch groß sind.
Christoph Küffer (16:02-17:07): Ich denke, was das Konzept des Anthropozäns für uns Ökologen, die Naturschutz-Interessierten, macht oder bereits gemacht hat, ist, uns den Spiegel der Realität hinzuhalten. Das heißt, dass wir uns intensiver darüber Gedanken machen müssen, ob der Mensch vielleicht gar nicht so schlecht für die Natur und die Erhaltung von Arten ist. Wir brauchen den Menschen als pflegende Hilfe und nicht als jemanden, den wir außen vor halten – das ist ein Umdenken im Naturschutz. Wir müssen uns gleichzeitig die schwierige Frage stellen, welche Arten wir wollen und welche Arten nicht. Diese Frage hätte man sich vor zehn Jahren als Naturschützer nicht gestellt, da stand es nicht zur Debatte, eine Art auszusterben zu lassen – es wäre eine Niederlage gewesen. Aber diese Entscheidung, Arten aussterben zu lassen, damit man die verfügbaren Ressourcen wirklich effizient und effektiv nutzen kann, um andere Arten erhalten zu können, wird eines der großen Themen für den Naturschutz in den nächsten Jahrzehnten sein. Und ich glaube, das Anthropozän-Konzept hat geholfen, uns genau das klar und deutlich vor Augen zu führen.
Wird planetares Geo-Engineering die Welt retten?
Erle Ellis (17:27-17:52): Es gibt verschiedene Definitionen von Geo-Engineering. Ich würde eine enge Definition bevorzugen. Für manche Leute ist auch Landwirtschaft Geo-Engineering. Landwirtschaft ist ein globales technisiertes Verfahren, das die Erde verändert hat. Sie wurde aber nicht erfunden, um die Erde zu verändern. Das Konzept des Geo-Engineering steht meines Erachtens für eine bewusste globale Intervention.
Johannes Lunderhausen (17:52-18:24): Soweit ich die Diskussion kenne, dreht es sich um zwei generelle Kategorien von Geo-Engineering, die verhandelt werden. Es gibt auch noch andere Konzepte, aber die sind utopischer. Die eine Form ist das Solar Radiation Management, wo es darum geht, die Sonneneinstrahlung abzublocken. Und die andere die CO²-Abscheidung und -Speicherung, bei der CO² aus der Atmosphäre und aus der Luft abgefangen wird, um sie dann irgendwo anders zum Beispiel zu vergraben.
Sabine Höhler (18:24-18:59): Sonnenpiegel, Kohlenstofffallen in den Ozeanen, genetisches Engineering, um Adaption zu erzwingen, genetisch modifizierte Organismen – all das sind Hoffnungsträger, aber ich glaube, dass sie auch extrem problematisch sein werden in dieser ganzen Kette der Erfindungen, auf die wir schon zurückblicken.
Wolfgang Lucht (18:59-19:25): Geo-Engineering ist als wissenschaftliches Problem interessant. Es gibt Stellschrauben, an denen man durch menschliche Eingriffe zum Beispiel Eigenschaften des Planeten in der Atmosphäre verändern könnte. Jedoch stellt es eigentlich eine Bankrotterklärung menschlicher Umwelt- und Klimapolitik dar: Man traut sich zu, in der Zukunft die Erde zu manipulieren, aber man traut sich nicht zu, den Wandel, den man nachher korrigieren möchte, jetzt zu verhindern.
Erle Ellis (19:25-19:57) Geo-Engineering auszuprobieren, ist tatsächlich zu einer Option geworden, jetzt wo es den vom Menschen verursachten Klimawandel gibt, der unsere Gesellschaften bedroht, sollte er weiter voranschreiten. Wir denken daher über Wege nach, Dinge zurückzunehmen, die wir dem Planeten schon angetan haben. In diesem Zusammenhang wird Geo-Engineering ernst genommen. Die Folgen der Klimamodellierung sind möglicherweise gewaltig, vielleicht sogar schlimmer als alles, was wir durch den Klimawandel ausgelöst haben.
Wolfgang Lucht (19:57-20:15): Es ist vom Risiko und von der technischen Machbarkeit her unendlich viel attraktiver und realistischer, den Wandel jetzt zu begrenzen, ihn jetzt unter Kontrolle zu bekommen, als die Zuversicht zu haben, dass uns in der Zukunft irgendwelche neuen technischen Errungenschaften planetarisches Management mit geringem Risiko ermöglichen. Das passt nicht zusammen.
Erle Ellis (20:15-20:37): Ich stehe der Anwendung von Geo-Engineering sehr kritisch gegenüber. Trotzdem oder gerade deshalb sollten wir die möglichen Nachteile und Folgen, das Pro und Contra von Geo-Engineering, genauestens erforschen und bewerten. Nur so können wir gut vorbereitet sein, wenn künftige Entwicklungen die Lage noch ernster werden lassen sollten, als sie jetzt bereits ist.
Helmuth Trischler (20:37-21:03): Carbon Capturing und ähnliche Vorschläge, wie sie vonseiten der Protagonisten des Geo-Engineering vorgebracht werden, werden nicht die Lösung für unsere Probleme sein. Das wird uns weiter hineinführen in Sackgassen, wie wir sie im zwanzigsten Jahrhundert vielfach erlebt haben und die uns nicht weitergebracht, sondern die Probleme, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen, noch verschärft haben.
Sabine Höhler (21:03-22:24): Wir wissen nicht, was die Folgen eines Sonnenabwehrspiegels im All wären. Wer weiß, was das wieder an neuen Konsequenzen zeitigt. Damit würden wir versuchen, das Anthropozän praktisch mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und ich sehe nicht, dass wir das schaffen. Im Grunde addieren wir diese neuen Erfindungen nur zu den alten, die genauso problematisch waren. Zum Beispiel das Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) in den Fünfzigerjahren: Es sollte als Pestizid die Ernten sichern, wurde hoch gelobt und entwickelte sich dann extrem problematisch, weil es in die in die Nahrungskette gelangt ist. Ein Element einer Anthropozängeschichte sollte sein, dass man sich solche Pestizid- und Fungizidforschung und –praktiken anschaut, um zu sehen, was extrem problematisch war und deshalb verboten wurde, weil es sich in die Nahrungskette eingelagert und im Grunde alles vergiftet hat. Die Lösungen müssen andere sein. Ich glaube, dass wir genau das hier versuchen, nämlich durch Einbeziehen ganz anderer Wissensformen und anderer Akteure den Problemen auf die Spur zu kommen und neue Lösungen zu suchen.
Helmuth Trischler (22:24-22:42): Es sind nicht diese großen Lösungen des Eingriffs in die Erde, die uns weiterbringen, sondern es sind lokal adaptierte Lösungen, die dort greifen, wo wir als Einzelne, als Individuen ins Spiel kommen.
Johannes Lunderhausen (22:42-23:15): Ich halte diese Idee, dass man das Erdsystem steuern kann, für problematisch, weil es einfach zu komplex ist. Viele Naturwissenschaftler sind ebenfalls der Meinung, dass wir uns wegen der Komplexität nicht darauf verlassen können, dass einzelne Handlungen, ein einzelnes Drehen am Thermostat, wirklich in die Richtung gehen, in die wir wollen. Der Klimawandel selbst weist darauf hin, dass unser tägliches Handeln zu unvorhergesehenen Effekten führt.
Wer besitzt die Erde im Anthropozän?
Amita Baviskar (23:43-25:11): Ich denke, man sollte die Idee vom Anthropozän als einen globalen Aufruf zum Handeln gleichermaßen für alle Weltbürger mit einer gewissen Skepsis betrachten. Ich stimme darin überein, dass das Problem tatsächlich ein globales ist, aber ich denke, man muss einen differenzierteren Blick auf das Wort Bürger werfen: Wer hat die Macht und wer nicht? Wer ist Bürger des globalen Nordens oder wer des globalen Südens? Nicht nur um Verantwortung zuzuordnen, sondern auch um zu sehen, wer den Preis bezahlen muss und wer Opfer der Entwicklungen sein wird. Ich denke, man sollte dem dringenden Aufruf zu handeln folgen und etwas zur Rettung des Planeten tun. Aber wir sollten auch sorgfältig darauf achten, welche Lösungen angeboten werden, wer sie anbietet, wo das Geld ist und wer gebeten wird, den Preis zu zahlen. Wenn man auf die Politik des globalen Umweltschutzes schaut, dann stellt man fest, dass es oft wohlmeinende, aber privilegierte Akteure sind, die zu imposanten Lösungen gelangen, mit oft gewalttätigen Folgen für die Umwelt und die Menschen, die von ihr abhängen.“
Johannes Lunderhausen (25:11-26:02) Beim Thema Gerechtigkeit ist das Anthropozän ein sehr nützlicher Gedanke, weil uns das Konzept zeigt, dass es multiple Zusammenhänge auf der ganzen Welt gibt. Und dass wir eigentlich kaum mehr unterscheiden können zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Es gibt natürlich strukturelle Unterschiede in der Politik, in der Wirtschaft – aber das Anthropozän stellt gerade die Frage, wer die anderen sind, denn durch diese Referenz zum Anthropos, zum Menschen, wird ein gewisses Gemeinschaftsgefühl hergestellt. Was wiederum oft kritisiert wird, weil dadurch manche Unterschiede, die es in der Welt gibt, nicht mehr so stark wahrgenommen werden. Aber auf der anderen Seite hat das Konzept das Potenzial, Leute aus der ganzen Welt zusammenzubringen.
Amita Baviskar (26:02-27:10): In mancher Hinsicht ist die Idee vom Anthropozän, also die Tatsache, dass die Erde durch menschliche Eingriffe und den Ressourcenverbrauch verändert wurde, immer noch ein fremder Gedanke für Indien, wo für die meisten Menschen der tägliche Überlebenskampf das dringlichste Problem ist. So bleibt die Idee vom Anthropozän etwas Abstraktes: Ja, den Klimawandel mag es geben, vielleicht gibt es ihn auch schon, insofern sich Niederschlagsmodelle oder der Anstieg des Meeresspiegels verändert haben oder der Fischfang oder die Vegetation betroffen sind. Dennoch werden diese Probleme als Teil größerer Strukturen gesehen, die teils politisch, teils wirtschaftlich sind. Rund um das Recht auf Land oder Wasser, von denen die Menschen glauben, dass sie die dringlichsten Probleme sind, mit denen man sich befassen muss, gibt es eine Menge anderer komplizierter entwicklungspolitischer Aspekte.
Helmuth Trischler (27:10-27:47): Die Frage, ob wir unseren Lebensstandard halten können oder ob wir uns einschränken müssen, ist eine zentrale für das Anthropozän. Ich glaube allerdings, dass wir auch hier nicht notwendigerweise davon ausgehen müssen, dass wir auf ein niedriges Level von Konsumentenkultur einschwenken müssen. Es geht nur darum, dass wir intelligente Lösungen schaffen, dass wir zum Beispiel lokale Produkte bevorzugen, dass wir Lösungen favorisieren in unserem eigenen Konsumverhalten, die uns als Konsumenten dazu zwingen, vor allen Dinge sogenannte smarte Produkte zu konsumieren.
Erle Ellis (27:47-28:45): Eine der gängigsten Vorstellungen lautet, dass ökonomisches Wachstum und Entwicklung, was nicht notwendigerweise dasselbe ist, verbunden sind mit dem Klimawandel und dem Verlust an Biodiversität. Und ohne Frage sind sie das zurzeit auch. Man kann tatsächlich zeigen, welche Menge CO² in der Atmosphäre ein Dollar verursacht. Aber das muss nicht so bleiben. Es war nicht immer so und es kann sich schnell ändern – wenn ich schnell sage, meine ich in Jahrzehnten – angesichts neuer Technologien oder zum Beispiel mittels Einsatz schon existierender CO²-armer Technologien. Es gibt keinen Grund dafür, dass der Energieverbrauch, der eng an unser Wirtschaftssystem gebunden ist, mit einem intensiven CO²-Verbrauch einhergehen muss. Das ist ein kritischer Punkt, den wir entkoppeln müssen. Das Konzept der Entkopplung unserer Wirtschaft von Umwelt zerstörenden Auswirkungen ist eine Strategie, um den Niedergang der Umwelt aufzuhalten.
Amita Baviskar (28:45-29:53): Das Problem des Anthropozäns ist eigentlich ein Problem der westlichen Welt. Die Art, wie sich das globale Klima verändert oder unser Erdsystem unwiderruflich den menschlichen Einfluss offenbart, ist nichts, was von allen Menschen geschaffen wurde. Wenn man auf den Beitrag des schon industrialisierten globalen Nordens schaut, kann man sehen, dass er vor allem die Verantwortung für die Ursachen der Probleme trägt. Ich denke, dass an diesen Fragen interessierte Teile der indischen Gesellschaft und sicherlich die indische Regierung es so sehen, dass eine globale Ungerechtigkeit bezüglich des Ressourcenverbrauchs oder des globalen Ausstoßes von Emissionen existiert, die anerkannt werden muss, damit wir uns als Bürger der Welt sowohl mit der Idee vom Anthropozän als auch der Idee von Verhandlungen zum Klimawandel beschäftigen können.
Erle Ellis (29:53-30:58): Ich sehe nicht, dass unser Planet auf einen Zusammenbruch zusteuert. Ich denke eher, dass die Erde immer weiter transformiert wird, und das vielfach in einer Weise, die wir nicht wollen und die sehr kostspielig werden wird. Die Kosten dessen, was wir dem Planeten antun, werden sehr viel höher sein als die Profite, die jetzt gemacht werden, zum Beispiel durch den Verbrauch billiger Energie. Ich bin überzeugt davon, dass wir es bereuen werden, was wir der Erde angetan haben. Aber die Idee, dass wir dagegen nichts tun können, ist auch nicht richtig. Das Amüsante ist, dass man gar nicht eine ganze Reihe neuer Erfindungen braucht, um das Energieproblem zu lösen, was eigentlich ein Kohlenstoff-Problem ist. Die Technologien gibt es schon. Der menschliche Energieverbrauch ist unglaublich groß, wächst schnell und muss noch mehr wachsen, weil viele Menschen die Armut hinter sich lassen wollen. Energie und Wachstum gehören zusammen, und anstatt für diese Energie Kohlenstoff in die Atmosphäre zu blasen, brauchen wir einen Wandel hin zu kohlenstoffarmen Energieträgern.
Helmuth Trischler (30:58-32:04): Für mich als Humanwissenschaftler, Geisteswissenschaftler und Sozialwissenschaftler ist die Möglichkeit immens wichtig, Denkwelten und Konzepte, die wir in den Geisteswissenschaften eingebracht haben, besonders in Hinblick auf die Infragestellung des Fortschrittsparadigmas, auch in westlichen Gesellschaften, in diesen Diskurs mit den Naturwissenschaften und den Technikwissenschaften zu übertragen und ihn dort zu verankern, weil dort der Fortschrittsbegriff immer noch sehr stark vorherrscht und linear betrachtet wird. Es wird nur in Richtung Innovation und Fortschritt gedacht. Innovation und Fortschritt sind per se positiv konnotiert. In der Tat brauchen wir Innovation, um eine zukunftsfähige Gesellschaft haben zu können, aber wir brauchen smarte Innovationen. Innovationen, die nicht linear auf wirtschaftliches Wachstum bezogen werden, sondern von Wachstum in Form von Ressourcenverbrauch abgekoppelt sind. Und all das wird ermöglicht durch den Anthropozänbegriff.
Johannes Lunderhausen (32:04-33:03): Wie ich vorhin schon gesagt habe, das Anthropozän bringt viele Leute, die vielleicht früher nicht miteinander gesprochen haben, zusammen und verwickelt sie in Diskussionen, die es vorher vielleicht nicht gab. Ich glaube, dass sich gerade aus diesen Diskussionen neue Allianzen bilden, die eine bestimmte Konternarrative zu unserem heutigen Wachstumsbegriff darstellen können. Die Idee von Gemeinschaft ist im heutigen Wachstumsbegriff nicht mehr inbegriffen. Vor diesem Hintergrund bietet der Begriff des Anthropozäns Potenzial, neue Gemeinschaften zu schaffen, egal auf welcher Ebene, ob auf der Forschungsebene oder beim Hausbau, indem Wohngenossenschaften gebildet werden.
Wer entscheidet über die Zukunft?
Johannes Lunderhausen (33:29-34:01): Ich sehe das Anthropozän als neue Hülle für die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit als Konzept, auch als politisches Konzept, gibt es ja schon sehr lange. Doch man ist damit nicht so wirklich vorangekommen, vielleicht auch, weil es von ein paar Leuten missbraucht wurde. Das Anthropozän gibt uns jetzt eine Chance, diesen Diskurs wiederaufzunehmen und einen neuen Impuls zu geben, auch für politisches Handeln.
Erle Ellis (34:01-35:16): Man sieht schon, dass große politische Konsequenzen der Veränderungen internationale Spannungen, Diskussionen und Verhandlungen sind, die sich um Themen wie Energie und Umwelt drehen. Einige der großen Differenzen zwischen den Supermächten der Welt haben mit Umweltthemen zu tun, zum Beispiel ob die eine oder die andere Nation für etwas verantwortlich ist oder nicht. Die Idee hat sich erledigt, über politische Verantwortlichkeit zu reden, ohne die Umwelt wirklich miteinzubeziehen, weil hier im Grunde Gesellschaften aufeinander und die Gesellschaften wiederum auf mächtige Umweltkräfte prallen, die wir entfesselt haben. Der globale Wandel und unsere Umwelt werden von nun an ein ständiger Teil politischer Diskussionen sein. Sie werden einmal mehr, einmal weniger auf dem Tisch liegen, aber sie werden nicht verschwinden. Ich denke, das ist die wichtigste Botschaft des Anthropozäns: Die Umweltprobleme verschwinden nicht, sie müssen geregelt werden, immer wieder aufs Neue. Hat man eines gelöst, kommt das nächste Problem. Es wird keine Zeit geben, in der das aufhört.
Jürgen Renn (35:16-36:13): Wir müssen lernen, diese globalen Probleme trotz der vielen Brennpunkte, die wir auf der Welt zurzeit sehen, nicht aus den Augen zu verlieren. Und vor allem auch zu begreifen, wie viele dieser Dinge zusammenhängen. Viele dieser Brennpunkte sind zwar lokal, aber sie sind von verschiedenen Formen globalen Bewusstseins geprägt. Doch das globale Bewusstsein, das uns erlauben würde, die Herausforderung des Anthropozäns anzugehen, hat noch nicht ein ausreichendes Ausmaß erreicht. Ich halte es für eine offene Frage, wie wir dieses Bewusstsein schaffen und wie es sich in der Vermittlung lokaler Wahrnehmungen und globaler Dringlichkeiten artikulieren kann. Ich glaube, dass wir hier vor einer Herausforderung stehen, die die politische Artikulation dieser Probleme betrifft – dieses Bewusstsein muss sich gegenüber den lokalen und aktuellen politischen Brennpunkten im politischen Diskurs erst Raum verschaffen.
Sabine Höhler (36:13-37:31): Das Problem ist, dass nach wie vor die Gewalt bei den Nationen liegt. Alle Entscheidungsgewalt ist national verteilt, auch in den Vereinten Nationen. Es gibt wenige Entscheidungen, die übernational oder transnational getroffen werden können und die wirklich bindend sind. Die EU ist vielleicht eine der wenigen supranationalen Organisationen, die tatsächlich bindende Entscheidungen treffen kann für ihre Mitgliedsstaaten. Das können die Vereinten Nationen nur bedingt. Solche Institutionen werden am Ende diejenigen sein, die Entscheidungen für die Erde treffen können, Entscheidungen, die alle betreffen. Und das, ohne Verantwortung von Einzelnen wegzunehmen, denn wir brauchen eine Multilevel-Entscheidungsstruktur. Zentralistische Weltregierungen brauchen wir natürlich nicht, davor muss ich als Wissenschafts- und Technikhistorikerin warnen, denn solche Managementvorstellungen gab es bereits und die sind nicht geglückt und sollten auch nicht glücken, glaube ich.
Helmuth Trischler (37:31-38:59): Das Drama um das Kyoto-Protokoll und die vielen gescheiterten Klimagipfel, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, resultiert daraus, dass wir immer noch in diesem Paradigma der großen Lösungen denken. Auch der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)
Amita Baviskar (38:59-39:55): Die Tatsache, dass das Anthropozän nach den Grenzen unserer Umwelt fragt in Bezug auf unseren Ressourcenverbrauch, nach den Grenzen von Emissionen oder der Wasserverschmutzung, wird uns zukünftig dabei helfen, die Erde als einen Ort produktiv zu nutzen, an dem man besser und in größerem Wohlstand leben kann. Das Anthropozän hat solche Fragen in die Debatte verankert und verleiht dadurch den Argumenten sozialer Bewegungen Nachdruck, mit denen sie gegen eine bestimmte Agenda von Entwicklungspolitik der Regierungen und ihrer Eliten kämpfen, und es trägt dazu bei, diese Politik zu ändern.
Erle Ellis (39:55-41:13): Ich weiß nicht mehr, wer gesagt hat, dass die Erde kein Cockpit hat. Das ist eine wichtige Tatsache: Es gibt zurzeit keine Möglichkeit, den ganzen Planeten zu steuern. Wir haben die Erde zwar verändert, aber es ist keine geplante, sondern eine unabsichtliche Folge dessen, was wir ihr angetan haben. Und die Aussicht, mehr Kontrolle über unser Tun auf der Erde zu erlangen, ist zwar interessant, aber es ist von Nachteil, ein System manipulieren zu wollen, das wir nur einmal haben, weshalb wir nur in Modellen mögliche Veränderungen ausprobieren können. Es mag eine nützliche Vorstellung sein, aber als Plan hat diese Vorstellung vom Cockpit große Schwächen. Ich denke, die Idee, durch das Handeln einzelner Menschen, von Gruppen und ganzen Gesellschaften die Erde verändern zu können, ist etwas, was wir schon tun, was wir jedoch noch verbessern können. Diese Strategie scheint für eine nachhaltige Biosphäre nützlicher, als irgendwo von oben den Planten steuern zu wollen.
Wolfgang Lucht (41:13-42:18): Es steht stets die Frage im Raum, warum Politiker nicht zuhören, wenn Wissenschaftler etwas sagen. Und die Antwort ist schlicht, weil es nicht so einfach funktioniert. Es sind viele komplexe Probleme. Ich glaube, dass der Knackpunkt die Erwartung der allgemeinen Öffentlichkeit ist, gerade in unseren demokratischen, offenen Gesellschaften. Die Öffentlichkeit erwartet von der Politik, dass bestimmte Themen mit einer gewissen Priorität zu behandeln sind. Und deswegen stellt der Dialog der Wissenschaft, nicht nur mit der Politik, sondern auch mit der Öffentlichkeit einen ganz wichtigen Teil dieses Selbstverhandlungsprozesses dar. Es gibt den Vorschlag, einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft abzuschließen, der so lautet, dass, wenn die Gesellschaft bereit wäre, stärker auf die Möglichkeiten und die Inhalte der Wissenschaft zu setzen, dann wäre die Wissenschaft auch bereit, sich stärker den gesellschaftlich relevanten Problemen zu widmen. Da könnte ein Schuh draus werden. Es ist ziemlich absurd, dass wir uns ein fantastisches Wissenschaftssystem leisten, das uns Erkenntnisse über unseren Planeten ermittelt, wie die Menschheit sie noch nie zur Verfügung hatte, und dass wir dann so wenig Nutzen daraus ziehen.
Helmuth Trischler (42:18-43:21): Wie kann man den Austausch zwischen Politik und Wissenschaft verbessern? Das ist eine gute Frage. Wir müssten ab und zu aus unserer Komfortzone wissenschaftlicher Evidenz und wissenschaftlichen Diskurses herausteten und in die Politik hineintreten. Die Politik will Lösungen ganz konkret an der Hand haben. Dafür müssten wir sehr viel stärker untereinander verknüpft sein und entsprechend kommunizieren. Das hieße nicht nur, dass die Politik auf die Wissenschaft hört und ihre Vorschläge annimmt, sondern das bedeutet auch umgekehrt, dass die Wissenschaftler sich daran gewöhnen müssen, stärker in der Logik der Politik zu denken, um diese Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft auch selbst in sich zu inkorporieren. Wir als Wissenschaftler müssten uns dann auch stärker in der Sprache der Politik ausdrücken und die Handlungsrationalität der Politik übernehmen.
Wolfgang Lucht (43:21-44:22): Es könnte eine neue Blüte der Zivilisation entstehen, wenn es gelänge, über mehrere Jahrzehnte sehr zielorientiert und mit großem Nachdruck global zu handeln. In diesen Prozessen könnte so etwas wie eine neue globale Zivilgesellschaft entstehen, die Dinge wie Weltsicherheitsrat, Weltwirtschaftsgremien als Instrumente des 20. Jahrhunderts hinter sich lässt. Im 21. Jahrhundert haben wir globale Instrumente der Selbstverwaltung geschaffen, die die Verschiedenheiten der Kulturen voraussetzt und den Anspruch hat, folgenden Fragen gerecht zu werden: Wer ist für was verantwortlich? Wer bezahlt wie viel für was? Und: Wie kann man gemeinschaftlich zu Ergebnissen kommen? Das ist eine neue Phase der Zivilisation auf der Erde, in der die Menschheit immer mehr zusammenwächst. Der Zweite Weltkrieg hat in Europa dazu geführt, dass wir heute die Europäische Gemeinschaft haben, die Europäische Union und Dinge, die früher schwer denkbar waren, sind heute bei Verhandlungen Voraussetzung. Das könnte jetzt angesichts solcher Herausforderungen auch auf globalem Maßstab geschehen.
Die Gesprächspartner
Sabine Höhler, Associate Professor of Science and Technology Studies an der Königlich-Technischen Hochschule in Stockholm.
Erle Ellis, Außerordentlicher Professor für „Geography & Environmental Systems“ an der Universität von Maryland sowie Außerordentlicher Professor für Landschaftsarchitektur an der Harvard Graduate School of Design.
Johannes Lundershausen, Umweltsoziologie und Politikwissenschaftler. Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Wissenschaftsethik der Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ der Universität Tübingen.
Amita Baviskar, Außerordentliche Professorin für Soziologie am Institute of Economic Growth in Delhi. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Kulturpolitik von Umweltschutz und Entwicklungshilfe.
Christoph Küffer arbeitet als Pflanzenökologe am Institut für Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich.
Wolfgang Lucht ist einer von zwei Bereichsleitern des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
Alexander von Humboldt ist Professor für Nachhaltigkeitswissenschaft am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin.
Jürgen Renn ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte und leitet dort die Abteilung »Strukturwandel von Wissenssystemen«. Außerdem lehrt er an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin.
Helmuth Trischler leitet den Bereich Forschung am Deutschen Museum München, ist Professor für Neuere Geschichte und Maximilian-Universität München und einer der beiden Direktoren des Rachel Carson Center for Environment and Society (RCC) in München.