Das ARD-Magazin Panorama hat im Juni 2016 auf Grundlage der Empirica-Systeme-Marktdatenbank die Bezahlbarkeit von Neubauwohnungen untersucht. Deutlich wurde: Lediglich 16,5 Prozent aller in Deutschland errichteten Neubauwohnungen sind für Normalverdienende bezahlbar
Diese Untersuchung zeigt, dass der Wunsch vieler Städte und Kommunen nach Schaffung bezahlbaren Wohnraums und das Streben vieler privater Bauträger und Investoren nach einer hohen Rendite auf das investierte Kapitel schlicht nicht zusammenpassen. Gleichzeitig macht sie aber auch deutlich, dass die gegenwärtig von der Bundesregierung und vielen Landesregierungen favorisierten Neubauprogramme – wie beispielsweise die Wohnungsbau-Offensive des Bundes oder das Berliner Bündnis für Neubau – nicht ohne Weiteres den derzeitigen Mangel gerade an kostengünstigem Wohnraum beheben können. Trotz aller Appelle und gegenläufiger Rhetorik ist der Markt keineswegs in der Lage, Wohnraum für alle und insbesondere für einkommensschwache Haushalte zur Verfügung zu stellen.
QuellentextSabine Horlitz
Anders gesprochen: Es gibt einen Konflikt und fundamentalen Widerspruch zwischen den warenförmigen und profitorientierten Aspekten der Bereitstellung von Wohnraum und seinem viel grundsätzlicheren Zweck – der Schaffung angemessener und bezahlbarer Wohnverhältnisse für alle
Für eine gewisse Zeit schien der kommunale und staatlich geförderte (soziale) Wohnungsbau entgegen aller Kritik eine Alternative zum privatwirtschaftlichen Wohnungsmarkt darzustellen. Doch auch die staatlich geförderte Bereitstellung von Wohnraum für Menschen mit einem geringen Einkommen hat ihre Tücken. Anders als in den meisten west-europäischen Ländern ist der soziale Wohnungsbau in Deutschland als ein Wohnungssegment konzipiert, in das der Staat zwar temporär interveniert, in dem aber prinzipiell Marktmechanismen wirken sollen. Die staatlichen Eingriffe haben lediglich zum Ziel, in der Wohnungswirtschaft zeitlich begrenzt Sozialmieten zu ermöglichen. Nach Ende des Förderzeitraums und Tilgung der Darlehen – je nach Förderweg und konkreter Fördervereinbarung meist zwischen 25 und 45 Jahren – können alle sozialen Bindungen aufgehoben und die staatlich geförderten Wohnungen zu marktüblichen Mieten angeboten werden
So lange sich ein Großteil der aus der Sozialbindung entlassenen Wohnungen im Bestand gemeinnütziger Wohnungsgesellschaften befand, hatte diese Regelung nur geringe Konsequenzen, da das frühere Bundesgesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen die Verwertungsmöglichkeiten des ihm unterliegenden Wohnraums begrenzt hatte. Das erwirtschaftete Kapital war im Unternehmen zweckgebunden und konnte über eine zugelassene Rendite von vier Prozent hinaus nicht ausgezahlt werden. Der gemeinnützige, in der Regel kommunale Wohnungsbestand war somit für Investoren nicht interessant. Mit Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Zuge der Steuerreform 1990 wurden jedoch marktübliche Gewinnmargen möglich. Ein beträchtlicher Teil der Wohnungen in kommunalem Besitz wurde zur kurzfristigen Sanierung der kommunalen Haushalte privatisiert und verkauft, oft an internationale Finanzinvestoren. Die staatliche Förderung blieb auf diese Weise nicht in den baulichen Objekten gebunden, sondern generierte private Profite
Es ist also derzeit nicht nur ein Marktversagen, sondern – folgt man der Auffassung, dass Wohnraum als Existenzgut dem Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge zuzurechnen ist – auch ein Staatsversagen in der Herstellung und dauerhaften Sicherung bezahlbaren Wohnraums insbesondere für jene zu beobachten, die sich nicht aus eigener Kraft am Markt mit angemessenem Wohnraum versorgen können
Im Folgenden sollen einige Organisationen und Modelle vorgestellt werden, die über das bekannte und bereits etablierte Genossenschaftsmodell hinaus für einen nicht gewinnorientierten Umgang mit Wohnraum bzw. Grund und Boden eintreten. Ihr Ziel ist es, diese von einer Ware zu einem kollektiven Gut zu transformieren und so beispielhaft eine Alternative zur Dominanz des marktliberalen Systems aufzubauen.
Diese zivilgesellschaftlichen, nicht-gewinnorientierten Eigentumsmodelle sind, das soll hier betont werden, nicht als Gegenargument zum kommunalen oder staatlich geförderten sozialen Wohnungsbau zu verstehen. Insbesondere angesichts einer wieder erstarkten Bewegung für eine Rekommunalisierung ehemals privatisierter staatlicher Dienste und der Diskussionen um einen neuen sozialen bzw. gemeinnützigen Wohnungsbau kann eine Untersuchung dieser alternativen Eigentumsmodelle und ihrer Funktionsweise für die derzeitigen stadtpolitischen Debatten zahlreiche Impulse und Anknüpfungspunkte bieten.
Das Stiftungsmodell
Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Reihe von Stiftungen und Initiativen, die den Umgang mit Grund und Boden als zentrale stadt- und wohnungspolitische Kategorie identifiziert und Wege gefunden haben, diesen aus den Warenströmen herauszulösen, der Spekulation zu entziehen und dauerhaft für soziale und gemeinnützige Zwecke wie bezahlbares und gemeinschaftliches Wohnen zu sichern. Zu den bekannteren Organisationen gehören die Schweizer Stiftung Edith Maryon und die deutsche Stiftung Trias
Die Stiftungen entwickeln in der Regel die Liegenschaften nicht selbst, sondern arbeiten mit Initiativen und Projekten zusammen, denen sie, wenn nötig, auch beratend zur Seite stehen. Das gilt etwa für die Projektentwicklung, für die Erarbeitung alternativer Rechtsformen und Finanzierungsmodelle oder für die Konzeption von Selbstverwaltungsstrukturen.
Siftungsmodell
Auf den Grundstücken können Wohn- und Arbeitsprojekte, Gewerbeeinheiten oder auch soziale Einrichtungen realisiert werden. Die Nutzer*innen schließen zu diesem Zweck Erbbaurechtsverträge mit der Stiftung ab und erhalten damit „Eigentum auf Zeit“ sowie eigentumsgleiche Rechte in der Nutzung der Liegenschaft. Im Erbbaurechtsvertrag werden die Zielsetzungen des Projekts – etwa die Nutzungen, die soziale Orientierung und die grundsätzliche Unverkäuflichkeit – auch über die Lebensdauer der anfänglich Beteiligten hinweg festgeschrieben. Die Stiftung agiert somit als Hüterin der ideellen Ziele und Gegengewicht zu den sich möglicherweise ändernden Partikularinteressen der Nutzer*innen.
Die 1990 gegründete Stiftung Edith Maryon umfasst mittlerweile über 100 Projekte in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Ungarn und Frankreich. Sie besitzt ein Anlagevermögen im Wert von 156 Millionen Franken, das sich aus einem Startkapital von lediglich 12.000 Franken entwickelt hat
Das Mietshäuser Syndikat
Anders als die vorgestellten Stiftungen ist das Mietshäuser Syndikat weniger aufgrund konzeptioneller Überlegungen zur Bodenfrage entstanden, sondern aus dem Kontext der Instandsetzungsbewegung der 1980er Jahre hervorgegangen. Das Syndikat ist sowohl ein Netzwerk selbstorganisierter Hausprojekte als auch eine kollektive Eigentumsform. Es wurde 1992 in Freiburg gegründet und ist mittlerweile bundesweit aktiv. Als Organisation wie als rechtlicher Rahmen ist es eine Reaktion auf die oftmals desillusionierende Erfahrung, dass anfänglich idealistische, nicht profitorientierte Wohnprojekte (etwa ehemals besetzte Häuser oder Genossenschaften) im Laufe der Jahre von ihren Bewohner*innen doch für Gewinn veräußert wurden oder plötzlich nur noch einigen wenigen gehörten. In diesem Sinn besteht die zentrale Idee des Syndikats darin, einen Rahmen zu bieten, der sicherstellt, dass die jeweiligen Hausprojekte dauerhaft dem profitorientierten Markt entzogen werden
Um einen Ausverkauf kollektiven Eigentums dauerhaft unmöglich zu machen, adaptierte das Syndikat eine sehr spezifische rechtlich-organisatorische Struktur: Die Bewohner*innen des Hauses sind nicht die alleinigen Eigentümer*innen des Projekts. Dieses gehört vielmehr einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Hausbesitz-GmbH. Diese GmbH setzt sich aus zwei Gesellschaftern zusammen: dem Verein der im Haus Organisierten und der Mietshäuser Syndikat GmbH, der übergeordneten Dachorganisation. Letztere wiederum hat nur einen Gesellschafter, den Verein Mietshäuser Syndikat, in dem alle Hausprojekte Mitglied sind. In diesem Fall wird das Eigentum an den Gebäuden vom Eigentum an dem darunterliegenden Grund und Boden getrennt.
Mietshäuser Syndikat
Die Struktur des Syndikats ist im Grunde ein zirkuläres Modell, in dem die einzelnen GmbHs jedes Hausprojekts die Grundmodule der Gesamtstruktur bilden. Das Mietshäuser Syndikat als Gesamtorganisation ist ihre Verbindung. Mithilfe der Hausbesitz-GmbH wird letztlich sichergestellt, dass das Haus weder den Mieter*innen noch dem übergeordneten Syndikat gehört. Die Mieter*innen (als Gesellschafter 1) haben normale Mietverträge mit der Hausbesitz-GmbH und entscheiden über alle das Projekt betreffenden Dinge von der Gestaltung bis zur Finanzierung. Die Mietshäuser Syndikat GmbH (als Gesellschafter 2) besitzt vor allem Kontrollfunktion. Sie hat ein Vetorecht im Falle eines angestrebten Verkaufs und bei Satzungsänderungen und garantiert so die langfristige Unverkäuflichkeit der Hausprojekte, unabhängig von eventuellen Verwertungsgedanken zukünftiger Mieter*innen.
Auf diese Weise wird eine eigentlich grundkapitalistische und gar nicht alternative Rechtsform – die Gesellschaft mit beschränkter Haftung – zu einem Mittel der Auflösung individuellen Eigentums. Durch seine Organisationsstruktur stellt das Syndikat sicher, dass die einzelnen Projekte nicht kapitalisiert werden können, sondern auch langfristig kollektives Eigentum bleiben. Gegenwärtig gibt es über 100 Hausprojekte im Verbund des Syndikats mit einer Gesamtinvestitionssumme von ca. 90 Millionen Euro.
Der Community Land Trust
Auch für das dritte hier vorgestellte Modell, den US-amerikanischen Community Land Trust (CLT), ist eine geteilte Eigentumsstruktur zentral.
Community Land Trust (CLT)
Die Nutzer*innen – seien es Bewohner*innen von Einfamilienhäusern, Gewerbetreibende oder ganze Körperschaften wie beispielsweise Genossenschaften – erwerben die baulichen Strukturen. Das Land jedoch bleibt im Eigentum des Trusts und wird mittels eines langfristigen, in der Regel auf 99 Jahre angelegten Erbbaurechtsvertrags verpachtet. Dieser ist, ähnlich wie im Stiftungsmodell, ein wesentliches Werkzeug der dauerhaften Sicherung marktfernen Wohnraums. Der Vertrag enthält alle Regelungen, um die Nutzung und langfristige Bezahlbarkeit des Wohnbestands zu garantieren, von der Begrenzung des Weiterverkaufspreises bis hin zu Einkommensgrenzen zukünftiger Nutzer*innen.
Ein weiteres wesentliches Kennzeichen der CLTs besteht in der Art, wie diese verwaltet werden. CLTs sind sogenannte „community-based organizations“. Anders als in den meisten alternativen Wohnmodellen oder Genossenschaften werden die relevanten Entscheidungen im CLT nicht nur von den Nutzer*innen getroffen. Der Vorstand der Trusts besteht in der Regel zu einem Drittel aus Pächter*innen, zu einem Drittel aus Menschen der Nachbarschaft und zu einem weiteren Drittel aus öffentlichen Personen. Auf diese Weise begrenzen die CLTs die Kontrolle der Bewohner*innen und betonen stattdessen die nachbarschaftliche und öffentliche Kontrolle – eine Form von Verwaltung, die das Verständnis des gesellschaftlichen Charakters von Grund und Boden, das für die CLTs so zentral ist, reflektiert
In den USA gibt es derzeit um die 250 CLTs. Mittlerweile werden auch in Kanada, Großbritannien, Belgien und Neuseeland vergleichbare Trusts gegründet.
Elemente alternativer Finanzierung
Auch wenn die vorgestellten Organisationen angetreten sind, um Wohnraum dauerhaft dem Markt zu entziehen, müssen sie unweigerlich in diesem agieren und stehen als nicht-gewinnorientierte, oftmals kapitalarme Träger zahlreichen Finanzierungsschwierigkeiten gegenüber. So ist es für viele Projekte nicht ohne Weiteres möglich, den für einen Bankkredit notwendigen Eigenkapitalanteil aufzubringen. Um dennoch handlungsfähig zu sein, wurden in den letzten Jahren durch zahlreiche Projektträger alternative Finanzierungsansätze entwickelt. Diese nutzen beispielsweise das Potenzial gemeinnütziger Aktiengesellschaften, die Möglichkeiten des Crowdfunding oder legen sogenannte Projektbriefe auf.
Im Fall des Mietshäuser Syndikats hat sich darüber hinaus die Anwerbung von kleinen, oft solidarischen Privatkrediten als Möglichkeit der Bereitstellung des Eigenkapitalanteils bewährt. Das Syndikat hat zudem einen internen Solidarfonds initiiert, der insbesondere langfristig einer internen Umverteilung zwischen alten und neuen Projekten dienen und letzteren bei der Finanzierung helfen soll.
Diesen alternativen Finanzierungsansätzen ist in der Regel zu eigen, dass das benötigte Eigenkapital nicht von den einzelnen Nutzer*innen individuell aufgebracht werden muss, sondern von dem jeweiligen Projekt als Ganzem. Auf diese Weise ist es möglich, dass auch Menschen mit wenig Geld oder solche, die auf Transferleistungen angewiesen sind, am Projekt teilnehmen können. Dennoch sind viele dieser Vorhaben zusätzlich auf Fördergelder angewiesen. Diese bleiben jedoch, anders als bei der Förderung des privaten Eigenheimbaus, in den jeweiligen Projekten eingeschlossen und können nicht in Gewinne Einzelner überführt werden.