Stadt und demographischer Wandel
Strategien und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Schrumpfungsprozessen
Anja Nelle
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Der Umgang mit Schrumpfung ist und bleibt ein aktuelles Thema – zumindest in strukturschwachen Regionen. Anja Nelle fragt, wie eine langfristige Stabilisierung erfolgen kann.
Stadtentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen: ein aktuelles Thema?
Wohnungsdefizite in wachsenden Großstädten, Neubauprogramme und der Erhalt bezahlbaren Wohnraums stehen aktuell im Vordergrund der Stadtentwicklungsdebatten. Anfang des Millenniums dagegen war der Umgang mit urbaner Schrumpfung ein Fokus von stadtentwicklungspolitischen Diskussionen. Dieser Beitrag zeigt auf, wie es dazu gekommen ist, welche Politiken und Strategien entwickelt und welche Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu wird auf erfolgreiche Beispiele aus der Praxis eingegangen. Abschließend werden die aktuellen Herausforderungen und zukünftige Handlungsfelder skizziert. Denn der Umgang mit Schrumpfung ist und bleibt ein aktuelles Thema – zumindest für Landgemeinden, Klein- und Mittelstädte in strukturschwachen Regionen.
Zwar gab es 2015 in Deutschland das höchste Bevölkerungswachstum seit 1992. Das lag aber allein an der Zuwanderung aus dem Ausland. Langfristig erwarten Statistiker keine Auswirkung auf regionale Entwicklungstrends. Im Gegenteil: Zuwanderung verstärkt eher die ungleiche Entwicklung zwischen stark wachsenden Großstädten mit ihren Ballungsräumen und schrumpfenden Klein- und Mittelstädten.
Eine gleichmäßigere räumliche Entwicklung und Verteilung der Bevölkerung zeichnet sich momentan nicht ab. Im Zusammenhang mit der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern werden zwar Chancen und Hemmnisse für eine Steuerung diskutiert. Im Folgenden soll es aber nicht um übergeordnete Strategien der Wirtschaftsentwicklung, Zuwanderungspolitik oder des Stadtmarketings gehen, die anstreben, Entwicklungstendenzen zu ändern. Vielmehr soll der stadtplanerische Umgang mit dem Entwicklungstrend Schrumpfung aufgezeigt werden.
Auch wenn es einigen, vor allem größeren Städten wie Leipzig, Erfurt, Jena und Rostock nach einem Jahrzehnt des Bevölkerungsverlustes gelungen ist, auf den Wachstumspfad zurückzukehren, so werden sie die Ausnahme bleiben. Die Statistiken sprechen eindeutig dafür, dass Bevölkerungs- und Haushaltsrückgänge und damit auch Leerstände bis 2030 vielerorts dramatisch zunehmen.
Umgang mit Schrumpfung in Deutschland: Ausgangspunkt und staatliche Unterstützung
Die stadtplanerische Auseinandersetzung mit Schrumpfung begann in Deutschland um die Jahrtausendwende. Die meisten ostdeutschen Städte waren von drastischen Bevölkerungsverlusten betroffen. In Ostdeutschland standen 1 Mio. Wohnungen leer. Wohnungsleerstand war in unsanierten Altbauten bereits zu DDR-Zeiten verbreitet. Nun waren jedoch auch viele Wohnungen in den Plattenbaugebieten unbewohnt. Das brachte die kommunalen Wohnungsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Von ihrer Insolvenz wären die Kommunen als Anteilseigner und einige Landesbanken als Kreditgeber betroffen gewesen.
Im Jahr 2000 veröffentlichte eine vom Bund beauftragte Kommission die Expertise „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den Neuen Ländern“. Die Kommission empfahl eine planerische Auseinandersetzung mit Schrumpfung sowie die staatliche Förderung von Wohnungsabriss einerseits, von Investitionen in Altbauten und historische Innenstädte andererseits.
In der Folge wurde 2002 das Städtebauförderprogramm Stadtumbau Ost eingerichtet. „Mit der Auflage des Förderprogramms ‚Stadtumbau Ost‘ hat sich die deutsche Stadtentwicklungspolitik […] der Schrumpfung als neuartigem Thema der Stadtentwicklung gestellt“. [7]. Im internationalen Vergleich ist es eine Besonderheit, dass sich in Deutschland nationale Politiken mit Schrumpfung auseinandersetzen und Bund und Länder die Kommunen bei Anpassungsmaßnahmen finanziell und durch Wissenstransfer unterstützen. Der Umgang mit Schrumpfung war in Deutschland eng verknüpft mit diesem Programm, das seit 2017 mit dem „Schwesterprogram“ Stadtumbau West fusioniert wurde. Letzteres hatte sich überwiegend präventiv mit Schrumpfung auseinandergesetzt. In dem neuen Programm Stadtumbau werden aber nach wie vor auch viele Kommunen gefördert, um die Folgen von Bevölkerungsverlusten zu meistern. Zudem profitieren Kleinstädte, die nachhaltig von Bevölkerungsrückgängen betroffen sind, seit 2010 vom Bund-Länder-Städtebauförderprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden“. Die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge ist hier ein zentrales Thema.
Umgang mit Schrumpfung braucht Planung!
Anfang des Millenniums fehlten Vorbilder für den Umgang mit urbaner Schrumpfung – also konkrete Handlungshinweise für die Anpassung des „zu gross geworden Kleides“, der überdimensionierten Stadtstrukturen. Wie eine Stadt verschlanken, die mit ihrer industriellen Basis einen Teil ihrer Identität, ihrer Arbeitsplätze und ihrer Einwohner verloren hat? Was tun mit den leerstehenden Wohnungen und der nicht ausgelasteten Infrastruktur? Um diese grundlegenden Fragen mit einer möglichst breiten Basis der Stadtgesellschaften zu verhandeln, lassen sich Städte auf strategisch ausgerichtete Planungsprozesse ein.
In Vorbereitung des Programms Stadtumbau Ost lobte das Bundesbauministerium 2001 einen Wettbewerb aus. Rund 360 Städte erhielten Zuschüsse, um gemeinsam mit Wohnungs- und Versorgungsunternehmen sowie Bürgern Konzepte für den Umgang mit Schrumpfung in ihrer Kommune zu entwickeln. Die Dokumentation der Ergebnisse gibt einen Überblick der ersten Strategien im Umgang mit Schrumpfung.
Um Fördermittel von Bund und Land zu erhalten, müssen Städte dem Ministerium des jeweiligen Landes seither sogenannte „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte“ vorlegen. „Integriert“ zu planen bedeutet, dass die Stadt verschiedene Ressorts (Wohnungsbau, Bildung, Verkehr, Soziales etc.) sowie wichtige Akteure außerhalb der Stadtverwaltung (Wohnungs- und Versorgungsunternehmen) beteiligt. „Integriert“ bedeutet außerdem, die ganze Stadt sowie einzelne Stadtteile zu analysieren und Lösungsansätze zu entwickeln, die ineinandergreifen.
Typischer Weise erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung sowie der Perspektiven. Die Beteiligten arbeiten Handlungsbedarf, Leitbilder und Ziele heraus und legen räumliche Schwerpunkte und Maßnahmen fest: Wo werden wie viele Wohnungen abgerissen? Was passiert mit den Brachen? Was bedeutet das für die Wasser- und Abwasserversorgung? Welche Straßen und Plätze werden hergerichtet? Welche Schulen werden abgerissen oder saniert?
Städtebauliche Leitbilder und Strategien für Schrumpfung
Auf der Suche nach Anpassungsstrategien setzte sich in den 2000er Jahren in Ostdeutschland vielerorts das Konzept einer „Schrumpfung von außen nach innen“ durch. Die jüngeren Siedlungsgebiete in der Peripherie werden abgerissen. Das sind meist Plattenbausiedlungen aus den 1970er und 1980er Jahren bzw. ihre Randbereiche. Die Innenstadt und Quartierszentren dagegen werden gestärkt – durch Sanierung sowie neue Wohnungs- und Infrastruktureinrichtungen. Leitungen und Straßen werden angepasst. Ein finanzieller Vorteil der Konzentration ist, dass die Betriebs- und Unterhaltskosten kleinerer Leitungsnetze geringer sind.
Ein weniger radikales und häufiger umgesetztes städtebauliches Leitbild ist die „Entdichtung“ des Baubestandes, die im Zusammenhang mit der Freiraumentwicklung geplant wird. Wenn neue Parks, Spielplätze und Gärten auf Rückbauflächen entstehen, profitieren die Quartiere. Ein Nachteil und Kritikpunkt ist, dass der Abriss von Einzelgebäuden städtebauliche und soziale Zusammenhänge zerstören kann. Zudem erschwert eine geringere Auslastung der Wasser- und Abwassernetze den wirtschaftlichen Betrieb und es kann notwendig werden, Leitungsquerschnitte zu verringern.
Beide Leitbilder verknüpfen den Abbau von Überkapazitäten strategisch mit einer Qualitätsoffensive. Im Stadtumbau wird das als Verzahnung von Rückbau (d.h. Abriss) und Aufwertung beschrieben. Die städtebaulichen Leitbilder für die Gesamtstadt sind immer mit spezifischen Umbaustrategien für die Stadtteile verbunden.
Handlungsmöglichkeiten für den Abriss von Wohnungen
Die größte Chance für einen Abbau der Überkapazitäten an Wohnungen wurde in Ostdeutschland im Abriss von Plattenbaubeständen gesehen. Unterscheiden lassen sich der flächige Abriss ganzer Quartiere, der Abriss einzelner Baukörper und der Teilrückbau von Geschossen oder Segmenten.
Der Handlungsspielraum der Kommunen ist eingeschränkt, da sich die Wohngebäude meist nicht in ihrem Eigentum befinden. Deshalb streben sie eine enge Zusammenarbeit mit den lokalen, großen Wohnungsunternehmen an, denen die meisten Plattenbaubestände gehören. Die Herausforderung für die Kommunen liegt darin, dass die Unternehmen dort abreißen, wo es die städtebauliche Strategie vorsieht.
Als einen Abriss-Anreiz konnten die Kommunen Fördermittel für den Rückbau aus dem Stadtumbau-Ost-Programm nutzen. Damit wurde zwischen 2001 und 2014 der Abriss von ca. 312.000 Wohnungen gefördert. Das Programm ist von Wissenschaftlern dafür kritisiert worden, dass städtebauliche Belange in der Umsetzung vernachlässigt werden, die Bewohnerperspektive kaum wahrgenommen wird und öffentliche Gelder für die Rettung von Wohnungsunternehmen verwendet werden. Zudem wird das Festlegen von „Quartieren auf Zeit“ – also einer begrenzten Perspektive bis zum Abriss – kritisiert. Sozialräumliche Problemlagen sind dort entstanden, wo die Stadt nicht mehr investiert, weil die Quartiere mittelfristig abgerissen werden sollen, die Eigentümer aber „Dumping-Mieten“ für einkommensschwache Haushalte bereitstellen.
Die Praxiserfahrungen zeigen, dass der Rückbau mit wenigen Eigentümern einfacher umzusetzen ist. Gerade nicht lokale Investoren und internationale Fondgesellschaften blockieren Rückbaukonzepte, da sie kurzfristige Renditeabsichten verfolgen und sich nicht für die lokale Stadtentwicklung interessieren .
Bestände für den Abriss zu finden, wird heute schwieriger. Wohnungsunternehmen haben bereits viel abgerissen und fordern, dass sich jetzt andere Eigentümer an der Marktbereinigung beteiligen. Zudem sind die Wohnungsleerstände nicht mehr so konzentriert wie von 20 Jahren. In vielen Gebäuden stehen einzelne Wohnungen leer. Ganze Blöcke leerzuziehen, um sie abzureißen, gelingt nur, wenn verbleibende Bewohner zum Umzug bereit sind. Viele Haushalte sind jedoch schon mehrfach umgezogen.
Mit wenigen Ausnahmen (Hoyerswerda, Halle (Saale) und Frankfurt/Oder) hat es aus der Bevölkerung bislang kaum Proteste gegen den Abriss gegeben. Kommunen und Wohnungsunternehmen sehen den Grund dafür darin, dass die Bewohner, die umziehen mussten, individuell betreut wurden, Umzugshilfen und attraktive neue Wohnungen erhielten. Widerstand gegen den Rückbau formiert sich bei Bewohnern, die Mieterhöhungen befürchten. Sie werden von Politikern der Partei Die Linke unterstützt, die argumentieren, dass der Abriss von preisgünstigen Plattenbauwohnungen ein Defizit in diesem Marktsegment zur Folge haben werde.
Handlungsmöglichkeiten für die Anpassung der stätischen Infrastruktur
In den für den Rückbau vorgesehenen Wohnsiedlungen sowie für umzustrukturierende Industrie-, Gewerbe- und Militärbrachen spielt die Rückführung technischer Infrastrukturen eine wichtige Rolle. Sie bezeichnet den Abriss bzw. die Anpassung von Straßen und Wegen, von Versorgungsleitungen, Heizstationen etc. nach dem Rückbau. Für die Nachnutzung von Abrissflächen ist entscheidend, ob die technische Infrastruktur zurückgebaut wird. Verbleiben die stillgelegten Leitungen aus Kostengründen im Erdboden, so schränkt dies die Nachnutzung ein.
Für die Anpassung der technischen Infrastruktur sind die Kommunen auf die Mitwirkung der Versorgungsunternehmen angewiesen. Aus wirtschaftlichen Gründen favorisieren sie, Netzabschnitte stillzulegen statt die Querschnitte der Leitungen anzupassen. Letzteres ist jedoch notwendig, wenn Wasser und Abwasserleitungen wegen einer verringerten Anzahl von Nutzern nicht mehr ausreichend „durchgespült“ werden. Denn dann kann es zu Keimbildungen kommen.
Bei der Anpassung von Einrichtungen der sozialen Infrastruktur geht es in den Rückbaugebieten der Wohnsiedlungen meist um die Umnutzung oder den Abriss von absehbar nicht mehr nachgefragten Schulen und Kindertagesstätten, aber Schwimmbäder, Gemeinde- und Krankenhäuser können ebenfalls betroffen sein. Manchmal finden sich Nachnutzungen für Schulgebäude als Vereinshäuser oder Sozialstationen. Oftmals werden sie jedoch abgerissen. Dann müssen sich die Kommunen um eine sinnvolle Freiraumnutzung kümmern. Stadtforscher kritisieren jedoch, dass häufig öde Flächen zurückbleiben.
Im Rahmen der gesamtstädtischen Anpassung sozialer Infrastrukturen verfolgen einige Kommunen den Weg, Einrichtungen in Entwicklungsgebiete zu verlagern, um deren Attraktivität als Wohnstandort zu steigern. Sie siedeln Bildungs-, Kultur- oder Verwaltungseinrichtungen auf Flächen und in Gebäuden brachgefallener Industrie- oder Militärgelände an – sowohl in Neubauten als auch in erhaltenswerten Bestandgebäuden. Einige Kommunen verlagern soziale Infrastrukturen gezielt, um ihre Innenstädte zu stärken.
Qualitätsoffensive als Handlungsmöglichkeit im Umgang mit Schrumpfung
Damit eine Stadt trotz sinkender Einwohnerzahlen attraktiv bleibt, werten Kommunen ausgewählte Stadtteile gezielt auf. Meist profitieren davon innerstädtische Quartiere und Stadtteilzentren. Zu den Maßnahmen, die die Kommune allein durchführen kann, gehört die Herrichtung von Straßen, Plätzen und Parks. Zudem kann sie städtische Immobilien sanieren und ggf. umbauen oder auch Impulse durch den Neubau von Kultureinrichtungen oder Bildungseinrichtungen setzen.
Damit leerstehende Häuser saniert werden und neue Wohnungsangebote für spezifische Zielgruppen (Senioren, junge Familien etc.) entstehen, ist die Kommune auf Eigentümer und Investoren – unter anderem auf soziale Träger – angewiesen. Beim Umbau und der Sanierung von Gebäuden können ebenfalls Überkapazitäten verringert werden, wenn Wohnungen zusammengelegt oder beispielsweise Hofinnenbereiche beräumt werden. Um Eigentümer für Investitionen zu gewinnen, setzen Kommunen auf Beratung und Förderung. Einige Kommunen erwerben selbst leerstehende, sanierungsbedürftige Immobilien, sichern oder sanieren sie und veräußern sie anschließend.
Ein wesentlicher Baustein der Qualitätsoffensive ist die Image- und Netzwerkarbeit. Viele Kommunen fördern Zwischenlösungen und Experimente für eine Erneuerung des Quartiers in kleinen Schritten. Sie unterstützen Initiativen und Vereine bei der Suche nach geeigneten Freiräumen oder Gebäuden, vermitteln zwischen Eigentümern und Interessenten und beraten bei rechtlichen und administrativen Fragen. So konnten Brachen in Nachbarschaftsgärten, Spielplätze oder Fahrradwerkstätten verwandelt werden. Im Dortmunder Westen vermittelte die „Agentur für neue Nutzungen“ Ladenlokale an Kulturschaffende. In Leipzig wurden leere Gründerzeithäuser als „Wächterhäuser“ durch Künstler und Studenten zwischengenutzt.
Vor welchen Herausforderungen stehen schrumpfende Städte heute?
Eine langfristige Stabilisierung schrumpfender Städte ist nur möglich, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht kontinuierlich verschlechtert. Kommunen stehen vor der Herausforderung, attraktiv für Unternehmer, Arbeitskräfte, junge Familien und ihre Kinder zu sein. Gleichzeitig müssen sie den Anforderungen der steigenden Zahl an Betagten gerecht werden. Das bedeutet, öffentliche Räume barrierearm zu gestalten und passende Wohnungs- und Versorgungsangebote bereitzustellen.
Der Wohnungsleerstand stellt weiterhin für viele Kommunen eine Herausforderung dar. In Ostdeutschland ist Wohnungsleerstand kein Phänomen der Plattenbaugebiete mehr. Laut Zensus 2011 stehen in Ostdeutschland fast ebenso viele Altbauwohnungen (Baujahr bis 1948) leer.
Kommunen haben Prioritäten für die Stadtentwicklung gesetzt. Sie investieren in einigen Stadtteilen und ziehen sich aus anderen zurück – etwa indem sie Schulen schließen und Investitionen in Spielplätze und Grünflächen herunterfahren. Dadurch tritt ein Gefälle im Standard der Quartiere auf. Das ist zwar konsequent, jedoch müssen die Verwaltungen die Entwicklungen beobachten und sozial begleiten, um zu verhindern, dass Quartiere entstehen, in denen einkommensschwache Haushalte von den positiven Entwicklungen der Kommune abgeschnitten sind.
Auch in Zukunft besteht eine Herausforderung für die Kommunen darin, Eigentümer für die Entwicklung und Umsetzung von Planungen zu gewinnen. Das wird, wie oben dargestellt, immer schwieriger.
Zuletzt ist es gerade für kleine Städte und Gemeinden erforderlich, regionale Kooperationen zu schmieden, statt in Konkurrenz um Einwohner zu treten. In ländlich geprägten Räumen, die besonders von Bevölkerungsverlusten betroffen bleiben, besteht die Herausforderung darin, innovative Lösungen für die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge (öffentlicher Nahverkehr, Läden des täglichen Bedarfs, Krankenversorgung etc.) zu entwickeln.
Stadtentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen: Wie geht es weiter?
Viele Kommunen schöpfen heute routiniert die oben skizzierten Handlungsmöglichkeiten aus, um Schrumpfung als Qualitätsgewinn zu gestalten. Damit dies weiter möglich ist, sind sie auf eine finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern angewiesen.
Neben den erfolgreichen Lösungen, braucht der Umgang mit Schrumpfung aber auch neue Ansätze, die an Zwischennutzungsideen anknüpfen und neue Formen der Governance – das heißt der Struktur und Lenkung von Stadtentwicklung – erproben. Innovative Ideen sind überwiegend in größeren Städten und vielfach von Studierenden angestoßen und umgesetzt worden. Hier müssen Klein- und Mittelstädte aufholen. Mancherorts gibt es bereits Pioniere, die zum Beispiel Dorfläden mit mehreren Nutzungen (etwa Einkaufsladen, Sparkasse, Frisör) etablieren.
Im Umgang mit baulichen Überkapazitäten könnte das „Stilllegen“ als eine Strategie des Abwartens an Bedeutung gewinnen. Der Baubestand könnte damit verfügbar bleiben (falls plötzlich die Einwohnerzahl zum Beispiel durch Zuwanderung steigt). In Altbauquartieren wird das Konservieren der Stadtstruktur mitunter aus stadtplanerischen und denkmalpflegerischen Gesichtspunkten gefordert. Hohe Kosten für den Abriss von Gebäuden sowie fehlende Ideen für eine Nachnutzung der Flächen sind weitere Argumente dafür, Gebäude in den Wartezustand zu versetzen. Einige leerstehende Gebäude können möglicherweise zu Nisthäusern für Fledermäuse und andere Gebäudebrüter werden. Gleichwohl geht der Evaluierungsbericht der Programme Stadtumbau Ost und Stadtumbau West davon aus, dass der Abriss von Wohnungen, die sich nicht vermieten lassen, notwendig bleiben wird.
Im Umgang mit Schrumpfung werden aber auch Bemühungen um Wirtschaftswachstum und um den Zuzug von Bewohnern weiter eine Rolle spielen. Auch wenn der Bevölkerungsgewinn in der einen Stadt Einwohnerverluste in der anderen bedeuten kann. Dafür wird Wirtschaftsförderung, die Verbesserung von Verkehrsanbindungen sowie von digitalen und sozialen Infrastrukturen eine Rolle spielen.
Bürgermeister aus schrumpfenden, westdeutschen Mittelstädten sehen die Zuwanderung und Integration von Geflüchteten und Migranten zum Teil als eine Chance für die Zukunft ihrer Stadt. Auch wenn die Unterbringung von Geflüchteten die Wohnungsleerstände in vielen Städten reduziert hat und Rückbaupläne aufgeschoben werden, herrscht in Ostdeutschland eine große Unsicherheit, ob die Geflüchteten bleiben. Sich gezielt als „arrival city“ zu profilieren, gehört bislang noch kaum zu den Strategien im Umgang mit Schrumpfung.
Dr.-Ing. Anja Nelle arbeitet seit 2018 als Projektleiterin am IfS Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik in Berlin. Sie ist Architektin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind urbane Veränderungsprozesse, Schrumpfung, Stadtumbau, Stadterneuerung, Städtebauförderung und Wohnungspolitik. Von 2010 bis 2017 arbeitete sie am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner, wo sie seit 2014 die Bundestransferstelle Stadtumbau Ost leitete. Sie führte Forschungsprojekte zur "Altbauaktivierung" in strukturschwachen Städten sowie zur "Integration von Flüchtlingen in den regulären Wohnungsmarkt" durch. Aktuell arbeitet sie u.a. zum Thema gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik. Von 2007 bis 2009 arbeitete Anja Nelle als Beraterin der Stadtverwaltung Fortalezas (Brasilien) im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes; 2001 bis 2007 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus.
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