Bedeutung von Gentrifizierung
„Gentrifizierung“ bezeichnet zumeist die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere Haushalte in innerstädtischen Quartieren, somit einen wichtigen Aspekt der Auswirkung sozialer Ungleichheit auf den Wohnungsmärkten. Es kann aber auch die Verdrängung gewerblicher Nutzer durch profitablere Nutzungsformen, sei es Wohneigentum oder andere geschäftliche Nutzungen, beinhalten. Den Ursprungsbegriff „gentrification“ führte die Engländerin Ruth Glass bereits 1964 ein. Sie beschrieb seinerzeit die soziale Veränderung eines Londoner Arbeiterviertels durch den Zuzug von Angehörigen der Mittelschicht. Dabei bediente sie sich einer Analogie zum 18. Jahrhundert, als Angehörige des grundbesitzenden niederen Adels, der „landed gentry“, auf ihre Liegenschaften in die Innenstädte zogen.
Populär wurde der Begriff in der und durch die Stadtforschung der 1980er Jahre in England und den USA. In den USA ging es dabei vor allem um die ökonomische Aufwertung von Grundstücken und Immobilien in Armutsquartieren, die in der Nähe prosperierender Geschäftszentren von Großstädten lagen. Während die Stadtverwaltungen und die offizielle Politik diesen Prozess als „Revitalisierung“ der Innenstädte begrüßten, beklagten Kritiker die Verdrängung der meist afroamerikanischen und hispanischen Bewohner aus den Vierteln. Schon damals erkannten Stadtforscher, dass Gentrifizierung nur ein Element innerhalb eines weit umfassenderen Strukturwandels der Städte darstellte, dass zu diesem Strukturwandel wesentlich die Verschiebung von der Industrie- zur Dienstleistungsbeschäftigung gehörte sowie dass dieser Strukturwandel in den USA bereits seit den 1970er Jahren von einer wachsenden Polarisierung der Einkommen und Vermögen begleitet wurde.
Auch die deutsche Diskussion um die Ursachen und Folgen der Gentrifizierung findet vor dem Hintergrund einer Tertiarisierung in der Beschäftigungsstruktur der Großstädte und einer seit den 1990er Jahren zu verzeichnenden Polarisierung in der Verteilung von Einkommen und Vermögen statt.
Formen der Gentrifizierung
Gentrifizierung geht auf einen Anstieg der Mieten und Eigentumswerte sowie, verzögert, der Grundstückspreise zurück. Betroffen sind vor allem zentrale, innerstädtische Lagen mit Altbaubestand oder kleinteiliger industrieller Nutzung in Gebäuden aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Die Umwandlung von Wohngebieten kann von „innen“, durch die Modernisierung von Wohnungen durch die Eigentümer, angestoßen werden oder von „außen“, zum Beispiel durch den Zuzug von Bewohnern mit größeren finanziellen Ressourcen oder zunächst auch nur mit der Ressource höherer Bildung. In der Regel ist dieser zweite Ausgangspunkt gemeint, wenn von Gentrifizierung die Rede ist. Der als typisch angesehene Prozess der Gentrifizierung erfolgt demnach in verschiedenen Phasen, in denen jeweils unterschiedliche Akteure zum Zug kommen. Dabei geht eine symbolische In-Wert-Setzung des Viertels der ökonomischen voraus.
Phasen der Gentrifizierung
Die sogenannten „Pioniere“ der ersten Phase haben wenig Geld, aber in der Regel „kulturelles Kapital“ und ihre eigenen Lebensentwürfe, die sie verwirklichen wollen. Sie suchen und finden ihre Nische in der sozialen und ethnischen Vielfalt des Viertels. Ohne es zu intendieren, bereiten sie die Infrastruktur für die zweite Phase vor, machen das Viertel durch Kneipen, Galerien usw. für Außenstehende interessant.
Dadurch ziehen sie weitere Pioniere an, aber auch die erste Generation der sogenannten Gentrifizierer, Paare mit höherer Schulbildung und höherem Einkommen, die bereits den Trend zur besseren Wohngegend wahrnehmen und nutzen wollen. In dieser Phase beginnen sich schon Immobilienmakler und Banken für das Gebiet zu interessieren. Einzelne Modernisierungen werden vorgenommen, die Mieten steigen, sind aber noch immer günstig. Erste alteingesessene Haushalte ziehen aus, insbesondere nach Mieterhöhungen in Folge der Modernisierungen.
In der dritten Phase verstärkt sich der Zuzug der „Gentrifizierer“ und es kommt zu Konflikten mit den „Pionieren“, die sich der Umwandlung „ihres“ Viertels widersetzen. Die Infrastruktur der Restaurants und Geschäfte ändert sich, auch die Gewerbemieten steigen und mit ihnen die Preise der angebotenen Leistungen. Modernisierungen nehmen zu, ebenso die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Vermehrt verlassen Bewohner aus der ersten Phase, darunter auch Pioniere, das Viertel, sei es, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen können, sei es weil sie den veränderten Charakter des Viertels ablehnen. Andere, die selbst zu Wohneigentümern wurden, profitieren von der Wertsteigerung.
In der vierten Phase schließlich ziehen die einkommensstärksten Haushalte nach, „das Gebiet gilt als eine sichere Kapitalanlage“ (Friedrichs 2000, S. 61). In dieser Phase kann das Viertel, je nach Lage, selbst für Angehörige der Mittelklassen zu teuer werden, insbesondere beim Wohnungswechsel. Man kann dann von einer „Hypergentrifizierung“ sprechen, der selbst die „gentry“ finanziell nicht gewachsen ist.
An diesem empirisch gestützten, aber gleichwohl stilisierten Modell einer regelmäßigen Phasenabfolge von „Invasion“ und „Sukzession“ (Verdrängung) ist eine wichtige Relativierung angebracht. Sie betrifft die zeitliche Streckung und die Tiefe der Gentrifizierungsprozesse. Dem idealtypischen Verlaufsmuster nach stellt Gentrifizierung lediglich eine Übergangskonstellation dar, innerhalb derer ein Austausch in der sozialen Zusammensetzung der Bewohnerschaft stattfindet. Arme und einkommensschwächere Haushalte werden durch wohlhabendere und schließlich ausgesprochen wohlhabende Haushalte ersetzt. Die Klassenstruktur des Gebiets ändert sich vollständig. Tatsächlich kann sich der Prozess aber über erhebliche Zeiträume erstrecken, kann lange Zeit eine soziale Mischung erhalten bleiben, wenn auch in mehr oder weniger stark veränderten Proportionen. Dies gilt selbst für gentrifizierte Nachbarschaften in New York City, wie Freeman zeigt. Wie lange dies der Fall ist, hängt nicht zuletzt von politischen Interventionen in den Wohnungsmarkt ab.
Auch für die ökonomische Aufwertung von Flächen und Immobilien mit gewerblicher Nutzung und die Verdrängung von Betrieben in zentralen städtischen Lagen gilt, dass ihr häufig eine symbolische Um- und Aufwertung vorausgeht. Exemplarisch wurde dies für das „loft living“ in Lower Manhattan gezeigt. Dort waren es Künstler, die Fabriketagen in Ateliers umgewandelt hatten, die den „postmodernen“ und „postindustriellen“ Lebensstil interessant machten. Damit bereiteten sie die Umnutzung in Galerien, Wohneigentum und teure Geschäfte vor, die zur weiteren Verdrängung kleiner Industriebetriebe aus Manhattan führte. Die ökonomische Aufwertung von Wohngebieten im schrittweisen Invasions-Sukzessionszyklus von Bewohnergruppen unterschiedlicher Einkommenskategorien kann als nachfragegetriebene Gentrifizierung charakterisiert werden. Daneben (und in Deutschland überwiegend) findet die Wertsteigerung von Wohnungsbeständen durch Umnutzung städtischer Räume allerdings auch auf anderen, direkteren Wegen statt.
Die Kommunen selbst können Gentrifizierung in Gang setzen, indem sie Wohngebiete als Sanierungsgebiete ausweisen und Investitionen steuerlich begünstigen. Als „externe“ Anstoßgeber der Gentrifizierung wirken zudem politisch initiierte Großprojekte oder die Errichtung von Bürokomplexen oder Enklaven von Luxuswohnungen durch private Investoren in räumlicher Nähe. Sie strahlen erfahrungsgemäß sogar noch rascher auf die Boden- und Mietpreise in benachbarten Wohngebieten aus als Gentrifizierung durch Zuzug. In beiden Fällen kann man von angebotsgetriebener Gentrifizierung sprechen. Städte (verschuldete zumal) befinden sich im Wettbewerb um Investitionen und neigen deshalb dazu, bei Flächennutzungsordnungen möglichst profitablen Nutzungen den Vorzug vor Bestandsschutz (sowohl in Wohn- wie in Gewerbegebieten) zu geben.
Die Kehrseite der „Gentrifizierung“ in ihren verschiedenen Spielarten sind die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte und gleichzeitig die Verknappung des für sie erschwinglichen Segments am Wohnungsmarkt. Verdrängung kann unterschiedliche Formen annehmen. Sie kann eine direkte Folge von Mietsteigerungen sein, etwa nach einer Modernisierung der Wohnung oder des Gebäudes durch den Eigentümer. Sie kann aber auch durch Abfindungen versüßt oder durch Schikanen erzwungen werden. Die Verknappung findet innerhalb des Viertels durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen statt oder durch Mietsteigerungen bei Neuvermietung.
Ursachen von Gentrifizierung
Der ökonomische Anreiz zur Gentrifizierung ergibt sich aus der so genannten „Rentenlücke“ („rent gap“). Damit ist die Diskrepanz zwischen den aktuell realisierten und den potenziellen Erträgen des Grundstücks bzw. der darauf errichteten Immobilie („value gap“) gemeint. „Rentenlücken“ entstehen in innerstädtischen Wohngebieten, in denen vor der Gentrifizierung wenig investiert wurde (oder gar, wie in den USA, Investitionen abgezogen wurden).
Auch in Deutschland trug dazu die in den 1960er und 1970er Jahren verfolgte Politik der Suburbanisierung entscheidend bei, indem sie Eigenheimbau und die Errichtung von Großsiedlungen an den Stadträndern förderte. Das Wohnen in den Kernstädten verlor an Attraktivität. Suburbanisierung fiel mit einem tiefgreifenden ökonomischen Strukturwandel zusammen. Industrielle Arbeitsplätze gingen verloren, die Beschäftigung konzentrierte sich mehr und mehr in den Dienstleistungsbranchen. Damit veränderte sich zugleich die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung in den zentral gelegenen Arbeitervierteln. Arbeitsmigranten und ihre Familien zogen auf der Suche nach erschwinglichem Wohnraum in die Viertel, die „Einheimische“ verließen, die es sich leisten konnten. Und mit der Rückkehr der Arbeitslosigkeit, die vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter betraf, nahm auch die Armut in den Vierteln zu.
Rentenlücken
„Rentenlücken“ treten auf, wenn sich in diesen innerstädtischen Quartieren neue Gewinnmöglichkeiten eröffnen. Wieder greifen dabei verschiedene Faktoren ineinander: die zunehmende Bedeutung von Wissensproduktion in der städtischen Ökonomie; veränderte Wohnortpräferenzen, verbunden mit zahlungskräftiger Nachfrage; die Strategien institutioneller Anleger in den Wohnungsmärkten sowie politische Interventionen.
Nach den Phasen des Bevölkerungsrückgangs oder der Bevölkerungsstagnation von den 1970er bis zu den 1990er Jahren wächst die Bevölkerung in einer Reihe deutscher Großstädte wieder. Dies gilt gerade für solche Städte, in denen die „Wissensökonomie“ (forschungsintensive Industrien, wissensbasierte Dienstleistungen einschließlich der Kulturwirtschaft) expandiert und die Forschungs-, Bildungs- und Kultureinrichtungen vorzuweisen haben. Sie sind attraktiv insbesondere für jüngere Bevölkerungsgruppen, die in den wissensintensiven Beschäftigungsfeldern arbeiten, in Verbindung damit auf face-to-face Kontakte angewiesen sind (nicht zuletzt zur Bewältigung häufig instabiler Beschäftigungsverhältnisse) und urbane Diversität schätzen. Dazu kommt die neuerliche Anziehungskraft von Kernstädten für junge Familien, wenn beide Eltern erwerbstätig sind, wegen der Nähe von Wohnung, Arbeitsplatz und sozialen Dienstleistungen wie Kitas.
Damit verstärkt sich die Konkurrenz um attraktiven und bezahlbaren innerstädtischen Wohnraum. Der Rückzug des Bundes aus dem öffentlichen Wohnungsbau in den 1980er Jahren, die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände durch die Kommunen und die kommunale Förderung von Sanierungsprojekten trugen zu dessen Verknappung bei. Hinzu kommt die zunehmende Polarisierung der Einkommen und Vermögen, die in Deutschland seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu beobachten und in den Stadtregionen besonders ausgeprägt ist. Immobilien sind zur lukrativen Anlagemöglichkeit für die privaten Besitzer und institutionellen Verwalter des national wie international immer ungleicher verteilten gesellschaftlichen Reichtums geworden.
Warum stellt Gentrifizierung ein Problem dar?
Seine Wohnumgebung wählen zu können, ist unter den Bedingungen von Wohnungsmärkten ein Privileg derer, die es sich finanziell leisten können. Umgekehrt stellt der Zwang, gegen den eigenen Willen eine Wohnung verlassen zu müssen, weil andere ihre Wahlentscheidung getroffen haben, immer eine problematische Folge von Ungleichheit dar. Dagegen richten sich breite Proteste unter der Losung „Recht auf Stadt“. Fällt Verdrängung mit Verknappung erschwinglichen Wohnraums zusammen, ergibt sich ein weiteres Problem. Die Konzentration von Armut in den Wohnungsbeständen und Quartieren, die dann noch zur Verfügung stehen, nimmt zu.
Gemeinhin wird das Thema „Gentrifizierung“ in der medialen Öffentlichkeit erst dann als Problem thematisiert, wenn es in Form der „Hypergentrifizierung“ die Mittelklassen erreicht. Sehr viel gravierender aber sind die (in der Öffentlichkeit meist nicht skandalisierten) Folgen der Verknappung von Wohnraum für einkommensschwache Haushalte. Räumlich konzentrierte Armut zeitigt problematische „Kontexteffekte“. Denn sie fügt den Benachteiligungen, die bereits aus der sozialen Lage entspringen, noch weitere hinzu: eine „schlechte Adresse“, die bei Bewerbungen im Weg steht; eine schlechtere Ausstattung und Qualität von Dienstleistungen und Infrastruktur; eine Verengung der Sozialkontakte im Nahbereich auf Menschen in ähnlicher Lage, die deshalb auch wenig Ressourcen vermitteln können. Dies wiederum befördert soziale Ausgrenzung und die soziale Spaltung der Städte.
Wenn die räumliche Konzentration von Armut ein Problem darstellt, könnte dann Gentrifizierung aber nicht auch ein Teil der Lösung sein? Denn immerhin verändert sich durch den Zuzug wohlhabender Bewohnergruppen in ein innerstädtisches Wohngebiet mit zuvor überdurchschnittlichen oder gar überwiegenden Anteilen von einkommensschwachen Haushalten zunächst die soziale Mischung. Dort zumindest geht die Konzentration von Armut zurück. Könnten daraus nicht auch positive Effekte für die alteingesessenen Bewohner erwachsen?
Dies würde zunächst voraussetzen, dass die erweiterte soziale Mischung erhalten bleibt. Es wäre also politischer Wille gefordert, den Invasions-Sukzessionszyklus gezielt zu verlangsamen und eine neue Balance von sozialer Mischung durch Eingriffe in den Wohnungsmarkt (Mietpreispolitik, Maßnahmen gegen Spekulation, Erhaltungssatzung und öffentlicher Wohnungsbau) zu stabilisieren.
Soziale Mischung allein reicht allerdings nicht aus, um positive Effekte zu erzeugen. Dies gilt selbst dann, wenn es gelingt, sie über einen langen Zeitraum zu gewährleisten. Im Zuge von Gentrifizierung verbessert sich in der Regel zwar die öffentliche Infrastruktur im Quartier. An der sozialen Lage einkommensschwacher Haushalte ändert die Nähe zu besser gestellten Haushalten zunächst aber wenig. Räumliche Nähe sorgt noch nicht von sich aus dafür, die soziale Distanz zu überbrücken, die Menschen voneinander trennt. Sie bildet auch nicht ohne weiteres die Grundlage dafür, auf das Quartier und ihre Bewohner bezogene gemeinsame Interessen zu entwickeln und zu vertreten. Damit dies geschehen kann, bedarf es besonderer Anlässe und gezielter, organisierter und institutionalisierter Anstrengungen.
Eine zentrale Bedeutung kommt dabei den Schulen zu. Denn das Prinzip der Nachbarschaftsbindung der Schülerschaft in der ersten Schulstufe zwingt geradewegs dazu, die (vor allem im internationalen Vergleich aufgezeigten) Vorteile sozialer Mischung für gemeinsames Lernen zu nutzen und dabei die Eltern einzubeziehen. Dies setzte allerdings zweierlei voraus: die politische Gewährleistung einer hohen Qualität in diesen Schulen, damit die Eltern aus den Mittelklassen nicht das Prinzip der Nachbarschaftsbindung umgehen; und die politische Gewährleistung von erschwinglichem Wohnraum für einkommensschwache Haushalte, damit auch diese für ihre Kinder die Qualität der Schulen nutzen können.