Die Vielfalt der Beteiligungskritik
BürgerInnen sollen sich wirksam an der Planung und Entwicklung von Städten und Quartieren beteiligen können! Diese Forderung wurde von Stadtteilinitiativen seit den 1960er Jahren vehement vorgebracht und erfuhr in den folgenden Dekaden immer breitere gesellschaftliche und politische Unterstützung.
Aber nicht nur das Bekenntnis zu Bürgerbeteiligung ist in aller Munde, sondern auch ihre Kritik. So begreifen Teile der Kommunalpolitik, der Stadtverwaltung und der Immobilienwirtschaft partizipative Planungsverfahren vor allem als aufwändig und langwierig – als Prozesse, die notwendige Investitionen verzögern oder gar verhindern und repräsentativ-demokratische Entscheidungskompetenz schwächen. Aber auch Stadtteilinitiativen selbst stehen Beteiligungsangeboten nicht selten kritisch gegenüber. Ihre Einwände sind so vielfältig wie die Partizipationsverfahren selbst. Dennoch lassen sich einige übergreifende Argumente ausmachen:
Erstens werden die angebotenen Verfahren in ihrer Ausgestaltung kritisiert – „Scheinbeteiligung“ ist hier ein häufiges Stichwort.
Zweitens wird Beteiligung selbst ganz grundsätzlich als eine Strategie begriffen, mit der Stadtpolitik, Stadtverwaltung und immobilienwirtschaftliche AkteurInnen städtische Konflikte zu befrieden versuchen.
Schließlich entwickeln Stadtteilinitiativen aber auch eigene, „alternative“ Planungs- und Beteiligungsverfahren.
In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf diese drei Elemente aktivistischer Partizipationskritik und –praxis.
„Scheinbeteiligung“: Kritiken an der Ausgestaltung von Verfahren
Wenn „Scheinbeteiligung“ kritisiert wird, kommen mehrere Argumentationslinien zusammen. Der erste, zentrale Kritikpunkt lautet, dass Partizipation in der Stadtplanung in der Regel keine Beteiligung an relevanten politischen Entscheidungen bedeutet. Demnach können BürgerInnen weder die stadtentwicklungspolitische Agenda setzen, also verbindliche Ziele formulieren, noch über deren konkrete Umsetzung etwa in Bauprojekten entscheiden. Wenn die wesentlichen politischen und planerischen Ziele aber schon vorab feststehen, werden Beteiligungsverfahren zu „Alibi-Veranstaltungen“.
Die genannte Kritik verweist auf den rechtlichen Status vieler Beteiligungsverfahren in der Stadtplanung: Nur wenige sind gesetzlich vorgeschrieben, und auch diese nur als Anhörungen in Bebauungsplanverfahren (§3 BauGB), nicht aber als tatsächliche Mit-Planung. Solange es sich also nicht um direktdemokratische Verfahren politischer Partizipation handelt, erhalten BürgerInnen keine formellen Mitbestimmungsrechte, sondern arbeiten vor allem den Planungsstäben von Verwaltungen und InvestorInnen zu.
Das aber, so der zweite Kritikpunkt, führe dazu, dass kreative Beiträge und Ideen, die BürgerInnen in Partizipationsverfahren entwickeln, für die Umsetzung der Planungsziele anderer eingesetzt werden. Die häufig geäußerte Erfahrung von Stadtteilinitiativen ist, dass das besondere „lokale Wissen“ der BewohnerInnen in politisch-administrativ dominierten Planungsverfahren „enteignet“ wird, ihre Forderungen und Ideen dabei aber nur selektiv und unverbindlich einbezogen werden.
So kritisieren viele Initiativen, dass Ergebnisse von Bürgerforen und Workshops, die im Widerspruch zu den Interessen von Politik, Verwaltung und InvestorInnen stehen, kaum Einfluss auf die Planungen und deren Umsetzung haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Falle des Stadterweiterungsgebietes „Mitte Altona“ in Hamburg forderte das einberufene Bürgerforum einen Planungsstopp und einen anwohnerorientierten Neubeginn des gesamten Entwicklungsverfahrens – die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt ließ sich allerdings von ihrem eigenen Beteiligungsverfahren wenig beeindrucken und setzte die Planung fort.
Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen kritisieren Stadtteilinitiativen, dass bestehende Machtungleichheiten zwischen BewohnerInnen auf der einen, Stadtverwaltung und Kommunalpolitik sowie immobilienwirtschaftlichen AkteurInnen auf der anderen Seite in partizipativer Stadtplanung gerade nicht ausgeglichen werden. Daran schließt ein dritter Kritikpunkt an: Den BürgerInnen werden keine angemessenen zeitlichen, finanziellen und informationellen Ressourcen bereitgestellt, um ihre Beteiligung an den Planungen auch sinnvoll zu ermöglichen. Sie sollen vielmehr in ihrer Freizeit mitmachen, werden also aufgefordert, „hobbymäßig mitzureden“ (wie es die Initiative LUX&Konsorten am Beteiligungsverfahren zur „Mitte Altona“ in Hamburg kritisierte), und stehen so bezahlten professionellen ‚PlanungsexpertInnen‘ in einer schwächeren Position gegenüber.
Auch weil Beteiligung als ehrenamtliche Tätigkeit hohe Zugangshürden aufweist, gilt sie als sozial selektiv – so eine weitere Kritik vor allem aus den Sozialwissenschaften: Gerade Menschen, die mit Ausschlüssen von städtischen Ressourcen und Teilhaberechten zu kämpfen haben, werden von solchen Partizipationsangeboten nur selten angesprochen. Von beteiligungsfreudigen urbanen Mittelschichten dominierte Gremien und Workshops können dann zusätzliche Ausgrenzungseffekte haben.
Spaltung, Befriedung, Ablenkung und Legitimierung: Kritiken an Partizipation als Regierungsstrategie
Die bisher dargestellte Kritik richtet sich auf die Form der Partizipation, die eine „echte“ Beteiligung und Mitplanung der BewohnerInnen verhindern würde. Stadtteilinitiativen formulieren aber auch eine grundsätzliche Kritik an Partizipation als eine politisch-administrative Regierungsstrategie: Sie dient der Einhegung und Befriedung von Konflikten sowie als Instrument zur Spaltung des Widerstandes gegen die jeweils dominante Stadtpolitik. Die Teilnahme an Beteiligungsverfahren führt, so die Argumentation, von den eigentlichen Forderungen und Zielsetzungen städtischer Bewegungen weg, begrenzt die Gegenstände der Auseinandersetzung auf verhandelbare Teilaspekte und dient zugleich der Legitimationssteigerung eigentlich hochumstrittener Stadtplanungsprojekte.
Die Strategie einer Befriedung durch Spaltung wurde etwa in der Hausbesetzungsbewegung der 1970er und 1980er Jahre beobachtet: Die „Verhandler“ unter den BesetzerInnen ließen sich auf die Beteiligungsangebote der Stadtverwaltung und Sanierungsträger ein – Stichwort behutsame Stadterneuerung. So konnten sie einige der besetzen Häuser erhalten und legalisieren, gaben damit aber weitergehende Ziele – Basisdemokratie, Selbstverwaltung, Wohnen ohne Miete und VermieterInnen – zumindest teilweise auf. Die „Nicht-Verhandler“ dagegen wurden zunehmend isoliert und gerieten auch durch repressivere Polizeistrategien in die Defensive. Aus einem grundsätzlichen Konflikt um städtische Eigentumsverhältnisse und gesellschaftliche Gestaltungsmacht war ein Konflikt um Verfahren der Sanierung geworden.
„Stadt selber machen“: Interventionen und kritische Partizipation
Die vorgestellten Kritiklinien werden auf verschiedene Weise praktisch wirksam:
Auf der einen Seite stehen Stadtteilinitiativen mit einem emphatischen Verständnis von Bürgerbeteiligung. Sie kritisieren bestehende Planungsverfahren mit dem Ziel, Partizipation auszuweiten, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen BürgerInnen, Stadtverwaltung und Stadtpolitik zu etablieren und Standards guter Beteiligung zu definieren.
Ihnen gegenüber positionieren sich solche Initiativen, die Bürgerbeteiligung grundsätzlich ablehnen. Ihre Kritik zielt nicht auf Verbesserung sondern darauf, den illusionären Charakter von Beteiligungsversprechen und die strategischen Ziele politisch-administrativer AkteurInnen offenzulegen. Solche Initiativen fokussieren vor allem auf die Durchsetzung eigener Projekte: Besetzte Häuser und selbstverwaltete soziale Zentren machen ihren Anspruch deutlich, „Stadt selber zu machen“.
Dazwischen positionieren sich nun solche Initiativen, die Partizipationsverfahren zwar skeptisch gegenüberstehen, diese aber für ihre eigenen Ziele nutzbar machen wollen. Dabei lassen sich zwei verschiedene Strategien unterscheiden.
Die erste zielt auf Bürgerbeteiligung über Instrumente der direkten Demokratie, so etwa auf Bürger- oder Volksentscheide. Es handelt sich insofern nicht um partizipatorische Stadtplanung im engeren Sinne.
Die zweite Strategie zielt eher auf ein lokales Empowerment (also auf die Selbstbefähigung von BewohnerInnen, ihre Interessen zu artikulieren) und dementsprechend auf eine Beteiligung „von unten“ – ein Ansatz, auf den ich abschließend am Beispiel des Konflikts um die „Esso-Häuser“ im Hamburger Stadtteil St. Pauli näher eingehen möchte.
St. Pauli ist seit Jahren von einem rasanten und konflikthaften Gentrifizierungsprozess gekennzeichnet. In diesem Kontext versuchen stadtteilpolitische Initiativen und auch der sozialarbeiterische Verein GWA St. Pauli, die Selbstorganisation der BewohnerInnen zu stärken. Die GWA versteht sich als „parteiische Akteurin, die […] auf der Seite der Benachteiligten steht“. Konflikte etwa um Aufwertungsprojekte, steigende Mieten und Verdrängung sollen nicht individualisiert werden, sondern mit „strukturellen Faktoren und vorenthaltenen Partizipationschancen“ in Beziehung gesetzt werden.
In diesem Sinne setzt sich die GWA seit Jahren für eine Stadtplanung von unten ein und ist Teil des Netzwerkes „Recht auf Stadt“, in dem sich seit 2009 hamburgweit zahlreiche unterschiedliche stadtpolitische Initiativen zusammengeschlossen haben. Auf St. Pauli arbeitete die GWA zuletzt eng mit der „Initiative Esso-Häuser“ zusammen.
Hier wehrten sich vor allem MieterInnen mit geringen Einkommen und Kleingewerbetreibende dagegen, dass die an der Reeperbahn gelegenen Gebäude nach einem Eigentümerwechsel abgerissen und durch einen großformatigen Neubau ersetzt werden sollten. Die Mitglieder der Initiative zählten dabei eher nicht zu denjenigen, „von denen man erwartet hätte, dass sie sich zusammenschließen und wissen, wie eine öffentlichkeitswirksame Kampagne funktioniert“ – und doch konnten sie nicht nur gemeinsame Ermächtigungserfahrungen sammeln, sondern auch Teilerfolge erzielen. Zwar wurden die Gebäude mittlerweile abgerissen, aber es konnte durchgesetzt werden, dass alle bisherigen MieterInnen ein Rückkehrrecht in die neu entstehenden Wohnungen erhalten, was bei Sanierungsprojekten aller Art keinesfalls immer Realität ist. Auch bei dem Verfahren der Neuplanung trotzte die Initiative dem zuständigen Bezirksamt und der privaten Eigentümerin weitreichende Zugeständnisse ab.
Erstmals wurde in Hamburg ein Beteiligungsprozess vor der Durchführung eines städtebaulichen Wettbewerbs initiiert. Maßgebliche Ziele und Verfahrensweisen des Projekts waren somit schon Ergebnisse eines Partizipationsverfahrens. Konzipiert und durchgeführt wurde dieses Verfahren von langjährigen StadtteilaktivistInnen. Die Initiative Esso-Häuser konnte ihre Forderungen bislang zwar nicht vollständig durchsetzen, aber mit fast zwei Drittel öffentlich gefördertem Wohnraum einen weit höheren Anteil als in der Hansestadt üblich erstreiten. Ob am Ende „mehr als eine Beteiligungsshow“ geboten wurde, darüber wird allerdings bei der anstehenden Umsetzung der Planungsergebnisse entschieden. Sicher scheint jedoch: Ohne weiteren politischen Druck seitens stadtpolitischer Initiativen drohen auch vorbildlich wirkenden Beteiligungsverfahren dieselben Begrenzungen, die in der Partizipationskritik thematisiert werden.
Ausblick
Partizipation in der Stadtplanung weckt Wünsche, die sie nicht erfüllen kann. Das liegt einerseits an der politisch-administrativen Verfasstheit von Stadtplanung: Sie ist in rechtsstaatlichen und repräsentativ-demokratischen Verfahren organisiert, in die BürgerInnen formell nur durch Anhörungen, ansonsten informell und unverbindlich eingebunden werden. Andererseits weisen städtische Konflikte und Anliegen der BewohnerInnen zumeist über die eng begrenzten stadtplanerischer Instrumentarien hinaus:
Wenn etwa zentrale Ursachen von Verdrängung in einer Marktförmigkeit der Wohnraumversorgung liegen und gerade Menschen mit geringen Einkommen oder zugeschriebenem Migrationshintergrund auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden, dann kann auch die beste Bürgerbeteiligung daran zunächst wenig ändern. Aber gerade deshalb können durch Partizipationsverfahren auch neue Dynamiken einer Stadtpolitik von unten entstehen und Ressourcen für kollektive Organisierungsprozesse nutzbar gemacht werden.
Der Konflikt um die Esso-Häuser macht hier deutlich: Partizipation von unten kann Gentrifizierung entgegentreten und punktuelle Verbesserungen für BewohnerInnen erstreiten.