Herr May, Sie haben den Stadtgulden Lahr im Jahr 2023 bereits zum dritten Mal durchgeführt. Wie blicken Sie auf die Einführung und die Entwicklung des Bürgerbudgets Ihrer Stadt zurück?
Nachdem im Vorfeld bereits mehrere Beteiligungsformate in der Stadt Lahr durchgeführt wurden, entwickelte sich 2019 die Idee, auch in Lahr ein Bürgerbudget zu erproben. Die Einführung des Projektes „Stadtgulden Lahr“ war mit großem Aufwand verbunden. Unter anderem musste eine Website für die Onlineabstimmung entworfen werden. Und wir mussten das Projekt und das Verfahren in der Bürgerschaft publik machen. Doch trotz der anfänglichen Herausforderungen war bereits das erste Projektjahr durchaus ein Erfolg.
Statt der geplanten jährlichen Durchführung des Bürgerbudgets musste dann während der Corona-Pandemie ein Zweijahresrhythmus etabliert werden. Deshalb begann die nächste Runde erst 2021. Leider war das Interesse nicht mehr ganz so groß wie noch 2019. Es gab weniger Vorschläge und die Wahlbeteiligung fiel geringer aus. 2023 findet die vorerst letzte Runde im Rahmen der Pilotphase statt. Und es ist bereits jetzt die erfolgreichste Runde. Der erste Bürgermeister Guido Schöneboom äußert sich zuversichtlich: „Das Projekt Stadtgulden Lahr ist nun in den Köpfen der Lahrer angekommen“. Insgesamt sind wir also sehr zufrieden mit der Entwicklung des Bürgerbudgets. Wir hoffen, dass das Projekt eine Zukunft hat und wir dafür die benötigte Unterstützung und Zustimmung von den Gemeinderäten bekommen.
Momentan befinden wir uns in der Evaluierung des Stadtgulden Lahr. Auch in diesem Teil des Prozesses legen wir viel Wert darauf, die Lahrer Bürgerinnen und Bürger bestmöglich einzubeziehen. So gibt es zum Beispiel eine Online-Befragung und eine Austauschrunde.
Sie haben sich in Lahr für ein hybrides Bürgerbudget entschieden. Die Bürgerinnen und Bürger können sowohl online als auch offline vor Ort abstimmen. Warum haben Sie sich für den hybriden Weg entschieden? Wie werden die beiden Abstimmungsoptionen angenommen?
Wir haben uns gedacht: Je mehr Möglichkeiten zur Beteiligung, umso mehr Menschen beteiligen sich schlussendlich. Es gibt Bürgerinnen und Bürger, die aufgrund unterschiedlicher Barrieren im Alltag oder aus zeitlichen Gründen nicht vor Ort abstimmen können. Kurz gesagt, haben wir uns für ein hybrides Bürgerbudget entschieden, um mehr Stimmberechtigte zu erreichen und um eine höhere Wahlbeteiligung zu erzielen. Und diese Überlegungen haben sich bereits bewährt, denn die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Personengruppen unterschiedliche Verfahren unterschiedlich stark in Anspruch nehmen.
Das spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Einige Projekte haben beispielsweise über die Onlineabstimmung kaum Stimmen generieren können, sind aber aufgrund der Zustimmung bei der Vor-Ort-Abstimmung als Gewinnerprojekte gekürt worden. Ganz deutlich ist dies bei migrantischen Gruppen zu erkennen, denn diese haben stark für die Vor-Ort-Abstimmung mobilisieren können.
Außerdem ist unser Onlineverfahren aktuell noch recht kompliziert. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich online registrieren und wir prüfen anhand des Einwohnermeldeverzeichnisses, ob sie abstimmungsberechtigt sind. Dann muss jede Person individuell zur Validierung freigeschaltet werden und einen Code per Post zugeschickt bekommen. Erst, wenn dieser Code online eingegeben wurde, kann abgestimmt werden. Insgesamt stellt dieses Verfahren also nicht nur für die Bürgerschaft einen Mehraufwand dar, sondern auch für die Verwaltungsmitarbeitenden. In der Zukunft wollen wir die Verbesserung einführen, die Verifizierungscodes per E-Mail zu verschicken. Ich bin gespannt auf die Rückmeldungen aus der Evaluierung und inwieweit wir das Verfahren dann gerade für die Stimmberechtigten weiter optimieren können.
Können sich die Bürgerinnen und Bürger in Lahr auch offline über die zur Abstimmung stehenden Projekte informieren?
Die Bürgerinnen und Bürger können sich sowohl offline als auch online über die zur Wahl stehenden Projekte informieren. Einen Monat vor der Abstimmung stellen wir eine Broschüre zusammen, die alle wählbaren Projekte umfasst. Diese wird in der Stadt Lahr ausgelegt, sowie am Tag der Abstimmung an die Wählerinnen und Wähler vor Ort verteilt. Dadurch können sich auch Menschen informieren, die keinen Internetzugang haben. Die Broschüre ist das Herzstück, was die Informationsgestaltung anbetrifft. Zusätzlich sind auf der Website alle Vorschläge aufgelistet, und zwar ab dem Moment, in dem ein Vorschlag geprüft und zur Abstimmung zugelassen wurde.
Daneben hat die lokale Presse über jeden einzelnen Vorschlag berichtet. Positiv anzumerken ist, dass beispielsweise die Badische Zeitung sich die Mühe gemacht hat, jeden Vorschlag vorzustellen. Dadurch wurden alle Vorschläge gleichermaßen publik gemacht und eine Verfälschung des Wettbewerbs durch eine lückenhafte Berichterstattung der Presse ausgeschlossen.
Aktuell befindet sich das Stadtgulden-Projekt der Stadt Lahr noch in der Testphase. Wissen Sie schon, wie es mit dem Projekt weitergeht? Hat das Bürgerbudget in seiner jetzigen Form Zukunft oder planen Sie Veränderungen?
Momentan evaluieren wir den Stadtgulden Lahr und hoffen, dass das Bürgerbudget auch nach der Pilotphase Bestand haben wird. Schon jetzt steht fest, dass der Weg nicht einfach wird. Unser Haushalt steht stark unter Druck und wird sich in vielen Bereichen auf kommunale Pflichtaufgaben konzentrieren müssen. Da ein solches Bürgerbudget als eine freiwillige Aufgabe gilt, könnte unser Projekt dem Rotstift zum Opfer fallen.
Da sind zum Beispiel die hohen Personalkosten, die durch den Prozess verursacht werden, nicht von Vorteil. Wir haben uns jedes Jahr sehr bemüht, die einzelnen Vorschläge eingehend zu prüfen. Wir haben beispielsweise ein Ampelsystem eingeführt, um den Status der jeweiligen Projektvorschläge transparent auf die Machbarkeit zu prüfen. Es war uns dabei sehr wichtig, in den aktiven Austausch mit den Ideengebern zu gehen. Das ist durchaus anspruchsvoll und verursacht Mehrarbeit, kommt aber bei den Einreichenden positiv an.
Insgesamt ist der Stadtgulden Lahr in der Bevölkerung hoch angesehen. Außerdem haben wir durch den Wechsel auf einen zweijährlichen Rhythmus bereits eine Kosteneinsparung erreicht. Dieses Argument werden wir bei den Verhandlungen mit den Gemeinderäten in die Waagschale werfen. Es wird also eine spannende Angelegenheit, wie sich die Gemeinderäte schlussendlich entscheiden werden. Aber das ist momentan eine Frage mit offenem Ausgang. Aus meiner Sicht wäre es gut, das Bürgerbudget in den Grundzügen so fortzuführen, wie es momentan ist und natürlich die z. T. schon angesprochen Optimierungsmöglichkeiten entsprechend zu berücksichtigen und umzusetzen.
Zur Person
Andreas May ist Mitarbeiter im Amt für „Soziales, Bildung und Sport“ der Stadt Lahr. Als Sachgebietsleiter und stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung „Soziales“ ist er unter anderem für die „Koordinierungsstelle“ des Lahrer Stadtguldens zuständig.