Leben in einer globalen Polis
Das Anthropozän als politische Herausforderung
Christian Schwägerl
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Wie werden sich im Anthropozän Gesellschaft und Politik austauschen? Wie global kann und muss eine sozial gerechte Zusammenarbeit aussehen? Wie werden ethische Entscheidungen getroffen und angewendet? Rührt die Idee des Anthropozäns an klassischen Politikbegriffen und Handlungslogiken? Wie können Klima-, Sozial-, Wirtschafts- und Stadtpolitik kooperieren, um der komplexen Lage unseres Planeten gerecht zu werden?
Seit Januar 2013 wandert der amerikanische Biologe und Autor Paul Salopek um die ganze Welt. Seine Reise hat er in Äthiopien begonnen, wo die Ursprünge des modernen Menschen liegen. Salopeks Ziel ist es, innerhalb von sieben Jahren zu Fuß bis nach Feuerland zu kommen, über den Nahen Osten, Südostasien, China, Sibirien, Nordamerika. Die geplante Wanderroute ist 33.800 Kilometer lang. Mit seinem Projekt will der Amerikaner den Weg nachvollziehen, den die Menschheit zurückgelegt hat, seit sie Afrika verließ. Zugleich will er die Welt von heute begreifen. Sein Ansatz könnte globaler nicht sein, weshalb Salopek auch von einer "Reise ins Anthropozän" spricht.
Es gibt kaum eine andere Idee, die globaler angelegt ist als das Anthropozän. Ob wir Menschen das Klima verändern, die Erde mit Städten überziehen oder Arten von einem Kontinent zum anderen transportieren – es geht um Veränderungen, die den ganzen Planeten betreffen, die ihn so tiefgreifend und langfristig umgestalten, dass dies nach Ansicht führender Wissenschaftler sogar einen Einschnitt auf der geologischen Zeitskala darstellt. Alle Teile des Erdsystems, von der Tiefe des Ozeans bis zum Rand der Atmosphäre, sind von diesen Veränderungen betroffen.
Zudem sind Anthropozän-Effekte eng mit gleichermaßen alltäglichen wie politischen Konsumentscheidungen verbunden, etwa dem Energieverbrauch. Ob der Klimawandel eskaliert und die Erde auf Jahrzehntausende verändert oder ob er eingedämmt wird, resultiert aus Entscheidungen jedes Menschen als Individuum, aber auch aus denen aller Organisationsformen der Menschheit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, vom Stadtrat bis zu den Vereinten Nationen, vom Fabrikarbeiter bis zu den CEO's von Großkonzernen, von Kleinbauernvereinigungen bis zu Hightech-Instituten.
Wie führende Anthropozän-Forscher im Januar 2016 im Magazin Science darlegten, ist die "Erdepoche des Menschen" die erste neue Erdepoche, bei der Menschen nicht nur bewusst Zeugen sind, sondern auch die erste, deren weiteren Verlauf sie selbst beeinflussen können. Deshalb ist das Anthropozän nicht nur eine geologische Diagnose, sondern auch, in den Worten von Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, ein "Prozess, der über sich selbst reflektiert". Das Anthropozän ist damit Ausdruck einer globalen polis.
QuellentextChristian Schwägerl:
Wie aber könnte, wie sollte die Anthropozän-Idee das Zusammenleben der Menschen und den Umgang von Politik und Wirtschaft mit globalen Fragen positiv verändern?
Schon wenige Tage nach seinem Aufbruch kam Salopek in eine Gegend in Äthiopien, in der gerade ein Stück Wüste in eine Zuckerrohrplantage verwandelt wurde. Der Wanderer sah, wie riesige Bagger die Gegend planierten und schnurgerade Kanäle in die Landschaft frästen. Am Straßenrand traf er eine junge Frau vom Nomadenstamm der Afart. Sie erzählte ihm, dass die Nomaden mit Gewalt von diesem Stück Land vertrieben worden waren und sich nun als Tagelöhner verdingen müssen, um zu überleben – für 20 Dollar Monatslohn. Während wir uns zuerst Richtung Norden und dann nach Osten bewegen, lassen wir die Wüste hinter uns und stoßen unsere Zehen am Anthropozän – dem Zeitalter des modernen Menschen."
Der Wanderer bekam gleich drei globale Mega-Themen zu sehen:
Erstens schreiende Ungerechtigkeit, wenn eine junge Frau 20 Dollar Monatslohn für harte körperliche Arbeit bekommt, während in Europa oder den USA ein Aktienhändler diese Summe in einer Millisekunde verdienen kann.
Zweitens den drohenden Verlust von Natur und Artenvielfalt, wenn die Landwirtschaft weiter industrialisiert wird.
Und drittens den globalen Klimawandel, der im afrikanischen Trockengürtel den Afar und anderen Nomaden womöglich das letzte frei verfügbare Wasser rauben wird, während der Zucker aus den neuen Plantagen am Ende in amerikanischen oder europäischen Süßigkeiten landet.
Auf der rein naturwissenschaftlichen Ebene ist das Anthropozän eine bloße Beschreibung, dass globale Probleme wie die industrialisierte Landwirtschaft, der Verlust von Artenvielfalt, die Erderhitzung oder auch globalisierte Stoff- und Abfallströme langfristig messbar bleiben werden. Doch wenn Salopek bei der Begegnung mit einer marginalisierten jungen Frau vom Anthropozän spricht, schwingt mehr mit. Ist es charakteristisch für das Anthropozän, dass es Millionen Menschen wie die Afar-Nomadin gibt, die dem sogenannten Fortschritt zum Opfer fallen? Oder formuliert das Anthopozän den Anspruch, dass sich dies ändern muss?
Denn der "Anthropos", der Mensch, um den es im Wort Anthropozän geht, ist derselbe Mensch, von dem es zuerst in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und später auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen von 1948 heißt, er sei von Geburt aus frei und mit gleichen Rechten ausgestattet. So verstanden haben wir es mit dem Imperativ zu tun, auf ein Zeitalter der freien und gleichen Menschen hinzuarbeiten.
Wenn es demzufolge an uns Menschen liegt, wie die Zukunft der Erde aussehen wird, dann steckt im Namen Anthropozän die Aufforderung, dass alle Menschen gleichberechtigt an dieser Zukunft mitwirken dürfen – und die Aufforderung, auch auf künftige Erdbewohner, sowohl Menschen als auch Tiere und Pflanzen, Rücksicht zu nehmen. In ihrem wegweisenden Artikel "The Anthropocene: Are Humans Now Overwhelming the Great Forces of Nature?" haben Will Steffen, Paul Crutzen und John McNeill eine kommende "dritte Phase" des Anthropozäns (nach der ersten Phase der Industrialisierung und der zweiten Phase der "Großen Beschleunigung") skizziert, in der Menschen aktiv und bewusst eine Rolle als "Stewards of the Earth System", als Hüter des Planeten, einnehmen. Das macht das Anthropozän noch mehr zu einem zutiefst politischen Projekt – und zu einem Projekt, zu dem Nomaden in Äthiopien gleichen Zugang haben sollten wie Banker in New York.
Die Anthropozän-Idee bietet im Gegensatz zur bisherigen Wirtschaftslehre eine wirklich umfassende Definition, was Globalisierung heißt. Bisher wurde Globalisierung hauptsächlich unter dem Aspekt des freien Handels von Gütern betrachtet. Institutionen wie die Welthandelsorganisation WTO beschäftigten sich kaum mit ökologischen und klimatischen Folgen einer ungebremsten ökonomischen Globalisierung.
Anthropozän-Forscher dagegen beschreiben:
die globalen Veränderungen von Stoffflüssen, etwa von Kohlenstoff und Stickstoff, die damit einhergehen,
die Ausbreitung von Arten zwischen Kontinenten durch Handelsschiffe,
die Erderwärmung infolge von Kohle- und Erdöltransport auch in die entlegensten Winkel.
Sie legen dar, dass das gesamte Erdsystem von der ökonomischen Aktivität verändert wird.
Ein Ergebnis dieser Forschung ist es, dass Umweltökonomen kritisieren, dass die globalen ökologischen Lebensgrundlagen und die "Dienstleistungen" der Natur, etwa Wasserreinigung, noch keinen eigenen ökonomischen Wert haben. Im Auftrag der Vereinten Nationen werden deshalb Konzepte entwickelt, künftig "Naturkapital" in die Bilanzen von Unternehmen und Volkswirtschaften aufzunehmen. Diesen Ansatz zum Beispiel in Deutschland zu realisieren, gehört zu möglichen politischen Folgerungen der Anthropozän-Idee.
Der Kontrast zwischen solchen Ansprüchen und der Wirklichkeit ist groß:
Obwohl die vergangenen Jahrzehnte davon geprägt waren, dass Hunderte Millionen Menschen absolute Armut hinter sich lassen und ihre wichtigsten Grundbedürfnisse decken konnten, ist die Welt von heute noch immer durch enorme Ungleichheiten geprägt:
So verursachte ein durchschnittlicher US-Amerikaner 2015 rund 16,1 Tonnen CO2-Emissionen, ein durchschnittlicher Inder dagegen nur 1,9 Tonnen.
Zwar nehmen die Emissionen von Schwellenländern steil zu und übertreffen im Falle Chinas bereits absolut die der USA. Doch insgesamt ist die Welt noch immer von einem steilen Gefälle der Pro-Kopf-Emissionen geprägt. Von den knapp 60 Milliarden Tonnen Material, die global jedes Jahr für das Wirtschaftsleben bewegt werden, entfällt ein Großteil auf die Bedürfnisse der reichsten Länder.
Historisch betrachtet fällt das Ungleichgewicht noch größer aus: Von den 2110 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die nach Schätzungen des Potsdam-Instituts, der Oxford University und des World Resources Institute zwischen 1800 und 2014 durch menschliche Aktivitäten zusätzlich in Umlauf gekommen sind, entfällt gut die Hälfte auf den kleinen Teil der Menschheit, der in Industrieländern lebt, während sich der Rest auf rund vier Fünftel der Menschheit verteilt.
Nicht nur die Afar-Nomaden, sondern Hunderte Millionen Menschen leiden unter den brutalen Folgen des westlichen Konsums. Hierzu gehören auch indigene Völker im Amazonasbecken oder auf Borneo, vor deren Augen ihr angestammter Regenwald zugunsten des Anbaus von Soja als Futtermittel für europäische Tierbestände gerodet wird, oder Menschen, die Bergwerken und Megaplantagen weichen müssen, nur damit in Europa und den USA Smartphones und Billiglebensmittel auf den Markt geworfen werden können. Dazu zählen auch jene Menschen, etwa in Bangladesch, die für ihre Arbeit Hungerlöhne bezahlt bekommen, damit in Europa die neueste knallbunte Modewelle so billig und profitabel wie möglich verkauft wird, während sich dort durch die Abwässer der Textilfabriken die Flüsse gelb, rosa und pink verfärben.
In Europa und den USA sind Luft und Wasser in den vergangenen Jahrzehnten sauberer geworden – aber auch deshalb, weil umweltverschmutzende Verfahren nach Asien ausgelagert wurden, wo nun Hunderte Millionen Menschen an Luft- und Wasserverschmutzung leiden. All diese Menschen sind auch "anthropos", aber sie sind nicht für die großen globalen Probleme nur teilweise wirklich verantwortlich.
Interpretiert man das Anthropozän so, dass alle Menschen gleichberechtigte Akteure sind, müsste es zu einem Forum werden, in dem die Benachteiligten, Marginalisierten und Ignorierten von heute beanspruchen können, an den globalen Entscheidungen mitzuwirken. Die Folgen einer solchen Interpretation für Politik und Wirtschaft wären weitreichend. Einzelne Nationalstaaten könnten keine Sonderrechte mehr für sich beanspruchen, wie es etwa die USA tun, wenn ihre Präsidenten mitteilen, der amerikanische Lebensstil mit seinem hohen Konsum sei "nicht verhandelbar".
Es wäre ein Imperativ, zum Beispiel durch fairere Regeln für Finanzgeschäfte und internationales Steuerrecht dafür zu sorgen, dass nicht 62 Personen so viel Vermögen besitzen wie die ärmste Hälfte der Menschheit. Und es müsste im Zentrum der Weltpolitik stehen, dass die Ärmsten der Armen das Recht haben müssen, ihren Lebensstandard zu steigern, während die reichen Nationen durch Mäßigung und technologische Innovation dabei vorangehen, die Biosphäre zu schonen.
Wenn zum Beispiel alle Menschen so viel Kohlendioxid emittieren würden wie zum Beispiel die Deutschen (2014 waren das laut Umweltbundesamt 11 Tonnen pro Kopf und Jahr), wäre die maximale Menge Kohlendioxid von zwei Tonnen pro Kopf und Jahr, die Klimaforscher bis 2050 weltweit für noch tolerabel halten, schon bis 2019 in die Atmosphäre gepumpt.
Wenn alle Länder so viel Fleisch produzierten wie Deutsche (100 kg/Jahr und Einwohner 2014 laut Statistischem Bundesamt), müssten Bauern und Fleischfabrikanten weltweit mehr als doppelt so viele Tiere heranfüttern wie heute (318 Mio t in 2014 / 7 Mrd Menschen = 44 kg pro Kopf).
Und wenn alle Menschen so viele Autos besitzen würden wie Deutsche (rund 550 pro 1000 Einwohner laut Kraftfahrbundesamt), gäbe es weltweit mehr als vier Milliarden Fahrzeuge, nicht 1,2 Milliarden wie heute.
Primäre Aufgabe von Regierungen, Wirtschaft und Gesellschaft in den reichen Ländern ist es deshalb, durch individuelle, unternehmerische und politische Entscheidungen Lebensstile zu entwickeln, die globalisierbar sind. Im Anthropozän ist es eben nicht damit getan, dass die Armen so reich werden wie die Wohlhabenden. Fände dieser Prozess statt, wäre die Erde kaum mehr zu erkennen, es gäbe keine Naturgebiete mehr, die Artenvielfalt wäre dramatisch verarmt und das Weltklima aus den Fugen. Dann würde sich der "Amerikanische Traum" von Wohlstand in sein absolutes Gegenteil verkehren und zu einem globalen Alptraum werden.
Das Anthropozän rührt also an klassische Politikbegiffe, etwa in der Entwicklungspolitik. Sie verfolgt bisher das Ziel, möglichst viele Menschen an den westlichen Lebensstandard heranzuführen. Der Anthropozän-Gedanke legt aber nahe, dass gerade die Industrieländer auch "Entwicklungsländer" sind. Ihr Lebensstil ist nicht verallgemeinerbar und gerade die reichen Länder haben die Aufgabe, sich schnell von ihrem Status quo wegzuentwickeln und nachhaltige Wirtschaftsweisen einzuüben, die global nachgeahmt werden könnten, ohne den Planeten zu ruinieren.
Dies führt zu extrem schwierigen Verteilungsfragen in Gesellschaften: So müssten nach Einschätzung von Experten zum Beispiel die Ausgaben für Energie- und Agrarforschung um ein Vielfaches steigen, um mit Hilfe von technischen Lösungen die wichtigsten globalen Probleme zu lindern. Die von Regierungen getragene Energieagentur (IEA) in Paris prangert an, dass noch immer vier Mal so viel Subventionen für fossile Energieträger ausgezahlt werden als für Erneuerbare Energien. Die IEA schätzt, dass Regierungen weltweit jährlich 34 Milliarden Dollar zusätzlich in die Erforschung und Entwicklung neuer Materialien und Methoden für erneuerbare Energien und andere nicht-fossile Energiequellen fließen müssten, um den Klimawandel auf zwei Grad über vor-industriellem Niveau zu begrenzen. Doch woher soll dieses Geld in den ohnehin strapazierten Staatshaushalten stammen, wer muss auf heutige Ansprüche verzichten?
Schwierige politische Verteilungsfragen kommen auch auf Verbraucher zu:
Ist es überhaupt noch tolerabel, dass die industrielle Landwirtschaft nicht für Umweltschäden zahlen muss, nur damit sich Europäer und Amerikaner Fleisch als tägliche Kost leisten können?
Müssten nicht vielmehr die massive Belastung der Umwelt mit Stickstoff und der Ausstoß an Treibhausgasen aus der industriellen Landwirtschaft so bepreist werden, dass industrielles Fleisch am teuersten ist und Bio-Fleisch günstiger abschneidet?
Das heutige Niveau an Fleischkonsum ist nur haltbar, wenn man dafür in Kauf nimmt, dass gewaltige Mengen Treibhausgase freigesetzt und in Südamerika große Flächen Regenwälder und Savannen in Tierfutterplantagen umgewandelt werden.
Für Gegentrends den nötigen globalen Rahmen zu setzen, ist ein enorm schwieriges und komplexes Unterfangen. Die UN-Klimaverhandlungen der vergangenen Jahre zeigen dies. Allerdings zeigt das positive Ergebnis des Klimagipfels von Paris im Dezember 2015 auch, dass ein internationaler Konsens und eine gemeinsame Strategie im Angesicht drohender Erderhitzung durchaus möglich sind. Auf dem Gipfel einigten sich fast 200 Staaten auf das Ziel, die Erderwärmung unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen und dafür konkrete Schritte zu ergreifen. Es besteht also durchaus Grund zum Optimismus.
Zu diesem Optimismus kann beitragen, dass im Anthropozän ganz neue Bündnisse für eine bessere Entwicklung möglich sind. So gehen zum Beispiel Städte und ihre Bürgermeister bei globalen Weichenstellungen zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung entschiedener voran als Nationalstaaten. In Städten lebt heute bereits mehr als die Hälfte der Menschheit. Hier entscheidet sich, wie leicht es Menschen gemacht wird, statt des Autos das Fahrrad zu nehmen oder statt einer Fernreise Urlaub in der einladenden Natur der eigenen Region zu machen.
Hier entscheidet sich auch, ob auf den Dächern Nahrung wachsen kann, um die Agrarlandschaften zu entlasten und ob Stadtplaner und Architekten künftig auch die Interessen von Tieren und Pflanzen mitdenken, für die Städte wichtige, quasi "anthropogene" Lebensräume sind. Globale Allianzen von Bürgermeistern und lokalen Spitzenbeamten, wie sie etwa in Form des "Global Compact", eines von den Vereinten Nationen unterstützten Zusammenschlusses von 463 Städten, bereits am Entstehen sind, können eine echte politische Bereicherung darstellen.
Ein zweiter Grund von Optimismus ist, dass Bürgerbewegungen heute schnell eine globale Wirkung entfalten können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kampagne für das sogenannte "Divestment", also den Verzicht von Großanlegern auf Investitionen in fossile Energieträger. Die Kampagne hat zum Ergebnis, dass weltweit große Fonds Milliardenbeträge aus der Öl- und Kohleindustrie abziehen. Es ist gut möglich, dass die nächste große Umweltbewegung in China ihren Lauf nimmt, wo Smog und Wasserverschmutzung die Lebensqualität stark einschränken. Ebenso möglich ist, dass eine solche Bewegung über das Internet Menschen in anderen Schwellen- und Entwicklungsländern inspiriert. So wie Flüchtlinge heute selbstverständlich mit Smartphones ausgestattet sind, um in Kontakt mit ihren Familien zu bleiben, so könnten in Zukunft junge Frauen wie die Afar-Nomadin, der Paul Salopek in Äthiopien begegnet ist, ihr Smartphone dazu nutzen, um in der Welt Gehör zu finden und auf die Gefahren für ihre traditionelle Lebensweise und die Artenvielfalt Äthiopiens hinzuweisen.
Um dem Ziel eines "positiven Anthropozäns" näherzukommen, sind grundlegende Veränderungen nötig. Doch das Wachstum von Umweltinitiativen in China, die machtvolle Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus, die Suche von Großkonzernen nach nachhaltigen Geschäftsmodellen und politische Erfolge wie der Pariser Klimagipfel zeigen, dass Fortschritt möglich ist. Es muss ein Fortschritt sein, der den Menschen nicht davoneilt, sondern sie einschließt. Das ist die Perspektive, die UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon meinte, als er den jüngsten Umweltgipfel von Rio im Jahr 2012 mit einem Film eröffnete, der einen weitreichenden Titel trägt: "Willkommen im Anthropozän".
Christian Schwägerl ist Journalist, Autor und Biologe. Er hat zwischen 1997 und 2012 als Redakteur und Korrespondent für die Berliner Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL gearbeitet und dort Themen wie Umwelt, Energie, Forschung, Technologie und Biomedizin betreut. Schwägerl lebt in Berlin und arbeitet seit 2012 selbständig für GEO, ZEIT Wissen, Cicero und andere Medien. Seine aktuellen Bücher: „Menschenzeit: Zerstören oder gestalten? Die entscheidende Epoche unseres Planeten“ (2010) über das Anthropozän, „11 drohende Kriege: Künftige Konflikte um Technologien, Rohstoffe, Territorien und Nahrung“ (2012) und „Die analoge Revolution: Wenn Technik lebendig wird und die Natur mit dem Internet verschmilzt“ (2014).
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