Der Begriff Kommunalstrukturen umfasst die räumliche und funktionale Abgrenzung der Kommunen. Diese sind bestimmt von der Größe und Anzahl der Gemeinden und Kreise in einem Bundesland und durch die Funktionen, die sie übernehmen. Die Frage nach der "optimalen" Größe von Kommunen ist ein zentrales Thema, das meist im Zusammenhang mit kommunalen Gebietsreformen diskutiert wird. Vereinfacht ausgedrückt besteht ein Zielkonflikt zwischen Vorteilen der Kleinheit durch Nähe zu Bürgerinnen und Bürgern sowie Kenntnis der spezifischen Bedarfe vor Ort und Vorteilen größerer Einheiten durch Spezialisierung, Professionalisierung und Skaleneffekte, das heißt Vorteile der Größe etwa aufgrund besserer und gleichmäßigerer Auslastung kommunaler Angebote. Die folgende Tabelle fasst wesentliche Vor- und Nachteile größerer Gebietskörperschaften zusammen:
Kommunalstrukturen, kommunale Finanzen und politische Repräsentation in ländlichen Räumen
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Bundesländer mit einem hohen Anteil ländlicher Räume unterscheiden sich stark in ihren kommunalen Strukturen. Diese Unterschiede haben Auswirkungen auf die Finanzierung kommunaler Aufgaben und auf die politische Repräsentation. Eine besondere Rolle kommt hier den Wählergemeinschaften zu.
Ausgewählte Auswirkungen einer Vergrößerung von Gebietskörperschaften
Positive Effekte | Unklare Effekte | Negative Effekte |
---|---|---|
Spezialisierung | Kosteneinsparungen | Bürgernähe |
Professionalisierung | Wirtschaftlichkeit | Partizipation |
Qualität des Angebots | Wahlbeteiligung | Identitätsbildung |
Leistungsfähigkeit | Demokratische Kontrolle | |
Straffung der Verwaltung | Ehrenamtliches Engagement | |
Innovationsfähigkeit |
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Martin Junkernheinrich u.a.: Gebietsreform in Rheinland-Pfalz: Handlungsbedarfe und Handlungsoptionen für Landkreise, kreisfreie Städte und Ortsgemeinden. Gutachten im Auftrag des Ministeriums des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz, Kaiserslautern 2018; und an Sabine Kuhlmann u.a.: Wirkungen von Gebietsreformen. Stand der Forschung und Empfehlungen für das Land Brandenburg. Gutachten im Auftrag des Ministeriums des Inneren und für Kommunales des Landes Brandenburg, Potsdam 2017.
In ländlichen Räumen ist dieser grundsätzliche Zielkonflikt in besonderer Weise bedeutsam. Durch die dünnere Besiedlung ländlicher Räume und die größere Entfernung zu überregionalen Zentren können kleinere Kommunen ihre Aufgaben oft nur mit hohen Kosten erfüllen. Die notwendigen Mindestgrößen für kosteneffizientes Arbeiten werden dort erst bei einer räumlichen Ausdehnung erreicht, die eine bürgernahe Bereitstellung der Leistungen nicht mehr ermöglicht.
Kommunalstrukturen in ausgewählten ostdeutschen Bundesländern
Die ostdeutschen Bundesländer sind in einem höheren Maße ländlich geprägt als die westdeutschen. Die Kommunalstrukturen in Ostdeutschland haben sich in der heutigen Form erst nach der Wiedervereinigung gebildet und wurden später durch eine oder mehrere Gebietsreformen weiter angepasst. In den ostdeutschen Bundesländern besteht zudem ein besonders hoher Anpassungsdruck durch den demografischen Wandel in Form von Alterung und Abwanderung.
In den 2000er-Jahren wurden in Ostdeutschland Kreisreformen in Mecklenburg-Vorpommern (2011), im Freistaat Sachsen (2008) und in Sachsen-Anhalt (2007) durchgeführt. In Brandenburg und im Freistaat Thüringen wurden Vorhaben für umfassende Gebietsreformen im Jahr 2017 eingestellt. In Sachsen wurden im Jahr 2008 die 22 Landkreise und sieben kreisfreien Städte zu zehn Landkreisen und drei kreisfreien Städten zusammengelegt. Die Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern hatte im Jahr 2011 ähnliche Auswirkungen. Statt zwölf Landkreisen und sechs kreisfreien Städten gibt es seitdem noch sechs Landkreise und zwei kreisfreie Städte. In Thüringen existieren hingegen noch 17 Landkreise und sechs kreisfreie Städte.
Auch auf der Gemeindeebene gibt es prägnante Unterschiede. Während die Zahl der Gemeinden sich in Sachsen seit der Wiedervereinigung von 1.626 auf 419 verringerte und aktuell eine sächsische Gemeinde durchschnittlich ca. 9.700 Einwohnerinnen und Einwohner umfasst, blieb die Zahl der Gemeinden in Thüringen mit 634 und in Mecklenburg-Vorpommern mit 726 in den letzten Jahren relativ konstant. Im Ergebnis sind die Gemeinden in diesen beiden Bundesländern deutlich kleiner als in Sachsen (ca. 3.350 Einwohnerinnen und Einwohner je Gemeinde in Thüringen und ca. 2.220 in Mecklenburg-Vorpommern).
Zentrale Orte in ländlichen Räumen
Neben den räumlichen Zuschnitten kommunaler Gebietskörperschaften sind für die Aufgabenerfüllung landesplanerische Festlegungen im Rahmen des zentralörtlichen Systems von Bedeutung, welches räumliche Versorgungs- und Entwicklungsschwerpunkte in einem Bundesland festlegt. Die öffentlichen Versorgungsstrukturen sind in Deutschland dezentral organisiert. Sie unterliegen dabei jedoch einem arbeitsteiligen, hierarchischen System zentraler Orte, die jeweils für ein mehr oder weniger fest definiertes Umland (sog. Verflechtungsbereiche) Funktionen der Daseinsvorsorge erbringen. Dazu gehören auf der kommunalen Ebene unter anderem die Schulträgerschaft oder die Bereitstellung und Verwaltung von Kultureinrichtungen, Sportstätten und Mobilitätsangeboten. In den Landesentwicklungsplänen werden ausgewählte Gemeinden als zentrale Orte unterschiedlicher Hierarchiestufen ausgewiesen (Grund-, Mittel- und Oberzentren). Ihnen werden sogenannte Ausstattungskataloge zugeordnet: Dabei steigert sich die Angebotsstruktur von elementaren Angeboten (z. B. Tageseinrichtungen für Kinder, Grundschulen) über spezielle Angebote (z. B. Gymnasien) zu überregionalen Angeboten (z. B. Hochschulen).
Zentrale Orte in ländlichen Räumen stehen vor besonderen Herausforderungen. Zum einen besitzen sie eine herausgehobene Funktion als Versorgungsanker für einen flächenmäßig großen Bereich. Dabei müssen sie einerseits leicht erreichbar sein – etwa durch einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr –, andererseits möglichst viele Leistungen vor Ort anbieten, da es meist keine angrenzenden anderen zentralen Orte gibt, die manche Leistungen übernehmen könnten. Gleichzeitig sind zentrale Orte in ländlichen Räumen kleiner als in Ballungsräumen. Dadurch versorgen sie relativ zur eigenen Einwohnerzahl einen größeren Einzugsbereich.
Finanzierung kommunaler Aufgaben in ländlichen Räumen
Das zentralörtliche System führt zu einer räumlichen Arbeitsteilung und zu Zentrum-Peripherie-Strukturen, die grundsätzlich eine effiziente Bereitstellung öffentlicher Leistungen unterstützen. Gleichzeitig entstehen so jedoch Asymmetrien, da Steuereinnahmen (z. B. Einkommensteuer am Wohnort) und Kosten der Aufgabenerfüllung (im zentralen Ort) räumlich auseinanderfallen. In zentralen Orten ist der Finanzbedarf gemessen an den eigenen Einwohnerinnen und Einwohnern höher als in den nicht-zentralen Orten. Vor allem Zentren in ländlich-peripherer Lage stellt dies vor Herausforderungen, da hier Fragen der Erreichbarkeit, des demografischen Wandels und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besonders wirkmächtig sind.
Die Finanzierung der Kommunen in Deutschland speist sich aus eigenen (Steuer)einnahmen (insbes. Einkommen- und Gewerbesteuer) und Zuweisungen der jeweiligen Bundesländer im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. In der aktuellen Debatte um die Weiterentwicklung der kommunalen Finanzausgleichssysteme werden die Belange ländlicher Räume und die Berücksichtigung zentralörtlicher Leistungen in verschiedener Weise thematisiert.
Eine wichtige Diskussion dreht sich dabei um die Berücksichtigung der Auswirkungen einer schrumpfenden Bevölkerung: Denn im Falle eines Rückgangs der Einwohnerzahl gehen der betroffenen Kommune diejenigen Zuweisungen verloren, die an die aktuelle Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner gekoppelt sind. Gleichzeitig ist es für die Kommune aber nicht in gleicher Form oder gar nicht möglich, ihre Leistungen zurückzufahren. Dadurch entstehen sogenannte Remanenzkosten. Im Falle einer stärkeren Schrumpfung der Bevölkerung in ländlichen Räumen im Vergleich zu den Ballungsräumen führt dies zu einer stärkeren Anspannung der Haushaltslage in ländlichen Räumen. Einige Bundesländer nutzen bei der Festsetzung der Einwohnerzahl im kommunalen Finanzausgleich deshalb eine höhere, vergangenheitsbezogene Einwohnerzahl (z. B. Durchschnitt der letzten fünf Jahre). Der Bevölkerungsrückgang wirkt sich dann verzögert auf Finanzzuweisungen aus. Allerdings haben diese Ansätze meist nur einen geringen Effekt und verzögern tendenziell notwendige Anpassungsmaßnahmen. Außerdem ist zu bedenken, dass eine junge, wachsende Bevölkerung auch mit einem überproportionalen Anstieg der kommunalen Bedarfe einhergehen kann. Insbesondere auf der kommunalen Ebene fallen für Kinder und Jugendliche erhebliche Kosten im Bildungsbereich an.
Politische Repräsentation in ländlichen Gemeinden
Menschen im dünn besiedelten ländlichen Raum erfahren lokale Politik oft persönlicher als Menschen in einer großen Stadt. Lokale Politik wird von der Bürgermeisterin bzw. dem Bürgermeister und dem Gemeinderat gemacht und bezieht sich zum Beispiel auf den Beschluss, den in die Jahre gekommenen Gehweg im Dorf neu zu pflastern, ein Dorfgemeinschaftshaus zu errichten oder ein neues Bebauungsgebiet auszuweisen. Im kleinen Dorf kennt jede und jeder jemanden persönlich, der diese Entscheidung traf und jemanden, der von der Entscheidung betroffen ist.
Beide lokalpolitischen Institutionen – das Bürgermeisteramt und der Gemeinderat – werden in regelmäßigen Abständen über Wahlen neu besetzt. Anders als bei demokratischen Wahlen auf der Landes- oder Bundesebene spielen hier parteiunabhängige Wählergemeinschaften eine deutlich größere Rolle. Wählergemeinschaften sind traditionell im Südwesten Deutschlands stark, sie erleben aber auch in allen anderen Teilen Deutschlands und insbesondere im Osten einen stetigen Bedeutungszuwachs. Gilt dieser Trend für Stadt und Land gleichermaßen, so ist er doch in ländlichen Gemeinden umso auffälliger: Gerade in Ostdeutschland ist es mittlerweile keine Ausnahme mehr, dass sich auf den Wahlzetteln zur Neubesetzung der Räte kleinerer Gemeinden oder der Posten der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters keine Parteienvertreterinnen und -vertreter mehr befinden, sondern dass sich ausschließlich Wählergemeinschaften zur Wahl stellen.
Gründe für die Stärke von Wählergemeinschaften in ländlichen Räumen
Wissenschaftlich gibt es mehrere Erklärungen für die Stärke der parteiunabhängigen Wählergemeinschaften in den Dörfern. Eine gängige Begründung sagt, dass die Sachpolitik in einem überschaubaren Dorf stärker im Vordergrund steht als in der Lokalpolitik einer Stadt. Dies führt dazu, dass selbst Mitglieder politischer Parteien hier häufig nicht über die Liste der Partei, sondern auf den Listen von Wählergemeinschaften zur Wahl antreten.
Starke Wählergemeinschaften: ein demokratietheoretisches Für und Wider
Wie ist die Stärke parteiunabhängiger Wählergemeinschaften gerade in kleinen Gemeinden in ländlichen Räumen aus einer demokratietheoretischen Perspektive zu bewerten? Da Wählergemeinschaften insbesondere dort stark sind, wo keine aktiven Ortsgruppen von Parteien (mehr) bestehen, zeigt sich ein erster wichtiger Punkt: Wählergemeinschaften übernehmen hier auf lokaler Ebene die Funktion politischer Parteien und sichern somit Demokratie und Mitbestimmung im ländlichen Raum. Zudem können sie zielgerichtet Besonderheiten der einzelnen Gemeinden mit in das Wahlprogramm aufnehmen und sich unabhängig – zum Beispiel mit Blick auf ein neues Eignungsgebiet für Windkraftanlagen oder die Frage der Ausweisung neuer Baugebiete – positionieren. Sie stärken so den politischen Wettbewerb. Schließlich lassen sich Wählergemeinschaften auch als eine Möglichkeit verstehen, Politikverdrossenheit zu reduzieren: Sie agieren sachorientiert innerhalb einer lokalen repräsentativen Demokratie und können so helfen, die Distanz zwischen Dorfbevölkerung und der "großen" Demokratie zu verringern.
Andererseits ist auch ein gegenteiliger Effekt denkbar: Indem sich Wählergemeinschaften weitgehend auf lokale Politik vor Ort beschränken, kann ein "Durchfluss" von Ideen und Personen von der lokalen auf höhere politische Ebenen ins Stocken geraten. Politischen Talenten und innovativen Ideen, die sich vor Ort bewähren, steht innerhalb von Parteien der Weg in die Landes-, Bundes- und Europapolitik offen, während eine lokale Wählergemeinschaft solche Karrieren nicht ermöglicht. Die Repräsentation ländlicher Räume und ihrer Anliegen in der "großen" Politik kann somit leiden, wenn politische Parteien auf dem Lande kaum noch vertreten sind und spezifische Belange innerhalb der Parteien nicht von unten nach oben weitertransportiert werden.
Die ehrenamtliche politische Arbeit in ländlichen Kreisen und Gemeinden ist jedoch insbesondere geprägt von den Strukturreformen (so dass auch für das Wahrnehmen von Ehrenämtern immer längere Wege in Kauf genommen werden müssen) und der schwierigen Finanzsituation in den Gemeinden und Kreisen. Insofern stellen die Wählergemeinschaften politisches Personal in einem oft wenig attraktiven Feld des Engagements und erfüllen somit einen ausgesprochen wichtigen Dienst für die Demokratie. Sie helfen, Entscheidungen vor Ort auch in Zeiten knapper Gemeindehaushalte zu treffen und legitimieren somit die demokratischen Strukturen auf lokaler Ebene.
Weitere Inhalte
Prof. Dr. Daniel Schiller ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Universität Greifswald. In seiner Forschung arbeitet er zu wissensbasierter Regionalentwicklung, globalen Transformationsprozessen, Nachhaltigkeitstransformationen sowie Stadt-Land-Beziehungen und Kommunalfinanzen. Darüber hinaus ist er Sprecher des WIR!-Innovationsbündnisses "Plant³", das auf Basis der Bioökonomie einen regionalen Strukturwandel in Nordostdeutschland initiiert.
Dr. Stefan Ewert ist Politikwissenschaftler und Landschaftsökologe. Er ist Forscher im Cluster "Nachhaltigkeit" des Interdisziplinären Forschungszentrums Ostseeraum der Universität Greifswald. Zur Entwicklung ländlicher Räume publizierte er u.a. Landwirtschaftspolitik und die Entwicklung des ländlichen Raums – neue Felder der Politik der Bundesländer. In: Hildebrandt, Achim/Wolf, Frieder (Hrsg.) 2016: Politik in den Bundesländern: Zwischen Föderalismusreform und Schuldenbremse, Wiesbaden, 233-257.