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"Arrival Cities" - Ankommen in Deutschland? | Stadt und Gesellschaft | bpb.de

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"Arrival Cities" - Ankommen in Deutschland? Das Konzept "Ankunftsstadt" und seine Übertragbarkeit

Katharina Schmidt

/ 12 Minuten zu lesen

Wie gestalten Städte das Ankommen und Bleiben von Zuwandernden? Katharina Schmidt diskutiert die Idee der „Ankunftsstadt“ und ihre Übertragung auf Städte in Deutschland.

(@ Meike Fischer)

Anfang September 2015 wurden tausende Menschen am Münchner Hauptbahnhof von unzähligen anderen Menschen mit Schildern, Worten und Taten willkommen geheißen. Ähnliche Szenen trugen sich in anderen Städten zu. Im sogenannten „langen Sommer der Migration“ (Georgi 2016) wurden viele deutsche Städte für eine kurze Zeit zu Orten des „Ankommens“ für geflüchtete Menschen.

Das Kommen, Gehen und Bleiben stellt für Städte keine Neuheit dar. Städte sind eingebunden in lokale, regionale, nationale und globale Prozesse und Dynamiken, und das auf vielfältige, wechselwirkende und auch widersprüchliche Art und Weise. Das Ankommen ist dabei nur einer von vielen Prozessen in einer Stadt. Es gehört seit jeher zu dem, was das Städtische ausmacht.

Aber Städte sind nicht nur die Orte, an denen angekommen wird. Von ihnen wird auch ausgegangen. Dem Prozess des Ankommens gehen stets Dynamiken und Prozesse voraus und ebenso bringen sie Konsequenzen mit sich. Das betrifft sowohl Menschen und Waren als auch Ideen, Bilder und Politiken, die in einer raumzeitlichen Dimension und Relation zu verstehen sind. Das soll heißen, dass Dinge, die sich heute in (deutschen) Städten abspielen in Beziehung zu globalen historischen Ereignissen, gesellschaftlichen Entwicklungen, ökonomischen Bedingungen und politischen Entscheidungen stehen (z. B. Kolonialismus, Handel mit Waffen, Produktionsverlagerungsprozesse, Land Grabbing …).

Diese Verwobenheiten gilt es für ein Ankommen mitzudenken, das mehr als nur ein Willkommen, nämlich auch eine Perspektive zum Bleiben enthalten soll. Aber nicht jede_r kann einfach so in Deutschland ankommen und vor allem bleiben. Während sich ein Ankommen für Binnenwander_innen sowie EU-Bürger_innen weniger problematisch darstellt, wird die Idee von sogenannten „Ankunftsstädten“ in Deutschland gegenwärtig vor allem auf solche Menschen(-gruppen) angewendet, deren Ankommen im Rahmen internationaler Migration als problematisch gesehen wird. Hier geht es also nicht um internationale Studierende an deutschen Hochschulen oder um ausländische Mitarbeiter_innen von internationalen Firmen mit Sitz in Deutschland. Sondern um Menschen, die in Deutschland ankommen und dort auch vorerst bleiben möchten. Aktuell sind das vor allem geflüchtete Menschen, die ihr Recht auf Asyl geltend machen, Zugewanderte, die im Rahmen der EU-Erweiterungen ihr Recht auf Freizügigkeit am Arbeitsmarkt wahrgenommen haben sowie Menschen, die aus verschiedenen Gründen (wie etwa Diskriminierungserfahrungen, ökonomische Krisensituationen oder Perspektivlosigkeit im Heimatland) nach Deutschland migrieren und in den Städten ankommen.

Die „Ankunftsstadt“ im deutschsprachigen Kontext

Die Idee der „Ankunftsstadt“ geht auf den Journalisten Doug Saunders zurück. 2011 veröffentlichte dieser sein Buch „Arrival City: How the largest Migration in History is Reshaping Our World“ auf Deutsch. Es wird auch auf stadtpolitischer Ebene von Entscheidungsträger_innen stark rezipiert. Im Gegensatz zu Ideen und Konzepten der „offen“, „solidarischen“ oder der „Zufluchtsstadt“ (open city, solidarity city, sanctuary city) wird seitdem vor allem der Begriff der arrival city unter anderem von Bürgermeister_innen verwendet, um auf den kosmopolitischen Charakter und die Weltoffenheit einer Stadt (etwa der „Ankunftsstadt Hamburg“) zu verweisen. Doug Saunders wird 2015 nach Frankfurt am Main eingeladen und spricht dort über die „arrival region“ Frankfurt; 2016 wird die Stadt Oldenburg Teil eines EU-geförderten Städtenetzwerkes „arrival cities“, in dem es darum geht, „einen lokalen Aktionsplan für die Integration von Zugewanderten, insbesondere von Flüchtlingen, zu entwickeln“.

Mit der Neuauflage des Buches 2013 ist jedoch an prominenter Stelle eine inhaltliche Verschiebung vorgenommen worden. Anstelle der Übersetzung des englischen Titels wird nun ein neuer Untertitel oberhalb des Haupttitels „Arrival City“ auf dem Cover platziert: „Die neue Völkerwanderung“. Unter diesem Stichwort wird die Diskussion um arrival cities nun stärker mit Bezug auf die spätestens seit 2013 drängende Debatte über die Unterbringung von geflüchteten Menschen in Städten geführt. Mit dem Terminus „neue Völkerwanderung“ sollte eigentlich auf den Fakt hingewiesen werden, dass „ein Drittel der Weltbevölkerung unterwegs ist und über Grenzen und Kontinente hinweg vom Land in die Städte zieht“ – ganz „normale Migration“ eben.

Die Übersetzung von wandernder Weltbevölkerung in „Völkerwanderung“ ändert jedoch den Diskurs über Migration in Städte. Sie impliziert, dass nicht mehr Menschen (egal ob als Individuen oder in Gruppen) weltweit migrieren, sondern, dass gesamte „Völker“ sich auf den Weg in die Städte machen. Der Diskurs einer „Völkerwanderung“ vermittelt somit sprachlich und im Kontext aktueller Debatten um Flucht und Migration eher den Eindruck eines Bedrohungsszenarios für Städte, obwohl davon im Buch selbst keine Rede ist. Als Beispiel für eine deutsche arrival city bezieht sich Doug Saunders vielmehr auf den Stadtteil Berlin-Kreuzberg, als Stadt in der Stadt, und dort vor allem auf Ankommende, die im Rahmen der Anwerbeaktionen der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren als türkische Gastarbeiter_innen nach Deutschland geholt wurden und deren Familien mit der Zeit nachkamen. Dabei stellt er dem politischen Umgang mit der deutschen Ankunftsstadt schlechte Noten aus:

QuellentextGescheiterte Ankunftsstadt

Die deutsche Politik schien von Anfang an darauf ausgerichtet, eine gescheiterte Ankunftsstadt hervorzubringen, deren Bewohner sich weder am Zielort auf sinnvolle Weise fest einrichten noch realistische Erwartungen auf eine endgültige Rückkehr in ihrer Dörfer hegen konnten.

Quelle: Saunders 2013

Diese Beobachtung von Saunders ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass bis in die 1980er Jahre offiziell, danach weiterhin inoffiziell die politische Devise galt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland“. Dies hat(te) Konsequenzen für die Ankommenden, welche durch Einschränkungen ihrer Freizügigkeit (etwa durch Residenzpflicht, Zuzugssperren, Arbeits- und Studierverbot) sowie durch eine Verweigerung der Anerkennung staatsbürgerlicher Rechte selbst nach Jahrzehnten noch als „Ausländer“ behandelt wurden und ihre „Ankunft“ in Deutschland von offizieller Seite nicht anerkannt wurde.

Vor allem in den 1990er Jahren war diese „Ankommensverhinderung“ auch gleichbedeutend mit einer „Fernhaltung“ von Ankommenden und geflüchteten Menschen aus den Städten, insofern Sammelunterbringungen gezielt an peripheren, isolierten Orten in alten Kasernen, Heimen etc. organisiert wurden. Auch aktuell wird mit Diskussionen um Obergrenzen und um politische Regelungen (Asylverschärfung), mit familiären Nachzugsverboten, der Erklärung zu sicheren Herkunftsländern, Arbeitsverboten, der Nicht-Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse etc. versucht, eine vermeintliche „Völkerwanderung“ nach Deutschland zu verhindern. Diese Restriktionen stehen der Idee einer arrival city jedoch konträr gegenüber. Sie basiert nicht nur darauf, dass Menschen in Städten willkommen geheißen werden, sondern auch darauf, dass es für diese dort auch Möglichkeiten zum Ankommen gibt.

Ankunftsstadt als Wohnraumkonzept?

Während auf stadtpolitischer Ebene deutsche Städte sich aktuell trotz dieser restriktiven Migrationspolitiken zunehmend selbst als kosmopolitische Ankunftsstädte präsentieren, findet das konkrete Aufgreifen von Doug Saunders‘ Ideen zur arrival city als bestimmte Orte innerhalb von Städten vor allem auf konzeptioneller Ebene statt. Die Ankunftsstadt wird von verschiedenen Akteuren in Deutschland als ein stadtplanerisches Instrument fokussiert und vor allem in Bezug zur Planung von Wohnraum für Geflüchtete gesetzt. Dies ist auch in Relation zu explodierenden Mieten, Immobilienspekulation, fehlendem günstigen Wohnraum und Mietpreisbremsen, aber auch zur Gegenwehr gegenüber einer Unterbringung von geflüchteten Menschen in den deutschen Städten zu sehen. Wohnraum wird immer mehr zu einem raren (Luxus-)Gut in Städten, was immer weniger Raum für Ankommende und sozial Schwache lässt. Vor diesem Hintergrund und mit Verweis auf Saunders‘ Terminologie beschäftigen sich Stadtplaner_innen, Architekt_innen und andere mit Planungsmöglichkeiten für die „Ankunftsstadt“. Dies verdeutlichen aktuelle Interventionen in die Debatte um Migration und Stadt, welche sich auf die Umsetzung der Idee von arrival cities in deutschen Städten stützen.

So veranstaltete Anfang März 2016 die Hamburger Architektenkammer einen Workshop unter dem Motto „Ankunftsstadt Hamburg – aber wie?“ mit dem Ziel, die Unterbringungsthematik von geflüchteten Menschen und die Rolle von Architektur in der Planung und Gestaltung breit zu diskutieren. In Arbeitsgruppen wurden stadtplanerische Konzepte, architektonische Ideen sowie Kernbotschaften entwickelt. Diese bezogen sich unter anderem auf Aspekte wie die Bedeutung infrastruktureller Anbindung und ökonomischer Möglichkeiten für Integration, aber auch auf Ideale der gemischten Stadtteilentwicklung, um eine „Ghettoisierung“ zu vermeiden). Möglichkeiten einer stadtplanerischen Verwirklichung der lokalen Ankunftsstadt speziell im Rahmen der ankommenden geflüchteten Menschen wurden hier auf einer konkreten, umsetzungspraktischen Ebene bearbeitet.

Mit einem stärker generalisierenden Anspruch werden aktuell aber auch Ideen und Bedingungen für die Entwicklung von Ankunftsstädten in Deutschland auf internationaler Ebene präsentiert. Der kurze Moment, in dem Deutschland seine Grenzen für geflüchtete Menschen öffnete, wird in der 15. Architektur Biennale 2016 in Venedig durch den Deutschen Pavillon aufgegriffen. Der deutsche Beitrag zur Ausstellung präsentiert sich als offenes Haus ohne Wände. Unter dem Titel „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ präsentiert das Deutsche Architekturmuseum (DAM) Deutschland „plötzlich“ als Einwanderungsland und widmet sich inhaltlich Beispielen von deutschen „Ankunftsstädten“ im Sinne von unterschiedlichen architektonischen und planerischen Lösungen zur Unterbringung von Geflüchteten. Darüber hinaus wurden in Zusammenarbeit mit Doug Saunders persönlich acht Thesen formuliert, welche die Grundvoraussetzungen für erfolgreiche arrival cities in Deutschland benennen:

Anleitung zur Ankunftsstadt

  1. Die Arrival City ist eine Stadt in der Stadt: Einwanderer suchen ihre Chancen in städtischer Dichte.

  2. Die Arrival City ist bezahlbar: Günstige Mieten sind eine Voraussetzung für die Attraktivität einer Stadt.

  3. Die Arrival City ist gut erreichbar und bietet Arbeit: Arbeitsplätze entstehen dort, wo es bereits Arbeitsplätze gibt. Ein gutes öffentliches Verkehrsnetz ist unverzichtbar.

  4. Die Arrival City ist informell: Die Tolerierung nicht gänzlich rechtskonformer Praktiken kann sinnvoll sein.

  5. Die Arrival City ist selbst gebaut: Selbsthilfe beim Bau von Wohnraum wäre nötig und darf nicht durch zu hohe Anforderungen verhindert werden.

  6. Die Arrival City ist im Erdgeschoss: Ob kleinteilige Geschäftsräume im Erdgeschoss verfügbar sind, bestimmt die Qualität des öffentlichen Raums.

  7. Die Arrival City ist ein Netzwerk von Einwanderern: Keine Angst vor ethnisch homogenen Vierteln: Sie ermöglichen Netzwerke.

  8. Die Arrival City braucht die besten Schulen: Die besten Schulen sollten in den schlechtesten Vierteln sein, um die Kinder zu qualifizieren

Quelle: DAM & Something Fantastic 2016

Mit dieser „Anleitung zur Ankunftsstadt“ ist eine politische Vision verbunden, die sich nicht nur ums Ankommen dreht, sondern auch das Bleiben mitdenkt. Dabei stellen diese stadtplanerisch und architektonisch gedachten Thesen gleichzeitig eine Utopie dar, welche realpolitische Grundvoraussetzungen der Ankunftsstadt außen vorlassen. Deutschland hat sich eben nicht „über Nacht“ zu dem Einwanderungsland bekannt, das es schon längst ist. Politische Machtverhältnisse, die Verschärfung des Asylrechts, die Dynamik des Wohnungsmarkts, bürokratische Regularien, Kontrolle und Überwachung von Ankommenden, Abschiebungen, Arbeitsverbote etc. verunmöglichen viele der oben genannten Punkte bzw. überhaupt die Tatsache, dass Menschen die Möglichkeit haben, in einer deutschen Stadt anzukommen. Nichtsdestotrotz interveniert das DAM mit diesem Beitrag auf der Biennale an prominenter Stelle in Debatten um Migrationspolitik in Deutschland und bringt durch den Bezug zur arrival city Bewegung in das vermeintlich problematische Verhältnis zwischen Stadt und Migration.

Die „Arrival City“ von Doug Saunders

(@ Meike Fischer)

Das Verhältnis von Stadt und Migration versucht der Journalist Doug Saunders durch den Begriff arrival city zu beschreiben. Anhand von global-urbanen Beispielen aus unter anderem Istanbul, Shenzhen, Rio de Janeiro, Berlin, Nairobi, Mumbai, Toronto, Los Angeles, Tatary etc. beschreibt er was passiert, wenn Menschen in Großstädte migrieren und dort ankommen. Als Gemeinsamkeit dieser Migrationsprozesse in die Großstädte erkennt er, dass sich in all diesen Städten bestimmte Orte des Ankommens herausbilden, welche sich von zentraler Bedeutung für die Ankommenden erweisen. Diese Orte der Ankunft zeichnen sich nach Saunders dadurch aus, dass günstiger Wohnraum zugänglich ist, Erwerbsstrukturen sich herausbilden, soziale Netzwerke bestehen etc., die ein Ankommen in einer Stadt überhaupt erst möglich machen. Aufgrund dieser Beobachtung bezeichnet Doug Saunders diese Orte des Ankommens in Städten als „Ankunftsstädte“. Ihrer Entwicklung misst Saunders besondere Bedeutung für städtische Dynamiken, aber eben auch für gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse bei, welche vor allem auch das Verhältnis zwischen Stadt und Land betreffen. Aus diesem Grund berücksichtigt er in seinen Stadtbeispielen nicht nur den jeweiligen historischen Kontext der Entstehung einer „Ankunftsstadt“, sondern auch deren Wandel im Laufe der Zeit und deren aktuelle Bedeutung.

Die Ankommenden in den Beispielstädten sind Menschen, welche vor allem vom Land in die Stadt migrierten, und das über verschiedene regionale und nationale Grenzen hinweg. Gleichzeitig sind sie nach Saunders auch zukünftige Stadtbewohner_innen, welche nicht mit urbanen Privilegien (sozialer Status, Stadt-/Staatsbürgerschaft) und Ressourcen (Kapital, Besitz, (Aus-)Bildung) einer urbanen „Norm“gesellschaft ausgestattet sind. Sie können also nicht so einfach eine Wohnung mieten, einen gut bezahlten Job ausüben, sich eine Krankenversicherung leisten oder sich an einer Universität einschreiben. Aus diesem Grund werden die Ankunftsstädte häufig mit negativen Assoziationen und Zuschreibungen (Armut, Kriminalität, Migration, schlechte Infrastruktur etc.) belegt und dementsprechend konnotiert (also mit Bezeichnungen wie Marginalviertel, Slums, Favelas, Problemviertel versehen).

Dem negativen Image dieser Stadtviertel und ihrer Bewohner_innen stellt Saunders mit der Herleitung und Bezeichnung der arrival city ein anderes Verständnis dieser Orte gegenüber. Mit seinen Beispielen lädt er dazu ein, die Orte des Ankommens als die dynamischsten Orte einer Stadt zu verstehen. Demnach entstehen dort durch soziale, ökonomische und politische Netzwerke sowie durch Eigeninitiative Innovation und Emanzipation, wovon wiederum die Stadt lebt. Gesellschaftliche Beziehungen, wirtschaftliche Verbindungen, räumliche und zeitliche Relationen über die Stadt oder den Staat hinaus sowie ihre Wechselwirkungen zueinander geraten dabei in den Blick. Doug Saunders porträtiert seine arrival cities daher eher als städtisches Potential, Chance und Anfang denn als urbanes, stadtpolitisches Problem.

Dennoch, je nachdem wie stadtpolitisch mit den Ankunftsstädten umgegangen wird, gestaltet sich das Ankommen in Städten stark unterschiedlich. In seinen Ausführungen zeigt Doug Saunders auf, dass teilweise Phasen der stadtpolitischen Ignoranz und des stadtplanerischen Desinteresses an den Orten des Ankommens ihre Konsolidierung als Ankunftsstädte überhaupt erst ermöglichten. Damit einhergehend stellt Saunders die Etablierung von einerseits alternativen und selbstorganisierten Strukturen, andererseits von gewissen Machtverhältnissen innerhalb der Ankunftsstädte heraus. Regulierendes Eingreifen des Staates oder der Stadt in die Logiken der Ankunftsstädte, wie beispielweise in Favelas oder Slums, waren demnach immer wieder geprägt durch Zerstörung, Umsiedlung oder Aufwertung und sind somit nicht grundsätzlich als positiv zu werten. Sowohl ihre Ablehnung wie auch ihre Akzeptanz führten so in verschiedenen Beispielen zur Einschränkung der Entfaltung der Ankunftsstädte. Gleichzeitig zeigen aber auch Beispiele der Inklusion und Urbanisierung der Orte des Ankommens, wie etwa durch ihre infrastrukturelle Anbindung und öffentliche Versorgung, aber auch durch ihre politische Anerkennung für mehr Zugang und Teilhabe über die Ankunftsstadt hinaus gesorgt werden kann. Immer wieder formuliert Doug Saunders daher auch Bedingungen für eine arrival city, damit diese auch tatsächlich als eine Ankunftsstadt funktionieren kann, also neuen Stadtbewohner_innen Möglichkeiten zur Teilhabe an städtischem Leben, Arbeiten und Wohnen eröffnet.

Von der arrival city zur deutschen Ankunftsstadt

Die Debatte um „Ankunftsstädte“ in Deutschland trägt trotz ihrer Konzepthaftigkeit aktuell durchaus zu einem Umdenken über sogenannte „Problemviertel“ bei, indem Potentiale, Innovationen und Möglichkeiten der Bewohner_innen der Ankunftsstädte hervorgehoben und auch anerkannt werden. Abgesehen vom Titel der zweiten Auflage geht von Saunders Buch auch eine deeskalierende Wirkung aus, welche eine Abwehrhaltung und Ablehnung gegenüber Ankommenden entkräftet sowie Migration und Wanderungsbewegungen als gewöhnliche Prozesse in Städten und Metropolregionen versteht, an denen auch in Deutschland „Flüchtlingsbewegungen“ meist nur einen untergeordneten Anteil haben.

Ausgehend von einer journalistischen Betrachtung der arrival cities zur Konzeptionalisierung von Ankunftsstädten sind nichtsdestotrotz einige Widersprüchlichkeiten und auch Missverständnisse in der deutschen Adaption zu verzeichnen. Die aktuellen Debatten in Deutschland vernachlässigen den Aspekt des Verhältnisses zwischen Stadt und Land. Im Unterschied zu Saunders‘ Buch konzentriert sich das Aufgreifen der Idee der „Ankunftsstadt“ nahezu ausschließlich auf international Ankommende, hier vor allem auf geflüchtete Menschen, und dies wiederum besonders im Kontext von Wohnraumbeschaffung in Großstädten. Das ist der aktuellen politischen Situation in Deutschland geschuldet und mag durchaus sinnvolle Anknüpfungspunkte für akute Fragen der Unterbringung bieten.

Dennoch: Die von Doug Saunders beschriebenen arrival cities wurden nicht im Vorhinein geplant. Im Gegenteil, sie wurden erst in der Dynamik des Ankommens von den Ankommenden errichtet. Die starke Konzeptorientierung der „Ankunftsstadt“ dagegen, wie sie bisher von Architekt_innen und Stadtplaner_innen visioniert wird, arbeitet mit Hypothesen, welche Planungen für ein spezielles Klientel entwirft und damit Vorstellungen von Wohnen und Arbeiten vorgibt. Die Ideen der Planung stehen dabei im Widerspruch zur deutschen Einwanderungspolitik sowie zu Interessen des städtischen Wohnungsmarktes. Thesen wie die oben genannten blenden unter anderem aus, dass Städte eventuell gar nicht attraktiv sein wollen für Ankommende, dass strenge Auflagen des Feuerschutzes, der Bebauungspläne etc. solche Bauten der Marke „Eigenbau“, wie sie in Favelas oder Slums vorkommen, nicht zulassen, dass geflüchtete Menschen offiziell keinerlei Arbeit nachgehen dürfen. Vor allem erscheint jedoch fragwürdig, dass das Thema der Ankunftsstädte für geflüchtete Menschen als Planungsthema verstanden wird, an dem Expert_innen und Studierende neue Themen und Möglichkeiten erschließen und erproben können, während Ankommende selbst in den meisten Fällen an der Planung und Diskussion um das Ankommen und um Orte des Ankommens kaum beteiligt werden.

Stadtplanerische und architektonische Ideen zur arrival city tragen momentan dazu bei, auf politischer Ebene die Diskussionen um Stadt, Migration und Wohnraum neu zu denken. Implizit ist in diesen Diskussionen ein migrationspolitischer Wandel angelegt, da deutsche Städte darin nun von Planer_innen selbst als legitime Orte für Ankommende skizziert werden. So wird versucht, Fehler im Umgang mit den „alten“ Orten des Ankommens der „Gastarbeiter_innen“ in der Bundesrepublik nicht zu wiederholen. Mit den ursprünglich formulierten arrival cities von Saunders haben diese Planungen jedoch wenig zu tun. Dort spielen eigenständige Dynamiken des Ankommens, des Selbstorganisierens, der Netzwerke und der Herausbildung von Strukturen sowie kollektive Prozesse eine viel bedeutendere Rolle, was einer Planbarkeit und Konzeptionalisierung der arrival city als neue Steuerungsform von Ankommenden widerspricht. Der noch recht jungen Debatte, die in Deutschland bisher vor allem von Architekt_innen und Stadtplaner_innen geführt wird, fehlen daher noch Stimmen und Erfahrungen von Ankommenden und bereits Angekommenen sowie von politischen Entscheidungsträger_innen, um einschätzen zu können, inwieweit hier tatsächlich tragfähige Ideen für die Stadtgesellschaften entwickelt werden. Derzeit ist also noch nicht abzusehen, ob das Konzept arrival city als Modethema einzuordnen ist oder ob es dazu geeignet ist, einen progressiven Wandel im Umgang mit Ankommenden in deutschen Städten herbeizuführen.

Weitere Inhalte

Katharina Schmidt ist Geographin und promoviert am Institut für Geographie der Universität Hamburg zu Fragen der Geographien der Obdach- und Wohnungslosigkeit im globalen Kontext.