Der Mensch als Pilot im Raumschiff Erde?
Das Konzept vom Anthropozän, Geoengineering und der Klimawandel
Dr. Thomas Bruhn
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Die globale Erwärmung gilt als eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit: Wie können wir unsere Zukunft gestalten? Es wächst das Gefühl, unser Handeln schnell umstellen zu müssen. Kann die Idee vom Anthropozän dabei helfen und welche Argumente werden für und gegen Geoengineering vorgebracht? Dr. Thomas Bruhn beleuchtet die wichtigsten Fragen, die den Klimawandel im Anthropozän betreffen.
Inwieweit spiegelt der Begriff des Anthropozän ein verändertes Verständnis des Mensch-Natur Verhältnisses?
Im Konzept des Anthropozäns kommt mehr zum Ausdruck als nur die Tatsache, dass der Mensch zur dominanten Kraft im Erdsystem geworden ist. Über diese erste Erkenntnis hinaus führt uns der Begriff des Anthropozäns erstmalig in unserer Zivilisationsgeschichte vor Augen, dass wir als globales Kollektiv einen systemischen Einfluss ausüben auf die Funktionsweise des Erdsystems in seiner Gesamtheit und damit auch auf die Lebensgrundlagen aller Menschen und Lebewesen.
Diese Erkenntnis stellt einen gravierenden Wandel im Selbstverständnis der Menschheit und insbesondere im Mensch-Natur Verhältnis dar. Über Jahrtausende hinweg waren wir Menschen letztlich ein für das Gesamtsystem Erde nur wenig bedeutsamer Faktor. Wir entwickelten uns und veränderten zwar unsere Umgebung nach unseren Vorstellungen, beispielsweise für Siedlungen oder Ackerbau, doch unser Einfluss auf die Erde insgesamt war gering.
Und trotz mancher lokalen Folgen unseres Eingreifens wurde die Stabilität des globalen Gesamtsystems von unseren Eingriffen nicht beeinträchtigt. Während der letzten knapp 10.000 Jahre, dem Holozän, durchlief das Erdsystem eine Phase vergleichsweise stabiler klimatischer Rahmenbedingungen. Die Natur war gewissermaßen die stabile Basis und der verlässliche Rahmen, in dem wir Menschen uns bewegen konnten und dessen Stabilität außerhalb unseres Einflusses lag.
Mit dem Anthropozän und der sogenannten „großen Beschleunigung“, die sich seit den 1950er Jahren unter anderem im Bevölkerungswachstum, dem Ressourcenverbrauch und verschiedenen ökologischen Indikatoren beobachten lässt, hat sich diese Situation geändert. Der Mensch ist zur dominierenden Kraft im Erdsystem geworden. Das bedeutet, dass unsere kollektiven Handlungen Wirkungen entfalten können, die die Basis, auf der wir uns bewegen, grundlegend prägen. Wir können die Stabilität des Gesamtsystems nicht mehr als selbstverständlich gegeben sehen, sondern der Zustand der Schöpfung wird von uns selbst und unserem Einfluss als Menschheit bestimmt.
Was bedeutet dies konkret für unseren Umgang mit der Erde und auf welche Weise könnte es hilfreich sein, um die Herausforderungen der globalen Erwärmung zu bewältigen?
Das veränderte Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das sich im Narrativ des Anthropozäns ausdrückt, hat gravierende Folgen. Die vielleicht wichtigste Konsequenz ist, dass der Menschheit im Anthropozän eine neue Dimension der Verantwortung zukommt. Unser Einfluss und unsere Eingriffe in das Gesamtsystem Erde bringen die Verantwortung mit sich, dafür Sorge zu tragen, dass die Auswirkungen unseres Handelns verträglich sind mit der Stabilität der Ökosysteme.
Diese Idee kommt beispielsweise auch im Konzept der Planetary Stewardship zum Ausdruck, das auf der Basis des Anthropozän-Gedankens entstanden ist. Die Kernidee ist dabei, dass die Menschheit angesichts ihres globalen Einflusses die Rolle übernehmen sollte, die für das Überleben der Menschheit relevanten Ökosysteme („life support systems“) aktiv zu steuern und zu managen, damit die relevanten Indikatoren des Erdsystems innerhalb der sogenannten Planetaren Grenzen bleiben.
Gleichzeitig macht uns das Anthropozän auf wesentlich neue Weise bewusst, dass die Menschheit in ihrer globalen Gesamtheit von unterschiedlich wirksamen Individuen eine kollektive Wirkung auf die Erde entfaltet. Das Narrativ des Anthropozäns folgt einer Perspektive auf das globale Ganze, und die Etablierung eines solchen globalen Bezugsrahmens fordert uns dazu heraus, uns innerhalb dieses Rahmens bewusst zu verorten. Dies ist eine Herausforderung für die Menschheit in Ihrer Gesamtheit ebenso wie für jeden Einzelnen und alle Akteure innerhalb des menschlichen Systems:
QuellentextThomas Bruhn
Welche Strukturen und Dynamiken prägen das Verhalten des kollektiven Gebildes Menschheit und was ist meine individuelle Rolle darin?
Wie wirken die Dynamiken des Kollektivs auf mich als Einzelnen und wie wirken meine persönlichen Handlungen auf das große Ganze?
Wo trage ich zu Lösungsfindungen bei und wo trage ich zur Verschlimmerung bestimmter Problemlagen bei?
Das Anthropozän führt uns vor Augen, dass all diese Fragen zusammenhängen und es tatsächlich „ein großes Boot“ gibt, in dem wir als globale Menschheit gemeinsam sitzen. In dieser Hinsicht lässt sich das Anthropozän vielleicht auch als ein neues Zeitalter der Verbundenheit begreifen. Wir erkennen, dass die Handlungen von uns Einzelnen und allen Akteuren über alle Unterschiedlichkeiten und Zielkonflikte hinweg auf vielfache und komplexe Weise miteinander verbunden sind und sich zu einem kollektiven Wirken verbinden, das es bewusst zu gestalten gilt.
Dieser doppelte Wandel, in Hinblick auf die veränderte Verantwortung gegenüber der Natur insgesamt und in Hinblick auf die Bedeutung des Wirksam-Seins als globale Menschheit, könnte die wesentliche Voraussetzung sein, um den Herausforderungen der globalen Erwärmung zu begegnen. Denn je stärker das Bewusstsein ist für einen gemeinsamen globalen Bezugsrahmen (wie z.B. die sogenannten Interner Link: Planetaren Grenzen oder den Interner Link: Nachhaltigkeits-„Doughnut“) und daraus resultierende konkrete gemeinsame globale Anliegen (wie z.B. aktuell die Sustainable Development Goals (SDGs)), desto größer könnte auch der Antrieb sein, unser Handeln zum Wohle dieser übergreifenden Anliegen zu gestalten.
In dieser Weise lassen sich beispielsweise auch die aktuellen Bemühungen zum Klimaschutz interpretieren. Denn während die Menschheit in politischer Hinsicht derzeit in 195 Staaten unterteilt ist, dokumentiert sich in den Ergebnissen des Pariser Klimaabkommens das Bemühen der Menschheit dahin, sich mit globalen Zielen zu identifizieren und sich Leitplanken für die globale Entwicklung des Planeten zu geben.
Nachhaltigkeit
Ganz grundsätzlich kommt in diesen Zielen und Konzepten auch zum Ausdruck, wie sich der Begriff der Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend konkretisiert hat.
Ursprünglich aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts stammend, wurde der Begriff der nachhaltigen Entwicklung in unserem heutigen Verständnis vom Bericht der Brundtland Kommission im Jahr 1987 geprägt und führte hin zum ersten sogenannten Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 über Umwelt und Entwicklung, aus dem beispielsweise die Rahmenkonventionen der Vereinten Nationen für Biodiversität (CBD) und Klimaveränderungen (UNFCCC) hervorgingen.
Nach verschiedenen Prozessen wie beispielsweise der Agenda 21 und später den Millennium Entwicklungszielen, definieren wir nachhaltige Entwicklung mittlerweile anhand immer konkreterer Ziele, wie aktuell den Klimaschutzzielen und vor allem den von der Rio +20 Konferenz initiierten Externer Link: Sustainable Development Goals (SDGs), die im Jahr 2015 verabschiedet wurden und 17 globale Nachhaltigkeitsziele und 169 konkrete Unterziele umfassen, welche die Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2030 erreichen will.
Führt uns das Anthropozän in ein Zeitalter des Geoengineering?
Insbesondere im Kontext der globalen Erwärmung wird darüber diskutiert, was es konkret für die Menschheit bedeuten könnte, ihre Verantwortung gegenüber der Stabilität des Erdsystems wahrzunehmen. Eines der Konzepte, das oft mit dem Anthropozän in Verbindung gebracht wird, ist das sogenannte Geoengineering oder Climate Engineering. Dies liegt wohl auch daran, dass beide Konzepte aus der Perspektive der Erdsystemforschung stammen und insbesondere vom Nobelpreisträger Paul Crutzen zur Diskussion gestellt und in Zusammenhang gebracht wurden.
Climate Engineering
Unter dem Begriff des Climate Engineering wird eine Vielzahl von Vorschlägen zusammengefasst, großtechnisch gezielt ins Erdsystem einzugreifen, um den Herausforderungen der globalen Erwärmung zu begegnen. Die konkreten Ideen dazu sind äußerst unterschiedlich und lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen.
Die erste dieser Kategorien umfasst Ideen zur technischen Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre (genannt Carbon Dioxode Removal (CDR)) beispielsweise durch eine Düngung der Meere mit Eisenoxid oder durch chemische Abscheidung von CO2 aus der Luft und anschließende unterirdische Speicherung.
Die andere Kategorie umfasst Maßnahmen, die Reflektivität der Erde zu erhöhen, um mehr Sonnenlicht zu reflektieren und dadurch die Erde zu kühlen (genannt Albedo Modification oder auch Solar Radiation Management
Diese beiden Kategorien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht sehr grundlegend voneinander. So adressieren Maßnahmen zum Strahlungsmanagement grundsätzlich eher das Symptom der globalen Erwärmung und könnten relativ schnell eine Wirkung auf das Klima entfalten. CDR Maßnahmen dagegen würden die physikalische Ursache des Klimawandels - nämlich die Emissionen von CO2 - und möglicherweise auch anderen Treibhausgasen wie Methan - angehen und wären mit deutlich höheren Ressourceneinsatz verbunden und würden deutlich langsamer Wirkung entfalten.
Die einzelnen technologischen Vorschläge zum Geoengineering sind bisher insgesamt noch unzureichend verstanden und teilweise sehr umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil sie neben möglichen ökologischen und gesellschaftlichen Nebenwirkungen auch eine Reihe fundamentaler philosophischer und ethischer Fragen aufwerfen, die bisher ungeklärt sind:
Quellentext7 Fragen zum Geoengenering
Wie bleibt der Entscheidungsspielraum zukünftiger Generationen gewahrt?
Wie lässt sich beurteilen, ob wir die globalen Ökosysteme umfassend genug verstehen, um kontrolliert eingreifen zu können?
Welcher Rechtsrahmen kann die Forschung zu Climate Engineering verbindlich regeln?
Wie können demokratisch legitimierte Entscheidungen über den Einsatz von Climate Engineering zustande kommen?
Wie könnte die Weltgemeinschaft mit Konflikten aufgrund ungleich verteilter Auswirkungen durch Climate Engineering umgehen?
Was würde der Einsatz von Climate Engineering für das Mensch-Natur- Verhältnis bedeuten?
Wie lässt sich ausschließen, dass Hoffnungen auf Climate Engineering wirksamen Klimaschutz behindern?
Quelle: vgl. Bruhn, T. and M. Latif, 7 Questions about Climate Engineering. 2013, German Association to the Club of Rome
Bei vielen Vorschlägen ist noch äußerst unklar, ob es angesichts der Komplexität des Erdsystems überhaupt möglich wäre, kontrolliert genug einzugreifen, um die gewünschten Effekte zu erzielen und was unerwünschte Nebenwirkungen wären. So könnten Eingriffe in den Strahlungshaushalt der Erde z.B. dazu führen, dass sich Niederschlagsmuster wie der Monsun signifikant verschieben und damit die Wasserversorgung gewisser Regionen beeinflusst wird. Die Freisetzung von Aerosolpartikeln beispielsweise könnte dazu führen, dass die Konzentration von Ozon in der Ozonschicht reduziert wird.
Darüber hinaus bleibt unklar, inwieweit mögliche Geoengineering Eingriffe reversibel wären. Aufgrund der schieren Größe und Komplexität des Erdsystems hätten Wissenschaftler gewissermaßen kein Labor zur Verfügung, in dem z.B. Maßnahmen zum Strahlungsmanagement getestet werden könnten. Vielmehr wäre es wohl teilweise erst nach dem großskaligen Einsatz einer Technologie möglich zu identifizieren, welche genauen Wirkungen und eben auch Risiken sie im Erdsystem entfalten würde. Zudem wäre es möglich, dass manche Nebenwirkungen von Eingriffen ins Erdsystem auch nach einem Ansatz der Technologien gar nicht messbar sein könnten, da es bisher keine dafür erforderlichen Messmethoden gibt. Es könnte zudem im Einzelfall schwer bis unmöglich sein zu identifizieren, welche Entwicklungen im Erdsystem tatsächlich eindeutige Folgen eines technologischen Eingriffs wären und nicht durch andere Einflüsse zu erklären sind. Es könnte daher selbst im Nachhinein unmöglich sein, die genauen Folgen eines solchen Eingreifens konkret zu bewerten und damit die Möglichkeiten für gezieltes Eingreifen entscheidend einschränken.
Auch bei Vorschlägen zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre ist zu bedenken, dass die dafür notwendigen Technologien einen erheblichen Einsatz von Ressourcen und große Mengen Energie benötigen würden. So schätzt man, dass die erforderliche Infrastruktur die nötig wäre, um einen wesentlichen Teil der anthropogenen CO2-Emissionen zu entfernen - etwa für die Abscheidung, den Transport und die unterirdische Speicherung von CO2 - in etwa vergleichbar wäre mit der bereits bestehenden Energie-Infrastruktur. Der Aufbau einer solchen Infrastruktur wäre zudem mit weiteren Eingriffen in Ökosysteme und erheblichen finanziellen Investitionen verbunden.
Angesichts solcher möglichen Nebenwirkungen und Pfadabhängigkeiten solcher Technologieentwicklungen geben manche Kritiker zu bedenken, dass das immer stärkere Eingreifen des Menschen in die Umwelt mithilfe der Technik wesentlich mit verantwortlich ist für die gegenwärtige Nicht-Nachhaltigkeit des Anthropozäns. Ob ein Mehr an technischem Eingreifen nun tatsächlich einen Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit bedeuten könnte, halten sie daher ganz grundsätzlich für fraglich.
Jenseits von technischen und ökologischen Aspekten werfen viele Vorschläge zum Geoengineering aber zum Teil auch schwierige Fragen dahingehend auf, wie sie politisch reguliert werden könnten. Wer würde über einen möglichen Einsatz solcher Technologien entscheiden und wessen Interessen würden dabei berücksichtigt? Und wie wäre im Falle unerwünschter Nebenwirkungen mit möglichen Schäden oder nachteiligen Konsequenzen für bestimmte Regionen umzugehen?
Weit verbreitet ist beispielsweise die Sorge, dass einzelne Länder oder Länderkoalitionen Maßnahmen zum Strahlungsmanagement durchführen könnten, wenn sie sich davon nationale oder regionale Vorteile versprechen. Bisherige Schätzungen der erforderlichen Kosten und Infrastrukturen legen nahe, dass einzelne Länder theoretisch sowohl technisch als auch finanziell in der Lage sein könnten, beispielsweise Strahlungsmanagement mithilfe von Aerosolpartikeln im Alleingang durchzuführen. Denn während einzelne Ideen zum Geoengineering bereits unter internationalem Recht reguliert sind - beispielsweise ist Ozeandüngung unter der Londoner Konvention im Londoner Protokoll (LC/LP) verboten und lediglich zugelassen für einzelne, vorher zu prüfende und zu genehmigende Ausnahmen zu Forschungszwecken - gibt es bisher keinen internationalen Vertrag, der Climate Engineering Maßnahmen übergreifend regulieren könnte.
Daher liegt ein wesentliches Augenmerk der aktuellen Aktivitäten im Bereich Climate Engineering darauf, zunächst einen solchen regulativen Rahmen für die weitere Erforschung und Entwicklung von Climate Engineering zu schaffen. Dies könnte beispielsweise durch eine Zusammenführung des Londoner Protokolls (LC/LP), der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (CBD) und der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) geschehen. Eine aktuelle und ausführliche Betrachtung und Bewertung möglicher Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken der wichtigsten Climate Engineering Technologien sowie Empfehlungen für einen angemessenen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit diesen Technologien ist in einem aktuellen Bericht (EuTRACE) an die Europäische Kommission zu finden.
Viele dieser Fragen, wie zum Beispiel die Frage nach global gerechten Regulierungsmechanismen und -institutionen (sogenannter „Global Governance“), sind keineswegs spezifisch für die Diskussion zum Climate Engineering oder zum Anthropozän, sondern finden sich allgemein in der aktuellen Diskussion um die Folgen der globalen Erwärmung. Sie berühren vielmehr grundsätzlich die Herausforderungen, wie Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit in einer Welt zu erreichen sind, in der die Ursachen und Wirkungen der wichtigen Probleme zunehmend miteinander vernetzt sind und oft nicht mehr mit konventionellen Lösungsansätzen aus nationalstaatlicher Perspektive bewältigt werden können. Diese Probleme sind beispielsweise in den planetaren und sozialen Grenzen des „Nachhaltigkeits-Doughnut“ von Raworth zusammengefasst und betreffen u.a. Armut, Hunger, Ungleichheit, Klimawandel und Artensterben.
Welche Rolle kann Geoengineering beim Klimaschutz spielen?
Aktuell, so muss man ganz deutlich sagen, stellt Climate Engineering keine Alternative dar zur Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen. Viele Vorschläge, besonders zum Strahlungsmanagement, sind bisher kaum über das Stadium der grundsätzlichen Idee hinaus entwickelt und stellen auf absehbare Zeit hinaus keinerlei Option für die Bemühungen gegen den Klimawandel dar. Hoffnungen auf die Wirksamkeit solcher Technologien sind daher sehr spekulativ und dürfen nicht dazu führen, dass andere Bemühungen zum Klimaschutz weniger ernst genommen werden. Dieses Argument, dass Diskussionen über Climate Engineering konventionellen Klimaschutz behindern könnten, wird auch als „moral hazard“ bezeichnet. Tatsächlich war die Sorge, dass Diskussionen um Climate Engineering zu falschen Hoffnungen führen und damit den Klimaschutz behindern könnten, ein wesentlicher Grund dafür, warum es Wissenschaftler lange Zeit vermieden haben, überhaupt über das Thema zu sprechen.
Etwas anders stellt sich die Situation zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre dar. Viele dieser Vorschläge, insbesondere in Verbindung mit der unterirdischen Speicherung von CO2, sind technisch grundsätzlich demonstriert und werden intensiv gefördert. Auch die internationalen Klimaschutzszenarien, wie sie beispielsweise auch dem Pariser Abkommen zugrunde liegen, gehen davon aus, dass Technologien für sogenannte negative Emissionen im Laufe dieses Jahrhunderts in großem Umfang zur Verfügung stehen. Da diese Technologien bisher noch nicht in dem erforderlichen Maße verfügbar sind und die aktuellen Vorschläge teilweise mit problematischen Nebenwirkungen verbunden sein können, steht die internationale Gemeinschaft also ganz unmittelbar vor der Herausforderung, Wege zu finden, wie auf nachhaltige Weise große Mengen negativer Emissionen erzeugt werden können, um die vereinbarten Klimaschutzziele einzuhalten.
Die sogenannte BECCS-Technologie , die in diesem Kontext derzeit am weitesten entwickelt ist, sieht beispielsweise vor, dass Biomasse in großem Umfang dafür genutzt wird, Kraftwerke zu befeuern und das CO2 aus den Abgasströmen unterirdisch zu speichern. Es ist jedoch noch nicht klar, wie die dafür erforderlichen großen Mengen Biomasse nachhaltig bereitgestellt werden können. So würden beispielsweise Landflächen, die für die Erzeugung von Biomasse für CO2-Entfernung genutzt werden, nicht mehr zur Verfügung stehen, um dort Nahrungsmittel anzubauen. Es könnten also mögliche Zielkonflikte zwischen der Vermeidung der globalen Erwärmung und der Bekämpfung von Hunger in der Welt entstehen. Auch eine Erzeugung von Biomasse für BECCS in den Ozeanen, wie sie unter dem Begriff „Ozean-Aufforstung“ vorgeschlagen wurde, wäre mit erheblichen Eingriffen in die dortigen marinen Ökosysteme verbunden und könnte daher aus anderen Gründen problematisch sein.
Ganz grundsätzlich zeigt sich an diesem Beispiel, dass der Einsatz von Geoengineering Technologien (wie auch von anderen Technologien oder menschlichen Eingriffen) mit neuen Wirkungen und Nebenwirkungen verbunden sein kann, die wiederum im Konflikt stehen können mit anderen Nachhaltigkeitszielen. Die zentrale Herausforderung besteht also darin, Wege zu finden, möglichst viele der aktuellen Nachhaltigkeitsziele (nicht nur das Klima betreffend) in einer ganzheitlichen Strategie zusammen zu führen und dabei eine Vielzahl von unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure miteinander in Einklang zu bringen. Angesichts dieser großen Herausforderungen erscheint es daher umso dringender, die bereits technologisch möglichen Maßnahmen zum Klimaschutz (wie z.B. den Umstieg auf erneuerbare Energien) zu intensivieren und die Dekarbonisierung der Wirtschaft insgesamt voran zu treiben.
Was für ein Anthropozän wollen wir?
Die Diskussion um das Anthropozän könnte einen bedeutenden weiteren Schritt im Prozess der Selbstreflexion der Menschheit darstellen. Während die Diskussion zum Anthropozän konstatiert, dass die Menschheit gewissermaßen eine neue Macht und damit auch Verantwortung für das Gesamtsystem Erde erlangt hat, sagt die Idee des Anthropozäns nichts darüber aus, wie die Menschheit mit dieser Rolle umgehen soll. Die Tatsache, dass die Menschheit zur dominierenden Kraft im Erdsystem geworden ist, sagt also nicht zwangsläufig etwas darüber aus, ob die Menschheit versuchen sollte, auch zur kontrollierenden Kraft im Erdsystem zu werden oder ob sie das überhaupt jemals sein könnte.
Der Begriff des Anthropozäns fordert uns jedoch heraus, uns diesem Status Quo gegenüber bewusst zu positionieren. Nachdem die Menschheit über Jahrtausende hinweg ihren Einfluss über die Ökosysteme kontinuierlich ausgedehnt hat, konfrontiert uns das Anthropozän mit der Erkenntnis, dass wir mit dieser Entwicklung an gewisse Grenzen stoßen, nämlich die Belastungsgrenzen der Stabilität des Erdsystems. Es bringt zum Ausdruck, dass das Ausüben unseres Einflusses über das Erdsystem Implikationen auf das große Ganze und letztlich auch auf uns selbst und das zukünftige Schicksal der Menschheit hat.
Angesichts dieser Erkenntnisse sind wir als globale Menschheit aufgefordert, uns selbst neu zu verorten und unsere Rolle im Erdsystem bewusst zu gestalten. Diesen Impuls ernst zu nehmen, ist die Aufgabe der Stunde, und die globale Erwärmung ist eine der zentralen Herausforderungen, an denen wir zeigen können, wie gut wir diese Aufgabe annehmen können.
Wann und wie werden wir lernen, unser kollektives Handeln so zu gestalten, dass wir die Stabilität des globalen Rahmens wahren?
Welche konkreten Konsequenzen bringt diese Verantwortung für jeden einzelnen Akteur innerhalb des globalen Systems Menschheit mit sich?
Und welche konkreten Mittel und Technologien sind hilfreich auf dem Weg, diese Rolle möglichst verantwortungsvoll auszufüllen?
Das Konzept des Anthropozäns drängt uns keine unmittelbaren Antworten auf diese Fragen auf. Es suggeriert auch nicht die zwangsläufige Zukunft eines Zeitalters technologischer Dominanz des Menschen über die Erde, wie es von manchen interpretiert wird. Es führt uns vielmehr vor Augen, dass sich unsere vielen heterogenen Aktivitäten innerhalb der Menschheit zu einem großen Ganzen zusammenfügen, das die Geschicke des gesamten Erdsystems prägt, auf dem unser Dasein beruht. Dieses Bewusstsein einer globalen Verbundenheit könnte mit entscheidend dafür sein, neue Ansätze und eine Art globaler Empathie zu entwickeln, um global tragfähige Lösungen für die Zukunft zu finden und langfristig nachhaltiges Handeln und nachhaltige Entwicklung innerhalb unseres globalen Rahmens zu ermöglichen.
Diesen Bewusstwerdungsprozess zu fördern und zugleich einen konkreten globalen Bezugsrahmen zu schaffen, in dem wir lernen können, uns und unsere zukünftige Entwicklung zu verorten, könnte letztlich als der große Mehrwert des Anthropozän-Konzeptes sein - nicht nur - aber ganz besonders für die Bewältigung des Klimawandels.
Dr. Thomas Bruhn ist Physiker und arbeitet seit 2012 am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Am IASS beschäftigt er sich unter anderem mit transdisziplinärem Dialog zum Thema Climate Engineering, insbesondere in der Schnittstelle zu zivilgesellschaftlichen und religiösen Perspektiven. Darüber hinaus forscht er zu den Umweltauswirkungen von CO2 Abscheidungstechnologien und Konzepten zur Nutzung von CO2 als Rohstoff. Vor seiner Zeit am IASS forschte er unter anderem im Bereich der Halbleiternanomaterialien wie Silizen und zur Selbstorganisation von Molekülen in Berlin, Rom und am Centre Interdisciplinaire de Nanosciences (CiNaM) in Marseille. Dr. Bruhn ist und ist Mitglied im ThinkTank30 des Club of Rome und Vorstandsmitglied der Stiftung Weltvertrag.
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