Der Begriff „Anthropozän“ ist eine geologische Bezeichnung: die Wirkungen des Menschen auf die Prozesse der Erde sind so weitreichend geworden, dass sie sich als geologische Ablagerungen eigener Qualität zeigen
Nicht nur der Zustand der globalen Umwelt, des Klimas und der Biosphäre drohen in einen Zustand zu geraten, welcher in der jüngeren Erdgeschichte ohne Beispiel ist. Auch die Gesellschaften der Menschen erleben eine historisch nie dagewesene Beschleunigung von Entwicklungen: eine um das Mehrfache erhöhte Bevölkerungszahl, weitreichende technologische Fähigkeiten und weltweite Vernetzung
Die Menschheit kann in dieser Lage ihre größte Stärke nutzen und zumindest den Versuch unternehmen, mit der Herausforderung reflektiert umzugehen. Sie kann ihre ganze analytische, ethische und moralische Kraft einbringen, welche vielfältig in den Praktiken und Traditionen der verschiedenen Kulturen verankert ist.
Folgende Fragen werden erläutert:
In welchem Verhältnis stehen Bewahren und Gestalten zueinander?
Welchen Prinzipien sollten die Menschen hierbei folgen?
Was ist notwendig, was wünschenswert?
Worin besteht Gerechtigkeit im Anthropozän und wie fördert und sichert man sie?
Welches Verhältnis besteht zwischen Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen?
Welche Verantwortung tragen wir einzeln und gemeinsam und was folgt aus ihr?
Und nicht zuletzt: Was fangen wir mit unserer Freiheit an, einzeln und gemeinsam?
Wie groß ist diese Freiheit überhaupt?
Das Wesen des Anthropozäns
Wissenschaftliche Forschung zum Wesen des Anthropozäns ist die notwendige Grundlage einer solchen gesellschaftlichen Selbstreflexion. Ohne die Ergebnisse der Wissenschaft der letzten 250 Jahre wüsste die Menschheit heute weder, welcher Art der Planet ist, auf dem wir leben, welche Eigenschaften er hat, noch von der Komplexität der Entwicklungen, welchen wir gegenüberstehen. Einige kurze Schlaglichter auf ikonografische Beispiele aus der jüngsten Forschung zeigen, welche grundsätzliche Qualität die Veränderungen haben, vor deren Hintergrund die ethische und philosophische Diskussion über das Anthropozän stattfindet.
Eis und Eiszeit
Schon heute gibt es Anzeichen dafür, dass größere Eisregionen am Rand der polaren Eismassen infolge der einsetzenden Erwärmung instabil geworden sind oder es in den nächsten Jahrzehnten werden könnten
Zum Glück schmilzt Eis langsam: es würde einige Jahrtausende dauern, bis die Schmelze komplett wäre. Aber nur bis etwa zur Mitte dieses Jahrhunderts besteht ein letztes Zeitfenster, diesen Vorgang durch einen kompletten Ausstieg aus der fossilen Energie zu verhindern. Das gilt auch für neue Forschungsergebnisse, die in noch grundsätzlichere Tiefe reichen: ein fortschreitender Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre würde sogar den stärksten und größten Zyklus der derzeitigen Phase der Erdgeschichte unterbrechen, den Eiszeit-Zyklus.
Aufgrund der astronomischen Verhältnisse leben wir seit 12.000 Jahren in einer ungewöhnlich langen und stabilen zwischeneiszeitlichen Warmzeit, welche den Aufstieg der Hochkulturen begünstigte, während in der jetzigen Phase der Erdgeschichte normalerweise ein anhaltender Eiszeit-Zustand der Normalzustand ist. Statt in ca. 50.000 Jahren zuende zu gehen, zeigen die neuesten Forschungsergebnisse nun
Wenn irgendein Vorgang symbolisch für die Bezeichnung Anthropozän stehen kann, dann ist es diese Geschichte des Eises. Er steht für die Macht der Menschen, den Planeten umzuformen und seine Geschichte auf einen veränderten Pfad zu setzen. Es ist unvorstellbar, dass eine solche Perspektive, einmal erkannt, auf verschlungenen Wegen nicht auch eine Revolution im Selbstbild des Menschen auslösen sollte, welche auf Dauer auch Vorbote sozialer und politische Umwälzungen in der Folge dieser Erkenntnisse sein könnte. Es ist vor diesem Hintergrund, dass sich Fragen nach Verantwortung und Freiheit im Anthropozän mit großer Dringlichkeit stellen.