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Ländliche Räume in Deutschland – ein Überblick Einleitung

Stefan Ewert

/ 5 Minuten zu lesen

Was kennzeichnet ländliche Räume? Es gibt verschiedene Merkmale und Kategorisierungen, die verdeutlichen: Ländliche Räume in Deutschland sind sehr vielfältig. Es gibt große Unterschiede in der Bevölkerungsdichte, der Entfernung zu Großstädten, in der landwirtschaftlichen Nutzung und der sozioökonomischen Lage.

Ortschaft Lassan am Peenestrom (© picture-alliance, blickwinkel)

Vogelsang – ein kleiner Ort ganz im Nordosten der Bundesrepublik Deutschland, der das Bild einer heilen, ländlichen Welt, von Ruhe und Abgeschiedenheit bereits im Namen trägt. Gelegen ist Vogelsang in der Gemeinde Vogelsang-Warsin, mit weniger als sechs Einwohnern pro Quadratkilometer eine der am dünnsten besiedelten Gemeinden in Deutschland. Eichenblatt und Getreideähre zieren das Wappen der Gemeinde und verdeutlichen die Bedeutung von Land- und Forstwirtschaft in der Gegend. Fast alle Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes wohnen in ihrem eigenen Haus. Der nächste Supermarkt ist zehn Kilometer entfernt, der Bus dorthin fährt viermal täglich, jedoch nicht in den Schulferien. Die nächste Großstadt ist das polnische Szczecin (Stettin), es ist mit dem PKW nach einer Stunde Fahrzeit erreichbar.



Vogelsang liegt zweifelsohne im ländlichen Raum. Der Grad an "Ländlichkeit" ist hier besonders hoch und intuitiv beobachtbar. Auch statistisch lassen sich Typisierungsmerkmale für Ländlichkeit fast schon prototypisch auf die Gemeinde Vogelsang-Warsin anwenden. Das Thünen-Institut nutzt in seiner Typisierung ländlicher Räume fünf siedlungsstrukturelle Merkmale: Eine ausgesprochen geringe Siedlungsdichte, ein hoher Anteil land- und forstwirtschaftlicher Fläche, ein hoher Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern, kaum Bevölkerung im Umkreis der Siedlungen und die Lage weitab vom nächsten Zentrum. In der Abbildung 1 sind sehr ländliche Räume dunkelgrün dargestellt.

Ergebnis des Thünen-Ansatzes zur Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb, Thünen-Institut für ländliche Räume, 2021)

Auch nach der amtlichen Regionalstatistik, die sich auf die sogenannten siedlungsstrukturellen Kreistypen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bezieht, liegt Vogelsang-Warsin in einem dünn besiedelten ländlichen Kreis. Siedlungsstrukturmerkmale, die die Kreise in Deutschland typologisieren, sind z. B. der Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten und die Einwohnerdichte eines Kreises. Der Kreis Vorpommern-Greifswald, in dem sich Vogelsang-Warsin befindet, erscheint auf der Karte des BBSR entsprechend in leuchtendem Grün.

Ländlich ist nach dieser Typologie auch die Gemeinde Alveslohe im Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein). Gelegen in der Metropolregion Hamburg, spielt die Landwirtschaft auf den Flächen der Gemeinde weiterhin eine große Rolle, während gleichzeitig viele Einwohnerinnen und Einwohner täglich über ein dicht getaktetes Netz des öffentlichen Personennahverkehrs zur Arbeit nach Hamburg pendeln. In der Statistik des BBSR liegt Alveslohe in einem "ländlichen Kreis mit Verdichtungsansätzen", nach der Thünen-Typologie ist der Grad der Ländlichkeit hier entsprechend deutlich geringer als beim Kreis Vorpommern-Greifswald, in dem die Gemeinde Vogelsang-Warsin liegt.

Wie viele Menschen leben in Deutschland in ländlichen Räumen?

Nach den hier aufgezeigten Klassifizierungen leben unterschiedlich viele Menschen in ländlichen Räumen. Der Thünen-Typologie zufolge sind es 47 Millionen Menschen (ca. 57 Prozent der Bevölkerung), die auf ca. 91 Prozent der Fläche Deutschlands leben. Nach der Klassifizierung des BBSR sind nur 68 Prozent der Fläche Deutschlands ländliche Räume, demnach leben 32 Millionen Menschen ländlich. Die Unterschiede ergeben sich aus den unterschiedlichen Merkmalen, die als Bemessungsgrundlage der jeweiligen Typologien gelten.

Quelle: Küpper, Patrick: Was sind eigentlich ländliche Räume? In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Ländliche Räume, Informationen zur politischen Bildung/IzpB 343, Bonn 2020, S. 4-7. Online unter: Interner Link: www.bpb.de/312687

Für die Einschätzung der Entwicklungspotenziale ländlicher Räume und ihrer Herausforderungen und Probleme ist jedoch nicht nur die Siedlungsstruktur wichtig. Relevant ist zudem, wie zentral oder peripher eine Region gelegen ist. Statistiken des BBSR zur Lage eines Kreises beziehen sich auf die potenzielle Erreichbarkeit der Gemeinden eines Kreises durch Bewohnerinnen und Bewohner, Pendlerinnen und Pendler, die sogenannte "Tagesbevölkerung". Die Gemeinde Vogelsang-Warsin und der Kreis Vorpommern-Greifswald sind demnach nicht nur ländlich und dünn besiedelt, sondern zudem überwiegend sehr peripher. Alveslohe und der Kreis Segeberg sind demnach ländlich, aber zentral gelegen.

Siedlungsstrukturelle Kreistypen: städtischer und ländlicher Raum (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb, BBSR 2019)

Deutlich wird hier, dass nicht nur Unterschiede auf Kreisebene bestehen. Werden an dieser Stelle Daten auf der Gemeinde- bzw. Gemeindeverbandsebene analysiert, wird auf der einen Seite sehr stark die Vielfalt und auf der anderen Seite auch die Komplexität ländlicher Räume ersichtlich. So können selbst angrenzende Gemeinden vor ganz unterschiedliche Herausforderungen gestellt sein.

Legt man die Kategorisierungen nach siedlungsstrukturellen Merkmalen und Lage übereinander, erkennt man die Unterschiede, die zwischen verschiedenen ländlichen Regionen in Deutschland bestehen. Den einheitlichen ländlichen Raum gibt es nicht, sondern Ländlichkeit in ganz verschiedenen Ausprägungen. So gilt der Kreis Südwestpfalz zwar wie der Kreis Vorpommern-Greifswald als dünn besiedelter ländlicher Kreis, ist aber – wie der Kreis Segeberg – zentral gelegen.

Eine weitere Differenzierung ländlicher Räume kommt hinzu, wenn die sozioökonomische Lage der Kreise mit betrachtet wird. So hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2019 im "Teilhabeatlas Deutschland" auf der Basis verschiedener Indikatoren zur wirtschaftlichen Teilhabe (z. B. der kommunalen Steuereinnahmekraft), zur sozialen Teilhabe (z. B. der Lebenserwartung) und zur Versorgung (z. B. der Breitbandversorgung) Deutschlands kreisfreie Städte und Landkreise in sechs Cluster (Gruppen) unterteilt.

Neben drei städtischen Clustern gibt es demnach drei verschiedene Gruppen ländlicher Kreise: Die erfolgreichen ländlichen Regionen (Cluster 4), Regionen mit vereinzelten Problemen (Cluster 5) und die benachteiligten ländlichen Regionen (Cluster 6). Der Kreis Segeberg ist ein Beispiel für das Cluster 4, der Kreis Südwestpfalz findet sich im Cluster 5 und Vorpommern-Greifswald liegt nach dieser Unterscheidung im Cluster 6.

Clusteranalyse der Kreise und Kreisfreien Städte in Deutschland (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung/Wüstenrot Stiftung 2019)

Ländliche Räume, so lässt sich dieser Überblick über verschiedene Darstellungen der Ländlichkeit in Deutschland zusammenfassen, sind ausgesprochen heterogen. Siedlungsstruktur, geografische Lage und die sozioökonomische Situation sind in ländlichen Räumen sehr verschieden. Entsprechend gilt auch, dass diese ländlichen Räume vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen stehen. Die Beiträge dieses Dossiers zeigen auf, wie diese Spezifika das Leben in ländlichen Räumen prägen und welche Lösungsansätze und Entwicklungsmöglichkeiten bestehen.

Dr. Stefan Ewert ist Politikwissenschaftler und Landschaftsökologe. Er ist Forscher im Cluster "Nachhaltigkeit" des Interdisziplinären Forschungszentrums Ostseeraum der Universität Greifswald. Zur Entwicklung ländlicher Räume publizierte er u.a. Landwirtschaftspolitik und die Entwicklung des ländlichen Raums – neue Felder der Politik der Bundesländer. In: Hildebrandt, Achim/Wolf, Frieder (Hrsg.) 2016: Politik in den Bundesländern: Zwischen Föderalismusreform und Schuldenbremse, Wiesbaden, 233-257.