Mit der Agenda 21, dem Ergebnisdokument der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (Erdgipfel von Rio, UNCED) wurde 1992 ein Katalog von Entwicklungs- und Umweltzielen vereinbart, der die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorbereiten wollte:
QuellentextAgenda 21 (1992)
Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. [...] Eine Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen und die verstärkte Hinwendung auf diese wird ... eine Deckung der Grundbedürfnisse, höhere Lebensstandards für alle, besser geschützte und bewirtschaftete Ökosysteme und eine sicherere Zukunft in größerem Wohlstand zur Folge haben.
Quelle: Agenda 21, Präambel, S. 1
Die Agenda 21 ist das in Rio 1992 beschlossene entwicklungs- und umweltpolitische Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das damals für die internationale Nachhaltigkeitspolitik zu einem Leitprogramm wurde.
Entstehung des Konzepts planetarischer Leitplanken bzw. Grenzen
Im Geist dieses Zitats war der Erdgipfel von Rio 1992 auch die Geburtsstunde des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Der Beirat befasst sich seit 1995 in zahlreichen Gutachten wissenschaftlich mit der Frage, welche Zustände des Erdsystems und welche Umweltveränderungen im Sinne der Agenda 21 unbedingt vermieden werden sollten, während gleichzeitig größtmögliche Freiheiten erhalten werden.
Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Politikberatung zum Globalen Wandel beschreibt der WBGU planetarische Leitplanken als „quantitativ definierbare Schadensgrenzen, deren Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte, so dass auch großer Nutzen in anderen Bereichen diese Schäden nicht ausgleichen könnte“
Die Komplexität des Systems Umwelt und die oftmals nur unscharfe Datenlage führen dazu, dass Leitplanken nicht exakt definierbar sind. Sie sind eher als „Grenzbereiche“ mit unscharfen Rändern zu verstehen
Zur Verdeutlichung eine Analogie: Leitplanken verhalten sich etwa wie Geschwindigkeitsbegrenzungen. Es wird kollektiv eine normative Festlegung getroffen, dass innerhalb von Ortschaften maximal 50 oder 30 km pro Stunde gefahren werden sollen. Wenn schneller gefahren wird, steigt die Wahrscheinlichkeit für Unfälle, aber auch das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzung kann Unfälle nicht ausschließen. Entsprechend ist die Einhaltung aller Leitplanken notwendig für nachhaltige Entwicklung, bedeutet allerdings keineswegs, dass dadurch überall sozioökonomische Missstände oder ökologische Schäden abgewendet werden können. Ein Grund: globale Leitplanken können keinesfalls sämtliche regionalen und sektoralen Auswirkungen des Globalen Wandels berücksichtigen
Im Kern bleibt es eine gesellschaftliche Entscheidung, welche Eingriffe in die natürliche Umwelt und damit verbundene Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der Menschheit als nicht mehr tolerabel angesehen werden. Die Wissenschaft macht Vorschläge und Gesellschaften müssen entscheiden, welche Leitplanken als notwendig erachtet werden
Am Beispiel des Klimawandels beantwortete der WBGU die Frage, welche „Toleranzfenster“ für die zulässigen Klimaentwicklungen festgelegt werden können: „Ökologische Grenzen ergeben sich dabei aus der Maximaltemperatur und den Temperaturgradienten, an die sich die Biosphäre noch anpassen kann.
Quellentext2°C - Leitplanke
Eine Erwärmung um mehr als 2°C (bezogen auf den vorindustriellen Wert) bzw. eine Erwärmungsrate von mehr als 0,2°C pro Dekade kennzeichnen demnach Klima-Änderungen, die in keinem Fall als tolerierbar angesehen werden.
Quelle: WBGU, 1997: 15
Es folgten mehrere Gutachten, in denen der WBGU Leitplanken ableitete, zuletzt zusammengestellt in einem Politikpapier zur Entwicklungsagenda 2030
Im Jahr 2014 entwickelte der WBGU in diesem Zusammenhang das Neutralitätskonzept zur Sicherung der Erdsystemleistungen
Auswahl der vom WBGU vorgeschlagenen planetarischen Leitplanken und Nullziele
Klimawandel: Erwärmung des Klimasystems auf 2 °C begrenzen. Globale CO2-Emissionen aus fossilen Quellen bis etwa 2070 einstellen.
Meeresspiegelanstieg: Der absolute Meeresspiegelanstieg sollte dauerhaft (auch über viele Jahrhunderte) nicht mehr als 1 m betragen, und die Anstiegsgeschwindigkeit sollte stets unter 5 cm pro Jahrzehnt bleiben (WBGU, 2006).
Ozeanversauerung: pH-Wert der obersten Meeresschicht soll nicht mehr als 0,2 Einheiten gegenüber vorindustriellem Wert absinken. Globale CO2-Emissionen aus fossilen Quellen bis etwa 2070 einstellen.
Biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen: Verlust von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen stoppen. Dafür unmittelbare anthropogene Treiber (z. B. Konversion natürlicher Ökosysteme) bis spätestens 2050 zum Stillstand bringen.
Land- und Bodendegradation: Anthropogene Land- und Bodendegradation stoppen. Dafür Netto-Landdegradation bis 2030 weltweit und in allen Ländern stoppen.
Gefährdung durch langlebige anthropogene Schadstoffe: Substituierbare Nutzung von Quecksilber sowie anthropogene Quecksilberemissionen bis 2050 stoppen. Freisetzung von Plastikabfall in die Umwelt bis 2050 weltweit stoppen. Produktion von Kernbrennstoffen für Kernwaffen und Kernreaktoren bis 2070 stoppen.
Verlust von Phosphor: Phosphor ist unverzichtbare Ressource für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Freisetzung nicht rückgewinnbaren Phosphors bis 2050 stoppen, so dass Kreislaufführung weltweit erreicht werden kann.
Quellen zur Auswahl: WBGU, 2014, 2006
Planetary Boundaries: Sicherer Handlungsraum für die Menschheit
Das den planetarischen Leitplanken sehr ähnliche Konzept der Planetary Boundaries wurde 2009 unter Federführung von Johan Rockström, dem Direktor des Stockholm Resilience Center und von 29 Autoren, wie international renommierten Wissenschaftlern, darunter auch der WBGU-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber, veröffentlicht
Mithilfe dieses Konzepts wird ein sicherer Handlungsraum (safe operating space) identifiziert, der durch zehn planetare Grenzen (Planetary Boundaries vgl. Tabelle unten) definiert wird. Diese planetaren Grenzen (siehe innere grüne Fläche in Abb. 1 zu den Planetarx Boundaries oben) umreißen den dynamischen biophysikalischen "Raum", in dem die Menschheit sich bislang entwickeln und gut und erfolgreich leben konnte