Was sind Innovationen? Wie entstehen sie?
Als Innovationen werden im wirtschaftlichen Kontext die Einführung neuer Produkte und Produktionsprozesse in einen Markt sowie die Einführung neuer Organisationsformen bei der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen bezeichnet. Innovationen sind das Ergebnis eines interaktiven und systemischen Prozesses. Dieser endet nicht mit der Entstehung und dem erstmaligen Erscheinen eines neuen Produkts oder einer Dienstleitung, sondern umfasst auch die Verbreitung von Innovationen – etwa indem sie in anderen Kontexten übernommen werden. Das frühere, auf die Angebotsseite fokussierte Verständnis von Innovationen, das vor allem gewinnorientierte Unternehmen oder technische Lösungen in den Blick nahm, wurde in den letzten Jahren deutlich erweitert. Mittlerweile werden weitere Akteursgruppen im Innovationsprozess (z.B. nutzergetriebene Innovationen, soziales Unternehmertum), neue Innovationsarten (z.B. gesellschaftliche Innovationen, Nachhaltigkeitsinnovationen) und transformative Innovationen, die bestehende Systeme tiefgreifender verändern, einbezogen. Innovationen entstehen in der Regel nicht isoliert, sondern sind das Ergebnis eines interaktiven Prozesses mit verschiedenen Beteiligten. Für die Innovationskraft der Unternehmen oder auch des Non-Profit-Sektors in einer Region ist daher die Leistungsfähigkeit sogenannter Innovationssysteme, in die sie eingebunden sind, von großer Bedeutung. Diese Innovationssysteme bestehen im Kern aus innovationsfähigen und innovationswilligen Akteuren und Organisationen (z.B. Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen) sowie der Quantität und Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Innovationsakteuren, innovationsunterstützenden Infrastrukturen, Gesetzen und Regeln sowie der soziokulturellen Offenheit für Innovationen.
Innovationssysteme existieren auf unterschiedlichen Ebenen. In der räumlichen Dimension unterscheiden sich Innovationssysteme sowohl zwischen Staaten (z.B. Deutschland), als auch kleinräumiger zwischen Regionen (z.B. Vorpommern). Daneben existieren spezifische Innovationssysteme innerhalb von Wirtschaftssektoren (z.B. Agrar- und Ernährungswirtschaft) und Technologiefeldern (z.B. Biotechnologie). In der Realität überschneiden sich diese verschiedenen Ebenen in komplexer Weise. Man spricht dabei von Multiskalarität.
Innovationen in ländlichen Räumen
Innovationsprozesse und Innovationssysteme in ländlich geprägten Räumen unterscheiden sich von denen in urbanen Zentren. Beispielsweise ist die Dichte an Innovationsakteuren geringer. Nicht alle relevanten Kompetenzen sind dadurch unmittelbar vor Ort vorhanden, sondern müssen durch die Zusammenarbeit mit weiter entfernten Akteuren hinzugeholt werden. Häufig sind in ländlichen Räumen auch Branchen angesiedelt, die in geringerem Maße Hochtechnologien nutzen. Außerdem fehlen teilweise relevante innovationsunterstützende Infrastrukturen (z.B. schnelles Internet). Das bedeutet nicht, dass Unternehmen in ländlichen Räumen nicht innovativ sind bzw. sein können. Die Arten der Innovationen unterscheiden sich jedoch und sind häufig nicht das Ergebnis eines wissenschaftlich-strukturierten Forschungs- und Entwicklungsprozesses, sondern beruhen auf praktischen Erfahrungen und konkreten Erfordernissen.
Ländliche Räume können auch spezifische Vorteile für innovative Aktivitäten besitzen. Diese können sich beispielsweise daraus ergeben, dass Akteure vor Ort sich sehr gut kennen und ein hohes Maß an Vertrauen zwischen ihnen besteht. Dies ist wichtig, um sensible Informationen und Wissen miteinander zu teilen. Außerdem gibt es Unternehmen, die ganz bewusst Orte außerhalb der Zentren suchen. Sie nutzen die daraus resultierenden Freiheiten und Experimentierräume strategisch und greifen nur gezielt und punktuell auf Wissen in anderen Regionen zu. Im Bereich kreativer Tätigkeiten finden sich in der Literatur verschiedene gut dokumentierte Beispiele (u.a. die Gruppe der Vorarlberger Baukünstlerinnen und -künstler im Bereich der Architektur
Ländliche Räume weisen also vielfältige Potenziale für Innovationen auf, auch wenn der Innovationsdiskurs häufig von Entwicklungen in den Städten und in urban angesiedelten Hochtechnologiebranchen geprägt ist. Um den spezifischen Bedingungen für Innovationen in ländlichen Räumen gerecht zu werden, sollten daher allgemeingültige und häufig stark vereinfachende Erklärungsansätze ("one size fits all") vermieden und ländliche Räume nicht länger als "Restkategorie" verstanden werden. In diesem Zusammenhang sind auch Stadt-Land-Verflechtungen von Bedeutung. Das Zusammenspiel von Absatzmärkten und Impulsen durch die globale Vernetzung der Städte mit spezifischem Wissen und Ressourcen ländlicher Räume kann die Dichotomie zwischen Stadt und Land im Innovationsprozess auflösen.
In der wissenschaftlichen Debatte setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Potenziale für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen nur genutzt werden können, wenn zugleich die spezifischen räumlichen Kontextbedingungen (place-based) berücksichtigt werden. Dabei sind die jeweiligen Hemmnisse eines Teilraumes zu identifizieren und zu überwinden. In ländlichen Räumen können solche Hemmnisse beispielsweise in einem Fehlen regionaler Wissensquellen, innovationserfahrener Akteure oder in einem unzureichenden Ausbau innovationsrelevanter Infrastrukturen (z.B. Breitbandanschlüsse) bestehen. Die dadurch blockierten Innovationspotenziale könnten in den genannten Beispielen durch gezielte Maßnahmen für eine überregionale Vernetzung, gemeinsames Lernen an regionalen Beispielen guter Innovationspraxis und durch eine räumlich ausgeglichenere Verteilung von Infrastrukturinvestitionen gehoben werden.
Durch die regionsspezifische Überwindung von Innovationsblockaden wird auf diese Weise ein Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum geleistet. Gleichzeitig sorgt eine solche Schaffung wirtschaftlicher Entwicklungsperspektiven durch Innovationsimpulse für unterschiedliche Regionstypen innerhalb der Gruppe der ländlichen Räume für eine größere räumliche Gerechtigkeit und leistet einen aktiven Beitrag zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse.
Bei der Analyse und der politischen Gestaltung von Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen ist in besonderer Weise zu gewährleisten, dass Entwicklungsprozesse den Verbrauch natürlicher Ressourcen berücksichtigen. In ländlichen Räumen bauen Wertschöpfungssysteme häufig unmittelbar auf den Einsatz und Verbrauch natürlicher Ressourcen auf (z.B. Agrar- und Ernährungswirtschaft, Bioökonomie) und sind in Kulturlandschaften verortet, deren Ökosysteme besondere Leistungen für die gesamte Menschheit erbringen. Das nachhaltige Management dieser Ressourcen sollte dabei nicht als Hemmnis für das Wirtschaften in ländlichen Räumen verstanden werden, sondern ausdrücklich als Entwicklungspotenzial.
Innovationsbasierte Wertschöpfung in ländlichen Räumen
In Deutschland stehen ländliche Räume vor der Herausforderung, sich in einer wissensbasierten und globalen Wirtschaft wettbewerbsfähig aufzustellen. Innovationen sind daher auch in ländlichen Räumen der Treiber des regionalen Strukturwandels und die Grundlage für neue Formen der Wertschöpfung. Ländlichen Räumen bietet sich in diesem Kontext eine Vielfalt an Optionen, um sich durch innovationsbasierte Wertschöpfung in der globalen Wirtschaft zu positionieren.
Anhand von Abbildung 1 wird deutlich, dass fast alle diese Optionen mit positiven wirtschaftlichen Effekten einhergehen können. Sie sind aber in unterschiedlichem Maße krisenanfällig. So besitzt etwa die "Wiederentdeckung des Ländlichen" im Sinne einer Ansiedlung von Wertschöpfungsprozessen im lokalen Kontext zwar ein geringeres wirtschaftliches Potenzial als viele andere Optionen. Lokalisierte Wertschöpfungsketten sind aber in höherem Maße widerstandsfähig gegenüber globalen Krisen wie z.B. dem Zusammenbruch globaler Lieferketten zu Beginn der Coronavirus-Pandemie oder durch die Blockade des Suez-Kanals durch ein havariertes Schiff. Eine Verringerung der Krisenanfälligkeit ist bei guten Aussichten für wirtschaftliche Effekte auch im Falle der "grenzüberschreitenden Netzwerkintegration" möglich. Hier können Grenzregionen, die häufig Entwicklungshemmnisse aufgrund ihrer peripheren Lage innerhalb des Nationalstaates aufweisen, durch eine Arbeitsteilung mit Regionen jenseits der Landesgrenze profitieren.
Durch die Produktion und Verarbeitung von natürlichen Rohstoffen (z.B. Biomasse aus der Land- oder Forstwirtschaft) für den globalen Markt lassen sich hingegen größere wirtschaftliche Impulse erwarten. Der Wirtschaftszweig ist aber auch krisenanfälliger, sofern nur eine geringe regionale Weiterverarbeitung erfolgt und eine hohe Abhängigkeit von schwankenden Mengen und Preisen auf dem Weltmarkt besteht. Ähnliches gilt für die "Ansiedlung von Zweigbetrieben". Ländliche Räume werden häufig von größeren Konzernen als Standort für Tochterunternehmen gewählt, wenn es um flächen-, verkehrs- oder lärmintensive Fertigungstätigkeiten geht. Den vergleichsweise großen und schnell realisierbaren Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekten steht gegenüber, dass die Steuerungsmacht außerhalb der Region bleibt und Standortverlagerungen leichter erfolgen, wenn es nicht gelingt, den Zweigbetrieb mit regionalen Kompetenzen (z.B. spezifisches Wissen oder vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen) zu koppeln. Innerhalb dieses Spektrums können die weiteren Optionen in Abbildung 1 verortet werden.