Das Schrumpfen von Städten ist eigentlich nichts Neues. Zwar verschwand nach dem 11. Jahrhundert kaum eine europäische Stadt von der Karte. Dennoch verloren einzelne Städte aufgrund technologischer, ökonomischer oder politischer Veränderungen ihre einstige Bedeutung und gingen nieder (Benke 2005: 49). Seit der Herausbildung der modernen Großstadt in der Industrialisierung jedoch galt Wachstum als universalisierbares Muster der Stadtentwicklung (Häußermann/Siebel 1987: 7). Dieses Wachstumsparadigma prägt bis heute unser Denken über Stadtentwicklung, auch wenn die industrialisierten Nationen das Schrumpfen von Städten bereits seit einigen Jahrzehnten erleben.
Formen und Ursachen
Städte, in denen die ökonomische Basis erodiert ist und deren Einwohnerzahlen beständig abnehmen, schrumpfen. Prozesse dieser Art sind seit einigen Jahrzehnten in den altindustrialisierten Städten Westdeutschlands zu beobachten. Ausgelöst wurden die Schrumpfungsprozesse durch einen ökonomischen Strukturwandel, der in allen westlichen Industrienationen seit Beginn der 1970er Jahre zu beobachten war und der zu einem massiven Arbeitsplatzverlust im produzierenden Gewerbe führte
In Ostdeutschland hingegen verzeichnen fast alle Städte rückläufige Einwohner- und Arbeitsplatzzahlen. Betroffen sind nicht nur die industriell geprägten Siedlungsschwerpunkte der DDR, sondern auch solche Städte, die über eine differenziertere ökonomische Basis verfügen. Der flächendeckende Schrumpfungsprozess ist die Folge eines durch die Vereinigung erfolgten radikalen Strukturbruchs. Mit der Wiedereinführung der Marktwirtschaft und der Privatisierung der staatseigenen Betriebe brach die industrielle Basis in Ostdeutschland innerhalb weniger Jahre zusammen
Der Arbeitsplatzabbau im verarbeitenden Gewerbe wurde noch durch einen parallel verlaufenden Stellenabbau in der Land- und Forstwirtschaft, der Verwaltung und dem Militär potenziert
Auch wenn sich, wie gezeigt, Zeitpunkt, Ausmaß und Ursachen der Schrumpfung zwischen Ost und West erheblich unterscheiden, handelt es sich in beiden Fällen um langfristige und sich zukünftig noch verfestigende strukturelle Verwerfungen, mit denen die Städte umgehen müssen. Prognosen deuten nicht darauf hin, dass die Bevölkerungszahlen in den großen Städten wieder zunehmen werden. Schon allein aufgrund des Rückgangs der Geburtenraten werden vermutlich gerade die Städte weiter an Bevölkerung verlieren, die die natürlichen Verluste nicht durch Zuwanderungsgewinne ausgleichen können.
Soziale Folgen
Die Städte in Ost und West sind bereits heute mit den einschneidenden sozialen Folgen des Schrumpfungsprozesses konfrontiert. Neben den dauerhaft hohen Arbeitslosenquoten ist es insbesonders die sozial- und alterstrukturell selektiv verlaufende Abwanderung, die den Städten Probleme bereitet: Es sind zum einen die gut ausgebildeten, qualifizierten und jüngeren Bewohner, die die Städte auf der Suche nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten verlassen. Zum anderen werden die Prozesse der Wohnsuburbanisierung überwiegend von einkommensstärkeren Familien mit Kindern getragen, die sich ein Häuschen im Grünen leisten können. Beide Prozesse führen dazu, dass sich in den schrumpfenden Städten die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung verändert: Zurück bleiben diejenigen, die zu arm, zu unqualifiziert oder zu alt sind, um abzuwandern.
Die nachlassende wirtschaftliche und demographische Dynamik manifestiert sich derzeit am deutlichsten in einem massenhaften, strukturellen Wohnungsleerstand in ostdeutschen Städten. Der enorme Leerstand von rund 1,1 Millionen Wohnungen resultiert aus der Kombination von Bevölkerungsschwund und einem eher angebotsorientierten Neubauboom durch staatlich induzierte Steuerabschreibungen nach 1990
Durch sinkende Gewerbe- und Einkommenssteuern erodiert die finanzielle Basis der Städte, während die Kosten des ökonomischen, sozialen und demographischen Wandels ansteigen. Einem steigenden Handlungsbedarf stehen also sinkende finanzielle Mittel und damit ein abnehmendes Steuerungspotential gegenüber. Schrumpfungsprozesse, die alleine dem Marktprozess überlassen werden, bergen die Gefahr einer Spirale des Niedergangs und des Verfalls.
Umgang mit Schrumpfung
Der Umgang mit Schrumpfung stellt die betroffenen Städte vor neue und ungewohnte Herausforderungen: Bislang war es Aufgabe der Stadtentwicklungspolitik, Wachstumsprozesse funktional, sozialverträglich und später auch umweltverträglich zu gestalten. Für eine zukunftsorientierte Steuerung von Schrumpfungsprozessen existieren daher bislang kaum erprobte politische Strategien oder bewährte politische Instrumente. Wie lange es brauchte, bevor ausbleibendes Wachstum und anhaltende Schrumpfung überhaupt als ein langfristiges Problem in der Stadtentwicklung wahrgenommen wurden, zeigt eine empirische Untersuchung.
In meiner Studie "Stadtpolitik in schrumpfenden Städten" (2006), die die Stadtentwicklungspolitik in zwei Städten über mehrere Jahre vergleicht, wurde deutlich, dass sich die städtische Politik nur langsam, und auch nur unter bestimmten Voraussetzungen, in einer Stadt in einigen Bereichen der Stadtentwicklungspolitik auf die neuen Bedingungen einstellte und neue Instrumente, Maßnahmen und Strategien institutionalisierte, die den Schrumpfungsprozess als ein langfristiges und politisch zu steuerndes Problem begriffen
Mittlerweile haben viele ostdeutsche Städte begonnen, konkrete Konzepte für den Umgang mit Wohnungsleerständen zu entwerfen und Wohnungsbestände abzureißen
Schrumpfende Städte stehen vor dramatischen Problemen in der Stadtentwicklung, auf deren Bewältigung sie nur unzureichend vorbereitet sind. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, wenn man die Städte lediglich als Opfer widriger Umstände begreifen würde. Auch in diesen Städten können Handlungsspielräume ausgelotet und zumindest ansatzweise Antworten auf die drängenden Probleme gefunden werden.
Literatur
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