Hertha Schmidtkes* kleine Wohnung ist geputzt und aufgeräumt. Nervös geht die bald Achtzigjährige immer wieder durch ihre Räume, wirft letzte Kontrollblicke ins Schlafzimmer, ins Wohnzimmer, in die Küche, ins Bad.
Hertha Schmidtke erwartet Besuch. Besuch, der ihr Furcht einflößt. Es ist Freitagnachmittag, eine milde Wintersonne scheint, sie steht so tief, dass sie lange Schatten in Frau Schmidtkes Wohnzimmer im Parterre wirft. Dort warten außer der alten Frau eine Rechtsanwältin und eine Nachbarin vom Verein "SUS – Schützt unsere Siedlung"; sie wollen der zierlichen alten Frau beistehen. Zwanzig Minuten sind es noch bis zum vereinbarten Termin.
Zwei Vertreter der Wohnungsgesellschaft Gehag, der die Sechsfamilienhäuser im Bauhausstil hier an der Argentinischen Allee im grünen Berliner Vorort Zehlendorf gehören, haben sich angesagt. Sie wollen mit Frau Schmidtke Maßnahmen zur Modernisierung besprechen, die nun angeblich unumgänglich geworden sind. Wie alle anderen 437 Mieter hat auch sie bereits den 77 Seiten starken Modernisierungskatalog erhalten. Wände und Fußboden im Bad sollen neu gefliest, Heizkörper und Armaturen ausgetauscht werden; das "Stand-WC" soll einem "wandhängenden WC" weichen und die bisherige Badewanne einer "raumsparenden" Wanne. Keine Wand offenbar, die nicht aufgeschlagen werden muss. Im Flur ist eine neue Elektroleitung zu legen, ebenso eine Gegensprechanlage zur Haustür. Der größte Brocken ist die Umstellung der bisherigen Gas-Etagenheizung auf Fernwärme. Das heißt: neue Heizkörper in allen Räumen, neue Heizungsstränge, ein neuer "Heizungsübergabepunkt" und Einbau eines "Wärmemengenzählers".
Hertha Schmidtke will das alles nicht. Ihr graut vor den Unannehmlichkeiten der Bauarbeiten, vor dem Lärm und dem Schmutz. Vor allem: Sie könnte sich ihre Wohnung danach nicht mehr leisten, sie müsste ausziehen. Die Erneuerungen werden drastische Mieterhöhungen zur Folge haben, in anderen Fällen waren es bis zu 32 Prozent der Kaltmiete. Je nachdem, wie lange sie hier wohnen, zahlen die Mieter – viele von ihnen sind Witwen – zwischen 300 und 350 Euro Kaltmiete für rund 50 Quadratmeter. Hinzu kommen Heizung, Wasser, Strom und Nebenkosten, sodass die Warmmiete rund 600 Euro beträgt. "Manche haben nach Abzug aller Kosten gerade mal 200 Euro im Monat zum Leben", sagt die Nachbarin vom Verein "Schützt unsere Siedlung". "Aber sie lassen sich nichts anmerken, das sind alles disziplinierte Preußinnen!"
"An dieser Modernisierungsmaßnahme zeigt sich deutlich", schrieb der Mieterverein in einer Pressemitteilung, "welche negativen Konsequenzen für die Mieter eine Privatisierung hat." Die Gehag, 1924 als Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft gegründet, ist mit ihren 21.000 Wohnungen Anfang des Jahres 2005 an die in Los Angeles ansässige Investmentgesellschaft Oaktree Capital Management verkauft worden. Wie fast alle "Heuschrecken" legt Oaktree Pensionsgelder in Unternehmensbeteiligungen und in Immobilien an. Nach eigenen Angaben verwaltet Oaktree gegenwärtig ein Vermögen von 28 Milliarden Dollar.
Seit wenigen Jahren stürzen sich die Fondsgesellschaften, zumeist aus den USA und Großbritannien, geradezu auf deutsche Mietwohnungen. Sie heißen Terra Firma, Fortress, Apellas oder auch Cerberus wie der dreiköpfige Höllenhund aus der griechischen Mythologie, der den Eingang zur Unterwelt bewachte. Rund 600.000 Mietwohnungen haben die Investoren in den vergangenen fünf Jahren erworben, zumeist von Kommunen. Und es sollen noch weit mehr werden. Auf die 3,3 Millionen Wohnungen, die Kommunen und Länder derzeit noch halten, haben sie es abgesehen. So manche Stadt kann der Versuchung nicht widerstehen, auf diese Weise ihre desolate Haushaltslage zu verbessern, und verkauft. Derzeit lauert die Branche auf die 100.000 Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) in Nordrhein-Westfalen, welche die neue CDU/FDP-Regierung privatisieren will.
Die Modernisierung hat drastische Mieterhöhungen zur Folge
Für die Finanzinvestoren ist jeder Kauf ein Geschäft fast ohne Risiko: Für eine Immobilienfirma zum Preis von beispielsweise einer Milliarde Euro zahlt der Investor nur 30 Prozent aus dem Fonds, für die restlichen 700 Millionen Euro nimmt er Kredite auf. Diese werden aus den Mieteinnahmen getilgt. Solange die Rendite aus den Mieteinnahmen höher ist als die Kreditzinsen, so wie derzeit, streicht der Investor hier bereits einen kleinen Gewinn ein. Gesteigert wird der Profit durch die Aufteilung und den Weiterverkauf von Wohnungen an die Mieter. Am Ende der Fondslaufzeit verkauft der Investor die Restbestände und streicht den gesamten Kaufpreis ein. Bezahlt hat er nur 30 Prozent, kassiert aber 100 Prozent. Und der Staat bekommt keinen Cent Steuer, da der Investor von Anfang an in der Kreide stand.
Nicht einzelne Wohnungen, ganze Wohnungsgesellschaften wechseln so den Eigentümer. Sie behalten meist ihre Namen bei, sodass die Mieter zunächst oft gar nicht vom Verkauf ihrer Wohnungen erfahren. Sie wundern sich allenfalls über einen neuen rüden Ton, der plötzlich Einzug hält. Wie in Kiel, wo die Kieler Wohnungsbaugesellschaft (KWG) mit 9.500 Wohnungen an den New Yorker Investor Blackstone fiel. Wer Mietschulden hatte, dem pappte der Hausmeister einen roten Mahnzettel an den Briefkasten, für alle Nachbarn und Besucher sichtbar, darauf stand: "Ihr Mietkonto steht im Rückstand – der Bestand Ihres Mietverhältnisses ist gefährdet ..." Nachdem der Mieterbund dagegen vorging, stellten die neuen Eigentümer die Praxis wieder ein.
Privates Beteiligungskapital (Private Equity) von einer Billion Dollar haben die Fondsgesellschaften nach Expertenschätzungen bei Pensionskassen, Privatleuten und Versicherungen eingesammelt; nun stehen sie unter dem Druck, es zu mehren. Wohnungsgesellschaften wie die Berliner Gehag stehen inzwischen ganz oben auf ihrer Einkaufsliste, mit keiner anderen Anlageform lässt sich derzeit so leicht und so risikolos Geld verdienen. "Wir haben den qualitativ besten Mietwohnungsbestand der Welt", sagt Lutz Freitag, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. "Die frühere Wohnungsgemeinnützigkeit und der erfolgreiche soziale Wohnungsbau der Nachkriegszeit haben Schätze geschaffen, die jetzt gehoben werden." Dass es vor allem die Kommunen sind, die ihre Wohnungsgesellschaften verscherbeln, um Haushaltslöcher zu stopfen, kann Freitag nicht verstehen: "Das ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod." Er glaubt, dass die sozialen Folgekosten dieser Verkäufe die Kommunen noch teuer zu stehen kommen werden. Die Investoren seien nur an kurzfristigen hohen Renditen interessiert, soziale Belange kümmerten sie nicht.
Noch zehn Minuten, bis die Gehag-Leute kommen. Hertha Schmidtke redet sich ihre Nervosität vom Leib, lässt 52 Jahre Wohnen in dieser Zweizimmerwohnung Revue passieren. "Als Familie sind wir 1953 hier eingezogen" – sie, ihr Mann und die kleine Tochter. Bis dahin hatten die drei viele Jahre im Nachbarhaus in einem einzigen Zimmer gehaust. Aus ihrem Fenster konnten sie auf das Haus mit ihrer heutigen Wohnung blicken; dort habe sie immer einziehen wollen, sagt Frau Schmidtke, aber das Haus war lange Kriegsruine, erst 1953 war es wiederhergestellt, und die junge Familie Schmidtke bekam die erhoffte Wohnung.
Käufer aus den USA, die auf das schnelle Geld aus sind
"Als ich 50 Jahre hier gewohnt habe, habe ich bei der Gehag angerufen und mich für die Glückwünsche bedankt, die ich nicht erhalten habe", sagt Hertha Schmidtke trocken. Inzwischen lebt Hertha Schmidtke hier allein. Von ihrem Mann wurde sie eine Woche vor der Silberhochzeit geschieden. "Ein Kurschatten, gar nicht mal jünger als ich, aber da war dann Schluss. So ist das im Leben", sagt sie lakonisch. Die Tochter heiratete einen amerikanischen Offizier und lebt heute in den USA. Einmal im Jahr fliegt Hertha Schmidtke rüber, vor allem um die Enkel zu sehen. Das Ticket spart sie sich mühsam von der Rente ab, aber es reicht nie ganz, die Tochter muss jedesmal etwas zuschießen. Hertha Schmidtke hat als Verkäuferin gearbeitet und nie viel verdient; solange die Tochter klein war, blieb sie zu Hause. Ihre eigene Rente ist daher nicht hoch, und die Witwenrente ihres Mannes muss sie sich mit dessen zweiter Ehefrau teilen. "Ich habe genau 2,80 Euro über der Sozialhilfe."
Es klingelt. Hertha Schmidtke öffnet die Tür. Ein Ingenieur und eine kaufmännische Angestellte der Gehag treten sogleich ein, ohne sich erst bitten zu lassen. Zielstrebig steuert der Mann das Bad an, um mit der Erläuterung der Modernisierungsmaßnahmen zu beginnen, die Angestellte führt Protokoll. "Die neue Badewanne ist angeschrägt, am Fußende ist sie schmaler, da ist hier der Durchgang breiter", erläutert er. "Von der Füllmenge her ist sie sogar größer." Wie soll das gehen? Schmaler, aber größer? Frau Schmidtke ist skeptisch.
Zum ersten Mal soll das Bad gefliest werden. Bislang ist es noch in grüner Ölfarbe gestrichen, so wie 1924, als die Siedlung im Bauhausstil entstand. "Das ist ein Bruno-Taut-Bad!", belehrt Frau Schmidtke den Ingenieur. Bruno Taut war von 1924 bis 1931 Chefarchitekt der Gehag, in dieser Zeit baute er über 10.000 Wohnungen und begründete damit den sozialen Wohnungsbau. Die Siedlung an der Argentinischen Allee steht heute unter Denkmalschutz, auf der Wiese davor hat die Gehag Bruno Taut ein Denkmal gesetzt.
Damals hatte es gegen den Bau dieser Siedlung erbitterten Widerstand gegeben. Zehlendorf war schon damals der beliebteste Berliner Villenvorort. Dass hier plötzlich auch arme Leute wohnen sollten, fanden die Villenbewohner unerhört. Die Bezirksbehörden Zehlendorfs verweigerten der Siedlung die Baugenehmigung, Stadtbaurat Martin Wagner ordnete daraufhin den Baubeginn ohne Baugenehmigung an; die Polizei stoppte die Arbeiten, Wagner ging ins Gefängnis. Zwei Jahre später, 1926, wurde die Baugenehmigung doch noch erteilt. Und die Siedlung wurde bald als Paradebeispiel des aufkommenden sozialen Wohnungsbaus gerühmt, weil sie Wohnqualität mit preiswerten Mieten verband und sich so wohltuend von den klassischen Berliner Mietskasernen abhob. Werden die armen Leute nun doch noch aus Zehlendorf vertrieben? Diesmal nicht auf dem Rechtsweg, sondern über hohe Mieten?
In der Küche angelangt, erläutert der Gehag-Ingenieur, welche Wände hier aufgestemmt, welche Einbauten herausgerissen und welche Leitungen verlegt werden müssen. Drei Wochen sollen die Arbeiten dauern. "Wir bieten Ihnen für die Zeit ein Ausweichquartier an, gleich um die Ecke, möbliert", sagt er. Sollte Frau Schmidtke aber lieber hierbleiben wollen, werde vorm Haus ein Dixi-Klo aufgestellt. Frau Schmidtkes Gesicht verzieht sich immer mehr. "Sie kriegen für die Dauer der Arbeiten auch 50 Prozent Mietminderung", meldet sich die Gehag-Frau zu Wort und will am Ende wissen, ob Frau Schmidtke den Arbeiten zustimme. "Das muss ich mir noch mal durch den Kopf gehen lassen", sagt sie und blickt ratsuchend ihre Anwältin an.
Die meisten Mieter an der Argentinischen Allee wollen die Modernisierungen nicht dulden. Sie halten sie für "Scheinmodernisierungen", einzig zu dem Zweck, sie zu vertreiben und die Wohnungen einer zahlungskräftigeren Klientel zu vermieten und vielleicht auch zu verkaufen. Genährt wird dieser Argwohn dadurch, dass die Gehag nur solche Modernisierungen plant, die auf die Mieter umgelegt werden können. Aus Sicht der Bewohner sind sie völlig unnötig, viele von ihnen haben ihre Bäder und Küchen in jüngster Zeit auf eigene Kosten modernisiert. Dringende Instandsetzungen wie neue, dichte Fenster oder eine Wärmedämmung der Fassade unterbleiben dagegen – all dies sind Investitionen, die der Eigentümer tragen muss und die nicht umgelegt werden können.
Die Gehag hüllt sich in Schweigen. Solange die "Mietergespräche" laufen, wolle man nicht über die Pläne sprechen, sagt der Pressesprecher. Inzwischen haben die Mietergespräche die Form von juristischen Schriftsätzen angenommen. Da die Mehrzahl der Mieter die Modernisierungen nicht will, hat die Gehag begonnen, jeden einzelnen der Verweigerer auf Duldung zu verklagen. Doch die Chancen der alten Leute, die Arbeiten zu verzögern oder ganz zu verhindern, stünden nicht schlecht, sagt die Anwältin; schon das hohe Alter der Mieter sei in vielen Fällen ein Härtegrund.
Es wohnt sich als Mieter nicht mehr so unbeschwert in Deutschland, wenn Investoren einziehen. Ein jahrzehntelang gültiger Konsens der Nachkriegs-Bundesrepublik werde derzeit aufgekündigt, meint der Präsident des Deutschen Mieterbunds Franz-Georg Rips – der Konsens, dass "eine Wohnung nicht nur Wirtschaftsgut, sondern auch Sozialgut ist". Die alten Eigentümer, egal, ob öffentliche oder private, hätten sich stets der sozialen Verantwortung gestellt. "Vor allem Käufer aus den USA sehen das anders", sagt Rips. "Sie sind nur aufs schnelle Geld aus. Alles andere interessiert sie meist wenig."
Meist folgt dem Kauf, wie in der Berliner Gehag-Siedlung, die Modernisierung von Wohnungen. Doch nicht als Wohltat für die Mieter ist das gedacht, es ist ein "strategisches Instrument", so der Mieterbund, um eine Mietwohnung attraktiver zu machen und ihre Umwandlung in eine Eigentumswohnung vorzubereiten – ein Instrument obendrein, das den Eigentümer selbst nichts kostet: Von den Modernisierungsaufwendungen darf er pro Jahr elf Prozent auf die Miete umlegen.
Die Aufsichtsbehörden könnten die Verkäufe untersagen
Die Investoren gehen stets nach demselben Muster vor. Sie zerlegen den Bestand; die guten Wohnungsbestände, die Filetstücke, verkaufen sie, entweder einzeln an die derzeitigen Mieter oder, sollten die kein Interesse haben, an Fremde. In jenen Wohnungen, die nicht verkauft werden, versuchen die Investoren, einkommensschwache Mieter loszuwerden und durch leistungsstarke zu ersetzen – "Mieter drehen" heißt das im Jargon. Die schlechten Bestände schließlich werden sich selbst überlassen, in sie wird nicht mehr investiert, dort stranden sozial Schwache, die "A-Mieter": Alte, Arbeitslose, Ausländer, Alkoholiker.
Mieterbund-Präsident Rips verurteilt den Verkauf von Wohnungen im öffentlichen Eigentum als "ein unverantwortliches Verramschen von Sozialkapital". Dem einmaligen Erlös stünden langfristige Nachteile gegenüber. Wenn die Investoren die Mieten erhöhten, zahle der Staat doppelt: Zum einen werden mehr Wohngeld und mehr Miete für Sozialhilfe fällig, zum anderen müssten die Kommunen Belegungsrechte teuer zurückkaufen, weil sie künftig keine eigenen Wohnungen mehr besitzen, in denen sie Bedürftige, die auf dem freien Wohnungsmarkt scheitern, unterbringen können. Mit wem, fragt Rips, wenn nicht mit den öffentlichen Wohnungsgesellschaften, kann eine Kommune dann noch ihre Stadt entwickeln, das Wohnumfeld von Siedlungen verbessern? Was wird aus dem sozialen Frieden in einer Stadt, wenn Wohnquartiere ihre Integrationskraft verlieren? Wenn sich mehr und mehr die Arbeitslosengeld-II-Empfänger in einzelnen Wohnblocks konzentrieren und eine Stadt nicht mehr steuernd eingreifen kann?
Den Verkauf der Aachener Wohnungsgesellschaft GeWoGe hat die Aufsichtsbehörde, der Kölner Regierungspräsident, genau aus diesem Grund untersagt: Die Veräußerung verstoße gegen die Gemeindeordnung. Die GeWoGe habe die Aufgabe, "breite Schichten der Bevölkerung" mit preiswertem Wohnraum zu versorgen – dieser Verpflichtung könnte Aachen ohne die GeWoGe nicht mehr nachkommen. Die Verpflichtung steht in nahezu allen Gemeindeordnungen. Aufsichtsbehörden könnten, indem sie sich darauf berufen, Wohnungsverkäufe fast immer untersagen. Dass sie es nicht tun, liegt nach Ansicht des Mieterbunds daran, dass die Verkäufe politisch gewollt sind.
Volker Riebel lächelt, er kennt die Argumente gegen Finanzinvestoren nur zu gut. Er werde auf Kongressen von Architekten gern gefragt: Und was ist euer städtebaulicher Beitrag? Was tut ihr für die Entwicklung der Stadt? Riebel antwortet dann: "Unser Beitrag läuft über Eigentumsbildung."
Volker Riebel, 50 Jahre alt, ist Deutschlands mächtigster Vermieter. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Annington Immobilien GmbH mit Sitz in Düsseldorf. Sie gehört mehrheitlich dem britischen Investor Terra Firma. Die Deutsche Annington war es, die den Run angelsächsischer Investoren auf deutsche Wohnungen ausgelöst hat, als sie vor fünf Jahren 64.000 Eisenbahnerwohnungen vom Bund kaufte. Inzwischen läuft der Markt schon heiß, die Investoren treiben in Bietergefechten die Preise hoch und bedienen sich zunehmend der Vermittlerdienste ausgeschiedener Politiker. So ist Sozialdemokrat Florian Gerster, ehemals Chef der Bundesagentur für Arbeit und davor acht Jahre lang Sozialminister in Rheinland-Pfalz, in die Dienste von Fortress getreten. Für den Berliner Investor Apellas, hinter dem unter anderem der amerikanische Spekulant George Soros steht, verwendet sich der ehemalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz.
Volker Riebel gibt sich jovial, spricht bedächtig und scheint bestrebt, eher als Vertreter eines gemütlichen rheinischen Kapitalismus zu erscheinen denn als Personifikation eines angelsächsischen Raubtierkapitalismus. Zumindest äußerlich verkörpert er den Gegentyp zu Managern wie etwa Ralph Winter, dem Direktor von Cerberus, der, wie neulich wieder bei einem Kongress in Hannover, inmitten der grauen Eminenzen der kommunalen Wohnungswirtschaft ziemlich exotisch wirkt. Mit seinen nach hinten gegelten Haaren und dem Kaugummi im Mund hat sich Winter in der Branche den Spitznamen "Dieter Bohlen der Finanzinvestoren" erworben. Der asketisch wirkende Riebel dagegen kann als Referenz dezent einstreuen, dass er bis 2001 der Geschäftsführung der Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten angehörte, also selbst aus dem sozialen Wohnungsbau der guten alten Bundesrepublik kommt. Eigentlich mache er heute gar nichts anderes als früher, versucht er zu vermitteln: den Mietern Gutes tun und dabei etwas Geld verdienen.
Seit kurzer Zeit hat Riebel ein Zweitbüro in Essen, im siebten Stock mit Blick in den Gruga-Park; es war bislang der Sitz von Viterra, der Immobilientochter des Energiekonzerns E.on. Gleichsam wie ein Feldherr nimmt Riebel erobertes Land in Besitz. Die Deutsche Annington hat Viterra mit ihren 153.000 Wohnungen im vorigen August übernommen – für fast sieben Milliarden Euro. Mit über 230.000 Mietwohnungen ist Annington nun größter deutscher Immobilienbesitzer; übers ganze Bundesgebiet erstreckt sich das Imperium, von Aachen bis Cottbus, von Flensburg bis Freiburg. Und dabei soll es nicht bleiben: In fünf Jahren will Annington eine halbe Million Wohnungen in Deutschland besitzen, in zehn Jahren eine Million.
Eine Rendite von 20 Prozent und mehr gilt als branchenüblich
Im Nacken sitzt Riebel der Deutschland-Chef von Terra Firma, David Pascall, ein ehemaliger Mitarbeiter der Eisernen Lady Maggie Thatcher. Er mischt sich öffentlich in Riebels Angelegenheiten und gibt Ziele vor. So erklärte er kürzlich: "Schon 2006 wollen wir 10.000 Wohnungen privatisieren." So wie Pascall seinen Riebel kontrolliert, so sitzen Pascall die Geldgeber von Terra Firma im Nacken, sie wollen eine gute Rendite auf ihre Einlagen. 20 Prozent und mehr gelten als branchenüblich. Um das Ziel zu erreichen, ist der Verkauf möglichst vieler Wohnungen an die Mieter zu forcieren – mit hohem Gewinn. Denn die Mieter zahlen natürlich wesentlich mehr pro Quadratmeter, als die Investoren beim Erwerb eines ganzen Wohnungspakets entrichten mussten.
Ein weites Feld tut sich da vor Riebel auf: "Der größte Teil der Mieter hat sich noch nie Gedanken über Eigentum gemacht." Was die Kultur des Wohneigentums angeht, sieht er Deutschland noch in der Steinzeit: "In England oder anderswo kauft man sich zum Berufseinstieg eine kleine Starterwohnung, so wie man sich hier ein Auto kauft." Eine eigene Wohnung sei doch auch "die beste Altersvorsorge". Die meisten Mieter zeigten sich solchen Erwägungen gegenüber zum Glück aufgeschlossen: "Der Anteil der Mieter, die jedes Verkaufsgespräch ablehnen, liegt unter zehn Prozent", sagt Riebel.
Auf vielfältige Weise lässt sich der Unternehmenswert steigern, auch mit Mieterhöhungen. Nicht überall sei bereits das örtliche Mietspiegelniveau erreicht, das werde nun natürlich nachgeholt. Um ein Prozent im Jahr sollen die Mieten konzernweit durchschnittlich erhöht werden. Dass manchmal übers Ziel hinausgeschossen wird, wie im Jahr 2004, als die Mieten in einigen ehemaligen RWE-Wohnungen gleich um 20 Prozent heraufgesetzt wurden – so etwas sei nur eine Panne. Einsparungen bringt auch die geballte "Einkaufsmacht" eines so großen Unternehmens wie Annington, Wohnungsrenovierungen werden standardisiert und zentral an Generalunternehmer vergeben. Lieferanten können wie in der Autoindustrie unter Druck gesetzt werden, was die Preise angeht. Schließlich gehört auch Arbeitsplatzabbau dazu. Die Fusion mit Viterra wird rund 430 der nun 1.900 Beschäftigten ihren Job kosten.
Wortkarg gibt sich Riebel bei der Frage, wie lange Annington denn überhaupt im Immobiliengeschäft bleiben will. Was geschieht mit dem immensen Wohnungsbestand und den Mietern, wenn die Geldgeber am Ende der Fondslaufzeit ihre Einlagen samt satter Gewinne zurückhaben wollen? Einige werden an die Börse gehen, wie das Fortress bereits angekündigt hat. Der Investor will seine Wohnungsgesellschaften Gagfah und Nileg – die eine von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erworben, die andere von der Niedersächsischen Landesbank – verschmelzen und 2006 oder 2007 an die Börse bringen.
Viele Investoren bauen darauf, dass bald auch in Deutschland so genannte Reits (Real Estate Investment Trusts) zugelassen sein werden, wie es sie in den USA und einigen europäischen Ländern bereits gibt. Reits sind Gesellschaften, die möglichst viele Immobilien kaufen und deren Aktien an der Börse gehandelt werden. Für Aktionäre besonders reizvoll ist, dass die Gesellschaften verpflichtet sind, 90 Prozent ihrer Gewinne an sie auszuschütten. Der Mieterbund lehnt Reits vehement ab, weil sie "die ausschließliche Ausrichtung auf die Rendite" noch verstärken werden. Mieterbund-Präsident Rips sieht in Reits vor allem "eine Hilfe für die 'Heuschrecken', nach dem Auslutschen der erworbenen Bestände den Ausstieg zu organisieren". Die Große Koalition hat bereits signalisiert, dass sie Reits zulassen will.
In Dresden soll ein Bürgerbegehren den Verkauf verhindern
An einem Wintersamstagmorgen, noch ehe es richtig hell geworden ist, eilt in Barmbek, einem Arbeiterviertel im Hamburger Norden, ein älterer, grauhaariger Herr von Tür zu Tür. Die kürzlich in hellen Farben gestrichenen Wohnblocks in der Otto-Speckter-Straße klappert er ab, um den zum Teil noch verschlafenen Mietern an diesem Morgen den Erwerb ihrer Wohnung schmackhaft zu machen. Die schmucklosen Mietshäuser wurden Mitte der Dreißiger errichtet und nach den Zerstörungen im Krieg rasch wieder aufgebaut. Die Blocks mit gut 100 Wohnungen sind Teil eines der spektakulärsten Verkäufe. Sie gehören zu den im ganzen Bundesgebiet verstreuten 80.000 Wohnungen der Gagfah, der früheren Wohnungsbaugesellschaft der BfA; für 3,5 Milliarden Euro wurde sie 2004 an Fortress verkauft. Immerhin, anders als bei den meisten anderen Verkäufen wurde in diesem Fall eine Sozialcharta mit ausgehandelt, die den Mietern weitgehende Rechte einräumt, etwa einen zehnjährigen Kündigungsschutz.
Für Markus Sandmann* ist es mit der Ruhe als Mieter dennoch vorbei. Allen Mietern werden ihre Wohnungen nun zum Kauf angeboten; nur die wenigsten, sagt der 31-jährige Verwaltungsangestellte, wollten auch zugreifen. Für diesen Samstagmorgen hat sich nun der ältere Herr zum Verkaufsgespräch angekündigt. Mieter Sandmann hat eine Vertreterin der Mieterinitiative, die sie kürzlich gegründet haben, mit dazugebeten, er gibt sie als Freundin aus. Der ältere Herr, er kommt von einer süddeutschen Bausparkasse, spricht breites Schwäbisch. Die Gagfah habe ihn mit der Vermarktung der Wohnungen beauftragt, sagt er. Die Frau von der Mieterinitiative meint hinterher, das habe System. Im Norden Deutschlands würden für solche Zwecke stets Süddeutsche eingesetzt, sie wirkten honorig, ihr Dialekt klinge irgendwie nach Urlaub.
Genau 64.685 Euro soll Sandmanns 50 Quadratmeter kleine Wohnung kosten. Sie ist nicht saniert, Türen, Wasserleitungen und andere Einbauten sind noch original dreißiger Jahre; im Bad bilden sich ständig nasse Flecken. Der Preis entspricht knapp 1.300 Euro pro Quadratmeter – Fortress zahlte beim Kauf der ganzen Gagfah nur 700 Euro pro Quadratmeter. Alle Register zieht der freundliche Schwabe, bietet eine Finanzierung durch die Sparkasse von 100 Prozent an, ganz ohne Eigenkapital, ja sogar 105 Prozent, auch die Notargebühren und die Grunderwerbsteuer seien zu finanzieren. Das Dach, erinnert sich der Mieter, hatte vor einiger Zeit Termitenbefall. Wie gut ist es denn noch? Werden womöglich bald teure Renovierungen fällig? "Des Dach hebt no zwanzig Johr!", sagt der Mann. Er werde die Mieter doch nicht aufs Kreuz legen, "des stoht sonscht glei´ in d´r Bild-Zeitong!"
Für Markus Sandmann steht fest, dass er diese alte Wohnung auf keinen Fall kaufen will. Die meisten Mieter scheinen ebenso zu denken. Bei einer Informationsveranstaltung der Sparkasse und der Maklerfirma – der nette Schwabe ist auch wieder da – wenige Tage später sind von den über 100 betroffenen Mietern gerade ein knappes Dutzend erschienen. Und auch sie sind längst nicht alle zum Kauf entschlossen. Vorne rechts in der ersten Reihe fällt den Mietern eine fremde Frau auf. Sie suche schon lange eine Wohnung in Barmbek, sagt sie laut in die Runde. Die Wohnungen in der Otto-Speckter-Straße seien genau das, was sie immer gesucht habe. Unter den Anwesenden wächst der Verdacht, die Frau sei von den Maklern gekauft.
Mieter Sandmann hat sich bereits an den Gedanken gewöhnt, über kurz oder lang hier auszuziehen. Denn wenn er nicht kauft, wird es ein anderer tun. Er wird also einen neuen Vermieter bekommen. Wird der die Miete erhöhen? Was wird er renovieren lassen? Und was wird aus den großen Grünflächen vor und hinter den Wohnblocks, wenn mehrere Eigentümergemeinschaften gebildet werden? Werden dann Zäune hochgezogen? Nein, auf all dieses absehbare "Nachbarschaftsgezerre" habe er keine Lust, sagt Sandmann. "Schade, bisher war es wirklich nett hier."
Nett, aber unsaniert. Ist es das, was man sozial nennt? Und was ist das – eine soziale Stadt? In Dresden ist die Bevölkerung über dieser Frage tief gespalten. Dort soll, so hat es der Stadtrat beschlossen, die städtische Wohnungsbaugesellschaft Woba mit über 40.000 Wohnungen verkauft werden. Die Befürworter wollen vom Erlös die Schulden des Dresdner Haushalts mit einem Schlag tilgen und das Geld, das bisher für Zins und Tilgung ausgegeben wurde, künftig für Soziales ausgeben. 70 bis 80 Millionen Euro würden so jedes Jahr frei. Für die Bürgerinitiative "Woba erhalten", getragen unter anderem vom DGB, der SPD, den Grünen und der PDS-Basis, heißt sozial dagegen, die Wohnungsgesellschaft und damit die Mieter nicht dem freien Markt zu überlassen. Die Finanzen der Stadt würden ohne eine Strukturreform ohnehin bald wieder ins Minus rutschen, dann aber habe Dresden nichts mehr zu verkaufen. Mit einem Bürgerbegehren will die Initiative den Verkauf verhindern. Am heftigsten wird der Streit innerhalb der Dresdner PDS ausgetragen. Die Hälfte ihrer Stadtratsfraktion stimmte mit der CDU für den Verkauf und verhalf dem Beschluss damit zur Mehrheit. Die andere Hälfte ist, wie die Parteibasis, gegen den Verkauf. Durchgesetzt haben sich, wie so oft, wenn die PDS Macht übernimmt, die Pragmatiker. Ihnen geraten die Bedürfnisse der so genannten kleinen Leute, als deren wahrer Anwalt sich die PDS gern geriert, schnell aus dem Blick.
Auch in Berlin war es so. Dort verkaufte die PDS mit ihrem Koalitionspartner SPD im Jahr 2004 die mit 70.000 Wohnungen größte Wohnungsgesellschaft der Stadt, die GSW. 405 Millionen Euro zahlten Cerberus und Whitehall, eine Fondsgesellschaft der Investmentbank Goldman Sachs, dafür; außerdem übernahmen sie die Schulden von 1,7 Milliarden Euro. Schon in den Jahren zuvor verkaufte Berlin immer wieder einzelne Wohnungen, mal 18.400, mal 7.250, mal 14.000. SPD und PDS begründen dies damit, keine andere Stadt verfüge über so viele Mietwohnungen wie Berlin, das hoch verschuldet sei. Auch nach den Verkäufen herrschten in der Hauptstadt immer noch "paradiesische" Zustände für Mieter, versichert der Senat.
Er könne nicht billigen, wenn Städte ihre Wohnungsgesellschaften verkaufen, sagt Christian Ude, räumt aber auch ein: "Es gibt finanzielle Nöte, die lassen einen nach jedem Strohhalm greifen." Das sagt er als Präsident des Deutschen Städtetags. Als Oberbürgermeister von München sagt er: "Wir haben hier eine klare Stadtratsmehrheit, die an der kommunalen Daseinsvorsorge uneingeschränkt festhalten will." Das heißt, die beiden Münchner Wohnungsgesellschaften mit zusammen rund 50.000 Wohnungen werden nicht verkauft – im Gegenteil: Nachdem sich der Bund fast vollständig aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen hatte, legte München im Jahr 2001 das größte kommunale Wohnungsbauprogramm der Bundesrepublik auf. Wo sie kann, erschwert die Stadt Verkäufe von Wohnungen an Spekulanten und Investoren. Für eine Reihe von Stadtvierteln hat der Stadtrat dazu so genannte Erhaltungssatzungen erlassen. Sie legen fest, welche Art von Veränderungen an den Häusern erlaubt sind und welche nicht. Und sie enthalten Vorschriften, was ein Eigentümer mit seiner neu erworbenen Immobilie tun darf und was nicht – zum Beispiel, Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln. Hält sich der Käufer nicht daran, hat die Stadt ein Vorkaufsrecht. Sie erwirbt dann vorübergehend das entsprechende Haus, bis sie einen neuen Interessenten gefunden hat, der sich sozialer verhält.
Viele abgewählte Politiker bieten sich den Investoren als Türöffner an
Eine alte Idee ist auf diese Weise in München wiederbelebt worden: die des genossenschaftlichen Wohnungswesens. Einige der geretteten Häuser sind heute Genossenschaftseigentum. Vor allem die noch recht junge Genossenschaft Wogeno hat sich darauf spezialisiert. Acht Häuser mit 150 Wohnungen besitzt sie inzwischen. Voraussetzung war allerdings stets, dass mindestens drei Viertel der Mieter bereit waren, einer Genossenschaft beizutreten. Auch durften bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden.
Um von Hausverkäufen zu erfahren, hat die Wogeno eine "genossenschaftliche Immobilien Agentur" (Gima) gegründet. Sie soll als Frühwarnsystem funktionieren und rechtzeitig den Kontakt zwischen Eigentümer, Mietern und Genossenschaft herstellen. Selbst beim Münchner Haus- und Grundbesitzerverein findet die Idee Anklang. "Nicht jeder Eigentümer will den Höchstpreis erzielen", sagt der Münchner Haus-und-Grund-Chef Rudolf Stürzer. Vielen sei es wichtiger, ihre Immobilie nach dem Verkauf in guten Händen zu wissen.
Ein regelrechter Coup ist den Genossenschaften im Jahr 2004 gelungen. Die Münchner Rückversicherung hatte den so genannten Dankl-Block im Stadtteil Sendling im Internet zum Verkauf angeboten, zehn Häuser mit 134 Wohnungen und 12 Gewerbebetrieben. "Trendforschungen zufolge soll dieser Bezirk gute Entwicklungschancen haben und zu einer gehobenen Wohngegend werden", hieß es in der Ausschreibung. Genau das wollten die Mieter, kleine Angestellte und Arbeiter und viele Rentner, eben nicht. Denn was das bedeutete, konnten sie sich ausmalen: Luxussanierung, Umwandlung und Vertreibung der Alteingesessenen. Oberbürgermeister Ude appellierte an die soziale Verantwortung der Münchner Rück und bat das Unternehmen um eine sozial verträgliche Lösung.
Für eine einzelne Genossenschaft war das Projekt zu groß. Der Wogeno gelang es jedoch, ein Bieterkonsortium aus fünf Genossenschaften zu bilden, die sich die Übernahme teilen wollten. Die Münchner Rück erklärte sich bereit, sie nachträglich ins Bieterverfahren aufzunehmen. "Eine rein politische Lösung" wollte das Unternehmen jedoch nicht akzeptieren, das Angebot sollte schon "auch wirtschaftlich interessant" sein. Am Ende erhielt das Genossenschaftskonsortium den Zuschlag – zu welchem Preis, wollen sie nicht verraten.
Die Genossenschaften teilten die zehn Häuser untereinander auf. Das Haus Danklstraße 11 ging an die Wogeno. Derzeit ist es eingerüstet, die Haustür steht ständig offen, Handwerker gehen aus und ein. Im Parterre wohnen die Eheleute Hauer, beide bald 70 Jahre alt. An den Wänden ihres kleinen Wohnzimmers hängen Schwarz-Weiß-Fotos, sie zeigen einen älteren Mann auf der Bühne in verschiedenen Kostümen, Ernst Hauers Vater. "Der alte Herr war Opernsänger in München und in Wien", sagt er stolz. Er selbst war kaufmännischer Angestellter, ebenso wie seine Frau Helga. "Ich bin 1937 hier drin geboren", sagt sie. In ihrem ganzen Leben hat sie noch nie woanders gewohnt. Als ihre Mutter starb, hat sie den Mietvertrag übernommen, und nach der Hochzeit zog ihr Mann mit ein. Zwei Töchter haben sie hier großgezogen.
"Wir haben am Anfang schon Angst gehabt, dass wir hier rausmüssen", sagt er. Die Unannehmlichkeiten der Sanierungsarbeiten nehmen sie nahezu freudvoll auf sich: "Hier ist ja 20 Jahre nichts mehr repariert worden", sagt sie. Die Wogeno investiert nun kräftig in neue Fenster, eine neue Heizung, neue Leitungen – keine Luxusmodernisierung, sondern Instandsetzungen.
Der Hauerschen Wohnung gegenüber hat Schuhmacher Vogel seinen kleinen Laden. In seinem dahinter gelegenen "Sozialraum" hat ihm die Wogeno eine Dusche eingebaut, erzählt der 64-Jährige freudig. Mit der Genossenschaft als Vermieterin fürchtet er sich nun weniger vor Mieterhöhung, zumal die Geschäfte schon lange nicht mehr gut laufen und seine Frau vor kurzem ihren Job als Schuhverkäuferin verloren hat. Vogel selbst hat sich eine Nische geschaffen, sich mehr und mehr auf die Reparatur von Kletterschuhen spezialisiert. Die Hausgemeinschaft in der Danklstraße 11 hat die Zitterpartie und die Überführung in Genossenschaftseigentum zusammengeschweißt. Abendelang saßen sie zusammen, überredeten zögerliche Mieter, der Genossenschaft beizutreten. Immerhin musste dafür jede Mietpartei einen Obolus von 100 Euro pro Quadratmeter zahlen. Wer das nicht konnte, zahlt vier Prozent dieser Summe pro Jahr in Form einer Mieterhöhung – für eine 50 Quadratmeter große Wohnung steigt die Miete also um 200 Euro pro Jahr.
"Aus den eigenen vier Wänden nicht vertrieben werden zu können ist ein elementares soziales Bedürfnis", sagt Christian Ude. "In seinem Viertel verankert zu sein, zu Fuß einkaufen oder zum Arzt gehen zu können – das alles vermittelt ein Gefühl von Heimat und Sicherheit. Die Ökonomisierung geht genau in die andere Richtung." Und sie schreitet munter voran. Noch nie seien so viele "abgewählte und abgehalfterte Politiker" bei ihm vorstellig geworden wie im vergangenen Jahr, um sich als Türöffner für Finanzinvestoren zu betätigen, sagt Ude, darunter sogar "der 44. Vizepräsident der USA", wie er sich anmelden ließ, Dan Quayle sein Name. "Und leider auch Sozialdemokraten."
Die Zeit, 05. 01.2006, Nr. 2