Der Begriff der unternehmerischen Stadt
Ganz gleich, an welcher Stelle man in gegenwärtige kommunalpolitische Debatten eintaucht: Meist scheint es selbstverständlich, dass Städte sich in einem globalen Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen, Arbeitsplätze und einkommensstarke Haushalte behaupten müssen. In diesem Kontext sprechen lokale Politiker/innen oftmals mit Stolz von ihrem „Unternehmen Hamburg“ oder ihrem „Konzern Frankfurt“, um zu unterstreichen, dass man gewillt ist, sich erfolgreich in Konkurrenz zu anderen Kommunen durchzusetzen.
Die zunehmende Wettbewerbungsorientierung lokaler Politik ist seit Anfang der 1980er Jahre zu beobachten. Sie wird in der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung mit dem Begriff der unternehmerischen oder neoliberalen Stadt beschrieben. Auch wenn sich die Entwicklungen zur unternehmerischen Stadt je nach Kontext anders darstellen, ist eine zentrale Gemeinsamkeit zu beobachten:
Die doppelte Einschreibung ökonomischen Denkens in die Regierung des Städtischen
Demnach lässt sich erstens immer dann von einer unternehmerischen Stadtentwicklung sprechen, wenn die Stadt als Wettbewerbseinheit in einem globalen Raum der Konkurrenz positioniert wird. Primäres Ziel unternehmerischer Stadtpolitik ist demgemäß, global agierendes Kapital anzuziehen. Über die Konkurrenz um Unternehmensansiedlungen und Arbeitsplätze hinaus geraten zudem einkommensstarke Haushalte und hoch bezahlte Wissensarbeiter/innen in den privilegierten Fokus der Stadtpolitik. Damit geht die Tendenz einher, Standortpolitik gegenüber allen anderen Politikoptionen den absoluten Vorrang zu gewähren.
Weit über die klassischen Instrumente der Wirtschaftsförderung und des Stadtmarketings hinaus werden somit auch Projekte im Bereich der Kultur-, Freizeit-, Bildungs-, Umwelt- sowie der Migrations- und Sozialpolitik danach bewertet, was sie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Stadt beitragen könnten (vgl. Heinz 2015: 125ff; Schipper 2013: 227ff). Diese Entwicklung führt insgesamt dazu, dass in allen Feldern städtischer Politik systematisch die Bedürfnisse von Ober- und Mittelschichten auf Kosten einkommensschwacher Haushalte bevorzugt bedient werden.
Zweitens benennt der Begriff der unternehmerischen Stadt eine weitere Form der Ökonomisierung von Stadtpolitik: die Übertragung von Markt- und Wettbewerbsmechanismen auch auf die interne Steuerung städtischer Prozesse. Eine derartige Restrukturierung und Transformation lokaler Staatstätigkeit erfolgt seit gut zwei Jahrzehnten, etwa durch die Einführung betriebswirtschaftlicher Steuerungsmodelle in der Verwaltungsarbeit, durch die künstliche Schaffung von Wettbewerbsverhältnissen sowie durch die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und Infrastrukturen.
Bezogen auf die aktuelle Situation angespannter städtischer Wohnungsmärkte lässt sich beispielsweise diagnostizieren, dass die beiden hier skizzierten Prozesse der unternehmerischen Neuordnung kommunaler Politik wesentlich zur jüngsten Krise der Wohnungsversorgung beigetragen haben. Angesichts der Dominanz der unternehmerischen Stadt haben Kommunen seit Jahrzehnten einen Rückzug aus dem geförderten Wohnungsbau betrieben, die Wohnungsmärkte dereguliert, öffentliche Wohnungsbestände und Liegenschaften privatisiert sowie ihre Wohnungspolitik auf die Bedürfnisse einkommensstarker Haushalte ausgerichtet.
Die Wirklichkeit der unternehmerischen Stadt
Befürworter/innen unternehmerischer Stadtentwicklung verweisen darauf, dass die Übertragung von Markt- und Wettbewerbsmechanismen auf die Regierung der Stadt mehr Leistung und eine höhere Effizienz der Verwaltungsarbeit versprechen. Außerdem käme eine erfolgreiche Standortpolitik dank eines „Sickereffekts“ zumindest langfristig allen Bewohner/innen zu Gute. Die Ansiedlung von Unternehmen führe demnach zu höheren Steuereinnahmen und die dadurch gewonnenen Ressourcen könnten in soziale Infrastrukturen investiert werden, die letztlich auch einkommensschwachen Haushalten offen stünden.
Aus Sicht der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung ist jedoch die These vom Sickereffekt zu relativieren. Wie verschiedene Studien zeigen, profitieren längst nicht alle Bewohner/innen einer Stadt von der standortpolitischen Fokussierung auf die Wettbewerbsfähigkeit. In der unternehmerisch ausgerichteten Stadt orientieren sich die kommunalen Investitionsentscheidungen an den Bedürfnissen gehobener Einkommensgruppen und erfolgen daher sozial wie räumlich selektiv. Kommunalpolitisch umsorgt werden vor allem einkommensstarke Haushalte, in deren Interesse man Gentrifizierungsprozesse aktiv forciert, in weiche Standortfaktoren in Gestalt von hochwertigen Kultur-, Freizeit- und Bildungsangeboten investiert, ein intensives Stadtmarketing betreibt, Imagekampagnen auflegt und teure Leuchtturmprojekte, wie beispielsweise die Elbphilharmonie in Hamburg, realisiert.
Kehrseite ist in der Regel, dass mit der unternehmerischen Stadt eine aktive Politik gegen den ärmeren Teil der Stadtbevölkerung verbunden ist. Der Umbau des lokalen Wohlfahrtsstaats, der Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau oder die Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände haben in den letzten Jahren zu einer Zunahme sozialer Ungleichheit und zu einer Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten geführt.
Kommunale Politik im Sinne der unternehmerischen Stadt bewirkt daher tendenziell, dass einkommensschwache Haushalte und zum Teil selbst Mittelschichten, die unter Umständen von einem Sickereffekt profitieren könnten, sich das Wohnen in der unternehmerischen Stadt nicht mehr leisten können. Da zudem gesellschaftliche Randgruppen sowie Erscheinungen sozialen Elends nicht in das angestrebte, werbeträchtige Bild der unternehmerischen Stadt passen, setzen viele Kommunen ferner auf sicherheits- und ordnungspolitische Instrumente sowie die Privatisierung öffentlicher Räume, um das Stadtbild „störende Elemente“ aus dem Stadtraum zu verdrängen oder unsichtbar zu machen.
Darüber hinaus produziert die Wettbewerbslogik auch großräumig, also im bundesdeutschen Vergleich betrachtet, zwangsläufig nicht nur Gewinnerstädte. Vielmehr nimmt die räumliche Ungleichheit auch zwischen Kommunen zu. Während auf der einen Seite boomende Regionen sich zwar relativ erfolgreich in der Städtekonkurrenz behaupten können, aber in der Konsequenz von steigenden Mieten und Wohnungsnot betroffen sind (z.B. die Rhein-Main Region, Hamburg, München, Stuttgart, Köln), steht in strukturschwachen und weniger wettbewerbsfähigen Gebieten Wohnraum leer und müssen soziale Infrastrukturen zurückgebaut werden (z.B. im Ruhrgebiet und in vielen ostdeutschen Städten).
Die Folge ist, dass sich die Lebensverhältnisse und die Qualität öffentlicher Infrastrukturen räumlich ungleich entwickeln. Das wiederum kann in einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis des Niedergangs resultieren, wenn zum Beispiel ausbleibende Steuereinnahmen und die Abwanderung junger Bevölkerungsgruppen wiederum weitere Ausgabenkürzungen nach sich ziehen.
Ausdruck einer unternehmerischen Stadtpolitik ist außerdem, dass Widersprüche, Konflikte und Interessensgegensätze in der scheinbaren Harmonie einer lokalen Schicksalsgemeinschaft aufgelöst werden. Einher geht damit eine Entwicklung, die als Postdemokratisierung städtischer Politik beschrieben wird. Demnach bleiben zwar die lokalen demokratischen Strukturen erhalten und es wird auch weiterhin in freien Wahlen über Bürgermeister/innen und Stadtparlamente entschieden. Leitbild der Politik ist aber nicht mehr, die Stadt nach den in demokratischen Verfahren zu bestimmenden Bedürfnissen ihrer Bewohner/innen zu gestalten. Stattdessen haben Entscheidungsträger/innen unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit und ihren politischen Überzeugungen lediglich die notwendigen Veränderungen zu vollziehen, welche Globalisierung und Wettbewerb vermeintlich zwingend erfordern und denen man sich als Politiker/in wie Bürger/in zu beugen und unterzuordnen hat.
Kommunalpolitik wird also auf die alternativlose Anpassung an übergeordnete Sachzwänge reduziert. Die daraus resultierende Unfähigkeit, auf soziale Probleme und politische Forderungen aus der Bevölkerung reagieren zu können, droht letztlich die gesellschaftliche Akzeptanz kommunaler Selbstverwaltung zu unterminieren und zum Verlust der Legitimität demokratischer Entscheidungsprozesse beizutragen. Die dramatisch gesunkene Beteiligung an Kommunalwahlen in den letzten Jahren auf oft unter 40 Prozent kann als Ausdruck und Konsequenz dieser postdemokratischen Entwicklung gelesen werden. Wozu sich, so könnte man fragen, noch an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligen, wenn die politische Richtung gemäß der unternehmerischen Stadt auf Standortpolitik, Wettbewerbsfähigkeit und Privatisierung festgelegt ist und als alternativlos charakterisiert wird.
Die unternehmerische Stadt und die Krise der Kommunalfinanzen
In den letzten Jahrzehnten ist das Konzept der unternehmerischen Stadt unter stadtpolitischen Akteuren in deutschen Kommunen auf ein hohes Maß an aktiver Zustimmung gestoßen. Allerdings ist der Wettbewerb unter den Städten keineswegs vom Himmel gefallen und die unternehmerisch agierende Stadt – anders als häufig behauptet – kein unvermeidbares Ergebnis einer übermächtigen Globalisierung. Vielmehr wurden die gesellschaftlichen Bedingungen, die sowohl die unternehmerische Stadt als auch den Wettbewerb der Städte plausibel und rational erscheinen lassen, politisch hergestellt. So wurde etwa durch eine „Politik der leeren Kassen“ eine strukturelle und fast chronische Krise der Kommunalfinanzen ausgelöst.
Seit Anfang der 1990er Jahre stehen deutsche Kommunen aufgrund von Steuersenkungen und Kürzungen bei den Mittelzuweisungen durch Bund und Länder unter einem mehr oder weniger permanenten Sparzwang. Parallel dazu sind sozialpolitische Aufgaben ohne einen finanziellen Ausgleich der Kosten auf die lokale Ebene abgewälzt worden. Beide Entwicklungen zusammengenommen führten in eine Krise der Kommunalfinanzen, die sich beispielsweise in der rasant gestiegenen kurzfristigen Verschuldung über Kassenkredite von 5,4 Milliarden € (1997) auf 44 Milliarden € (2011) offenbart. Verkommene Schulgebäude, sanierungsbedürftige Brücken und Straßen sowie die Privatisierung von Abfallbetrieben, Krankenhäusern und Wohnungsunternehmen stellen die chronischen Begleiterscheinungen dieser Krise dar.
Darüber hinaus hat die politische Herstellung von finanzieller Knappheit („Austerität“) für Kommunen einen fiskalischen Handlungsdruck erzeugt, der ein Agieren gemäß den Prinzipien einer unternehmerischen Stadt vernünftig und alternativlos erscheinen lässt. Viele lokale Entscheidungsträger/innen erhoffen sich durch die Ausrichtung städtischer Politik auf Wettbewerbsfähigkeit und Investoreninteressen, ökonomisches Wachstum und Steuereinnahmen generieren zu können, um dadurch der kommunalen Finanzkrise zu entkommen. Statt sich gemeinsam den strukturellen Gründen für die Unterfinanzierung kommunaler Haushalte politisch zu widersetzen, sucht jede Kommune für sich – mehr oder weniger verzweifelt – ihr Heil darin, in der Konkurrenz zu anderen vielleicht etwas besser abzuschneiden und sich dadurch ein Mindestmaß an Handlungsfähigkeit zu bewahren.
Vergessen wird dabei, dass letztlich strukturelle Gründe bzw. erst die Politik der leeren Kassen von Bund und Ländern (in Form von Steuersenkungen und der Übertragung neuer Pflichtaufgaben) in vielen Städten zu einer chronischen Finanzkrise geführt haben.
Arbeiten im Kontext der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung kritisieren sowohl dieses kollektive „Vergessen“ als auch die supralokalen Ursachen als sozial hergestellte Machtverhältnisse. Finanzpolitische Sparzwänge müssen demnach keineswegs dauerhaft als unvermeidlich anerkannt werden. Sie ließen sich auch durch eine kooperativ ausgerichtete Gegenbewegung, bestehend aus einem Netzwerk stadtpolitisch aktiver Gruppen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Initiativen, politisieren und womöglich überwinden, um Alternativen zur unternehmerischen Stadt wieder sichtbar zu machen.
Die unternehmerische Stadt als selbsterfüllende Prophezeiung
Die Verbreitung der unternehmerischen Stadt resultiert jedoch nicht nur aus politisch hergestellten Zwängen im Kontext der kommunalen Finanzkrise. Sie beruht oft auch auf lokaler Zustimmung. Um zu verstehen, warum sich die große Mehrheit der städtischen Akteure in Politik und Verwaltung spätestens seit den 1990er Jahren die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit als übergeordnetes Ziel zu eigen gemacht hat, greifen Stadtforscher/innen in jüngeren Arbeiten vermehrt auf Ansätze der Diskurstheorie zurück.
Demnach stellen die ritualisierte Wiederholung der Wettbewerbsrhetorik in politischen Reden und Debatten, in wissenschaftlichen Publikationen oder in lokalen Presseberichten überhaupt erst jene Realität her, die vorgeblich nur „objektiv“ und „sachlich“ beschrieben wird. Indem lokale Akteure die Wettbewerbsrhetorik beständig wiederholen und ihr Handeln dementsprechend ausrichten, erzeugen sie hinter ihrem Rücken eine selbsterfüllende Prophezeiung. Dieser Mechanismus wird an vielen Stellen abgesichert, etwa indem Städterankings vorgeben, Wettbewerbsfähigkeit ließe sich objektiv in Zahlen messen und vergleichen. Die aktive Zustimmung zahlreicher städtischer Entscheidungsträger/innen speist sich demgemäß also aus einer Vielzahl diskursiver Praktiken, die den Wettbewerb der Städte als vermeintlich objektive Realität naturalisieren.
Ihre enorme Wirkmächtigkeit erfährt die unternehmerische Stadt dadurch, dass die Rede vom Wettbewerb der Städte (bislang) unentwegt reproduziert und beständig „wahr“ gemacht wird, indem sie vielerorts unhinterfragt als allgemeine Richtschnur stadtpolitischen Handelns fungiert.
(K)eine Wende in Sicht?
Während die unternehmerische Stadt unter den kommunalpolitischen Akteuren lange Zeit weitestgehend unwidersprochen geblieben ist, haben sich vor allem in den letzten Jahren wieder verstärkt soziale Bewegungen konstituiert, die nach Wegen zu einer gerechteren Stadt suchen. Angesichts steigender Mieten, Gentrifizierungsprozessen und der Rückkehr der Wohnungsfrage haben sich etwa in vielen Städten Mieterinitiativen, Stadtteilgruppen und „Recht auf Stadt?“-Netzwerke gegründet, die vehement eine Stadtentwicklungspolitik einfordern, die mit der unternehmerischen Stadt bricht und sich konsequent an den Bedürfnissen niedriger und mittlerer Einkommensgruppen ausrichtet. Bislang waren diese Proteste durchaus erfolgreich. Zahlreiche kommunale Entscheidungsträger/innen aus unterschiedlichen politischen Lagern stellen mittlerweile die fortschreitende Vermarktlichung der Wohnraumversorgung selbstkritisch in Frage und verfolgen wieder wohnungspolitische Ansätze, die deutlich von den Prinzipien der unternehmerischen Stadt abweichen.
Aber auch jenseits der Wohnungsfrage offenbart die jüngste Debatte um die sogenannte Rekommunalisierung, dass die Privatisierungswelle städtischen Eigentums abzuebben scheint. Häufig aus Enttäuschung über ausbleibende Erfolge zeichnet sich der vorsichtige Trend ab, dass Städte die Privatisierung ihrer Stadtwerke, der kommunalen Müllentsorgung oder des öffentlichen Nahverkehrs wieder rückgängig machen.
Ob derlei Indizien eine Kehrtwende in der Stadtpolitik signalisieren und sich gegenwärtig eine grundlegende Abkehr von der unternehmerischen Stadt andeutet, muss zu diesem Zeitpunkt offen bleiben. Falls es zu einem solchen Paradigmenwechsel kommen sollte, bedarf es neben einem Umdenken auf lokaler Ebene aber vor allem auch einer Abkehr von Spar- und Steuersenkungspolitiken auf Bundes- und Landesebene. Zwar hat sich die Finanzlage der Kommunen in den letzten Jahren zumindest kurzfristig etwas entspannt. Allerdings lässt die Einführung von „Schuldenbremsen“, die auf Bundes- und Länderebene ab 2016 bzw. 2020 einen ausgeglichenen Haushalt zu einem Ziel mit Verfassungsrang erklären, zukünftig eher eine Verschärfung kommunaler Austeritätspolitiken erwarten.
Zu vermuten ist, dass Bund und Länder ihren selbst induzierten finanziellen Druck auf die untere staatliche Ebene abwälzen und sich daher die kommunalen Handlungsspielräume noch einmal weiter verengen – was einen Bruch mit den Prinzipien der unternehmerischen Stadt deutlich erschweren würde.