Sie scheinen sich gegenüberzustehen, die beiden Verfahrensmöglichkeiten, jede mit ihren eigenen Fürs und Widers: Auf der einen Seite Bürgerhaushalte und Bürgerbudgets, bei denen jeder und jede seine Ideen und Vorschläge einreichen kann, dann wird ausgewählt und – ganz grob gesagt - die Politik setzt um. Eine Möglichkeit, an der sich alle – im Ideal: die gesamte Bevölkerung – beteiligen können.
Und auf der anderen Seite haben wir die Idee, Bürgerräte einzusetzen: Eine Gruppe von mindestens einem Dutzend, maximal 120 Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen, ausgewählt per Los - somit nicht nur bio-deutsch, mittleren Alters, männlich und gebildet. Die arbeiten dann länger zusammen, können miteinander debattieren, hören einander zu und häufen Wissen an, das sie zum Wohl aller einsetzen …
Was bedeutet diese Alternative für Beteiligungsmöglichkeiten wie Bürgerhaushalte und Bürgerbudgets, steht da nicht vielleicht doch ein grundsätzlicher Wechsel in der Herangehensweise an? – Darüber diskutierten beim Jahrestreffen des Netzwerks Bürgerhaushalt 2022 im Rahmen des Externer Link: D3-Kongresses nicht nur Volker Vorwerk (Externer Link: buergerwissen) und Jörg Sommer (Externer Link: Berlin Institut für Partizipation, bipar), sondern auch einige der gut 60 Teilnehmenden am Panel „Haushaltsplanung durch Bürgerräte?“.
Die offenen Beteiligungsverfahren haben ihre „Macken“, sind für Kommunen aufwändig, schwierig zu handhaben und zwingen womöglich zum Umdenken, weil auf einmal Fachfremde mitmischen. Bürgerräte sind „in“, erhalten derzeit positive Presse und sind auch bei Politiker:innen beliebter als die mühsamen „großen“ Beteiligungsverfahren mit ihren Unwägbarkeiten – sind sie vielleicht nur der bequemere Weg, der just aus diesem Grund gehyped wird?
Ganz und gar nicht, die Arbeit im Bürgerrat kann richtig begeisternd sein, so ein Mitglied des Bürgerrats Mehr Demokratie: Die Menschen bringen sich ein, diskutieren, haben Zeit einander zuzuhören – eine intensive Arbeit, die eine Lücke zwischen Bürger:innen und Politik schließt. Und auch aus Gelsenkirchen kamen positive Erfahrungen: Dort sitzen in Bürgerräten und Foren zu bestimmten Themen neben der Verwaltung auch unterschiedlichste Multiplikator:innen - so lässt sich für fast jedes Anliegen gemeinsam eine Lösung finden.
Bis es so weit kommen kann, steht aber auch eine richtige Ochsentour auf dem Programm: Per Losverfahren werden Personen oft aus einem regionalen Kreis ausgewählt, die dann um ihre Mitwirkung im Bürgerrat gebeten werden. Das kann durchaus zur frustrierenden „Bettel-Arbeit“ werden, wie Jörg Sommer es nennt: 20 Leute anschreiben, bis mal einer Interesse hat – das komme gar nicht selten vor. Zähigkeit und gute Öffentlichkeitsarbeit ist also auch hier gefragt.
Außerdem seien die Bürgerräte – auch wenn man versuche, aus wirklich möglichst allen Bevölkerungsgruppen Mitglieder zu werben – dennoch nicht repräsentativ für die Bevölkerung, die sie vertreten sollen, so ein Argument Volker Vorwerks gegen die festen Gremien: Schließlich repräsentiere niemand nur „Frauen“, „Menschen mit Migrationshintergrund“ oder „Senioren“, und in welcher Rolle jemand dann agiert, sei ja nicht vorhersehbar. Dann doch lieber die breite Beteiligung – oder zumindest Beteiligungsmöglichkeit!
Dass die nicht per Fingerschnippen zu erreichen ist: keine Frage. Ohne Moderation, ohne aktive Öffentlichkeitsarbeit geht gar nichts – und das kostet auch. Eine feste halbe Stelle wurde genannt, um ab einer mittelgroßen Kommune das Verfahren zu bewerben und zu moderieren, Vorschläge zu prüfen, in Kontakt mit der Öffentlichkeit zu bleiben. Plus einmalig mehrere tausend Euro für eine entsprechende Internetplattform, die alles online abbildet und weitere Beteiligung ermöglicht.
Teils mache es auch Sinn, beide Beteiligungsarten – offene Bürgerhaushalte bzw. -budgets und vergleichsweise kleine, dafür festere Bürgerräte – zu kombinieren: So können Bürgerräte beispielsweise die Auswahl eingegangener Vorschläge in Funktion einer Redaktion eingrenzen helfen. Wichtig, da waren sich Sommer und Vorwerk einig, sind aber schlanke, gut durchschaubare Verfahren: Komplizierte Konstruktionen seien meist zum Scheitern verurteilt, so die Erfahrung. Mit bösen Folgen - Frust auf allen Seiten und oft genug die Einstellung des gesamten Verfahrens, weil es ja nicht funktioniert.
Wenn es aber funktioniert, wenn die unterschiedlichen Mitbestimmungs-Arten gut zusammenspielen und eine überzeugte Verwaltung eine aufwändige Öffentlichkeitsarbeit nicht scheut, kommen langfristige und tragfähige Ergebnisse heraus. Beispiele gibt es einige, auch hierzulande: Von Stuttgart bis Berlin-Lichtenberg gehören einige der Kommunen mit einer wirklich langen Tradition in Sachen Haushalts-Mitsprache zu den Freunden einer Kombination unterschiedlicher Wege zum Ziel „Beteiligung“.