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Kriegen wir die Kurve? "Planetary Boundaries": Ein Rahmen für globale Nachhaltigkeitspolitik?

Dr. Inge Paulini Dr. Benno Pilardeaux Dr. Carsten Loose Dr. Astrid Schulz

/ 9 Minuten zu lesen

Die Konzepte von den Planetary Boundaries und "Planetarischen Leitplanken" sollen unsere Erde sicher machen und durch die Gefahren und Risiken im Anthropozän navigieren. Doch was sind planetarische Grenzen und welche sind bereits überschritten? Wie können Strategien für eine globale Nachhaltigkeitspolitik aussehen, sich international durchsetzen und zum Maßstab einer globalen Umweltschutzpolitik werden?

Sind Korallen, Seeigel, Schwämme, Schnecken, Seenadeln und andere Fische bald nur noch im Museum zu bewundern? Als Ursachen für das Korallensterben gelten u.a. erhöhte Wassertemperaturen durch globale Erwärmung. (© dpa)

Mit der Agenda 21, dem Ergebnisdokument der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (Erdgipfel von Rio, UNCED) wurde 1992 ein Katalog von Entwicklungs- und Umweltzielen vereinbart, der die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorbereiten wollte:

QuellentextAgenda 21 (1992)

Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. [...] Eine Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen und die verstärkte Hinwendung auf diese wird ... eine Deckung der Grundbedürfnisse, höhere Lebensstandards für alle, besser geschützte und bewirtschaftete Ökosysteme und eine sicherere Zukunft in größerem Wohlstand zur Folge haben.

Quelle: Agenda 21, Präambel, S. 1

Die Agenda 21 ist das in Rio 1992 beschlossene entwicklungs- und umweltpolitische Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das damals für die internationale Nachhaltigkeitspolitik zu einem Leitprogramm wurde.

Entstehung des Konzepts planetarischer Leitplanken bzw. Grenzen

Im Geist dieses Zitats war der Erdgipfel von Rio 1992 auch die Geburtsstunde des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Der Beirat befasst sich seit 1995 in zahlreichen Gutachten wissenschaftlich mit der Frage, welche Zustände des Erdsystems und welche Umweltveränderungen im Sinne der Agenda 21 unbedingt vermieden werden sollten, während gleichzeitig größtmögliche Freiheiten erhalten werden.

Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Politikberatung zum Globalen Wandel beschreibt der WBGU planetarische Leitplanken als „quantitativ definierbare Schadensgrenzen, deren Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte, so dass auch großer Nutzen in anderen Bereichen diese Schäden nicht ausgleichen könnte“ . Innerhalb eines durch Leitplanken begrenzten Handlungsraums gibt es viele Optionen für nachhaltige Entwicklungspfade und Offenheit für gesellschaftliche Suchprozesse. Jenseits der Leitplanken wird der globale Wandel zu einem nicht mehr tolerierbaren Risiko für die menschliche Zivilisation. Nachhaltige Entwicklungspfade können daher nur innerhalb des durch Leitplanken eingegrenzten Bereichs verlaufen.

Die Komplexität des Systems Umwelt und die oftmals nur unscharfe Datenlage führen dazu, dass Leitplanken nicht exakt definierbar sind. Sie sind eher als „Grenzbereiche“ mit unscharfen Rändern zu verstehen . Die Bestimmung solcher Grenzbereiche kann sich mit der Zeit verändern, abhängig von der Entwicklung der normativen Wertvorstellungen einer Gesellschaft und dem vorhandenen Wissen über unsere Umwelt.

Zur Verdeutlichung eine Analogie: Leitplanken verhalten sich etwa wie Geschwindigkeitsbegrenzungen. Es wird kollektiv eine normative Festlegung getroffen, dass innerhalb von Ortschaften maximal 50 oder 30 km pro Stunde gefahren werden sollen. Wenn schneller gefahren wird, steigt die Wahrscheinlichkeit für Unfälle, aber auch das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzung kann Unfälle nicht ausschließen. Entsprechend ist die Einhaltung aller Leitplanken notwendig für nachhaltige Entwicklung, bedeutet allerdings keineswegs, dass dadurch überall sozioökonomische Missstände oder ökologische Schäden abgewendet werden können. Ein Grund: globale Leitplanken können keinesfalls sämtliche regionalen und sektoralen Auswirkungen des Globalen Wandels berücksichtigen . Leitplanken sind also keine anzustrebenden Ziele, Werte oder Zustände, sondern es sind Minimalanforderungen, die im Sinne der nachhaltigen Entwicklung erfüllt werden müssen.

Im Kern bleibt es eine gesellschaftliche Entscheidung, welche Eingriffe in die natürliche Umwelt und damit verbundene Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der Menschheit als nicht mehr tolerabel angesehen werden. Die Wissenschaft macht Vorschläge und Gesellschaften müssen entscheiden, welche Leitplanken als notwendig erachtet werden .

Am Beispiel des Klimawandels beantwortete der WBGU die Frage, welche „Toleranzfenster“ für die zulässigen Klimaentwicklungen festgelegt werden können: „Ökologische Grenzen ergeben sich dabei aus der Maximaltemperatur und den Temperaturgradienten, an die sich die Biosphäre noch anpassen kann.“ Zur Frage, wie eine "gefährliche vom Menschen verursachte Störung des Klimasystems" (Art. 2, Klimarahmenkonvention (UNFCCC) 1992) ) verhindert werden kann, schlussfolgerte der WBGU:

Quellentext2°C - Leitplanke

Eine Erwärmung um mehr als 2°C (bezogen auf den vorindustriellen Wert) bzw. eine Erwärmungsrate von mehr als 0,2°C pro Dekade kennzeichnen demnach Klima-Änderungen, die in keinem Fall als tolerierbar angesehen werden.

Quelle: WBGU, 1997: 15

Es folgten mehrere Gutachten, in denen der WBGU Leitplanken ableitete, zuletzt zusammengestellt in einem Politikpapier zur Entwicklungsagenda 2030 . Ergänzt wurden diese Leitplanken durch Vorschläge für universelle Mindeststandards für den Zugang zu unverzichtbaren Gütern zur Daseinsvorsorge wie z. B. Wasser, Nahrung und moderne Energie .

Im Jahr 2014 entwickelte der WBGU in diesem Zusammenhang das Neutralitätskonzept zur Sicherung der Erdsystemleistungen : Entwicklungspfade sollten so umgelenkt werden, dass ein Überschreiten planetarischer Leitplanken vermieden wird. Treiber von akkumulierenden regionalen oder globalen Umweltveränderungen und irreversible Nutzungen notwendiger Ressourcen müssen auf Null zurückgeführt werden (Nullziele). Um z.B. den Klimawandel oder den Verlust biologischer Vielfalt zu stoppen ist es nötig, die Treiber global auf Null zu bringen (z.B. die CO2-Emissionen oder die vom Menschen verursachte Aussterberate). Dies erfordert auch, dass in jedem einzelnen Land die Treiber auf Null abgesenkt werden. Werden die Treiber nicht global auf Null gebracht, nimmt die globale Umweltveränderung weiter zu, und die Leitplanke wird überschritten. Dies gilt etwa für die Emissionen von CO2 aus fossilen Energieträgern, für die Treiber von Biodiversitätsverlust (z.B. Rodung von Urwäldern) oder für langlebige Stoffe wie Quecksilber oder Plastik.

Auswahl der vom WBGU vorgeschlagenen planetarischen Leitplanken und Nullziele

  1. Klimawandel: Erwärmung des Klimasystems auf 2 °C begrenzen. Globale CO2-Emissionen aus fossilen Quellen bis etwa 2070 einstellen.


  2. Meeresspiegelanstieg: Der absolute Meeresspiegelanstieg sollte dauerhaft (auch über viele Jahrhunderte) nicht mehr als 1 m betragen, und die Anstiegsgeschwindigkeit sollte stets unter 5 cm pro Jahrzehnt bleiben (WBGU, 2006).


  3. Ozeanversauerung: pH-Wert der obersten Meeresschicht soll nicht mehr als 0,2 Einheiten gegenüber vorindustriellem Wert absinken. Globale CO2-Emissionen aus fossilen Quellen bis etwa 2070 einstellen.


  4. Biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen: Verlust von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen stoppen. Dafür unmittelbare anthropogene Treiber (z. B. Konversion natürlicher Ökosysteme) bis spätestens 2050 zum Stillstand bringen.


  5. Land- und Bodendegradation: Anthropogene Land- und Bodendegradation stoppen. Dafür Netto-Landdegradation bis 2030 weltweit und in allen Ländern stoppen.


  6. Gefährdung durch langlebige anthropogene Schadstoffe: Substituierbare Nutzung von Quecksilber sowie anthropogene Quecksilberemissionen bis 2050 stoppen. Freisetzung von Plastikabfall in die Umwelt bis 2050 weltweit stoppen. Produktion von Kernbrennstoffen für Kernwaffen und Kernreaktoren bis 2070 stoppen.


  7. Verlust von Phosphor: Phosphor ist unverzichtbare Ressource für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Freisetzung nicht rückgewinnbaren Phosphors bis 2050 stoppen, so dass Kreislaufführung weltweit erreicht werden kann.

    Quellen zur Auswahl: WBGU, 2014, 2006

Planetary Boundaries: Sicherer Handlungsraum für die Menschheit

Abb 1: Planetare Grenzen (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Das den planetarischen Leitplanken sehr ähnliche Konzept der Planetary Boundaries wurde 2009 unter Federführung von Johan Rockström, dem Direktor des Stockholm Resilience Center und von 29 Autoren, wie international renommierten Wissenschaftlern, darunter auch der WBGU-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber, veröffentlicht . Ansatzpunkt ist, die relativ stabilen Bedingungen des Holozäns, in denen sich die menschlichen Zivilisationen entwickelt haben, nicht zu verlassen. Die Autoren gehen aus vom Konzept des Anthropozäns, in dem menschliche Aktivitäten wesentliche Treiber für Umweltveränderungen geworden seien und sehr schädliche bis katastrophale Entwicklungen in großen Teilen der Welt verursachen könnten .

Mithilfe dieses Konzepts wird ein sicherer Handlungsraum (safe operating space) identifiziert, der durch zehn planetare Grenzen (Planetary Boundaries vgl. Tabelle unten) definiert wird. Diese planetaren Grenzen (siehe innere grüne Fläche in Abb. 1 zu den Planetarx Boundaries oben) umreißen den dynamischen biophysikalischen "Raum", in dem die Menschheit sich bislang entwickeln und gut und erfolgreich leben konnte . Sie definieren damit nach Einschätzung der Autoren auch das zukünftige "planetare Spielfeld" der menschlichen Gesellschaft, das die "Spielregeln" des Planeten beachtet. Drei dieser Grenzen (Rate des Biodiversitätsverlusts, Klimawandel und menschlicher Eingriff in den Stickstoffkreislauf), gelten als bereits überschritten (rot gekennzeichnet in der Tabelle und in der Abbildung zu den Planetaren Grenzen).

Tabelle: Planetare Grenzen

ErdsystemprozessParameterVorgeschlagene Grenze Derzeitiger StatusVorindustrieller Wert
Klimawandeli) Atmosphärische CO2-Konzentration (ppmv)350387280
ii) Änderung des Strahlungsantriebs (W pro m2)11,50
Verlust biologischer VielfaltAussterberate (Anzahl Arten pro Mio. Arten pro Jahr)10>1000,1-1
Stickstoffkreislauf (Teil der Grenze mit dem Phosphorkreislauf)Stickstoffmenge, die durch anthropogene Nutzung aus der Atmosphäre gewonnen wird (Mio. t pro Jahr)351210
Phosphorkreislauf (Teil der Grenze mit dem Stickstoffkreislauf)Phosphormenge, die in die Ozeane gelangt (Mio. t pro Jahr)118,5-9,5-1
Stratosphärischer OzonabbauOzonsäulendichte (Dobson-Einheiten)276283290
OzeanversauerungGlobal gemittelte Aragonitsättigung im Oberflächenwasser2,752,903,44
Globale SüßwassernutzungMenschliche Nutzung von Süßwasser (km3 pro Jahr)4.0002.600415
LandnutzungsänderungenAnteil der globalen Landfläche (in %), die in landwirtschaftliche Anbaufläche umgewandelt wurde1511,7low
Atmosphärische AerosolbelastungGesamte Partikelkonzentration in der Atmosphäre auf regionaler Basisnoch zu ermitteln
Verschmutzung durch SchadstoffeZum Beispiel in die globale Umwelt emittierte Mengen oder dort vorliegenden Konzentrationen persistenter organischer Schadstoffe, Plastik, endokriner Disruptoren, Schwermetalle und Nuklearabfall, bzw. deren Wirkungen auf Ökosysteme oder die Funktion des Erdsystemsnoch zu ermitteln

Im Gegensatz zu Rockström et al. definiert der WBGU keinen „sicheren Handlungsraum“ aus einer erdgeschichtlichen Vergangenheit heraus, in der die menschliche Zivilisation noch keine das Erdsystem verändernde Kraft ausübte. Der WBGU setzt die planetarischen Leitplanken mit Blick auf die Erhaltung der Lebensgrundlagen der menschlichen Zivilisation. Die Frage, ob ein Systemzustand tolerierbar ist oder nicht, wird im Sinne eines „moderat anthropozentrischen Ansatzes“Leitplanke für Leitplanke anhand der jeweiligen Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft ermittelt und nicht an einem in der Vergangenheit liegenden Erdsystemzustand ausgerichtet.

Trotz dieser Detailunterschiede sind beide Konzepte einander sehr ähnlich. Beide Ansätze weisen ebenso auf die Interdependenzen zwischen verschiedenen Leitplanken hin wie darauf, dass die Leitplanken bzw. Boundaries zwar eine gute Orientierung bieten, dass ihre Einhaltung aber keine absolute Sicherheit gewährleistet. Auch ist beiden Ansätzen gemeinsam, dass sie die Bemühungen, die zur Einhaltung der Leitplanken erforderlich sind, als eine große und drängende Herausforderung für die globale Umweltpolitik ansehen. In einer Situation mit großen Wissenslücken und Forschungsbedarf über die Dynamiken des Erdsystems, erleichtern Leitplanken das Handeln unter Unsicherheit.

Der Donut – Verknüpfung planetarischer und sozioökonomischer Grenzen

Abb 2: Ein sicherer und gerechter Handlungsraum für die Menschheit (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Eine Verknüpfung planetarischer und sozioökonomischer Grenzen wurde 2012 in einem Externer Link: Diskussionspapier für Oxfam mit dem sogenannten Donut vorgelegt . Oxfam eine internationale Organisation, die sich mit globalen Informationskampagnen und Projekten vor Ort in der Armutsbekämpfung engagiert. Der Begriff Donut bezieht sich auf die Gestalt des vorgestellten Konzepts und leitet sich von der Form des gleichnamigen süßen Gebäcks ab. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass die Einhaltung planetarischer Grenzen allein eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für nachhaltige Entwicklung darstellt. Berücksichtigt werden sollten gleichzeitig auch Faktoren, die wesentlich für die Qualität der Lebensbedingungen von Menschen sind, wie etwa Nahrung, Wasser, Zugang zu Energie, Gesundheitsdienstleistungen, Arbeit, oder Teilhabemöglichkeiten.

Abb. 2 oben zeigt dieses Gesamtbild: im äußeren Ring befinden sich die Planetary Boundaries von Rockström et al. (hier nur neun, da Stickstoff und Phosphor zu einer Boundary zusammengefasst wurden), im Kern die soziale Basis, die zur Überwindung extremer Armut vorhanden sein muss und elf Dimensionen umfasst. Der grün gefärbte Handlungsraum zwischen den beiden Grenzdimensionen wird in dieser Logik nicht nur sicher, sondern auch gerecht. Dies bedeutet, dass die globale Ressourcennutzung so organisiert wird, dass elementare Bedürfnisse für alle Menschen sichergestellt werden (Nahrung, Trinkwasser usw. – „sicher“), und gleichzeitig die überproportionale Ressourcennutzung des wohlhabenden Teils der Menschheit zurückgeführt wird („gerecht“). Innerhalb dieses Handlungsraums ist inklusive und nachhaltige ökonomische Entwicklung für Alle möglich; insofern verbindet der Ansatz die Sicherung der Menschenrechte mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.

Bedeutung planetarischer Leitplanken für globale Nachhaltigkeitspolitik

Konzepte wie die der planetarischen Leitplanken oder der Planetary Boundaries helfen, Zustände von Teilen des Umwelt- bzw. Erdsystems zu beschreiben und daraus abzuleiten, wo Maßnahmen getroffen werden müssen, um intolerable Zustände zu vermeiden.

Abb 3: Zusammenhang von Leitplanken, Maßnahmen und zukünftiger Systementwicklung (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Abbildung 3 oben zeigt mögliche Zustände eines Systems bezüglich seiner Nachhaltigkeit auf. Der momentane Zustand eines Systems relativ zur Leitplanke kann im grünen „nachhaltigen“ oder im roten „nicht nachhaltigen“ Bereich liegen. Wenn sich ein System im nicht nachhaltigen Bereich befindet, muss es durch geeignete Maßnahmen in den nachhaltigen Bereich hinein gesteuert werden . Ein Beispiel dazu: Eine fortschreitende Bodendegradation kann gestoppt werden und eine Erholung der Vegetationsdecke kann gelingen, wenn rechtzeitig geeignete Aufforstungs- und Schutzmaßnahmen eingeleitet werden. Mit solchen Maßnahmen kann gleichzeitig auch die Wasserspeicherkapazität einer Region wieder verbessert werden, die von Wasserknappheit betroffen ist. Insgesamt wird damit dem Überschreiten der Leitplanke für Land- und Bodendegradation vorgebeugt werden.

Das Erreichen bzw. die Gewährleistung eines „sicheren und gerechten Handlungsraumes“ ist eine große Herausforderung, denn sie erfordert eine Große Transformation zur Nachhaltigkeit . Beispielsweise erfordert die Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen eine Umstellung der Energieproduktion und der Wirtschaftsweisen weltweit. Raworth (2012) macht deutlich, dass die Verbesserung der Lebensbedingungen der in extremer Armut lebenden rund 1 Mrd. Menschen dabei nicht in Konflikt mit der Einhaltung planetarer Grenzen gerät. Vielmehr sind es die oberen 10% der Weltbevölkerung, die wesentlich darüber bestimmen, ob Leitplanken eingehalten werden können oder nicht. Die Lebensstile dieser wohlhabendsten Bevölkerungsgruppen weltweit verursachen den größten Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen und sie nutzen den Großteil natürlicher Ressourcen wie Landflächen oder Trinkwasser.

Planetare Leitplanken und Boundaries als Kompass für Politikgestaltung

Die Erosionen von Flussufern und Küstenstreifen in Bangladesh aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels sind Beispiele für schleichende Umweltveränderungen. Wiele Menschen verlieren ihr Land und werden obdachlos. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com)

In der internationalen Klimapolitik haben sich eine Temperaturgrenze im Sinne einer Leitplanke sowie das daraus abzuleitende Nullziel – also die Einsicht, dass ein Überschreiten bestimmter Temperaturgrenzen nur zu verhindern ist, wenn die CO2-Emissionen auf Null gebracht werden – bereits durchgesetzt.

Das 2015 geschlossene Übereinkommen von Paris strebt die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 2°C bzw. 1,5°C an und enthält das Ziel, dass in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den Quellen und Senken anthropogener Treibhausgase erreicht wird, so dass sich dann kein weiteres CO2 in der Atmosphäre ansammeln dürfte. Als Leitplanke für den internationalen Bodenschutz hat sich z.B. auch international die Vorstellung von einer „land degradation-neutral world“ durchgesetzt und 2015 Eingang in den Katalog der Agenda 2030 gefunden. Die Forderung nach einer „Welt ohne Landdegradation“ (land-degradation neutral world) wurde auf der Rio+20-Konferenz vereinbart . Dort wurden die Ziele formuliert, die derzeitigen Trends der Landdegradation durch schnelles Handeln umzukehren und degradierte Landflächen zu restaurieren . Auch die im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention bereits vereinbarten politischen Zielsetzungen für den Naturschutz weltweit (Aichi Targets) stehen mit der Leitplanke des WBGU und dem entsprechenden Nullziel, die anthropogenen Treiber des weiteren Verlusts biologischer Vielfalt zu stoppen, in Einklang:

QuellentextAichi Biodiversity Targets

Der Strategische Plan 2011 - 2020 für den Erhalt der Biodiversität enthält fünf strategische Ziele (A - E) (Strategic Goals), die durch 20 Kernziele (1 - 20) (Aichi Biodiversity Targets) spezifiziert werden. Die CBD -Vertragsstaaten erarbeiten momentan ein Indikatorensystem, das den Fortschritt zum Erreichen der Ziele dokumentieren soll.

  • Strategisches Ziel A (Kernziele 1 - 4):
    Bekämpfung der Ursachen des Rückgangs der biologischen Vielfalt durch ihre durchgängige Einbeziehung in alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft

  • Strategisches Ziel B (Kernziele 5 - 10):
    Abbau der auf die biologische Vielfalt einwirkenden unmittelbaren Belastungen und Förderung einer nachhaltigen Nutzung

  • Strategisches Ziel C (Kernziele 11 - 13):
    Verbesserung des Zustands der biologischen Vielfalt durch Sicherung der Ökosysteme und Arten sowie der genetischen Vielfalt

  • Strategisches Ziel D (Kernziele 14 - 16):
    Mehrung der sich aus der biologischen Vielfalt und den Ökosystemleistungen ergebenden Vorteile für alle

  • Strategisches Ziel E (Kernziele 17 - 20):
    Verbesserung der Umsetzung durch partizipative Planung, Wissensmanagement und Kapazitätsaufbau

Quelle: Externer Link: Bundesamt für Naturschutz (BfN)

Im Bereich der langlebigen Schadstoffe finden sich weitere Beispiele im Montreal-Protokoll (Reduktion der Fluorchlorkohlenwasserstoffe zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht ), in der Stockholm-Konvention (Verbot der schädlichsten persistenten organischen Schadstoffe, v. a. Pestizide) oder der Minamata-Konvention (Reduktion der giftigen Quecksilberemissionen )

Es gibt auch bereits Arbeiten dazu, wie globale Leitplanken für die lokale Ebene übersetzt werden können . Bei dieser Umsetzung können die den Leitplanken zugeordneten Nullziele helfen: Wenn ein Nullziel, z. B. der Emissionsstopp von CO2, global eingehalten werden soll, so muss es auch in allen Regionen, Ländern, Städten, Industriesektoren und Haushalten eingehalten werden. Damit ergeben sich gleichsam automatisch klare Zielvorgaben für alle Ebenen.

Die skizzierten Konzepte bieten Antworten auf die Frage, wie wir global Entwicklung ermöglichen können, ohne unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu gefährden. Sie bieten eine Art Anleitung oder Kompass, wie Gesellschaft und Politik das Erdsystem durch Gefahren und Risiken navigieren und gleichzeitig eine gute menschenwürdige Entwicklung, verbunden mit größtmöglicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Freiheit, gewährleisten können. Das Konzept kann als Ansatzpunkt für zivilgesellschaftliche Debatten genutzt werden und so die Prozesse zur gesamtgesellschaftlichen Ausgestaltung der nachhaltigen Entwicklungspfade im Rahmen der Großen Transformation unterstützen.

Quellen / Literatur

CBD – Convention on Biological Diversity (2010): The Strategic Plan for Biodiversity 2011-2020 and the Aichi Biodiversity Targets. Decision X/2. Montreal: CBD. [ÖKS-P 2479]

Nykvist, B., Persson, Å., Moberg, F., Persson, L.;, Cornell, S. und Rockström, J. (2013): National Environmental Performance on Planetary Boundaries. A Study for the Swedish Environmental Protection Agency Report 6576. Stockholm: The Swedish Environmental Protection Agency.

Raworth, K. (2012): A Safe and Just Space for Humanity. Can We Live Within the Doughnut? Oxfam Discussion Papers. Oxford: Oxfam International. [DRW-P 1207]

Rockström, J. und Karlberg, L. (2010): The quadruple squeeze: defining the safe operation space for freshwater use to achieve a triply green revolution in the anthropocene. Ambio 39, 257–265. [ÖKS-P 2496]

Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Paersson, A., Chapin III, F. S., Lambin, E. F., Lenton, T. M., Scheffer, M., Folke, C., Schellnhuber, H. J., Nykvist, B., de Wit, C., A., Hughes, T., van der Leeuw, S., Rodhe, H., Sörlin, S., Snyder, P. K., Costanza, R., Svedin, U., Falkenmark, M., Karlberg, L., Corell, R. W., Fabry, V. J., Hansen, J., Walker, B., Liverman, D., Richardson, K., Crutzen, P. und Foley, J. A. (2009a): A safe operating space for humanity. Nature 46, 472–475. [ÖKS-P 2303]

Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, A., Chapin, F. S., Lambin, E. F., Lenton, T. M., Scheffer, M., Folke, C., Schellnhuber, H. J., Nykvist, B., de Witt, C. A., Hughes, T. M. C., van der Leeuw, S., Rodhe, H., Sörlim, S., Snyder, P. K., Constanza, R., Svedin, U., Falkenmark, M., Karlberg, L., Corell, R. W., Fabry, V. J., Hansen, J., Walker, B., Livermann, D., Richardson, K., Crutzen, P. J. und Foley, J. A. (2009b): Planetary boundaries: exploring the safe operating space for humanity. Ecology and Society 14(2) (32), 58. [ÖKS-P 2302]

UNCSD – United Nations Conference on Sustainable Development (2012): The Future we Want. Agenda Item 1. Our Common Vision. New York: UNCSD.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (1995): Szenario zur Ableitung globaler CO2–Reduktionsziele und Umsetzungsstrategien. Stellungnahme zur ersten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Berlin. Sondergutachten 1995. Berlin: WBGU.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (1996): Welt im Wandel – Herausforderung für die deutsche Wissenschaft. Hauptgutachten 1996. Berlin: Springer.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (1997): Ziele für den Klimaschutz 1997. Stellungnahme zur dritten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Kyoto. Sondergutachten 1997. Berlin: WBGU.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (1999):Welt im Wandel – Umwelt und Ethik. Sondergutachten 1999. Marburg: Metropolis.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2000): Welt im Wandel: Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre. Hauptgutachten 1999. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2003a): Über Kioto hinaus denken – Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert. Sondergutachten 2003. Berlin: WBGU.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2003b): Welt im Wandel: Energiewende zur Nachhaltigkeit. Hauptgutachten 2003. Berlin: Springer.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2005): Welt im Wandel: Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik. Hauptgutachten 2004. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2006): Die Zukunft der Meere – zu warm, zu hoch, zu sauer. Sondergutachten 2006. Berlin: WBGU.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten 2011. Berlin: WBGU.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2014): Zivilisatorischer Fortschritt innerhalb planetarischer Leitplanken – Ein Beitrag zur SDG-Debatte. Politikpapier 8. Berlin: WBGU.

Fussnoten

Fußnoten

  1. vgl. WBGU, 2006: 6

  2. vgl. WBGU, 1996: 118 [Wissenschaft]

  3. vgl. WBGU, 2005: 28, [Armut] 2011

  4. vgl. WBGU, 2003a

  5. vgl. WBGU, 1995: 1

  6. Im Rahmen der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development – UNCED), dem so genannten "Erd-Gipfel" 1992 in Rio de Janeiro, wurde die United Nations Framework Convention on Climate Change (Externer Link: UNFCCC), zu deutsch Klimarahmenkonvention (KRK) verhandelt und unterzeichnet.

  7. vgl. WBGU, 2014; Tabelle 1

  8. vgl. WBGU, 2005 [Armut]

  9. vgl. WBGU, 2014

  10. vgl. Rockström et al., 2009a, b

  11. vgl. Rockström et al., 2009a

  12. vgl. Rockström et al., 2009b

  13. vgl. WBGU, 1999: 32 ff)

  14. Doghnut ist zwar die ursprüngliche Schreibweise, im Deutschen aber nicht so bekannt.

  15. vgl. Raworth, 2012;

  16. vgl. WBGU, 2003b: 104

  17. vgl. Raworth, 2012

  18. vgl. WBGU, 2011

  19. vgl. Externer Link: UNCSD – United Nations Conference on Sustainable Development (2012), 2012

  20. vgl. UNCSD (2012): The Future we Want. Agenda Item 1. Our Common Vision. New York: UNCSD.

  21. vgl.: Externer Link: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/1987-2017-30-jahre-montrealer-protokoll

  22. vgl. WBGU, 2014

  23. vgl. Nykvist et al., 2013

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Weitere Inhalte

Die Naturwissenschaftlerin Dr. Inge Paulini ist Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS). Inge Paulini ist seit 2009 auch Generalsekretärin des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen). Inge Paulini hat zunächst im Bereich Ernährungswissenschaft und Toxikologie geforscht. Danach hat sie im Umweltbundesamt u.a. zu nachhaltiger Ressourcennutzung und Nachhaltigkeitsstrategien gearbeitet.

Benno Pilardeaux leitet die Öffentlichkeitsarbeit des WBGU. Er hat über Innovation und Entwicklung in Nordpakistan promoviert. Er hat u.a. die Verhandlungen der Desertifikationskonvention (UNCCD), den Welternährungsgipfel, die Weltsiedlungskonferenz Habitat II und den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung begleitet.

Carsten Loose ist stellvertretender Generalsekretär des WBGU und promovierter Biologe. Er begleitet für den WBGU u.a. die Verhandlungen der Biodiversitätskonvention (CBD).

Astrid Schulz ist in der Geschäftsstelle des WBGU zuständig für die Themen Klima und Energie. Sie ist promovierte Physikerin und hat im Bereich der Klima- und Atmosphärenphysik geforscht und publiziert. Für den WBGU verfolgt sie seit vielen Jahren die Verhandlungen der UN-Klimarahmenkonvention und des IPCC.