Schrumpfung, Alterung, Internationalisierung, Heterogenisierung prägen die demographische Entwicklung. Jörg Pohlan erklärt die Herausforderungen der Stadtpolitik.
In der jüngeren Vergangenheit, besonders in den 1990er Jahren, wurde der demographische Wandel in Deutschland überwiegend mit dem Blick auf „ausblutende“ ländliche Regionen und schrumpfende Städte diskutiert. Zudem wurden Prozesse der Suburbanisierung, das heißt der Abwanderung der Bevölkerung aus den Kernstädten und einer verstärkten Zuwanderung in das Umland, thematisiert. Seit Beginn des neuen Jahrtausends mehren sich jedoch die Berichte über (wieder) wachsende Städte und Metropolregionen. Darin wird von einer „Reurbanisierung“ bzw. von einer „Renaissance der Städte“ gesprochen sowie von „Schwarmstädten“, in die die Bevölkerung vorzugsweise zieht.
Doch wie kommen diese neuen Entwicklungen zustande?
Handelt es sich dabei eher um einen kurzfristigen oder nachhaltigen Trend?
Und welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen sowohl für die Städte selbst als auch für das übrige Deutschland?
Denn es sind offensichtlich nur einige, vor allem größere Städte, die dieses Wachstum vermelden können. Dagegen gibt es weiterhin viele Städte und vor allem auch ländliche Gemeinden, die von einem andauernden, zum Teil drastischen Bevölkerungsrückgang betroffen sind.
Komponenten der Bevölkerungsentwicklung
Natürliche Bevölkerungsentwicklung
Die Zu- oder Abnahme der Bevölkerung ist grundlegend von zwei zentralen Einflussgrößen abhängig. Die erste Komponente ist die sogenannte natürliche Bevölkerungsentwicklung, die sich aus dem Saldo, also aus der Differenz der Anzahl der Geburten und der Anzahl der Gestorbenen ergibt. Derzeit liegt die Zahl der Geburten mit 8,5 Neugeborenen deutlich unter der von 11,1 Todesfällen pro tausend Einwohner_innen und Jahr. Dieses Verhältnis spiegelt einen Trend wider, der seit den 1970er Jahren zu beobachten ist. Lediglich zu Beginn der 1990er Jahre, zur Zeit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, war der Saldo vorübergehend nahezu ausgeglichen. Seitdem ist die natürliche Bevölkerungsentwicklung wieder schrumpfend.
Außenwanderung
Die zweite Einflussgröße setzt sich aus den Zu- und Abwanderungen zusammen und ergibt als Differenz den Wanderungssaldo. Dabei ist noch zu unterscheiden zwischen der Außen- und der Binnenwanderung. Der Saldo der Außenwanderung, das heißt die Anzahl der Zuzüge nach Deutschland abzüglich der Wegzüge aus Deutschland in das Ausland, ist seit den 1970er Jahren – mit wenigen Ausnahmen – überwiegend positiv. Zu einem teilräumlich deutlichen Zuwachs der Bevölkerungszahl führten die hohen Flüchtlingszahlen vor allem im Jahr 2015. Wie sich diese Entwicklungen zukünftig vollziehen werden, ist jedoch nicht seriös zu prognostizieren.
Binnenwanderung
Die zweite wichtige Teilkomponente des Gesamtwanderungssaldos ist die Binnenwanderung. Hierzu zählt die amtliche Statistik die Wohnortswechsel innerhalb Deutschlands, die über eine Gemeindegrenze hinweg erfolgen. Abbildung 1 unten zeigt das Binnenwanderungsvolumen, das heißt die Summe, die sich aus Fort- und Zuzügen innerhalb Deutschlands für den Zeitraum von 1995 bis 2014 ergibt.
Entscheidende Gründe für solche Umzüge stehen meist im Zusammenhang mit persönlichen Veränderungen (z.B. Partnerschaft, Familiengründung), den Bedingungen auf den Wohnungsmärkten und den Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Wird die großräumige Binnenwanderung über Bundesländergrenzen hinweg betrachtet, zeigen sich in den vergangenen Jahrzehnten zwei wesentliche Trends.
Das Binnenwanderungsvolumen
Einerseits fand eine deutliche Migration zwischen Nord- und Süddeutschland und andererseits zwischen Ost- und Westdeutschland statt. Seit 2014 ist die Wanderungsbilanz zwischen Ost- und Westdeutschland allerdings nahezu ausgeglichen.
Und auch bei der Nord-Süd-Wanderung gibt es sowohl im Süden (Bayern, Rheinland-Pfalz) als auch im Norden (Hamburg, Schleswig-Holstein) Gewinner aus den innerdeutschen Umzügen. Innerhalb Deutschlands finden jedoch die meisten Binnenwanderungen (knapp 2/3) kleinräumig innerhalb eines Bundeslandes statt.
Prognosen
Bis etwa 2020 wird prognostiziert, dass die Zahl der Menschen in Deutschland noch zunehmen wird. In den Folgejahren bis 2060 ist jedoch, je nach Szenario, mit einem erheblichen Rückgang der Bevölkerungszahl zu rechnen (zwischen etwa 10 und 15 Millionen Einwohner_innen). Abhängig ist die Entwicklung – wie bereits erwähnt – vor allem von der Zuwanderung nach Deutschland sowie von der sinkenden Anzahl an potenziellen Müttern und der damit verbundenen niedrigen Geburtenrate.
Bevölkerungsabnahme, Alterung, Internationalisierung und Heterogenisierung der Bevölkerung werden daher langfristig die demographische Entwicklung in Deutschland prägen. Dabei vollziehen sich die Prozesse des demographischen Wandels in den Regionen Deutschlands mit unterschiedlicher Intensität und Ausrichtung, zudem treten die Entwicklungen auch zeitlich versetzt auf. Es ist insgesamt eine Parallelität von Wachstum, Stagnation und Schrumpfung zu beobachten.
Wachstumskerne und Schrumpfungsräume
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat im Jahr 2015 eine Typisierung von wachsenden und schrumpfenden Städten und Gemeinden vorgestellt. Wachstum und Schrumpfung von Kommunen und Regionen werden in dieser Studie als komplexe Prozesse mit mehreren Dimensionen betrachtet und nicht ausschließlich auf die Entwicklung der Bevölkerungszahl reduziert. Insbesondere werden Schrumpfung bzw. Wachstum als ein Zusammenspiel von Bevölkerungsentwicklungen und ökonomischen Entwicklungen gesehen, die zusammen zu einer sich verstärkenden Kausalkette der Bevölkerungsdynamik führen. Hieraus wurden ein Konzept zur Messung von Schrumpfung sowie Herausforderungen und Handlungserfordernisse in den einzelnen Kommunen abgeleitet.
Die Ergebnisse dieser Typisierung zeigen, dass sich die unterschiedlichen Dynamiken in Deutschland wie ein „Flickenteppich“ darstellen: Es gibt einerseits Wachstumskerne, also Städte, die besonders stark wachsen und deren Umland von dieser Entwicklung ebenfalls profitiert. Andererseits gibt es auch große Gebiete, die nahezu ausnahmslos schrumpfen oder stagnieren. Dies betrifft insbesondere die ostdeutschen Bundesländer, die im gesamtdeutschen Vergleich nur wenige wachsende Städte und Gemeinden aufweisen können. Über die gesamte Bundesrepublik verteilt lässt sich der Trend erkennen, dass die als peripher eingeordneten Gemeinden eher schrumpfen als wachsen.
Viele Städte und Gemeinden vor allem im ländlichen Raum haben mit langanhaltender Schrumpfung zu kämpfen. Dabei geraten sie unter anderem aufgrund der an der Bevölkerungszahl orientierten Steuer- und Ausgleichsysteme und der zum Teil trotz rückläufiger Bevölkerungszahl konstanten oder sogar ansteigenden Kosten für die Aufrechterhaltung von Versorgungssystemen unter finanziellen Druck.
Probleme entstehen unter anderem bei der Infrastrukturauslastung bei abnehmender Bevölkerung. Diese Belastungen sind umso größer, je schwieriger und kostenintensiver es ist, ein effizientes und leistungsfähiges Angebot aufgrund der abnehmenden Bevölkerungsdichte bereitzustellen. Gleichzeitig sinken die öffentlichen Einnahmen etwa durch Steuern und den kommunalen Finanzausgleich. Dadurch müssen verschiedene kommunale Angebote reduziert oder ganz aufgegeben werden. Dies betrifft vor allem Angebote im Bereich Freizeit, Kultur und soziale Infrastruktur. Solche Entwicklungen können wiederum in eine Abwärtsspirale führen, durch die diese Städte und Gemeinden immer unattraktiver werden.
Eine Folge dessen ist die Wanderungsbewegung vieler junger Erwachsener, die auf der Suche nach einer Ausbildung oder einem Studium in Großstädte ziehen, weil sie sich dort bessere Chancen für den weiteren Bildungs- und Arbeitsweg erhoffen. So lässt sich auch erklären, dass sie zurzeit die die Reurbanisierungstendenzen maßgeblich prägende Bevölkerungsgruppe sind. Durch ihre große Anzahl verstärkt sich in den sowieso wachsenden Städten jedoch der Druck auf den Wohnungsmarkt stetig.
„Echte“ und „unechte“ Schwarmstädte
Der Trend, dass junge Menschen in die Großstädte ziehen und diese Städte dann wachsen, ist nahezu flächendeckend erkennbar. Verschiedene Autoren sehen hier Ähnlichkeiten mit dem Verhalten eines Schwarms. Aufgrund dieser Ballung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe werden die betroffenen Städte als „Schwarmstädte“ bezeichnet. Schwarmstädte sind aber nicht alle gleich, sondern unterscheiden sich, insbesondere bei der Betrachtung der langfristigen Entwicklung. Sie werden in „echte“ und „unechte“ Schwarmstädte unterschieden. Echte Schwarmstädte (z.B. Hamburg, München) üben eine besonders hohe Attraktivität auf Menschen bis etwa Mitte 30 aus, es ziehen also auch viele Arbeitnehmer_innen dorthin.
Gleichzeitig verstärkt sich durch den hohen Druck, der auf dem Wohnungsmarkt liegt, aber auch die Suburbanisierung. Hingegen bleiben Bewohner_innen der Umlandkreise aufgrund der Wohnungsmarktsituation dort wohnen. Unechte Schwarmstädte (z.B. Kaiserslautern, Osnabrück, Rostock) wachsen primär durch Zuwanderung aus den Nachbarkreisen. Auch andere Bevölkerungsgruppen als die jungen Erwachsenen ziehen aufgrund des entspannteren Wohnungsmarktes in diese Städte. Insofern bewirken gerade diese Städte die Schrumpfung der Umlandgemeinden, verlieren mittel- bis langfristig jedoch selbst überregional Einwohner_innen an die echten Schwarmstädte.
Ausschlaggebend für die Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten sind die gestiegene Lebenserwartung und das Sinken der Geburtenzahlen. Während ältere Menschen tendenziell eher immobiler werden, sorgt auch die abnehmende Zahl der jungen Erwachsenen für einen Mengenrückgang der Wandernden. Folglich werden die Wanderungsbewegungen – egal wohin – wahrscheinlich weniger werden.
Besonders die unechten Schwarmstädte werden in einen härteren Wettbewerb um diejenigen Personen treten, die aus Gründen der Ausbildung umziehen, was zu einer stärkeren Ausdifferenzierung von gewinnenden und verlierenden Städten führt. Ausschlaggebend werden unter anderem die Perspektiven für junge Erwachsene nach ihrer Ausbildung bzw. ihrem Studium sein. In die echten Schwarmstädte wandern hingegen auch viele internationale Zuwander_innen, weil zum Beispiel der Arbeitsmarkt besonders attraktiv ist und auch Geringqualifizierten die Möglichkeit gibt zu arbeiten. Aber auch bereits bestehende Netzwerke der Migrant_innen sind ein wichtiger Faktor für die Zuziehenden.
Doch welche Auswirkungen hat ein starkes und langanhaltendes Bevölkerungswachstum, wie es etwa für Hamburg seit Mitte der 1980er Jahre verdeutlicht werden kann (vgl. hierzu Abbildung Bevölkerungsentwicklung Hamburgs von 1965 bis 2015 links), auf die betreffenden Städte?
Das Wachstum von Städten – Fluch oder Segen?
Die Entwicklung der Einwohnerzahl Hamburgs, 1965–2015
Die prägende Vorstellung in der heutigen Zeit ist noch immer, dass Wachstum grundsätzlich (positiv) mit Entwicklung gleichgesetzt wird. Diese Annahme basiert auf der meinungsführenden Ideologie verschiedener neoklassischer Ökonomen, die in den 1950er Jahren postulierten, dass „sämtliche wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme […] mit Wirtschaftswachstum zu lösen sind“.
Demnach verlieren Kommunen, Regionen, und Staaten ohne wirtschaftliches Wachstum ihre Fähigkeiten, Probleme zu lösen. Selbst Stagnation wird als Rückschritt oder Problem betrachtet. Steurer zeigt in seinem Rückblick auf die Debatte seit den 1960er Jahren auf, dass sich trotz einer schon früh einsetzenden Kritik an dem „Quantitativen Wachstumsparadigma“ nichts änderte. Als soziale Belastung dieses Wachstums wird beispielsweise der „Abfall des Lebensstandards“ gesehen. Dieser Abfall zeigt sich in der Abnahme der Lebensdauer von Produkten, der geringen Wertschätzung ihnen gegenüber oder auch darin, dass Produkte entwickelt werden, die vorher als nicht nötig angesehen wurden.
Als eine bedeutende negative ökologische Auswirkung des Paradigmas wird zum Beispiel der stetig steigende Ölverbrauch in Industrieländern gesehen. Dahinter „[…] steht die Annahme, dass technischer Fortschritt und dadurch erzielte Effizienzsteigerungen nie ausreichen würden, um Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch absolut abzukoppeln […].“ Das Aufzeigen und Benennen dieser gesellschaftlichen Belastungen änderte jedoch nichts an der Dominanz des „Quantitativen Wachstumsparadigmas“.
In diesem Zusammenhang wird auch der Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf das Wirtschaftswachstum überwiegend als eindeutig positiv beschrieben. Vereinfacht gesagt, „[…] bestimmt die (Zunahme der) Bevölkerung einerseits das (zukünftige) Arbeitskräftepotenzial und andererseits das (zukünftige) Nachfragepotenzial für den regionalen Markt. Kleinräumig wirkt dabei die Wirtschaftsentwicklung als Push- oder Pullfaktor für Bevölkerungsbewegungen. Regionen mit Wirtschaftswachstum ziehen neue Bevölkerung an, Regionen mit wirtschaftlicher Schrumpfung verleiten zur Abwanderung von Bevölkerung, die sich anderswo bessere Arbeitschancen erhofft.“
Doch bestätigen empirische Untersuchungen nur selten diese theoretischen Annahmen:
QuellentextDemographie und Ökonomie
Empirische Ergebnisse legen vielmehr nahe, dass Wirkungszusammenhänge zwischen Demographie und Ökonomie hinsichtlich des allgemeinen ökonomischen Entwicklungsstandes, hinsichtlich des Verdichtungs- bzw. Verstädterungsgrades und hinsichtlich der Produktivitätsentwicklungen differenziert werden müssen. Negative wirtschaftliche Folgen aufgrund von Bevölkerungsrückgang seien nicht zwangsläufig.
Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland, die mit dem „Schwarmverhalten“ bildlich beschrieben werden, führen in den betroffenen wachsenden Städten jedoch zu dem großen Problem, dass das Bevölkerungswachstum zu einer starken Verknappung der verfügbaren Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt führt und damit zu einem starken Preisanstieg. Dadurch haben insbesondere einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen Schwierigkeiten bezahlbare Wohnungen zu finden.
Bezahlbarer Wohnraum und Naturschutz – Politik im Konflikt
Die Bedeutung des Themas „bezahlbarer Wohnraum“ schien durch den Wohnungsbauboom der 1990er Jahre und die nachlassende Nachfragedynamik an Bedeutung verloren zu haben, denn seit 2005 wurden von den verschiedenen politischen Akteur_innen einige Maßnahmen beschlossen, die den Neubau von Wohnraum massiv verteuerten. Beispielsweise wurde die Grunderwerbssteuer von in 2006 bundesweit einheitlichen 3,5 Prozent in einigen Bundesländern auf bis zu 6,5 Prozent erhöht. Es wurden schärfere Auflagen (z.B. für den Brand-/Lärmschutz oder energetische Auflagen) beschlossen und auch die Kosten für neue Wohngebiete (z.B. Errichtung sozialer Infrastruktur) wurden auf die Bauherren übertragen.
Zudem führte die Verknappung des Baulandes dazu, dass vorzugsweise teure Objekte realisiert wurden. Von 1995 bis 2004 unterlag die Baukostenentwicklung fast keiner Veränderung, da die hohe Wettbewerbsintensität zu stabilen Baukosten führte. Doch während all die Maßnahmen beschlossen wurden, kehrte sich die Marktsituation komplett um.
Durch den Druck auf dem Wohnungsmarkt und Preissteigerungen in attraktiven Lagen ergab sich die Problematik, dass einkommensschwache Haushalte verdrängt wurden, werden oder gar nicht erst in diesen Lagen Wohnungen finden. Diese Thematik wird unter anderem im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen bearbeitet. In diesem Gremium sitzen Vertreter_innen des Bundes, der Länder, der Kommunen und der Verbände. Sie tauschen sich aus und entwickeln Handlungsempfehlungen. Hierbei werden zwei Bereiche als besonders wichtig erachtet: So müssen einerseits die Baukosten betrachtet und andererseits Strategien zur Senkung der Miete gefunden werden. Da die Höhe der Mieten jedoch nicht allein aus den Kosten resultiert, sondern sich vor allem auch durch die Knappheit auf dem Wohnungsmarkt berechnet, müssen parallel andere Maßnahmen ergriffen werden, damit die potenziellen Kostensenkungen auch an die Verbraucher_innen weitergereicht werden.
Insbesondere die Kommunen sehen sich zudem wegen der Flüchtlingsunterbringung aktuell und perspektivisch großen Herausforderungen gegenüber. Erwerbslose Personengruppen, beispielsweise Geflüchtete, die noch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, können in den Großstädten kaum die üblichen Mieten des freien Wohnungsmarktes zahlen. Somit steht dem sowieso schon schwindenden Angebot an Wohnraum mit Berechtigungsschein für vordringlich Wohnungssuchende eine noch größere Nachfrage gegenüber.
Die bisher beschlossenen Maßnahmen (z.B. Mietpreisbremse, Kappungsverordnungen) wirken der Entwicklung des Preisanstiegs jedoch nur eingeschränkt entgegen. Da die Miete sich aus der regionalen Knappheit errechnet, muss nach Ansicht von Baba genau hier angesetzt und ein stärkerer Anbieterwettbewerb herbeigeführt werden. Hierfür ist die Baulandpolitik eines der Kerninstrumente. Das heißt: Die Knappheit kann durch das Zurverfügungstellen von mehr Fläche(n) reduziert werden und so Kostensenkungen mit sich bringen. Doch auch Quoten für geförderten Wohnungsbau führen allein nicht zum benötigten Mengeneffekt. Daher ist es wichtig, auch Bauland zu aktivieren, das bisher brach liegt und bei dem die Eigentümer kein Interesse an einer Entwicklung haben. Eine Möglichkeit dafür wäre die Umwandlung der Grundsteuer in eine Bodenwertsteuer. Sie würde dazu führen, dass hochwertige Grundstücke (bspw. in innenstädtischer Lage) eine hohe Steuerlast entwickeln und somit entweder verkauft oder entwickelt werden.
Als ein weiterer Ansatz wird die intensivere Einbeziehung der städtischen Wohnungsunternehmen genannt, beispielsweise durch die Bestandsvergrößerung oder die Vergabe von Bauland an diese.
Allerdings entstehen hierdurch auch Konflikte mit Naturschutzzielen. So verfügt beispielsweise Hamburg als Stadtstaat nur über begrenzte Flächenressourcen, der Siedlungsdruck auf die Freiflächen steigt und stellt somit auch den Hamburger Naturschutz vor große Herausforderungen. In wachsenden Städten ist besonders die Neuversiegelung von Flächen ein großes Problem. Mit dem steigenden Bedarf an Wohnraum und der damit nötigen Bautätigkeit geht einher, dass immer mehr Flächen in der Stadt dem Wohnungsbau gewidmet werden. Bewegungen, die für den Erhalt von beispielsweise Grünflächen eintreten, haben das Ziel, den qualitativen Wert von Quartieren zu erhalten. Doch dies kann wiederum zum unerwünschten Nebeneffekt der Wert- und damit Kostensteigerung der bebaubaren Flächen führen. So wird jede staatliche Tätigkeit zum Bau neuer Wohnungen teurer und es steht die Frage im Raum, wie kostengünstig qualitativ hochwertiger Stadtraum realisiert und erhalten werden kann.
Auch das sogenannte 30-ha-Ziel, also ab 2020 maximal 30 ha Freiflächen pro Tag zu bebauen, ist insofern als eine besondere Herausforderung zu sehen. Gerade bei der innerstädtischen Nachverdichtung ist also beispielsweise über höhere Bauten, die somit die Fläche entlasten, nachzudenken oder über das „Recycling“ von Bürobauten.
Fazit
In Deutschland ist bereits seit einigen Jahren ein gleichzeitiges Nebeneinander von schrumpfenden, stagnierenden und wachsenden Städten und Gemeinden zu beobachten. Diese Parallelität unterschiedlicher bzw. gegensätzlicher Dynamiken wird auch in absehbarer Zeit das Muster der Bevölkerungsentwicklung auf kommunaler Ebene prägen. Bevölkerungswachstum findet fast nur noch auf Grund der Zuwanderung statt. Dabei spielt auch die Umverteilung der Bevölkerung innerhalb Deutschlands eine wesentliche Rolle. Geburtenüberschüsse existieren kaum noch, Sterbeüberschüsse sind dagegen häufig so groß, dass sie durch Wanderungsgewinne kaum noch oder gar nicht mehr ausgeglichen werden können.
Insgesamt wird Deutschland nach den offiziellen Bevölkerungsvorausberechnungen in absehbarer Zukunft deutlich Bevölkerung verlieren. Ein Wachstum von Städten ist daher häufig mit Bevölkerungsverlusten in anderen Städten und Gemeinden verbunden.
Sowohl eine Bevölkerungsabnahme als auch ein Bevölkerungswachstum bergen potenziell Chancen und Herausforderungen für die Stadtentwicklung. Wichtig ist dabei für eine ökologisch und sozial nachhaltige Zukunftsgestaltung eine weitsichtige und vorausschauende Stadtentwicklungspolitik und -planung, die sowohl globale als auch nationale, regionale und lokale Entwicklungen und Interessen in den Blick nimmt.
Jörg Pohlan (Dr. rer. pol. habil.) ist Geograph und Professor für Stadtentwicklung und Quantitative Methoden der Stadt- und Regionalforschung an der HafenCity Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Fragen im Bereich der Analyse und der Auswirkungen des demographischen und sozioökonomischen Stukturwandels von Städten und Regionen.
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